FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Fleischgewordener Sexismus auf dem Grill

Selbst beim Braten bedienen diese Würste die übelsten Klischees: Während die Männerbratwürste lässig brutzeln, geben die Frauenbratwürste ein hysterisches Quieken von sich.

Sicher habt ihr es alle schon zehnmal bei Facebook gelesen: Letzte Woche hat sich das Internet über die „Männer“- und „Frauenbratwürste“ bei Edeka aufgeregt. Die für Männer sind „deftig, kräftig gewürzt“, die für Frauen „besonders mager“ und mit Gemüse, außerdem dünner und leichter als die für Männer. Als die Qualitätsmedien den Shitstorm rochen, hagelte es empörte Artikel: „Dumpfer Sexismus“ schreibt Merle Sievers auf sueddeutsche.de, den Gewichtsunterschied vergleicht Tina Groll auf Zeit Online mit dem geringeren Durchschnittsverdienst von Frauen und sagt: „Emanzipierte Frauen brauchen keine Frauen-Bratwurst“. Niemand von ihnen hat sich die Mühe gemacht, diese Produkte mal genauer zu untersuchen. Ich war schockiert: Wie können sich renommierte Onlinemedien auf so einen amateurhaften Bratwurstjournalismus einlassen? Denn wer über Gender-Bratwürste schreibt, sollte sie auch mal in der Hand gehabt haben.

Anzeige

Ich war bereit zum Test und telefonierte mich durch die Edeka-Filialen in Berlin. Dann fand ich heraus: Diese Skandal-Würste gibt es nur in NRW. Kein Medienmensch in Hamburg, München oder Berlin hat sie jemals zu Gesicht bekommen. Ich musste also erstmal einen Freund beauftragen, mir die Dinger zu schicken. Gerade habe ich sie ausgepackt und kann bestätigen: Ja, die Nummer mit dem Gewichtsunterschied ist ganz schön hart.

Am besten sind aber die Etiketten: Auf der Männerbratwurst posiert ein südländisches Model mit schlechtem Pushup-BH und furchtbarem Nageldesign, dem man zwei Teufelshörner über die Haare gephotoshoppt hat. Auf der Frauenbratwurst steht ein Typ, den Blick auf seine Boxershorts gesenkt, wie man es eigentlich nur aus der Werbung für Erektionsstörungsmittel kennt. Er hat sich allen Ernstes „Trust“ aufs Sixpack und „La Vida Loca“ auf die Brust tätowiert—das könnten auch die Emotionen eines Schweins sein, das für diese Bratwürste zur Schlachtbank geht.

Ich habe nichts gegen Kreativität im Fleischregal. Aber anscheinend hält Edeka so wenig von seiner Zielgruppe, dass die wurstoiden Gender-Kriterien einfach sauhohl sind: Deftigkeit soll männlich sein, mager und leicht sollen es Frauen lieben. So sehr muss man seine Kunden erstmal verachten, dass man ihnen diese Stereotypen unterjubelt. Aber vor allem: Wie inkonsequent ist das eigentlich? Müsste man eine Frauenwurst, die ihren Namen verdient, nicht ausschließlich aus weiblichen Tieren und mit weiblichen Arbeitskräften herstellen?

Anzeige

Ich habe beschlossen, den Herd anzuwerfen und den „fleischgewordenen Sexismus“ (SZ) auf die Spitze zu treiben. Ich habe die Bratwürste des Bösen ausgepackt und ein paar Rezepte ausprobiert. Selbst beim Braten bedient das Produkt noch die übelsten Klischees: Während die Männerbratwürste stoisch brutzeln, stoßen die Frauenbratwürste ein hysterisches Quieken aus.

Transgender-Grillspieß 

Currywurst „Charles Manson“

Threesome-Sandwich 

Der Geschmackstest ergibt: Die Würste für Männer sind ganz OK, aber weil sie angeblich Käse und Röstzwiebeln enthalten, ich aber nichts dergleichen ausmachen kann, traue ich diesen Kerlen nicht über den Weg. Die für Frauen sind einfach nur fad und so dünn, dass sie fast zerbrechen—also eine gelungene Wurstrepräsentation von den ganzen Modemädchen, die dank Fashion Week gerade durch Berlin tingeln—aber eben kein Genuss.

Wie kommt man auf so eine hirnverbrannte Idee? Ich schreibe Daniel Schulz, Vertriebsleiter bei der Firma Rasting, die die Würste für Edeka herstellt. Er antwortet: Ein Betriebsleiter habe die Idee für eine Wurst mit Röstzwiebeln und Käse gehabt. Bei einer Werbesitzung sei dann der Spruch gefallen: „Das ist eine Wurst für richtige Männer!“ Daraufhin habe man die „Männerbratwurst“ mit Erfolg auf den Markt gebracht und auch noch eine „Frauenbratwurst“ kreiert. Mit positivem Echo, schreibt er.

Auf den Shitstorm reagiert Schulz mit dem Hinweis, es gebe in Deutschland schon Herrentorte, Herrenschokolade, Kinderschokolade, Frauendüfte wie auch Herrendüfte, Damenröcke, Damensättel usw., „ohne dass sich dadurch irgendjemand in seiner geschlechtlichen Identität gefährdet sieht.“ Er erklärt: „Wir hatten jedenfalls keine solchen Hintergedanken und stehen der durch unser Handeln wohl entstandenen Diskussion über feministische Themen völlig erstaunt, aber entspannt gegenüber.“ Und kündigt an: „Im nächsten Jahr wollen wir eine ‚Kinderwurst‘ herausbringen.“ Oha.

Anzeige

Ich möchte diesen Artikel mit einem offenen Brief beenden:

Liebe Fleischer-Thinktanks der Republik! Ihr seid ein kreatives Völkchen. Besonders in Phasen von Fußball-WM und -EM. Eberswalder verkaufte Grillwürste in Schwarzrotgold, Herta verkaufte zur WM in Polen 2010 Krakauer mit dem Slogan „Deutschland grillt Krakauer“ und bewies damit historische Feinfühligkeit vom Kaliber eines Schinkenknackers.

Könnt ihr das eigentlich nicht besser? Näher am Alltag von uns Kunden? Wie wäre es mit einer Hipster-Bratwurst? In Club Mate marinierte Soja-Griller, verpackt im Jute-Beutel mit einem ironischen Spruch und einem dreieckigen Logo vorne drauf? Oder die Lana del Rey-Bratwurst? Eine Verpackung mit ihrem Konterfei, wobei zwei eingeschweißte leicht deformierte Würstchen das Duckface darstellen? Nach der H&M-Werbung glaube ich noch nicht mal, dass sie sich für diesen Scheiß zu schade wäre. Natürlich muss es nicht Pop sein, man könnte auch in der hohen Politik ansetzen: Die Merkel-Bratwurst mit Neuland-Fleisch. Auf der Verpackung würde natürlich „#neuland“ stehen, wobei das # nicht nur Merkels berühmte Wurstfinger-Geste aka „Raute der Macht“, sondern auch den Grillrost perfekt symbolisieren würde.

Also, liebe Wurstdesigner: Macht es beim nächsten Mal einfach besser!