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Ich war mit meiner Mama am Popfest

Das sechste Popfest ist Geschichte. Ich wollte das nicht beurteilen, deshalb habe ich meine Mama mitgenommen.
Alle Fotos von Sebastian Rossböck

Mein Herz schlägt Pop. Eigentlich war das immer schon das Einzige, für das ich mich irgendwie begeistern konnte. Im Laufe meiner Matura musste ich eine vorwissenschaftliche Fachbereichsarbeit in Geschichte verfassen, und obwohl Popmusik nicht wirklich das erste Thema ist, das den meisten in Bezug auf historische Stoffe einfällt, bestand ich darauf. Michael Jacksons Silhouette war mein Titelblatt, Britney hatte ihr eigenes Kapitel.

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Ich habe sogar irgendwie einen Weg gefunden, Madonna in meiner mündlichen Englisch-Matura zu zitieren. Das Thema war die Bedeutung sozialer Netzwerke in Krisensituationen—es lag also nicht gerade nahe, aufhalten konnte mich das trotzdem nicht.

Das Popfest am Karlsplatz ist jedoch ein anderes Paar Schuhe. Versteht mich nicht falsch, das ist schon Pop, aber macht da jemand Choreo? Kostümwechsel? Windmaschine? Unwahrscheinlich. Ich sehe mich also nicht gerade in der besten Position, um die Darbietungen am und ums Popfest wirklich konstruktiv bewerten zu können. Nein, dazu brauchte es jemanden von Außen, jemand Unbescholtenes, jemand, der die Unschuld des Popfests vollkommen unvoreingenommen erfassen konnte und dabei trotz Bier objektiv bleiben konnte. Es brauchte meine Mama.

Meine Mama ist also extra aus Kärnten angereist. Sie ist sozusagen eine Pop-Jungfrau. Zwar habe ich ihr letztens das Sarah Connor-Album geschenkt, das wie Rosenstolz klingt, in der Hoffnung, es sei unaufgeregt genug, um ihr zu gefallen und sie endgültig von dieser schlimmen Panflöten-Lovesongs-CD wegzubringen, die bei ihr bis vor Kurzem auf und ab lief. Ich habe mich immer gefragt, was das für Leute sind, die sich ein Album kaufen, auf dem Songs wie „My Heart Will Go On" und „Don't Cry For Me Argentina" als Panflöten-Instrumental-Versionen neu interpretiert werden. Man rechnet halt nicht damit, dass so was in den eigenen Reihen passiert.

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Jedenfalls hört meine Mama jetzt Sarah Connor, womit ich recht gut leben kann, und sie damit auch irgendwie befugt, über jemanden wie Clara Luzia urteilen zu können. Wir kommen bei der Seebühne an, als diese gerade ihr Set beginnt und meine Mama ist gleich mal begeistert, von den vielen Menschen und den unterschiedlichen Altersgruppen. Weniger begeistert sind wir beide vom Wetter. Mir bläst es die Kappe vom Kopf und laut Vorhersage liegt die Chance, dass es in einer Stunde wie aus Eimern schüttet, bei 100 Prozent. Wir geben die Hoffnung nicht auf.

Noisey hat die Leute am Popfest fotografiert.

Es ist fast schon erstaunlich, wie viele Menschen hier Karo tragen. Teilweise sehen wir ganze karierte Gruppierungen, bei denen es einfach der beste Zufall ihres Lebens sein muss. So was kann nicht abgesprochen sein. Ein älteres Pärchen traut sich sogar über die sehr harte Karo-Kombi aus Hemd und Bermudas. „Es kommt eben alles wieder", sagt meine Mama. Wenn ich so darüber nachdenke, wie viele betagte Herren aus meinem Bekanntenkreis auf Karo schwören, muss es fast eine Art Naturgesetz geben. Männer ab 50 können nur noch Karo-Hemden tragen.

Wir drehen eine Runde und kommen zurück zu Clara Luzia. Ihr Cover von Lana Del Reys „West Coast" ist richtig, richtig gut—kann aber auch mit dem Wetter zusammenhängen. Ich glaube, „West Coast" wurde ausschließlich dafür geschrieben, um während eines aufkommenden Sturms gesungen zu werden. Mir klatscht der kühle Wind ins Gesicht und Clara säuselt sich durch den finsteren Refrain. Die Atmosphäre am Karlsplatz ist mindestens genau so dunkel wie der Song selbst, was für ein paar wirklich gute Momente sorgt. Meine Mama findet, es klingt wie Lena Meyer-Landrut.

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Wir rechnen jede Sekunde mit dem angekündigten Regenschauer und entschließen uns, kurz in der U-Bahn-Station zu cornern. Mit meiner Mama Bier trinkend vorm Club U zu sitzen—genau an der Stelle, an der ich sonst während den Rhinoplasty-Partys Bier trinkend sitze, um mich kurz abzukühlen—war so ziemlich die befremdlichste Situation des ganzen Abends. Es war so falsch, aber auch so super.

Außerdem liebt meine Mama es immer, wenn ich mit kleinen Anekdoten aus meinem Wien-Leben aufwarten kann. Ein bisschen wie Sightseeing. „Und hier sitze ich immer, wenn ich so einen picken hab, dass ich kurz raus muss eine rauchen." „Mah, genau hier? Aufregend. Du erlebst Sachen."

In der U-Bahn-Station gibt es oft diese jungen Typen, die auf ihren Skateboards daherkommen und ein paar Tricks machen. Eine meiner wenigen Zwangsneurosen besteht darin, so ziemlich alles, was ich sehe, mit Song-Lyrics zu kommentieren, folglich kann die einzig angemessene Reaktion auf Skater meinerseits nur eine sein: „He was a boy, she was a girl, can I make it any more obvious." Natürlich versteht meine Mama die Referenz nicht so ganz und zeigt sich daher eher unbeeindruckt, was ich ihr aber nicht übel nehmen kann.

Wir sind beim zweiten Bier, was für meine Mama auch schon ausreicht, um plötzlich anzufangen, diese Typen auf die liebevollste Arte und Weise, die ich mir vorstellen kann, anzupöbeln. „Jawoll! Cool bist! Uuh!" Der Typ fällt fast vom Skateboard und Mama applaudiert. Viel schöner kann es nicht mehr werden.

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Zurück zur Seebühne—Fijuka haben Tutus und geben richtig Gas. Alles, was die machen, macht irgendwie Bock und dass sie wirklich was draufhaben, merkt man vor allem an ihrem „The Way You Make Me Feel"-Cover, das meine Mama richtig zum Wippen bringt, obwohl sie eigentlich gerade mit ihrer Käsekrainer beschäftigt ist. Ich liebe es, wenn meine Mama wippt, weil es einfach so ansteckend ist. Als die Fijuka-Leadsängerin eine sehr lange, sehr laute High Note raushaut, kommentiert Mama kurz, aber prägnant: „Sehr dramatisch."

Auf dem Weg in den Prechtsaal bringt Mama noch schnell unseren Becherpfand zurück und lässt es mit einem 5-Euro-Schein regnen. Ich packe das alles nicht ganz und kann gar nicht anders, als „Make it rain on dem hoes!" zu rufen—wie gesagt, es ist eine blöde Angewohnheit. Jedenfalls gehen wir jetzt zu The Mechaniks, worauf ich mich freue, weil einer der Kollegen hier aus der Redaktion am Bass ist und ich so gar nicht weiß, womit ich rechnen soll. Bevor sie aber loslegen können, muss ich noch Shots mit meiner Mama trinken, einfach um es von meiner Bucket List streichen zu können.

The Mechaniks kommen beinhart in voller Mechaniker-Montur auf die Bühne, was ich schon mal super finde, vor allem weil ich endlich mal berechtigt die Worte „in voller Montur" verwenden kann. Es ist mehr Instrumental, irgendwie Tarantino und der Bandname ergibt plötzlich auch total Sinn. Mama nippt an ihrem Stamperl und meint, es mache sie eher bedrückt, was mich schon vermuten lässt, dass für sie bald Schluss sein wird. Einmal Wippen geht sich aber trotzdem noch aus.

Nieselregen am Heimweg, von 100 Prozent Gewitterwahrscheinlichkeit haben wir dann doch nichts mitbekommen. Mama ist froh, am Popfest gewesen zu sein, weil ihrer Meinung nach jede Altersgruppe auf ihre Kosten kommt. Kurz bin ich wirklich verwundert, dass es anscheinend so gar nichts gibt, das sie an unserem Ausflug bemäkelt, bis sie zum Wetter kommt—den Wind fand sie nicht so toll, und es hätte natürlich wärmer sein können. Aber nächstes Jahr wieder? Fix.

Franz auf Twitter: @FranzLicht