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Deutschland 2018

Nach Mord und Amoklauf in Sachsen: Das Internet interessiert sich nur für einen Hund

Robert K. soll seine Nachbarin und schließlich sich selbst getötet haben – aber seine größte Sünde war offenbar, dass er einen Hund angeschossen hat.
Foto: imago | Eibner

Drei Tage hatten sie ihn gesucht, stundenlang hatten sie ihn belagert, am Montagabend war es dann vorbei: Robert K. ist tot. Der Bundeswehr-Veteran, der seine 75 Jahre alte Nachbarin erstochen haben soll, hatte sich auf der Flucht vor der Polizei auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz verschanzt. Als die Männer der Spezialeinheiten ihn umzingelten, eröffnete er das Feuer. Dabei verletzte er einen Beamten und einen Polizeihund, bevor er Stunden später Suizid beging.

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"Das ist ein trauriges Ende", fasste der Dresdner Polizeipräsident die Ereignisse zusammen, und natürlich hat er Recht. Das Wochenende wird Spuren bei vielen Menschen hinterlassen – und trotzdem interessiert sich ein großer Teil der Leser im Internet nur für einen Beteiligten: den Hund.

Noch während der Einsatz lief, reagierten zahlreiche Nutzer auf Twitter auf die Meldung, dass ein Polizist und ein Hund angeschossen wurden, mit besorgten Nachfragen – nach dem Wohl des Hundes.

Neben den zahlreichen guten Wünschen für den Hund gibt es sogar Nutzer, die die Polizei auf Twitter wütend zur Rede stellen, weil sie nicht schnell genug auf die Nachfragen zum Wohle des Hundes reagiere. "Es zeugt halt für echtes Interesse am [Diensthund], wenn man auch nach Std keine Antwort über den Zustand geben kann – das ist sowohl Ignoranz als auch Unsachlichkeit", schreibt eine Sabine E. Als gäbe es mitten in einem Einsatz, in dem GSG-9-Beamte versuchen, einen wild um sich schießenden Ex-Soldaten festzunehmen, keine wichtigeren Fragen.

Während des Einsatzes hielten sich diese Kommentare noch die Waage mit anderen, die dem verletzten Polizisten eine gute Besserung oder den Beamten generell Glück wünschen. Danach übernahmen immer mehr fast schon fanatische Hundefreunde die Kommentarspalten: "Gut so", schreibt ein User unter dem Facebook-Post der Bild, der vom Tod des mutmaßlichen Mörders berichtet. "Alleine schon wegen dem Hund hat er es verdient zu sterben."

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Die Bild hat heute auch prompt reagiert und einen eigenen Folge-Artikel zu der Tragödie veröffentlicht, in dem es ausschließlich darum geht, wie die Prognose für den angeschossenen Hund aussieht (er wird überleben, aber wohl dienstunfähig bleiben). Über den angeschossenen Beamten gab es keinen Artikel.

Natürlich ist verständlich, dass dem "unschuldigen" Tier erst einmal mehr Mitleid zufliegt als zum Beispiel dem Mann, der seine Nachbarin ermordet hat. Aber warum so viel mehr als dem angeschossenen Beamten? Das ist im Menschen offenbar angelegt: In einer Studie fanden Wissenschaftler der Northeastern University in Boston 2013 heraus, dass erwachsene Hunde, die misshandelt werden, bei Menschen mehr Mitgefühl hervorrufen als erwachsene Menschen, die die gleiche Misshandlung erfahren. In einem anderen Experiment fanden Forscher heraus, dass mehr Menschen Geld spenden, um einen Hund vor einem (fiktiven) langsamen, schmerzhaften Tod zu bewahren, als ein menschliches Kind.

Aber auch wenn er verbreitet ist, es hat es etwas Perverses, wie viele Menschen diesem Impuls öffentlich nachgeben. Das Wochenende hat bei einigen Spuren hinterlassen: bei den Angehörigen der 75-Jährigen und bei denen des Täters, bei dem verletzten Polizisten und bei seinen Kollegen, die stundenlang unter Beschuss ausharren mussten, nur um dann vor einem Toten zu stehen. Es ist bizarr, dass angesichts all dieses Leids so viele Menschen ihr Mitleid lieber einem angeschossenen Hund schenken – statt den Menschen, die in dieser Geschichte ums Leben gekommen sind oder verletzt wurden.

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