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Social Media ist nicht der Grund, warum du dich scheiße fühlst

Inzwischen ist es quasi normal, Facebook für Depressionen verantwortlich zu machen—Gesundheitsexperten sagen jetzt jedoch, dass dieses Thema noch viel komplexer ist als angenommen.

Foto bereitgestellt von Ben Thomson

Letzten Monat veröffentlichten Forscher der University of Missouri-Columbia eine Studie, in der die Facebook-Nutzung mit verstärktem Neidgefühl und Depressionen in Verbindung gebracht wird. In den Medien nahm man sich schnell dieser Studie an und verbreitete die wohlbekannte Botschaft, dass junge Leute zu melancholischen, angsterfüllten und von „Fomo" geplagten Wracks werden, wenn sie zu viel Zeit online verbringen. Obwohl wir das Internet gerne für alles Schlechte verantwortlich machen, das nach 1998 passiert ist, sind viele Experten für mentale Gesundheit jedoch der Meinung, dass diesem Zusammenhang zu viel Bedeutung zugemessen wird.

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Bridianne O'Dea ist eine postdoktorale Forscherin am australischen Black Dog Institute. Sie meint, dass viele von uns zwar empfindlich auf Likes, Retweets und Shares reagieren, man aber die menschliche Widerstandsfähigkeit nicht unterschätzen sollte. „Wenn man in sozialen Netzwerken negatives Feedback bekommt, kann das natürlich Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl haben", sagt sie. „Man muss jedoch auch bedenken, dass das Selbstwertgefühl etwas ist, das sich schon im Kindesalter entwickelt. Diese Entwicklung dauert sehr lange und deshalb dauert es ebenfalls sehr lange, das Ganze wieder zu verändern."

Es überrascht kaum, dass die sozialen Netzwerke für die schlechte Stimmung der Leute verantwortlich gemacht werden. Ich meine, wer hat sich denn noch nie den Instagram-Account einer anderen Person angeschaut und sich dann richtig schlecht gefühlt? Der von den Statistiken suggerierte Zusammenhang zwischen unserem Online-Verhalten und unserer Stimmung ist jedoch zum Großteil nur von untergeordneter Bedeutung.

In Wirklichkeit hat unsere Biochemie wohl viel mehr mit unserem Alter als mit unserer Facebook-Nutzung zu tun. Fast die Hälfte der User ist zwischen 18 und 29 Jahre alt—bei dieser demografischen Gruppe treten auch die meisten psychischen Erkrankungen auf. O'Dea erklärt uns, dass schon vor Jahrzehnten zu erkennen war, dass psychische Erkrankungen im Jugend- und frühen Erwachsenenalter am häufigsten vorkommen, denn 75% der Krankheiten machen sich schon vor dem Alter von 25 bemerkbar. Es ist also eher ein Zufall, dass Depressionen in einem Zeitrahmen auftreten, in dem auch die Nutzung der sozialen Netzwerke auf ihrem Höhepunkt ist.

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Die Zahlen werden dazu noch dadurch verzerrt, dass man inzwischen viel offener über seinen Geisteszustand redet. „Das erhöhte Vorkommen bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Anzahl der psychisch kranken Menschen gestiegen ist", erklärt O'Dea. „Mehr und mehr Leute machen jetzt jedoch kein Geheimnis mehr daraus."

Der Professor Nick Titov, Projektleiter bei der MindSpot Clinic, pflichtet O'Dea bei. Er sagt, Sorgen bezüglich neuer Technologien bestünden schon so lange wie die Technologie selbst und es sei gefährlich, jetzt davon auszugehen, das Medium sei das Problem. „Ich bin mir sicher, dass sich die Generationen vor uns wegen des TV-Konsums unserer Eltern Gedanken gemacht haben", meint er. „Meiner Meinung nach ist das Medium hier nicht ausschlaggebend. Man sollte eher bedenken, wie die Leute miteinander kommunizieren."

In puncto Informationsbeschaffung haben Fachleute des Gesundheitswesens dem Internet und den sozialen Netzwerken schon immer eine positive Rolle zugesprochen. Überraschenderweise sehen sie es nicht so eng, wenn man dazu neigt, sich online anders darzustellen, als man in Wirklichkeit ist. Die Experten merken an, dass sich bei der jüngeren Generation die Online- und die reale Welt immer weiter annähern.

Psychologen nennen unsere strahlenden Online-Profile unser „erhofftes Selbstbild" und haben herausgefunden, dass dieser Trend unser persönliches Streben antreibt. In den sozialen Netzwerken zeigen wir unser bestes Ich, aber es handelt sich eben immer noch um uns. Wenn wir diese schöne Welt kuratieren, dann spielen wir uns laut den Psychologen nichts vor, sondern erschaffen eine Person, die wir sein könnten.

Trolling und Online-Mobbing sind natürlich greifbare Probleme, mit denen wir uns zweifelsohne auch weiterhin beschäftigen müssen, aber es hat für die Community rund um das Thema „Geistige Gesundheit" auch weniger offensichtliche Vorteile, wenn sie die sozialen Netzwerke nutzt. So kommt man an Informationen und findet Unterstützung, aber Forscher sehen darin auch ein nützliches Werkzeug. Diskussionen, die sich auf den Social-Media-Plattformen entwickeln, werfen immer mehr Forschungsfragen auf und Einzelberichte über Facebook-Trends helfen dabei, zukünftige Studien zu belegen und auszuformulieren.

Facebook zieht dich vielleicht runter, aber deine Stimmung hängt doch noch mehr von Hormonen, den äußeren Umständen und dem Handeln deines sozialen Umfelds ab. Mark Zuckerberg spielt dabei keine große Rolle. Das bedeutet auch, dass du dich nicht besser fühlen wirst, wenn du alle deine Online-Profile löschst. Andererseits würden dann deine wunderschönen Instagram-Fotos keinem anderen Menschen mehr den Tag vermiesen.