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Macht Deutschlands neue Anti-Terror-Einheit das Land wirklich sicherer?

Stärken und Schwächen der neuen Spezialeinheit für Terrorismusbekämpfung der Bundespolizei.
Die neue Spezialeinheit für Terrorismusbekämpfung der Bundespolizei am Mittwoch, 16.12.15, in Blumberg. Foto: Imago/Jürgen Heinrich

Vergangenen Mittwoch marschierten 50 schwarz gekleidete Männer mit Sturmhaube auf dem Kopf und G36 vor der Brust im brandenburgischen Ahrensfelde auf. Sie gehören zur brandneuen Anti-Terroreinheit der Bundespolizei namens BFEplus.

Das Kürzel BFE steht dabei für Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, eine Bezeichnung, deren beruhigender Klang im Kontrast zum martialischen Auftreten der militärisch ausgerüsteten Polizisten steht. Im Plus verbirgt sich dann nämlich auch der Unterschied zu den bereits bestehenden Spezialeinheiten der Bundespolizei, die wir aus dem Einsatz bei Fußballspielen und Demonstrationen kennen: Die BFEplus ist mit dem berüchtigten G36-Sturmgewehr der Bundeswehr ausgestattet und verfügt außerdem über gepanzerte Fahrzeuge und Wärmesichtgeräte.

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Die strikte Trennung von Armee und Polizei—eine in Deutschland etablierte innenpolitisch rote Linie, die nach den schmerzhaften Erfahrungen der Nazi-Zeit gezogen wurde—scheint durch die BFE+ ins Wanken zu geraten. Und natürlich rührt der waffentechnische Vorstoß bei der Ausrüstung der Bundespolizei von Innenminister de Maizère aus den jüngsten Terroranschlägen in Paris.

Ein „neuer Tätertypus, hochaggressiv, schwer bewaffnet und gut trainiert" sei der Grund für die Aufstellung dieser neuen Einheit, welche „Angreifer binden, Unbeteiligte schützen, Verletzte versorgen und aus dem Gefahrenbereich evakuieren solle".

Die BFEplus schließe eine „Fähigkeitslücke zwischen Bereitschaftspolizei und GSG 9", sei ein „entscheidendes neues Element", erklären Innenministerium und Bundespolizei einstimmig in ihren Presseerklärungen.

Worin genau liegt nun aber der sicherheitspolitische Mehrwert der militärisch ausgerüsteten Polizisten? Wie soll uns die neue Spezialeinheit besser vor Terroristen schützen als die SEKs und die GSG9?

Nach einer ersten Betrachtung bleibt Skepsis: Die BFEplus wurde aus Mitgliedern bereits bestehender BFEs rekrutiert, die lediglich ein achtwöchiges Training durch die GSG9 erhalten haben, welche weiterhin für Anti-Terroreinsätze verantwortlich bleibt und außerdem besser bewaffnet ist.

Foto: Imago/Jürgen Heinrich

Prof. Dr. Thomas Feltes, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler an der Ruhr-Universität, sieht in der neuen Einheit eher ein personalpolitisches Spielchen des Innenministeriums. Wir haben mit ihm per Email über die BFEplus gesprochen.

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Motherboard: Herr Feltes, wo sehen Sie angesichts der Überschneidung zwischen GSG 9 und BFEplus den Mehrwert der neuen Spezialeinheit?

Dr. Thomas Feltes: „Worin der Mehrwert der BFEplus bestehen soll (außer in der Bewaffnung), erschließt sich mir nicht. Ich vermute eher, dass man die GSG 9 so klammheimlich personell aufrüsten will, aber erkannt hat, dass die GSG 9 nicht wirklich ausgelastet ist im Alltag. Und man kann nicht für sehr seltene Terrorismus-Lagen eine große Zahl von Polizeibeamten passiv vorhalten. Das würde spätestens der Rechnungshof (zu Recht) monieren. Also geht man jetzt diesen Umweg, dass die neuen Beamten dann eben bei der 'normalen' Bundespolizei eingesetzt werden sollen".

Als Reaktion auf die Terroranschläge dieses Jahres wird die GSG 9 nun also mit Bereitschaftspolizisten verstärkt. Anders als die GSG-9-Beamte bereiten diese sich nicht permanent auf den nächsten Anti-Terror-Einsatz vor, sondern übernehmen auch andere Aufgaben der Bundespolizei, wie den Schutz von Infrastrukturen oder die Fahndung nach Terrorverdächtigen.

Darüber hinaus fungiert die BFEplus wohl vor allem als mächtiges PR-Instrument, das in den Zeiten des Terrors Sicherheit vermitteln soll. Das Image der harten Hunde, die im Ernstfall kurzen Prozess mit Terroristen machen, stellte die erste von insgesamt fünf geplanten BFEplus-Einheiten an fünf verschiedenen Standorten während der Show-Übung in Ahrensfelde auf jeden Fall schon mal eindrucksvoll zur Schau.

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Für Thomas Feltes kommt das Imageproblem der neuen Einheit nicht von ungefähr:

„Wir kennen bereits Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten aus den Einsätzen bei Fußballspielen und Demonstrationen. Die Bewertungen ihrer Arbeit fallen meist nicht besonders gut aus. Sie sind nicht dafür ausgebildet, Konflikte kommunikativ zu lösen und haben auch das Image von 'Draufgängern'. Das kann ggf. dazu führen, dass sich besonders solche Beamten und Beamtinnen dafür melden, die gerne etwas 'direkter' agieren."

Motherboard: Kritische Stimmen behaupten, die BFEplus sei außerdem zu stark hochgerüstet worden. Wie hoch ist die Gefahr, dass durch den Einsatz des G36 auch Unbeteiligte verletzt werden?

Dr. Thomas Feltes: „Die Gefahr besteht tatsächlich, denn das G36 ist eine Militärwaffe, und mit solchen Waffen wurde die deutsche Polizei bislang aus guten Gründen nicht (mehr) ausgestattet. Allerdings könnte eine gute Grundschulung und ständige Fortbildung das Risiko minimieren. Wir wissen allerdings, dass der Schusswaffengebrauch nicht „im Trockenen" trainiert werden darf, sondern unter einigermaßen realistischen Bedingungen, da der Stressfaktor erhebliche Auswirkungen auf den Schusswaffeneinsatz (und bspw. die Treffergenauigkeit) hat. Ich sehe das Grundproblem weniger in der Waffe selbst, als in der Tatsache, dass wir so eine neue „Eliteeinheit" bekommen, die sich auch als solche versteht. Und welche Risiken und Nebenwirkungen das haben kann, haben wir zuletzt beim Kölner SEK gesehen."

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Foto: Imago/Jürgen Heinrich

Motherboard: Wie schnell könnte man eine BFE+ im Ernstfall tatsächlich mobilisieren? Polizeieinsätze sind Ländersache, die BFE+ untersteht aber dem Bund. Wie schnell könnte die Truppe im Ernstfall also vor Ort sein?

Dr. Thomas Feltes: „Das hängt davon ab, wo sich der Anschlag ereignet. Aber mit mindestens 30 Minuten wird man rechnen müssen. Und dann ist wahrscheinlich schon das Schlimmste passiert. Sollen die früher vor Ort anwesenden Polizeibeamten dann auf die BFE+ warten und zusehen, wie die Terroristen weiter Menschen töten? Das wäre unzumutbar und ggf. würden sich diese Polizeibeamte sogar wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen."

Worauf Feltes hinaus will, ist eine Überlegung, die immer wieder diskutiert wird, letztmalig nach der Geiselnahme im Bataclan, bei der Geiselnehmer durch einen Streifenpolizisten mit dessen Dienstwaffe erschossen wurde.

Wäre es nicht zielführender, verstärkt auch „einfache" Polizeibeamte auf Situationen wie Terroranschläge hin auszubilden anstatt einzig auf Spezialeinheiten zu setzen?

„Ja, auch das hat mich bei der Entscheidung überrascht, denn wir hatten eine vergleichbare Diskussion nach Winnenden und einigen anderen Amok-Läufen in Schulen. Damals wurde (zumindest in einigen Bundesländern) entschieden, dass die erste Streifenwagenbesatzung, die nach dem Notruf vor Ort, sofort und ohne auf Sondereinsatzkräfte zu warten in die Schule geht um den/die Amokläufer zu stellen. Dazu wurden dann (zumindest in NRW) alle Schutzpolizeibeamtinnen und –beamte entsprechend geschult. Die Argumente, die damals vorgebracht wurden, sollten eigentlich auch bei solchen Terrorangriffen gelten, da diese prinzipiell mit einem Amkoklauf vergleichbar sind."