Popkultur

Wie es an Filmsets zu tödlichen Schüssen kommen kann

Nach dem tragischen Vorfall mit Alec Baldwin haben wir mit zwei Waffenmeistern über die speziellen Eigenschaften von Filmwaffen gesprochen.
Regisseur Luc Besson und Darsteller Jean Reno am Set von Leon der Profi, tödliche Unfälle mit Filmwaffen sind selten, aber sie kommen vor wie bei Alec Baldwin während des Drehs des Westerns Rust
Foto: Patrick Camboulive / Getty Image

Wenn Trinity in Matrix oder James Bond in Ein Quantum Trost eine Waffe abfeuert, erschüttert der Rückstoß die Schusshand, es knallt und raucht. Schießereien in Filmen sehen so echt aus, weil die Schauspielerinnen und Schauspieler mit echten Waffen und echtem Schießpulver schießen. Nur die Munition unterscheidet sich. Die Waffen sind in der Regel nicht scharf, sondern mit Platzpatronen geladen.

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Umso schockierender war der tödliche Vorfall, der sich vergangenen Donnerstag am Filmset des Westerns Rust ereignete: Der Schauspieler Alec Baldwin tötete mit einer Filmwaffe die Kamerafrau Halyna Hutchins und verletzte den Regisseur Joel Souza. Nach jetzigem Stand war die Waffe mit scharfer Munition geladen, ohne dass Baldwin davon wusste.

Obwohl Waffen in Filmen und Serien ständig zum Einsatz kommen, sind tödliche Unfälle extrem selten – aber auch mit Platzpatronen möglich. Der wohl bekannteste ereignete sich 1993 bei den Dreharbeiten zu The Crow, als der Hauptdarsteller Brandon Lee durch einen Schuss aus einer Filmwaffe tödlich verletzt wurde. Aus diesem Grund werden bei Film- und Fernsehproduktionen in der Regel Waffenmeisterinnen, sogenannte "Gun Wrangler", engagiert, die die Waffen bereitstellen und für den sicheren Umgang damit verantwortlich sind. Gesetzlich vorgeschrieben ist das in den USA allerdings nicht.


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Bislang ist nicht klar, ob die zuständige Waffensachverständige von Rust während des Vorfalls anwesend war. Eine Filmgewerkschaft beschrieb die Produktion als Indie-Feature, das mit einer Crew im US-Bundesstaat New Mexico gedreht wurde. Bereits vor dem Vorfall soll es Beschwerden über die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsvorkehrungen am Set gegeben haben. Sechs Menschen sollen deswegen das Set verlassen haben und seien durch gewerkschaftsfremde Mitarbeitende ersetzt worden.

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VICE hat mit den Waffenmeistern Jon Funk und Mike Tristano gesprochen. Funk arbeitet bei der kanadischen Firma Mantis Armourer, Tristano lebt in Los Angeles und stellt Filmwaffen für Produktionen bereit. Wir haben sie gefragt, welche generellen Sicherheitsvorkehrungen beim Dreh mit Waffen getroffen werden und wie es zu dem tödlichen Unfall kommen konnte.

Wie funktionieren Platzpatronen? 

Um zu verstehen, wie eine Schauspielerin oder ein Schauspieler am Set mit einer Waffe schießen kann, ohne eine Kugel abzufeuern, hilft es, sich den Aufbau einer Patrone anzuschauen. Sie besteht aus mehreren Komponenten: einem Projektil, also der eigentlichen Kugel; einem Treibmittel, das das Projektil in Bewegung setzt – das ist in der Regel Schwarzpulver oder ein chemischer Sprengstoff; einem Anzündhütchen, das das Treibmittel detonieren lässt; und einer Patronenhülse, die alles zusammenhält und nach dem Abfeuern aus der Waffe fällt.

Eine Platzpatrone ist Munition, bei der das Projektil fehlt. Außerdem haben viele Varianten eine gecrimpte Hülse – das heißt, die Patrone ist am oberen Ende zusammengefaltet, damit sie nicht aus dem Lauf kommt. "Platzpatronen machen eine Menge Krach und ein bisschen Rauch, und es sieht so aus, als ob eine Kugel abgeschossen wurde", sagt Funk. "Sie sind in Hollywood gefragt, weil es authentisch wirkt." Selbst die Patronenhülse kommt raus.

Tatsächlich sind die Filmstudios laut Funk so begeistert von Platzpatronen, dass sich andere Methoden wie nachträglich eingefügte CGI-Schusseffekte oder die Verwendung von anderen Patronentypen, die nach dem Abfeuern zerbrechen, bislang nicht durchsetzen konnten. 

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Die meisten Waffen, die an Filmsets eingesetzt werden, sind echte Waffen, bei denen der Lauf für das Abfeuern von Platzpatronen modifiziert wurde. Es ist dann unmöglich, sie mit scharfer Munition zu laden. Allerdings ist dieser Umbau nur bei automatischen und halbautomatischen Waffen möglich, nicht bei klassischen Revolvern. Und genau diese kommen in der Regel in Western- oder Historienfilmen zum Einsatz.

"Bei einem Western ist es häufig eine Art Single-Action-Revolver mit einer Schwarzpulverplatzpatrone", sagt Tristano, dessen Unternehmen alles von Gummi-Streitäxten bis hin zu falschen Sprengstoffwesten verleiht. Außerdem würden in Western häufig leichtere Platzpatronen verwendet, die weniger Schießpulver enthalten, um die Pferde nicht zu verschrecken.

Wer ist am Filmset für die Waffensicherheit verantwortlich?

Das komme auf das Set an, sagen Tristano und Funk. In der Regel ist der erste Regieassistent für den allgemeinen Setbetrieb zuständig. Manchmal gibt es einen Requisiteur, der für alle Requisiten verantwortlich ist.

Auch wenn es rechtlich nicht vorgeschrieben ist, stellen die allermeisten Produktionen, bei denen viel mit Waffen hantiert wird, einen Waffenmeister oder "Gun Wrangler" ein – einen Waffensachverständigen, der die Waffen und die Szenen beaufsichtigt, in denen diese Waffen zum Einsatz kommen. 

Was für Sicherheitsvorkehrungen gibt es beim Dreh?

Für einen Dreh lade entweder er oder einer seiner Angestellten die Waffe mit Platzpatronen, sagt Tristano. Wenn der Waffenmeister dann das Set mit der Waffe betritt, kündigt der Regieassistent vor Cast und Crew an, dass sich eine "Hot Gun" am Set befinde.

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"Dann gebe ich die Waffe dem Schauspieler oder der Schauspielerin und verlasse das Set nicht, bevor sie mir wieder zurückgegeben wurde", sagt Tristano. Wenn der Regisseur "Cut" gesagt hat, nimmt Tristano die Waffe zurück, entlädt sie und inspiziert sie.

Auch wenn sie nur mit Platzpatronen geladen ist, ist eine "Hot Gun" in der Regel nur dann am Set erlaubt, wenn die Szene gedreht wird, in der sie abgefeuert werden soll. Alle anderen Szenen mit Waffen – wenn zum Beispiel Figuren ihre Waffen ziehen, einfach halten oder damit zielen –, werden mit "Cold Guns" gedreht, die nicht geladen sind.

Beim Abfeuern selbst werden Schauspielerinnen und Schauspieler angewiesen, mit den Waffen nicht auf Menschen zu zielen. "Keine 'Hot Gun' wird jemals auf ein Crewmitglied, einen Darsteller oder ein Tier gerichtet", sagt Tristano.

Können Platzpatronen Menschen töten?

Auch wenn sie kein Projektil abfeuern, erzeugen Platzpatronen eine Druckwelle, die Menschen in der direkten Nähe verletzen können. 1984 brachte sich der Schauspieler Jon-Erik Hexum versehentlich um, als er sich am Set der Spionageserie Cover Up eine mit Platzpatronen geladene Pistole an den Kopf hielt und aus Spaß den Abzug drückte. Um eine größere Flamme zu erzeugen, war die Patrone allerdings mit einem Stück Papier oder Wolle gefüllt, welches ihn schwer verletzte. Das sei eines der größten Sicherheitsbedenken beim Umgang mit Platzpatronen, sagt Funk: Wenn etwas in den Lauf der Waffe gerät, kann es beim Abfeuern mit hoher Kraft herausgeschossen werden.

Funk berichtet, dass er einmal ein mit Platzpatronen geladenes AR-15-Sturmgewehr an ein Set gebracht und gesehen habe, wie eine Schauspielerin den Lauf in die Erde steckte. Dann habe sie mit der Waffe auf eine Kamera gezielt. "Ich bin in die Szene gesprungen, um das zu unterbrechen", sagt er. "Das war das einzige Mal, dass ich 'Cut' gerufen habe." Die Gefahr, dass der Lauf der Waffe verstopft war und beim Abfeuern Erdklumpen in Richtung Kamera geschossen hätte, sei zu groß gewesen.

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Wie kann es zum tödlichen Vorfall am Set von 'Rust' gekommen sein?

Funk und Tristano sagen beide, sie seien erstaunt über den tödlichen Schuss am Set von Rust. Sie verstünden nicht, warum Baldwin eine Waffe in die Richtung von Hutchins oder Souza gezielt haben könnte. Es sei schwer, sich einen tödlichen Platzpatronenschuss vorzustellen, ohne dass die betroffene Person wenige Meter von der Waffe entfernt steht.

Wahrscheinlicher ist nach aktuellem Stand, dass sich scharfe Munition in der Waffe befand.

"Ich habe keine Ahnung, warum jemand scharfe Munition zu einem Filmset mitbringen würde", sagt Tristano. "Selbst in Szenen, in denen man sieht, wie eine Waffe mit Patronen geladen wird, handelt es sich um Dummys aus der Requisite."

Umso überraschter sei Tristano, weil er selbst 1999 mit Alec Baldwin am Set des Films The Last Bandit zusammengearbeitet hat. "Er war sehr auf die Sicherheit bedacht, agierte vorsichtig und hat auf einen gehört ", sagt der Waffenmeister. "Es war eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich habe mir zu keiner Zeit Sorgen gemacht, dass er die Sicherheit am Set gefährdet."

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