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DIE LITERATURAUSGABE 2012

Im Club

Alexa Hennig von Lange ist im Kopf eines Typen eingesperrt, der sich auf der Flucht vor dem Schicksal auf der Clubtoilette wiederfindet. Wo auch sonst?

Illustration von Malin Bergström

Scheiße, langsam habe ich keine Lust mehr, in dieser blöden Klokabine rumzuhängen. Draußen beim DJ sind die Leute am Ausflippen, und ich hocke hier drinnen und warte darauf, dass Marc mich endlich befreien kommt. Ich traue mich gerade nämlich nicht mehr raus, weil ich im Waschraum so einen bulligen Typen beleidigt habe, der seiner Freundin beim Kotzen geholfen hat. „Frohe Weihnachten!“ Aber um ehrlich zu sein, glaube ich, dass das noch ein bisschen dauern wird, bis Marc endlich kommt, weil er am Tresen gerade so eine aufgedrehte Kunsthändlerin klarmacht. Aber heute ist sowieso ein blöder Tag. Obwohl Heiligabend ist. Vorhin haben Marc und ich nämlich auch schon festgesessen und uns nicht nach draußen getraut. Drüben, in meiner Butze. In dem Fall war Marc aber schuld, weil er meinen Nachbarn „Arschficker“ genannt hat: „Arschficker!“ Der macht irgendwas mit Schrott, und Marc hat zum zweihundertsten Mal gesagt, dass er Leute hasst, die aus Schrott Kunst machen. „Ich hasse Leute, die aus Schrott Kunst machen!“, hat Marc gesagt und gegen die Schubkarre von meinem Nachbarn getreten, draußen vor seinem Atelier, damit sie umkippt. Sie ist aber nicht umgekippt, weil da so viel Schrott drin lag, und Marc hat einen kleinen Anfall gekriegt. „Die Schubkarre von dem Arschficker macht mich wirklich wahnsinnig!“, hat Marc geschrien und ist albern im Schneematsch rumgestampft. Und natürlich hat das Werkstattfenster von dem Bastel-Fuzzi sperrangelweit offen gestanden. Der hat bestimmt alles mitgekriegt, und darum habe ich mir Marc schnell geschnappt, bin mit ihm hopp-hopp-hopp in den Lastenaufzug und hoch zu mir. Mann, manchmal hat sich Marc wirklich nicht unter Kontrolle. Der benimmt sich dann ohne Vorwarnung wie so ein kleines Kind, und um ehrlich zu sein, kriege ich dann manchmal einen ziemlichen Hass auf ihn. Ich weiß nicht. Der Penner ist 21 Jahre alt, und da ist mein kleiner Bruder mit fünfzehn echt schon reifer und reflektierter. Egal. Also haben wir blöde auf meiner Sofalehne gestanden, aus dem Fenster geglotzt und gewartet, dass bei meinem Nachbarn unten das Licht angeht, damit wir wieder runter können, ohne ihm im Flur zu begegnen. Ich hatte totale Panik, dass Marc dann noch mal ausflippt. Egal. Marc hat zum hundertsten Mal gesagt, dass er Schnee hasst, und ich konnte es wirklich langsam nicht mehr hören. Marc muss sowieso immer alles tausendmal sagen. Das ist so eine Psychomacke von ihm, weil er Angst hat, dass man nicht immer mitkriegt, was er Wichtiges zu melden hat. Darum finde ich ihn manchmal auch richtig nervig. Trotzdem, er ist mein bester Freund, und wenn wir alleine sind, ist er eigentlich auch ganz OK. Da sagt er ab und zu sogar richtig vernünftige Dinge, die mich echt verblüffen, und dann denke ich, dass er ein absolutes Genie ist. Zum Beispiel hat er vorhin ein von mir gemaltes Bild angekuckt und sofort den Inhalt gerafft. Nur, wenn zu viele Leute dabei sind, dreht er hin und wieder durch. Ich glaube, das liegt daran, weil er bei seiner Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen hat. Tatsächlich. Ich hab mal gelesen, dass Kinder dann cholerisch werden, weil bei denen im Gehirn irgendwas abgeklemmt wird. Egal. Draußen war es in der Tat schon wieder fett am Schneien, und der Parkplatz lag leer und bläulich vor uns und wurde langsam zugeschneit. Nur die Laterne zwischen den Büschen am Zaun hat einen dreckigen, gelben Lichtkegel auf die alte, verbeulte Schubkarre von dem Schrott-Typen geworfen. Marc meint, dass Frau Holle mal endlich von irgendjemandem durchgenommen werden muss, damit sie aufhört, ihre blöden Federbetten über unseren Köpfen auszuschütteln. Tolle Idee. Soll er sich doch um die Angelegenheit kümmern. Na ja, jedenfalls haben wir wegen der Arschficker-Geschichte in meiner Bude festgehangen, obwohl wir eigentlich nur schnell Kohle holen wollten, um drüben im Club weiter abzufeiern. Wir kamen nämlich aus der Bar von schräg gegenüber. Da war es total witzig. Marc hat so ein Salatblatt von einem Schicki-Typen-Teller geklaut und sich als Hut auf den Kopf gesetzt. Mann, der Fuzzi im Hemd ist richtig seitwärts gegangen. Quak-quak-quak! Von wegen, dass das totale Grenzüberschreitung ist. Wir mussten so was von ablachen. Aber kaum waren wir oben in meiner Bude, ist mir dann mal kurz die Decke auf den Kopf gefallen. Alles ist ganz komisch melancholisch geworden. Ich wollte einfach nur noch ganz schnell wieder dahin, wo es laut ist, weil ich sofort angefangen habe nachzudenken. Marc und ich gehen schon seit fünf Tagen dahin, wo es laut ist, und wir wollen das auch noch mindestens fünf weitere Tage machen. Heute ist Heiligabend und ich wäre viel lieber bei meinen Eltern. Aber dieses Jahr ist etwas Schreckliches dazwischengekommen, und genau das versuchen Marc und ich zu vergessen. Ich stelle mich mal eben auf den Klodeckel, damit der Schrank-Typ vergisst, dass ich noch hier bin. Der hält sich, glaube ich, gerade in der Nebenkabine auf und flüstert mit seiner Freundin rum. Jedenfalls erkenne ich seine Schuhe wieder. Egal. Marc hat sich auf mein altes Plüschsofa vom Sperrmüll plumpsen lassen und sich eine Zigarette angezündet. Weil ich auch eine wollte, habe ich mich neben ihn gepflanzt und mit ihm ins Dunkle gestarrt. Mann, ich war vielleicht froh, dass ich das Licht nicht angemacht hatte, sonst hätte ich mir das Scheißorange von seiner Jacke reinziehen müssen. Ich hasse diese Farbe und ich hasse diese Jacke. Das ist wirklich die häss­lichste Winterjacke, die ich je gesehen habe. Eigentlich gehört sie nicht mal Marc, sondern einem Kumpel von ihm, aber der hat sich von Marc die Lederjacke ausgeliehen, die fast genauso hässlich ist, und Marc hat dafür diese abgestaubt. Marc sieht damit wie so eine behämmerte, orangene Schildkröte aus. Sein Hals ist total unsichtbar, nur sein Kopf sitzt auf dem fetten Daunenkragen. Abartig. Ich habe Marc schon hundertmal gesagt, dass man ihn in der Jacke nicht ernst nehmen kann, aber Marc zuckt dann immer mit den Schultern und meint, dass ich keine Ahnung habe. Ich hasse Marc, wenn er die Jacke anhat. Und besonders seit fünf Tagen. Da habe ich gedacht, mich trifft echt der Schlag. Also, mir ist nämlich vor einem Dreivierteljahr so eine blöde Sache passiert, und darum stand ich vor fünf Tagen unschuldig vor Gericht. Tatsächlich. Und zwar fing alles damit an, dass meine damalige Freundin letzte Weihnachten nach Helsinki abgedampft ist, weil sie da so ein komisches Künstlerstipendium bekommen hat. Mir war in dem Moment gleich klar, dass sie sich da als Erstes einen Finnen angelt, weil die Tante in ihrem Leben noch nie ohne Typen ausgekommen ist. Die braucht das irgendwie für ihr Ego. Egal. Jedenfalls hat sie mich dann auch prompt nach zwei Wochen angerufen und mir gesagt, dass sie keinen Bock mehr auf mich hat, weil sie einen anderen kennen­gelernt hat. Scheiße! Natürlich wollte ich es nicht wahrhaben, weil sie eigentlich meine ganz große Liebe war. Aber man muss sich eben dem Schicksal fügen. So läuft das im Leben. Egal. Jedenfalls ist die Lady im Frühjahr wieder aufgetaucht, und da bin ich irgendwie durchgedreht, weil ich mich nicht fügen konnte und meine Nerven das ganze Theater nicht mitgemacht haben. Vor allen Dingen hat sie mir gleich aufs Butterbrot gestrichen, dass sie jetzt mit ihrem blöden neuen Typen zusammenwohnt und dass Helsinki sowieso der absolute Hammer ist. Egal. Damit bin ich ja auch noch klargekommen. Aber dann hat sie am Abend in meiner Bude plötzlich für schummriges Licht gesorgt und gesagt: „Küss mich!“ Tatsächlich. „Küss mich!“ Einfach so aus heiterem Himmel. „Küss mich!“ Das war zu viel für mich. Ich bin raus, weil ich nicht mit mir spielen lasse und ich das alles nicht mehr verstanden habe. „Küss mich!“ Unglaublich. Und ich bin direkt zu Marc. Also bin ich mit Marc, seinem Lederjackenkumpel, noch zwei anderen Typen und mir ins Bello’s was trinken gegangen. Der Lederjackenkumpel von Marc kennt da den wichtigsten von den Barkeepern, und darum konnten wir sicher sein, dass wir einen Platz kriegen und vielleicht irgendwelche Promiweiber vor der Linse sitzen haben. Wirklich. Ab und an hängen da solche Tanten aus dem Fernsehen rum. Für den Moment eine gute Ablenkung. Aber um ehrlich zu sein, lohnt sich das Ganze nie so richtig, weil die in echt viel faltiger sind und zweitens keine Lust auf uns Jungs haben. Scheinbar raffen die sofort, dass wir denen nichts spendieren können. Na ja. Dafür geht denen lupenreiner Sex flöten. Eben noch so richtig unverbraucht und jungfräulich. Spätestens wenn die Ladys 50 sind, wird es ihnen leid tun, dass sie uns verschmäht haben. Ich schwöre es. Meiner blöden Exfreundin hat es ja auch sofort wieder leid getan, dass sie mich einfach so gekickt hatte. „Küss mich!“ Aber ich habe auch meinen Stolz. Normal trinke ich eigentlich gar nicht so gerne, aber wegen der Geschichte mit meiner großen Liebe dachte ich, jetzt muss ich trinken, sonst sterbe ich. Also haben wir alle rumgetrunken. Einen Whiskey nach dem anderen, weil der Ledertyp und der Barkeeper fachsimpeln und rumposen mussten, und wir dachten, dass es besser ist, das ganze Zeug mal durchzuprobieren, bevor wir einen Tipp abgeben. Marc hat hundertmal gemeint, dass er Whiskey hasst, aber mir war das egal und Marc eigentlich auch, und darum haben wir kräftig rumgetestet, bis wir unzurechnungsfähig waren und die Gläser mit aus dem Laden genommen haben, um unsere Drinks auf der Straße weiterzutrinken. Egal. Jedenfalls habe ich plötzlich die beschissenste Idee meines Lebens gehabt. Ich habe zu den Männern gesagt, dass wir mal ein Glas auf die Straße werfen sollten. Krank, was? Na ja. Einer von den Trotteln hat es dämlicherweise auch noch gemacht, und zwar direkt auf so eine beknackte Frontscheibe von so einem beknackten Auto, in dem drei beknackte Weiber drin saßen. Ich meine, die waren richtig blöd. So blöd, dass ich es gar nicht mehr ausdrücken kann. Meine Garnison ist vor lauter Schreck gleich in die Büsche, nur ich Hampelmann bin stehen geblieben, um mich bei den Tussis zu entschuldigen. Aber die sind gleich auf mich los, haben mich gegen eine Schaufensterscheibe gequetscht und so getan, als hätte ich ihnen ungefragt an ihren Muschis rumgefummelt. Mann, waren die krank. Egal. Jedenfalls kam dann die Polizei, ich wurde beschuldigt, bla bla bla bla und prompt vor Gericht gezerrt. Das einzig Positive an der ganzen Geschichte war, dass ich erst mal nicht mehr an meinen privaten Herzschmerz denken konnte. Hier ging es schließlich um Leben und Tod. Egal. Der Penner, der eigentlich das Glas geworfen hatte, hat nur gemeint, er will sich nicht in die Scheiße reiten, und hat nie mehr was von sich hören lassen. Tatsächlich. Stattdessen hat mir dieser Provinzrichter so richtig einen reingebacken und seitdem leide ich unter Verfolgungswahn. Ich meine, ich bin noch nie schwarzgefahren, rauche nicht in U-Bahn-Schächten und stehe immer auf, wenn eine Schwangere reinkommt. „Fuck the justice“, kann ich da nur sagen. Ich meine, bin ich reich? Habe ich Gras in der Tasche? Nein! Verdammte Idioten, ich habe nichts gemacht. Trotzdem musste ich das kaputte Auto zahlen, mich vom Richter erniedrigen lassen und mit Selbstmordgedanken kämpfen. Egal. Aber das Schlimmste an der Sache war, und darum hasse ich Marc echt ein bisschen, dass der Volltrottel zur Gerichtsverhandlung mit dieser unmöglichen Jacke gekommen ist, um mich als Entlastungszeuge zu unterstützen. Aber ich meine, der Richter und die vertrocknete Staatsanwältin haben sich echt nur über die Leuchtschildkröte da vorne im Zeugenstand totgelacht. Ja, klar. Hätte ich auch gemacht. Mann, ich habe da auf der Anklagebank gehockt und nur noch gedacht: „Jetzt werde ich zum Killer! Aus dem mache ich Schildkrötensuppe!“ Der Penner sah echt unzurechnungsfähig aus. Egal. Jetzt ist es vorbei. Ich muss eine Million Euro Strafe zahlen und leide wie gesagt unter extremem Verfolgungswahn. Darum bin ich auch über die Feiertage nicht zu meinen Eltern. Ich habe das einfach nicht fertig gebracht, allein in den Zug zu steigen. Meinen Eltern hat das Ganze total leid getan und darum wollten sie mich auch holen kommen. Aber fahr mal nur wegen deinem kranken Sohn 500 Kilometer und zurück. Wäre nett gewesen, weil Heiligabend bei uns zu Hause echt klasse ist. Aber ich habe trotzdem abgewunken und gesagt, dass sie es lassen sollen, weil ich nicht so gut drauf bin. Außerdem war meine Exlady sonst immer mit dabei. Man muss sich ja nicht extra noch runterziehen lassen, finde ich. Moment mal. Irgendjemand ruckelt an meiner Tür rum und will rein. Mist, was mache ich denn jetzt? Auf jeden Fall ist es nicht Marc. Hinterher ist es dieser bullige Typ, der seiner Freundin beim Kotzen geholfen hat. Ganz leise sein. Dann haut er bestimmt wieder ab. Also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja! Marc und ich haben vorhin also bei mir oben festgehangen und vor lauter Langeweile noch ein paar Zigaretten geraucht und dämlich an die gelblich angestrahlte Wand gestarrt. Mein Raum ist ganz und gar weiß gekachelt, weil das mal irgendeine Versuchsküche von so einem Konservenkonzern war. Eigentlich darf ich da auch gar nicht wohnen, weil das alles Gewerbegebiet ist. Aber ich finde die Gegend super und außerdem sind die Quadratmeterpreise so schön günstig. Im Übrigen male ich, und da kann ich alles tüchtig vollmatschen, ohne, dass was schiefgeht. Marc sagt, dass ich ein Malgenie bin und langsam mal anfangen soll, Picasso-Repros zu machen, damit er die Dinger zu Sotheby’s oder so tragen kann. Marc meint, damit kann man Schweinegeld machen. Ich bin mir noch nicht so sicher, weil ich ja gerade erst verurteilt worden bin und eigentlich nichts von kriminellen Handlungen halte. Aber Marc will davon nichts hören und sagt: „Halt die Fresse!“ Immerhin bin ich ja unschuldig verurteilt worden. Seiner Ansicht nach kann ich mir jetzt mal richtig was erlauben. Und darum hampelt der auch gerade mit dieser trutschigen Kunsthändlerin am Tresen ab. Marc kann so was gut. Der ist total charmant. Da fliegen die Ladys drauf. Irgendwann kamen dann draußen endlich die ersten Party-Autos auf den Parkplatz durch den Schnee gefahren. Türen haben geklappt, Musik ist zu uns raufgeplärrt, und Marc hat gecheckt, ob der Typ von unten endlich weg ist. „Hey, bei dem Schrott-Heini ist das Licht aus!“, hat Marc gequakt und ist total aufgekratzt vom Sofa gesprungen. Mann, der Typ ist echt irre. Vor drei Wochen ist er da auch schon runtergesprungen und hat sich an meinem Schreibtisch den Schneidezahn rausgehauen. Das hat wie blöde geblutet, und ich dachte, jetzt flippt Marc wieder aus. Aber er ist total ruhig geblieben und hat sich gefreut, weil er schon lange mal vorhatte, sich einen Goldzahn einpflanzen zu lassen. Und ist gleich runter in den Club zum Abfeiern gegangen. Die Weiber haben den Schock ihres Lebens erlitten und die ganze Zeit Angst gehabt, dass Marc denen die Tittenblüschen voll blutet. Egal. Auf jeden Fall war ich froh, dass wir endlich loskonnten. Marc auch, weil er sich schon das ganze Jahr auf die Feierei an Heiligabend gefreut hat. Darum hat er mir beim Rausgehen auch erst mal in den Arsch gekniffen und mir mein Portemonnaie an den Kopf geworfen. Sekunde, da ist gerade wieder ein Schwung neuer Leute in die Toilette reingekommen. Ich kucke mal eben unter der Tür durch, ob Marc endlich dabei ist. Fehlanzeige. Ich frage mich ja langsam, wo der Typ bleibt. Hinterher ist der mit der Tante nach Hause. Hilfe. Der Kerl hängt da nämlich immer noch mit seiner Freundin unter dem Waschbecken rum und wischt der Alten den Mund ab. Wie kann man nur so viel kotzen?! Egal. Ich erzähle einfach mal weiter. Wir sind also über den Parkplatz, und schwups waren wir auch schon hier im Club. Vor meiner Haustür sind ja überall Clubs. Einer neben dem anderen. Das ist irgendwie gesetzlich festgelegt worden, damit die Bullen nicht so viel hin und her fahren müssen, um die Clubs auf Drogen zu filzen. Meint Marc jedenfalls. Am Anfang haben nur fünf Leute an der blendigen Halogen-Bar gestanden. Aber nach fünf Whiskey-Sour war der Laden plötzlich rappelvoll, und neben mir war so eine Tante mit Halskettchen gelandet, die ununterbrochen ihr Becken gegen meinen Hintern geschoben hat. Total nervig. Überall haben die Leute rumgetanzt und sich irgendwie komisch angegrabbelt. Das ist mir sowieso schon aufgefallen. In Clubs grabbeln sich die Leute immer an. Obwohl sie sich gar nicht so gut kennen. Vielleicht liegt es daran, dass es so voll und laut ist und alle das Gefühl haben, mit ihren klebrigen Pfoten mitreden zu müssen. Marc hat auch ununterbrochen an der Kunst-Tante rumgefummelt, die sich grade mit Gin-Tonic bekleckert hatte, und versucht, ihr die Zunge in den Rachen zu schieben, weil ihr Fizzeloberteil von der Feuchtigkeit durchsichtig geworden war. Ich habe schon lange nicht mehr rumgefingert. Um genau zu sein, seit meine Exfreundin mich sitzen gelassen hat. Mann, die hat mir wirklich das Herz rausgerissen. Jetzt vertraue ich den Weibern nicht mehr. Das soll gar nicht psychomäßig klingen oder so, aber irgendwie habe ich keine Lust darauf, verletzt zu werden. Egal. Marc hat irgendwann gemerkt, dass ich nicht so gut drauf war, mich umarmt und mir seine komische Tussi vorgestellt. Die hat „Frohe Weihnachten!“ gesagt, und ich bin innerlich Amok gelaufen, weil sie mich wieder an das Dilemma erinnert hat und ich meine Eltern direkt vor mir gesehen habe, wie sie mit meinem Bruder am Singen und Geschenkeauspacken sind. Darum bin ich erst mal aufs Klo, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Nerven am Abdrehen sind. Marc hat noch „Kunsthändlerin“ und „Geld ohne Ende“ hinter mir hergeschrien. Marc ist echt krank. Na ja, da lag dann eben diese Tussi unterm Waschbecken und hat gekotzt. Die hatte kurz vorher noch auf der Tanzfläche rumgerockt und einen auf sexy gemacht. Aber jetzt hing sie plötzlich unterm Waschbecken und ihr Typ im Anzug hat erste Hilfe gemacht. Ich habe „Frohe Weihnachten!“ gesagt und mich hier in die Kabine geklemmt. Ich weiß, das war gemein, aber die Tante hat auf der Tanzfläche echt so den Dicken gemacht, dass ich sie deswegen schon gehasst habe. Ich mag das nicht, wenn die Leute so aufdringlich sind. Zur Strafe sitze ich ja jetzt auch wieder fest, weil ich denke, dass der Typ mir die Fresse poliert, wenn ich rauskomme. Da ist er wieder, mein Verfolgungswahn. Das Volk hasst mich, und eigentlich hätten sie mich gleich ins Gefängnis stecken können, weil ich mich sowieso den halben Tag in freiwilliger Gefangenschaft befinde. Erst mit Marc in meinem Zimmer und jetzt im Klo. Scheißleben. Ein Glück hat mich Marc endlich, nach 100 Jahren, aus der Kabine geholt. Ich bin schon fast eingeschlafen und der Typ mit seiner Freundin ist auch schon lange weg. Inzwischen sind die Leute im Partyraum hemmungslos geworden und benehmen sich wie die Tiere. Dahinten auf dem Sofa räkelt sich zum Beispiel eine Blondine auf dem Schoß von so einem Hämpfling und wirft ihr Haar immer komisch vor und zurück. Marc schlabbert wieder seine Kunsthändlerin ab, und ich stehe neben meiner Exfreundin, die zu allem Überfluss mit ihrem Finnen aufgetaucht ist. Tatsächlich. Der ist aber gerade auf der Tanzfläche und zeigt den Leuten, wie man auf finnisch feiert. Echt. Meine Exfreundin steht neben mir und flüstert: „Küss mich!“ Und ich habe mich nicht verhört. „Küss mich!“ Ich vermisse dich!“ So ein Stress. Marc zwinkert mir zu, der Finne tanzt, ihre Hand an meinem Po. Heute ist Heiligabend. Ich lasse mir einen Gin-Tonic-Take-Away geben und habe meinen Entschluss gefasst. Ich muss raus. Mit dem Gin-Tonic in meiner Hand. Jawohl. Heute ist Heiligabend und ich gehe mit meinem Glas in meiner Hand auf die Straße und da werden wir ja sehen, was passiert.