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Vice Blog

Eine ehemalige Bewohnerin von Mödling über den Shitstorm gegen das Stadtbad

Mahsa hat früher selbst 2 Jahre in der Stadt gelebt. Die heutige Empörung findet sie zwar nachvollziehbar, aber trotzdem überzogen.

Ins Stadtbad — Alexander Strobl (@a_strobl)January 22, 2016

Knapp 2 Jahre meiner Kindheit habe ich in Mödling gelebt und sehr schöne Erinnerungen an diese Zeit. Grüne Wiesen, Wälder, Blumenfelder, Spielplätze, Seegrotte, Kirschbäume und auch das Mödlinger Stadtbad diente als Ort für Spaß und den üblichen Unfug. Das Hallenbad wurde 1998 renoviert und neu eröffnet, mit einer riesigen Rutsche für die man—haltet euch fest—nicht extra zahlen musste! Damals für die 9-jährige Mahsa war das vergleichbar mit Geburtstagsweihnachtsdisneyland.

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In den Sommerferien verbrachten wir die meiste Zeit damit, Mödling unsicher zu machen: Wir waren die Kids aus der Jägerhausgasse, die von den Einheimischen nach Einbruch der Dunkelheit gemieden wurde und alle fürchteten sich vor uns.

Nein, das ist natürlich Blödsinn: Wir waren ein Haufen Kinder unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Nationalitäten und Sprachen, die sich, wenn es sein musste, mit Händen und Füßen verständigten, aber immer ihren Spaß hatten. Ich hatte nach kurzer Zeit das Gefühl, 5 neue Sprachen zumindest ungefähr zu verstehen und so war es in der Praxis auch.

Wir haben einander verstanden, obwohl viele noch kaum Deutsch konnten und teilweise völlig andere Muttersprachen beherrschten. Wir spielten den ganzen Tag, überall wo wir wollten und konnten. Zwischendurch halfen wir einer älteren Dame und Nachbarin mit dem Tragen ihrer Einkäufe, die uns ab und zu als Dank Schokolade schenkte und—noch viel wichtiger—die uns immer lobte und nette Worte für uns fand, wenn sie uns vor ihrem Fenster am Spielplatz sah.

Ich kann nicht behaupten, stets das Gefühl gehabt zu haben, immer und überall willkommen gewesen zu sein in dieser Gemeinde und ihrer schönen kleinen Stadt. Gewisse Blicke und Kommentare weiß sogar ein mittelmäßig deutsch sprechendes Kind zu deuten.

Die Verkäuferin vom Café/Laden ums Eck von der Jägerhausgasse mochte uns nicht besonders, weil wir sie manchmal nervten—so empfanden wir es zumindest—, doch sie versuchte, sich Mühe zu geben und wir kauften unser Eis meistens trotzdem bei ihr, weil der nächste Supermarkt zu weit weg war.

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Ich hatte eine gute Zeit in Mödling. Traurigerweise scheint es derzeit notwendig zu sein, darauf hinzuweisen.

Manchmal standen auch andere Gäste in ihrem Laden und ich kann mich an einen Herren erinnern, der gern mit mir scherzte, wenn ich allein in den Laden ging. Seine Witze empfand ich als nett gemeint und aufmerksam, aber ich wurde jedes Mal schüchtern, ging unbeholfen grinsend wieder hinaus und ärgerte mich darüber, nie eine Antwort für ihn zu haben. Denn ich wollte ihm zeigen, dass ich es schätze, dass er immer Witze macht und nie etwas Belehrendes sagte, wie es die meisten anderen Erwachsenen in diesem Laden taten.

Dann, eines schönen Sommertages, machte er einen kleinen Witz darüber, dass ich fast nur in 1-Schilling Münzen bezahlte und meinte: „Kriegst wohl zu wenig Taschengeld, müss ma dem Papa sagen er soll dir mehr geben", woraufhin ich wie aus der Pistole geschossen erwiderte: „Nein lieber nicht, sonst weiß er auch, dass ich mir um 10:00 Uhr am Vormittag ein Eis geholt hab." Er lachte plötzlich so laut und schallend, als hätte auch er auf den Tag gewartet, bis ich ihm endlich etwas antworten würde und ich verließ das Geschäft, in dem ich nunmehr mit einem lang gezogenen "Haaaalloo, Seeervaas!" begrüßt wurde, mit Stolz gefüllter Brust und einem breiten Lächeln. Die Herrschaften dort inklusive der Verkäuferin wurden irgendwie netter und scherzten ab diesem Zeitpunkt immer öfter mit uns.

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Ich erzähle euch das alles nicht, weil ich glaube, dass meine Jugend in Mödling etwas Besonderes war. Im Gegenteil. Ich schreibe diese Erfahrungen nieder, damit ihr seht, dass diese Dinge in Mödling eben ganz normal waren. Weil es derzeit traurigerweise notwendig zu sein scheint, darauf hinzuweisen.

Seit vergangenem Freitag sorgt ein Schreiben des Mödlinger Stadtbads für große Aufregung—und das zurecht, da es so schmerzhaft formuliert ist, dass sich alle Menschen „mit verschiedenen Migrationshintergründen" angesprochen fühlen, wenn es darauf heißt, dass sie das Bad nur mit „entsprechenden Begleitpersonen" betreten dürfen.

Es ist traurig, dass jemand so etwas formulieren kann, ohne zu merken, wie viele Menschen er damit trifft, ausgrenzt und verletzt. Ausgerechnet in jener Stadt, wo ich persönlich mir in Sachen Sensibilität im Umgang mit Mitmenschen anderer Herkunft mehr erwartet hätte. Ich möchte also auch niemanden vom Stadtbad Mödling in Schutz nehmen und finde, eine aufrichtige Entschuldigung für dieses „Informationsblatt" wäre wirklich angebracht.

Was hätte das Stadtbad aber besser machen können, was können sie daraus lernen und wie soll es jetzt weitergehen? Für ein friedvolles Miteinander ist klarerweise die Bereitschaft aller Beteiligten notwendig. Die Bereitschaft, einander mit Respekt zu begegnen und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Selbstverständlich habe ich deshalb auch Verständnis dafür, dass ein Schwimmbad Regeln hat und diese eingehalten werden müssen.

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Seit Jahrzehnten leben anerkannte Flüchtlinge und Mödlinger in dieser Stadt ganz ohne Diskriminierung zusammen. Sie teilen Wald, Bad, Eislaufplatz, Flohmarkt und vieles mehr.

Aber ist es denn so unmöglich, dass sich ein netter Mensch im Stadtbad Mödling finden lässt, der vielleicht mal mit den Jugendlichen—freundlich und auf Augenhöhe—redet und ihnen zum einen den Sinn dieser Regeln erklärt und sie zum anderen darüber informiert, dass er sie nicht mehr ins Bad lassen kann, wenn sie weiterhin dagegen verstoßen, weil diese Regeln nun mal für alle gelten?

Darum geht es nämlich, liebes Stadtbad. Darum geht es, liebe Empörte. Seit Jahrzehnten leben anerkannte Flüchtlinge und Mödlinger_innen in dieser Stadt ganz ohne Diskriminierung zusammen. Sie teilen Wald, Bad, Eislaufplatz, Flohmarkt und vieles mehr, denn Mödling weigert sich nicht, schutzsuchende Menschen in ihrer Gemeinde aufzunehmen.

Für ein harmonisches Miteinander gibt es kein Rezept und nicht einen vorgegebenen Weg. Vielmehr ist es ein permanenter Prozess, der von der Bereitschaft aller Beteiligten begleitet werden muss, immer möglichst die friedlichste Lösung zur Beilegung eines Konfliktes zu finden und Verständnis für einander aufzubringen.

So sehr ich die Wut und negativen Assoziationen zu diesem diskriminierenden Schreiben teile, möchte ich alle Aufgebrachten bitten, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, wie arrangiert werden kann, dass die Jugendlichen, die mit diesem Schreiben gemeint sind, adäquate Badekleidung erhalten. Sammeln, spenden, schenken, glücklich machen.

Wie können wir unsere Wut umlenken in einen produktiven Antrieb und die Betreiber_innen des Bades zur Einsicht bringen, dass dieses Schreiben nicht in Ordnung ist? Wie können wir sie davon überzeugen, dass es doch schön wäre, wenn sie nun etwa die Bemühungen von Freiwilligen unterstützen könnten, Jugendliche ins Bad zu begleiten und auf die Einhaltung der Regeln zu achten, zumindest für den Anfang? Und wie kann man den Menschen begreiflich machen, dass wir diese Regeln doch alle mal lernen mussten und aus ihrer Nichteinhaltung keine Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten resultieren darf?

Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gegessen. Aber mit Respekt und Rücksicht können wir miteinander und voneinander lernen. Das ist vielleicht nicht die Antwort auf alles, aber es ist ein Ansatz, um auch die Mödlinger, die jetzt gegen Flüchtlinge aufschreien, daran zu erinnern, wie gut das Zusammenleben funktionieren kann, wenn man sich nicht von Ideologien und Pauschalurteilen treiben lässt.

Mahsa Ghafari ist Sprecherin des Vereins Flucht nach vorn.