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Ausgerechnet Putin ist neuer Friedensfürst

Vor einer Woche sah es noch so aus, als gäbe es einen neuen Krieg im Nahen Osten. Aber der Krieg ist abgeblasen, Obama ist blamiert, und die Weltöffentlichkeit himmelt den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Friedensfürsten an.

Foto: Flickr

Vor einer Woche sah es noch so aus, als stünde der Welt ein neues amerikanischer Einsatz im Nahen Osten bevor. Aber der Krieg ist abgeblasen, Obama ist blamiert, und die Weltöffentlichkeit himmelt den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Friedensfürsten und Pragmatiker an. Wie konnte es soweit kommen?

Die Auszeichnung für „Putin’s Best Wingman of the Year“ geht natürlich an den amerikanischen Secretary of State, John Kerry. Um kurz zu rekapitulieren: Kerry war bei einer Pressekonferenz gefragt worden, ob Assad noch irgendetwas tun könne, um die bevorstehende Bombardierung seiner Streitkräfte abzuwenden. Worauf der ehemalige Präsidentschaftskandidat lapidar antwortete, klar, er könne natürlich binnen einer Woche all seine Chemiewaffen abgeben—aber das würde sowieso nie passieren und sei „offensichtlich“ auch gar nicht machbar.

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Schnell betonte das State Department zwei Stunden später noch einmal, dass es sich um eine rein „rhetorische“ Äußerung gehandelt habe—eigentlich nur ein Witz, sozusagen—aber zu spät. Der russische Außenminister Lawrow reagierte prompt und bot an, Russland könne die Übergabe von Assads Chemiewaffenarsenal organisieren. Kurz danach kam aus Damaskus die Meldung, dass man bereit sei, die Waffen an Russland abzugeben, und damit war der Krieg erstmal abgesagt—und Amerika war der vermeintliche Friedensakt eher peinlich.

Obwohl man in Washington ja eigentlich heilfroh sein könnte, dass nun doch noch eine diplomatische Lösung gefunden worden ist, wird diese neue Entwicklung eher als Demütigung für die Regierung Obama empfunden. Nicht nur weil sie aus einem dämlichen Witz des verbal inkontinenten Kerry entstanden ist, sondern auch weil Wladimir Putin jetzt als klarer Gewinner dasteht (und somit gerade wahrscheinlich die besten Zeiten seiner gesamten Regentschaft erlebt).

Putin, der Obama seit Beginn der Syrien-Krise mit seiner bedingungslosen Unterstützung Assads nichts als Kopfschmerzen bereitet hat, steht nun plötzlich als der verantwortungsvolle Staatsmann des Friedens da, der den kriegswütigen Amerikanern in letzter Sekunde noch Vernunft beibringen konnte. Von der New York Times bekam er bereits bestätigt, dass er Obama in der Syrien-Krise den Rang des wichtigsten Akteurs abgelaufen hat. „Putin hatte wahrscheinlich seinen besten Tag als Präsident seit Jahren“, meint Ian Brenners vom Think Tank Eurasia Group. „Ich vermute, dass er sich gerade richtig freut.“

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Man kann sich auch kaum vorstellen, dass Putin irgendetwas mehr Freude macht, als plötzlich als der Friedensfürst dazustehen, der die tollwütigen Amerikanern bändigt. Ganz der Gentleman nutzte der russische Präsident auch gleich die Chance, am Donnerstag in einem offenen Brief in der New York Times unter dem Vorwand des Dialogs noch einmal richtig nachzutreten. „Der mögliche Militärschlag der USA gegen Syrien“, schrieb er, „wird noch mehr unschuldige Opfer und eine Eskalation nach sich ziehen, die den Konflikt weit über Syriens Grenzen tragen könnte.“ Und schließlich: „Egal wie gezielt die Schläge oder ausgereift die Waffen, zivile Opfer sind unvermeidlich, eingeschlossen Ältere und Kinder, die diese Schläge eigentlich schützen sollen.“

Das Mitgefühl mit der syrischen Zivilbevölkerung ist besonders rührend, wenn man sich erinnert, dass sich derselbe Putin in derselben Zeitung 1999 schon einmal in einem offenen Brief an die amerikanische Öffentlichkeit gewandt hat, damals allerdings, um die russische Intervention in Tschetschenien zu rechtfertigen. Die russischen Kommandeure hätten „klare Instruktionen, unnötige Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden“, schrieb er. Was sie trotzdem nicht daran gehindert hat, die tschetschenische Hauptstadt Grosny durch breitflächigen Artilleriebeschuss dem Erdboden gleichzumachen.

Dass Putin trotzdem Bewunderung erntet, wenn er jetzt Obama ‚freundschaftlich’ ermahnt, liegt an einem Grundproblem im Dreierverhältnis USA-Russland-Weltöffentlichkeit. Dabei sind die USA und die Weltöffentlichkeit wie ein Pärchen, das die Anfangseuphorie schon hinter sich gelassen hat, aber trotzdem miteinander zurechtkommen muss. Putin dagegen ist so etwas wie der böse Junge, dem die Weltöffentlichkeit eigentlich nicht vertraut, der aber trotzdem irgendwie interessant ist, weil er eben anders und neuer (und reizvoller) ist als der alte Freund Amerika.

Foto von James Gordon Los Angeles

Obama muss die Weltöffentlichkeit also immer wieder anlächeln, mit lieblichen rhetorischen Meister-Reden besänftigen, nur um sie bei Laune zu halten. Putin kann einfach immer reingrätschen, wenn er gerade Lust hat, sich als relevant und interessant zu präsentieren (zum Beispiel, wenn er dem Whistleblower Ed Snowden Asyl gewährt), ohne jemals wirklich die Verantwortung für irgendwas übernehmen zu müssen. Denn eigentlich will Putin Obama die Weltöffentlichkeit natürlich nicht auf Dauer ausspannen—weil er weiß, wie anspruchsvoll sie ist, und dass sie ihn bestimmt nicht das machen lassen würde, worauf er eigentlich Lust hat—zum Beispiel in Russland Schwule LINK schikanieren, oder eben Tschetschenen bombardieren. Trotzdem ist es ihm natürlich eine Genugtuung, ein wenig mit der Welt zu flirten, um so ihre Beziehung mit Obama kurz zu versalzen.

Das soll nicht heißen, dass es nicht vielleicht doch besser für die syrische Zivilbevölkerung ist, wenn die Amerikaner Assads Waffendepots nicht bombardieren. Was sich jetzt aus der neuen Situation für den Bürgerkrieg ergeben wird, kann man noch nicht wirklich beurteilen. Man darf nur nicht vergessen, dass es Putin scheißegal ist, wie es den Syrern geht, solange er nur seinen besten Freund in Nahost, Baschar al-Assad, an der Macht erhalten kann. Wenn ihn die Welt dafür auch noch bewundert, umso besser.