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10 Fragen an eine Angestellte im Kundenservice, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie oft musst du am Tag für deinen Arbeitgeber lügen? Was war das Verletzendste, das jemand zu dir gesagt hat? Wie oft legst du das Telefon zur Seite und machst einfach Pause?
Eine Angestellte im Kundenservice mit Headset
Anna Lucia Ferrari | Mit freundlicher Genehmigung bereitgestellt
10 Fragen, die du dich niemals trauen würdest zu stellen. Wirklich nicht.

Millionen Menschen beobachten auf TikTok, wie sich Anna Lucia Ferrari am Telefon zusammenreißen muss, um nicht auszurasten. Sie ist seit zwei Jahren Kundenberaterin für ein Kreuzfahrtunternehmen in Barcelona und eine Künstlerin im Höflichbleiben. Ihre Aufgaben bestehen darin, Kreuzfahrten zu verkaufen, Beschwerden entgegenzunehmen, Probleme zu lösen und manchmal auch einfach zuzuhören. 

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In ihren Videos zeigt sie ihren Umgang mit Schreihälsen, Menschen, die nicht zahlen und trotzdem penetrant Reisetickets einfordern und Weirdos, die ihre private Handynummer haben möchten. Den Satz "Haben Sie mal ihre Buchungsnummer für mich?" sagt sie etwa 150 Mal am Tag. Privat telefoniert sie eher nicht.

Wir haben Fragen.


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VICE: Was wollten die nervigsten Anrufer von dir?
Anna Lucia Ferrari:
Die nervigsten Anrufer sind die, die in einen höheren Status aufsteigen möchten. Es gibt wirklich Menschen, die mir am Telefon 500 Euro anbieten, damit ich sie upgrade. Diese Leute würden mir ihren rechten Fuß geben, damit sie Goldmitglied werden. Die meisten Anrufer sind aber nett und wegen denen mache ich den Job ja auch. Mit denen macht es auch wirklich Spaß zu arbeiten. 

Wie oft legst du das Telefon zur Seite und machst einfach Pause?
Andauernd, das passiert bestimmt zehn Mal pro Woche. Ich telefoniere mit wahnsinnig vielen Menschen und extrem viele von denen haben ihre Aggressionen nicht unter Kontrolle. Nach einem anstrengenden Anrufer brauche ich eine Pause. Ich stelle mein Telefon dann auf nicht erreichbar ein. In der Zeit soll ich eigentlich E-Mails beantworten, aber manchmal muss ich mich einfach kurz zurücklehnen.

Wenn Leute am Telefon ausrasten und mich anschreien, lege ich mein Headset auch mitten im Gespräch weg. Selbst dann höre ich das Geschrei noch, nur leiser. Wenn die Schreie aufhören, setze ich das Headset wieder auf. Wenn ich merke, dass ich mit den Anrufern auf keinen Nenner komme und wir uns immer wieder im Kreis drehen, lege ich auch einfach auf. Ich sage dann: "Frau XY, ich beende das Gespräch an dieser Stelle." Ich habe auch schon ein paar Mal ohne Ankündigung einfach aufgelegt.

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Fühlst du dich nach der Schicht wie ein menschlicher Mülleimer?
Total. Menschlicher Mülleimer beschreibt das Gefühl perfekt. Es gibt manche Tage, da komme ich aus dem Büro und mein Kopf ist so voll von den ganzen Aggressionen, die ich über den Tag abbekommen habe, dass ich richtig erschöpft bin. Ich möchte dann einfach nur nach Hause und mich ins Bett legen. 

Mein Job lässt mich schon an der Menschheit zweifeln. Vor allem an älteren Menschen. Was für Forderungen und Erwartungen diese Menschen haben und wie anders sie über alles denken, ist verrückt. Psychisch hat mich mein Job vor allem in den ersten Monaten mitgenommen. Nach drei, vier Monaten lernt man, nichts mehr persönlich zu nehmen. Ich habe am Anfang oft geweint, weil ich andauernd angeschrien wurde und der Arsch für alles war. Aber jetzt prallt eigentlich alles Negative einfach an mir ab.

Mit welchen Tricks schaffst du es, freundlich zu bleiben?
Sarkasmus. Ich lächle einfach alles weg. Und es ist ja immer noch ein Job, ich werde dafür bezahlt. Das Freundlichsein gehört eben dazu. Ich kann Wut auch wahnsinnig gut weglächeln. Die Anrufer checken meistens nicht, wenn ich genervt bin. Es ist aber vereinzelt auch schon vorgekommen, dass mich Anrufer gefragt haben, ob ich sie gerade verarsche. Dann sage ich halt nein. 

Was ist dein liebster Nebenher-Zeitvertreib, wenn dich jemand sehr lange vollgequatscht? 
Ich meine das nicht gemein, aber ich bin jetzt einfach ehrlich: Wenn mich alte Omis und Opis anrufen, die manchmal auch einfach nur mit jemandem quatschen wollen, onlineshoppe ich nebenbei. Manchmal recherchiere ich nebenher auch, was es für neue Restaurants in meiner Nähe gibt. Diese Menschen haben oft Probleme, die gar nichts mit meinem Job zu tun haben, oder sind einfach einsam. Das ist schon herzzerreißend. Die erzählen mir dann, dass ihr Ehemann gerade verstorben ist und sie ihm vor dem Tod versprechen mussten, diese Reise anzutreten. Da höre ich natürlich gerne zu und bin nicht genervt, weil die meine Zeit klauen. Ich bin ja kein Unmensch.

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Wenn jemand deinen Vorgesetzten sprechen möchte: Verstellst du dann einfach deine Stimme und sprichst selbst weiter?
Das habe ich bisher tatsächlich noch nicht gemacht. Aber wenn mich Kunden anrufen, die ich schon kenne und von denen ich weiß, dass sie auf mich sauer sind, weil irgendwas schiefgegangen ist, tue ich manchmal so, als sei ich jemand anderes. Ich sage dann einfach: "Die Frau Ferrari ist gerade im Urlaub."

Gibt es wirklich eine "Rote Liste" von Menschen, die nicht mehr durchgestellt werden? Was haben die verbrochen?
Ja, die gibt es. Auf der landen Anrufer, die wahnsinnig penetrant sind. Wer 30 Mal am Tag anruft, wird irgendwann nicht mehr durchgestellt. Menschen, die sich auf den Kreuzfahrtschiffen daneben benommen haben und ihr Zimmer verwüstet haben, kommen auch auf die Liste und können keine Reise mehr bei uns buchen. Das Gleiche gilt für Leute, die ihre Reise nicht bezahlen. 

Wie oft verlieben sich Leute in deine Stimme und hast du dich schon einmal übers Telefon verliebt?
Manchmal sind schon Stimmen dabei, die sehr schön klingen. Dann stelle ich mir die Person automatisch attraktiv vor. Aber verliebt habe ich mich noch nicht. Und ob sich jemand in mich verliebt hat, weiß ich nicht. Aber ich bekomme von männlichen Anrufern öfter Komplimente für meine Stimme. Erst vor Kurzem hat ein jüngerer Typ angerufen, mit dem ich mich ganz gut verstanden habe. Am Ende des Gesprächs hat er mich gefragt, ob wir in Kontakt bleiben können. Dann habe ich höflich abgelehnt. 

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Was war das Verletzendste, das jemand zu dir gesagt hat?
Ach, das war kein schlimmer Ausdruck oder so was. Wenn Anrufer meine Kompetenz hinterfragen, weil ich ihr Problem einfach nicht lösen kann – weil es in vielen Fällen einfach Quatsch und nicht lösbar ist – dann beleidigt mich das schon. Irgendwann am Anfang meiner Zeit hier hat mir eine Frau am Telefon an den Kopf geworfen, wie ich diesen Job überhaupt bekommen habe, dass ich zu nichts zu gebrauchen sei und dass ich gekündigt werden sollte. Nach dem Telefonat habe ich geheult. Aber heute wäre mir das egal. 

Wie oft musst du am Tag für deinen Arbeitgeber lügen?
Um ganz ehrlich zu sein … schon so zwei bis drei Mal am Tag. Es gibt manchmal Situationen, wo wir mehr Informationen haben als die Anrufer. Aus Datenschutzgründen oder so dürfen wir aber nichts verraten. In solchen Fällen sage ich, dass ich keine Ahnung habe.

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