Auf der Suche nach dem Cast von Eric Prydz’ legendärem „Call On Me”-Video

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Clubkultur

Auf der Suche nach dem Cast von Eric Prydz’ legendärem „Call On Me”-Video

Dieses Musikvideo hat sogar Premierminister gestürzt.

Dies ist eine Geschichte, in der es um einen weitestgehend vergessenen 80er-Singer-Songwriter, nackte Hintern und einen schwitzenden, sabbernden ehemaligen britischen Premierminister geht. Es ist eine Geschichte über Reue, Verlangen und die vergänglichen Auswirkungen plötzlichen Ruhms. Auf dem Weg werden wir Filmstars und Aerobic-Lehrer treffen. Wir erfahren etwas über uns selbst und das Leben anderer. Dies ist die Geschichte des Videos zu „Call on Me" von Eric Prydz.

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Jede Geschichte hat einen Anfang. Unsere beginnt in einer Wohnung in London. Huse Monfaradi, ein Regisseur am Anfang seiner Karriere, wurde von einem Freund, der bei Ministry of Sound arbeitete, für ein Musikvideo vorgeschlagen. MoS hat als Label gerade Prydzs bald die Charts stürmenden House-Smashhit veröffentlicht. „Der Auftraggeber war ein Freund von mir", erklärt Huse mir am Telefon. „Er sagte: ‚Schau, das ist eine gute Möglichkeit, das wird ein großer Track, du solltest es machen.' Ich schrieb eine ziemlich flüchtige Idee über sexuelle Aerobic nieder. So einfach war es." Die Idee, die ihm innerhalb einer Minute nach dem ersten Hören kam, wurde zu einem der signifikantesten Stücke öffentlicher Kunst des 21. Jahrhunderts.

„Call on Me" ist ein Video, das lange im Gedächtnis bleibt. Selbst heute braucht es nur den Bruchteil einer Sekunde des Songs im Radio, um in diesem verschwitzten, sexy, schmutzigen und unglaublich vulgären Aerobic-Kurs zu landen. Obwohl wir gegenüber Sex mittlerweile so desensibilisiert sind, dass wir fast schon erwarten, bei Kunst und Krempel ein oder zwei Bukkake-Szenen zu sehen, hat dieses Video etwas so Unverfälschtes, etwas so Greifbares, ist so voll körperlichem Verlangen und von Lycra verhüllter Lust, dass es sich wie ein Akt regelrechter Sünde anfühlt, es sich heute nochmal anzusehen.

Um herauszufinden, wie und warum genau ein Video eines relativ unbekannten schwedischen Progressive-House-Produzenten eine gesamte Nation bannte und verführte, habe ich mich auf die Suche nach den Protagonisten gemacht.

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„Weder in der Vorproduktion noch beim Shooting, bei der Post-Production oder beim Schneiden hatte, glaube ich, jemand das Gefühl, dass es übertrieben oder außergewöhnlich oder gar erotisch ist", erinnert sich Huse. Wenn man bedenkt, dass es darin eine Aerobic-Lehrerin, die von Deanne Berry gespielt wird, und ihre Crew aus gelenkigen Tänzerinnen mit einem verschwitzten einzelnen Typen geradezu treiben (mit Freude gespielt von Juan Pablo Di Pace) und dazu ein MDMA getränkter Soundtrack läuft, scheint das doch eine ziemliche naive Sichtweise zu sein. Letztendlich ist dieses Video so aufreizend, dass der ehemalige britische Premierminister Tony Blair von seinem Rudergerät fiel, als er es zum ersten Mal sah. "Stell dir nur für einen Moment diese Szene vor: Blair, der in seinen kleinen, weißen Donnay-Söckchen, in glänzenden Trainingsshorts und wahrscheinlich mit einem schmuddeligen alten T-Shirt mit irgendeinem Labour-Slogan darauf, ist auf dem Gerät zugange. Sein Bizeps funkelt vor Schweiß, die Zähne zusammengebissen, sein gesamter Körper windet sich angestrengt. Wie ein Delfin, der versucht einem Netz zu entkommen. Dazu eine leichte Ausbeulung der Boxershorts, die Augen weit aufgerissen. Es ist der Moment, als er „Call on Me" zum ersten Mal sieht." Es gibt einen Sturz und einen Aufprall und Cherie Blair kommt ins Gym Nr. 10 gestürzt, fassungslos ob des Anblicks, der sie dort erwartet. So anzüglich war das Video und ist es noch immer.

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Das Video wäre trotz aller Bemühungen von Huse nicht das, was es ist, wenn es nicht dieses grundlegende Element hätte, das „Call on Me" so denkwürdig macht: die Tänzerinnen. Tanzen und Tänzer sind ein elementarer Teil der Popmusik und zwar seit Elvis anfing, sein Gemächt so sehr auf der Bühne hin und her zu schwingen, dass amerikanische Sender ihn nur von der Hüfte aufwärts filmen durften. Popmusik bringt Leute dazu, dass sie singen, weinen, es treiben und tanzen. „Call on Me" bringt eine bestimmte Art von Person vielleicht dazu, all dies gleichzeitig zu tun. Wie es jede rationale Person tun würde, die einen Artikel über das Video zu „Call on Me" von Eric Prydz schreibt, habe ich versucht, die Tänzerinnen ausfindig zu machen. Die Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie geplant.

Abgesehen von einer Workout-DVD auf Ministry of Sound mit dem Titel Pump It Up! The Ultimate Dance Workout, mit der schnell viel Geld verdient werden sollte—das war zu einer Zeit, in der die Leute noch Workout-DVDs in riesigen Mengen gekauft haben und es in jedem Haushalt mehrere Exemplare davon gab—haben sich die Mitwirkenden nie wieder zusammengefunden. Was bedeutet, dass es schwer war, sie ausfindig zu machen. Die Suche nach Deanne und Juan, nach Laura More, Franky Wedge, Laura Jayne Smith, Rosy Hawkins und Laura Bowle führte mich in zutiefst traurige, merkwürdige Ecken des Internets. Ecken, von denen ich immer wusste, dass sie existieren, aber bei denen ich zu ängstlich war, selbst danach zu suchen.

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Das ist die Sache an „Call on Me", die es zu so einem interessanten Popkultur-Phänomen macht, eines, das von Krebs-Stiftungen, der britischen Marine und dieser schrecklichen Metalband parodiert wurde: Es ist ein perfektes Beispiel für körperliche Anonymität. Niemand in dem Video wird beim Namen genannt. Wirklich jeder in diesem Video ist nichts als eine Masse aus gebräuntem Fleisch—zugegeben eine durchtrainiert Masse, aber immer noch eine Masse. Die Kamera starrt sehnsüchtig und liebevoll auf Brüste und Hinterteile, bis zu dem Punkt, an dem selbst Gesichter nichts weiter sind als bloßes Beiwerk. Diese Auseinandersetzung mit Körperlichkeit ist aus ein paar Gründen interessant. Zunächst, weil es die Teilnehmer plakativ als rein körperliche, rein sexuelle Objekte darstellt, anstatt so zu tun, als würden sie mit so etwas Störendem wie einer „Persönlichkeit" ausgestattet. Und zweitens, weil es die pure Potenz von Fleisch auf dem Bildschirm demonstriert und uns dazu zwingt, uns mit unserem angeborenen Voyeurismus gegenüber Videos als Medium auseinanderzusetzen. Letzteres ist immer wichtig, wenn du das Video zu einer drittklassigen House-Platte schaust. Drittens, und das ist am wichtigsten, ist diese körperliche Anonymität ein Mittel, mit dem das Selbst eliminiert und von einem Körper in seiner reinsten Form ersetzt wird. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass beinahe jeder, der bei dem Video mitgewirkt hat, spurlos verschwunden zu sein scheint.

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Bevor ich anfing, für diesen Artikel zu recherchieren, dachte ich, zu wissen, was ein trauriger Satz ist. Ich hatte genug Romane gelesen, um ein Verständnis davon zu haben, was eine trostlose, destruktive, wirklich deprimierende Ansammlung von Wörtern ist. Jetzt weiß ich, dass ich die ganze Zeit falsch lag. Die düsterste Sache, die du jemals zu lesen bekommen kannst, ist diese:

Es gibt keine Information über diese Tänzerin—bitte lass uns unten alles wissen, was du weißt.

Scheiß auf Hemingway und seine Babyschuhe, das hier ist wirklich elendig. In einer Welt, in der alles über dich als Person—jede Laune, jedes Verlangen, jede Vorliebe—auffindbar und abrufbar ist, ist der Mangel an Informationen über eine Gruppe von Leuten, die für immer in dieses Musikvideo eingemeißelt sind, so deprimierend wie nur möglich. Besonders wenn diese Nachricht dir durch eine Webseite überbracht wird, die so aussieht:

Der letzte Ort der Ruhe für die meisten Darsteller des „Call on Me"-Videos ist Music Video Babes, eine Webseite, die diverse Frauen katalogisiert, die über die Jahre in Musikvideos mitgewirkt haben. Die Seite hat wenig Zeit für etwas, das einer traditionellen Biografie auch nur ähnelt, und bleibt lieber immer Bereich der körperlichen Namenlosigkeit, wo alles, was zählt, die entscheidenden Statistiken sind. Es gibt wahrscheinlich etwas recht Wichtiges zu sagen über die Reduzierung eines Menschen auf ein paar Zahlen, aber das hier ist eine Abhandlung über ein geschmackloses Stück masturbatorischen Nonsens', der eine Menge Platten verkauft und eine Menge Taschentücher gefordert hat, also überlassen wir diesen Artikel jemandem, der etwas schlauer ist.

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Der Punkt ist allerdings: Obwohl sie Körper haben, die dank ihres kurzen Moments des Ruhms beinahe sofort zu erkennen sind, sind diese Tänzerinnen nichts außer anonymen Ziffern, leere Hüllen. Na und? Die meisten von uns gehen durch das Leben, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die meisten von uns leben und arbeiten und sterben und werden nur von ein paar Leuten in Erinnerung behalten, die dann selbst sterben, und letztendlich wird unser Name nicht mehr als ein Flüstern im Wind sein. Es ist nicht wichtig, dass Franky Wedge kein riesiger Star wurde. Denn das ist nicht der Punkt bei Kunst. Kunst schafft mehr als das. Kunst macht uns unsterblich. Kunst ist sowohl ein Weg, Körperlichkeit zu preisen, als auch sie total zu zerstören.

Und für alle Zweifler da draußen: „Call on Me" ist definitiv ein Kunstwerk. Es ist unheimlich grell, unheimlich geschmacklos, unheimlich dreist und unheimlich gewagt. Es nimmt das Leben und überdreht es, füllt eine alltägliche Situation—den Akt, einen Aerobic-Kurs zu besuchen—mit einer unglaublich ausgeprägten urtümlichen Sexualität. Das ist die Kraft dieses Videos in Kurzform: Es nimmt das Alltägliche und findet darin etwas Unglaubliches. Sicher, als Kunstwerk ist „Call on Me" an der Grenze zum Problematischen—all die nackte Haut, die unverblümt und ohne Kontext präsentiert wird, ohne einen Sinn dafür, dass sie zu jemandem gehört und nur als Objekt präsentiert—aber komm schon, alles, was so einen tiefgreifenden, weitreichenden Einfluss auf die Psyche einer Nation hat, verdient es, auf einem gewissen Level wertgeschätzt und vielleicht sogar in Ehren gehalten zu werden.

Es sollte am Eingang der Nationalgalerie in Schleife gespielt werden, da es die echte Kunst der Leute ist. Es ist eine perfekte Kapsel, eine unberührte Darstellung des Verlangens des frühen 21. Jahrhunderts. Es ist fetischistisch und offen. Es spricht uns alle an, ob wir es nun zugeben wollen oder nicht.

Aber das Beste an „Call on Me"? Es wäre beinahe nie entstanden. Fast wären uns diese pulsierenden Wonnen vorenthalten geblieben. „Als wir eine halbe Stunde gedreht hatten", so Huse, „fiel der Strom aus. Ein Bagger durchtrennte alle Stromleitungen und wir dachten daran, aus Versicherungsgründen hinzuwerfen." Eine Welt ohne das Video zu „Call on Me" ist eine Welt, die beinahe unvorstellbar ist. Deanne und Juan und der Rest sind vielleicht verschwunden, aber sie werden trotzdem immer da sein, in unseren Herzen, in unseren Gedanken, in unseren Hosen.

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