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Böhmermann und IS waren gestern – Im Aargau empört eine unschuldig hingerichtete Ente

Das Drama um Hausente Bella erschüttert die Schweizer Medien.

Das Drama der hingerichteten Ente Bella nahm seinen Anfang, als am vergangenen Sonntag der Kantonspolizei Aargau laut Aargauer Zeitung„ein torkelnder Schwan" gemeldet wurde. Unverzüglich rückte der zuständige Jagdaufseher aus, las die Fährten, ortete das Tier und beging einen Fehler, der die Schweiz an den Rand einer Staatskrise zu führen scheint: Er hielt die zahme amerikanische Peking-Ente für ein verletztes Wildtier, fing sie ein, betäubte sie und schnitt ihr die Kehle durch—das scheint das normale Verfahren für torkelnde Schwäne zu sein.

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Was er nicht ahnte: Das verletzte Wildtier trug bis zu seinem Tod den Namen Bella, gehörte seit 15 Jahren zur Kernfamilie von Antonella Laino und war nichts anderes, als eine zahme amerikanische Peking-Ente, die unter Gleichgewichtsstörungen litt.

Als die Welt noch in Ordnung war | Screenshot von Tele M1

Dementsprechend tief sitzt die Trauer bei Bellas nun entenlosen Zieh-Mama. „Das wünschte sich Bella nicht, das wünscht sich eigentlich kein Tier, dass es so aus seinem Leben gerissen wird", fasst die ehemalige Entenmama Antonella ihre Trauer gegenüber Tele M1 in einem ersten Bericht in Worte. Sie habe sich nicht einmal verabschieden können. „Man hat wahrscheinlich einfach gehandelt, ohne zu überlegen, was das für die betroffenen Personen, für die Familie, die ein Mitglied verloren hat bedeutet. Was die für Qualen durchleiden müssen.", ergänzt Antonellas Freund und elementarer Bestandteil der Patchwork-Familie Philippe Meier.

Bernhard Graser, der Mediensprecher der Kantonspolizei Aargau, versucht gegenüber dem Badener Tagblatt noch, eine sachliche Stimme in den emotional verklärten Fall zu bringen. „Natürlich ist dieser Irrtum tragisch, aber man kann niemandem eine böswillige Absicht unterstellen.", zeigt er Verständnis für beide Seiten. Trotzdem liege strafrechtlich wohl keine Handhabe vor.

Screenshot von Tele M1

Einen Tag später scheint sich bei der ehemaligen Entenmama Antonella Trauer in Wut gewandelt zu haben: „Ich bin wütend und ich möchte Gerechtigkeit für meine Ente", führt sie wiederum bei Tele M1 in einem zweiten Bericht aus. „Für mich ist es nicht in Ordnung, wie dieser Wildhüter vorgegangen ist. Bella hat keiner Ameise etwas angetan, sie lag einfach friedlich im Rasen." Ihr nächster Schritt sei klar: Sie werde den Wildhüter anzeigen. Ihm würden bis zu drei Jahre Haft drohen.

Der Jagdaufseher hingegen sei sich keiner Schuld bewusst, berichtet Tele M1-Investigativ-Reporter Adrian Remund. Er habe ihm persönlich versichert, sein Vorgehen sei korrekt gewesen. Zur Hilfe eilt dem Beschuldigten Rainer Klöti, der Präsident des Aargauischen Jagdschutzvereins: „Der Jagdaufseher findet vor Ort keine andere Ente, muss darum nicht davon ausgehen, dass es sich um ein Gehege handelt." Er erlöse das Tier, das offensichtlich krank sei und sich in einem Busch verstecke—so weit, so korrekt.

Die Lage für die von Entenmama Antonella so sehr ersehnte Gerechtigkeit scheint an diesem Punkt aussichtslos—wäre da nicht Tierrechtsexperte Andreas Rüttimann. „Der Garten war sogar für die Ente eingerichtet. Es hatte eine Hütte und eine Schwimmmöglichkeit." In einer solchen Situation sei klar: Der Wildhüter müsse den Kontext abklären.

Mittlerweile haben sich auch Blick und 20 Minuten dem Familiendrama angenommen und ihm somit noch mehr Relevanz verliehen. Auf welche Seite sich die Waage der Gerechtigkeit in diesem Fall neigen wird, ist immer noch unklar. Sicher ist nur eines: So traurig eine tote Hausente und der Verlust eines geliebten Tieres für die Besitzer auch sein mag—die wahre Krise liegt wohl in der Aargauer Medienlandschaft und der Aufmerksamkeits-Ökonomie der Schweiz, wenn eine tote Ente wie ein Erdbeben erschüttert.

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