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Argentinien

Argentiniens beste Restaurants sind illegal

In einer unbeständigen Wirtschaft mit laxer Regierungsaufsicht bieten puertas cerradas (illegale Restaurants in Wohnungen) eine Möglichkeit für argentinische Köche, Betriebe mit geringem Risiko zu eröffnen, ohne dabei kreativen Freiraum einbüßen...

Ich befinde mich beim Abendessen in der schicken Gegend Recoleta in Buenos Aires, in einem noblen Apartment aus dem 19. Jahrhundert, das in eine Künstlerresidenz und Galerie umgewandelt wurde. An den Wänden hängen kunstvolle Gemälde von Cunnilingus-Szenen. Ich sitze mit einem prominenten argentinischen Regierungsangestellten, einer Ex-Prostituierten mit ihrem rosa Pudel, einem MTV-Producer und einem im Exil lebenden Sektenmitglied aus Alabama an einem langen, rechteckigen Tisch.

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Wir essen ein Aphrodisiakum-inspiriertes 5-Gänge-Degustationsmenü mit Austern, die „sinnlich geschlürft" werden sollen, und weißen „Cum Shots". Außerdem gibt es einen Pinsel dazu, um die Körper der anderen Dinnergäste zu bemalen. Es war ein Abend wie jeder andere in einem restaurante a puertas cerradas—eine Art Guerrilla-Restaurant—ein Konzept, das sich in Buenos Aires gerade größter Beliebtheit erfreut. Dieser Trend wurde in den letzten Jahren durch Features im Lonely Planet und Artikel in der New York Times ziemlich gehypt. Was die meisten Leute aber nicht wissen: Die meisten Zusammenkünfte hinter verschlossenen Türen, auch die gerade beschriebene, sind illegal. Der Großteil dieser Etablissements hat keine Lizenzen, um Essen zu verkaufen und hält sich auch nicht an Gesundheits- oder Sicherheitsvorschriften, zahlt keine Steuern und schenkt Alkohol ohne Lizenz aus.

Outside an abadoned house, inside a puerta cerrada_

Ich habe schon in vielen Guerrilla-Restaurants in Buenos Aires gegessen und mit unzähligen Köchen, Restaurantbesitzern und Gästen gesprochen (von denen fast alle ihren Namen nicht verraten wollten, aus Angst, andere in der Restaurant-Szene zu verärgern), die alle dasselbe sagen: Die meisten Guerrilla-Restaurants verstoßen zwar gegen das Gesetz—was viele traditionelle Restaurants der Stadt verärgert—, die Gesetze werden aber nicht durchgesetzt. Und das ist auch gut so, wenn es nach den meisten Gourmands hier geht. Durch die geheimnisvolle und exklusive Atmosphäre und die Möglichkeit, gewagte Aromen und Gerichte auszuprobieren, die weit mehr bieten, als die öde Steak- und Empanada-Kultur, haben die Restaurants einen unglaublichen Reiz. „Es ist nicht einfach nur ein Essen wie jedes andere in einem Restaurant", sagte Ann Lang, eine der Gäste. „Es ist ein Erlebnis. Es ist aufregend."

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Nach dem Vorbild der kubanischen paladares, gibt es Guerrilla-Restaurants in Argentinien schon seit Jahrzehnten. Nach der Finanzkrise 2001 wurden sie aber immer beliebter. In einer unbeständigen Wirtschaft, in der die Regierungsaufsicht relativ lax war, boten diese illegalen Lokale für Köche eine Möglichkeit, ein Geschäft mit geringen Risiko zu eröffnen, ohne dass sie dabei kreativen Freiraum einbüßen müssten. Sie luden eine gewisse Anzahl an Gästen an zwei oder drei Abenden pro Woche in ihre eigene Wohnung ein und boten ihnen ein Abendessen zu einem Fixpreis.

Für Besitzer normaler Restaurants kann das Geschäft ziemlich teuer sein. Juan Pablo*, ein erfahrener Chefkoch zahlte ganze AR $180,000 (ca. 16.250 Euro), um sein legales Restaurant zu eröffnen. Dazu kommen jeden Monat noch mehr als AR $40,000 (ca. 3600 Euro) an Abgaben, die Guerilla-Restaurants nicht bezahlen, behauptet er.

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Eine anonyme puerta cerrada-Köchin in ihrer Küche.

Laura Tripe*, Expat und Restaurantbesitzerin, deren Guerrilla-Restaurant schon Monate im Voraus ausgebucht ist: „Ich stand gerade kurz davor, eine riesige Summe in ein richtiges Restaurant zu investieren."

In Buenos Aires gibt es mittlerweile fast 100 puerta cerrada-Restaurants, von denen wahrscheinlich weniger als eine Handvoll Maßnahmen ergriffen haben, ein legales Business anzumelden.

Das Modell hat sich in verschiedene Richtungen entwickelt und reicht von Restaurants in renovierten Gewerbegebäuden bis hin zu Hobbyköchen, die ihre Wohnzimmer in provisorische Esszimmer verwandeln.

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Laut Anwalt Sergio Mohadeb, Experte der Gesetzeslage in Buenos Aires, muss sich jedes Lokal, das für Essen Geld verlangt und sich als Restaurant bezeichnet, an die bundesweiten Lebensmittelgesetze und an regionale Statuten über Geschäftsgepflogenheiten halten. Das bedeutet, dass sie sich bei der Stadt registrieren müssen und eine Inspektion bestehen müssen, was bei den meisten der Guerilla-Restaurants nicht der Fall ist.

„Ich würde niemals eines dieser Guerilla-Restaurants betreten. Das ist eine Farce", sagt Miguel Santos*. „Es ist nur ein Schwindel, um Geld zu machen," fährt er fort, während die Venen an seinem Hals hervortreten. „Wer sagt, er wolle eine intime und geheimnisvolle Erfahrung bieten, lügt. Das ist absoluter Bullshit. Diese Leute sollten sich schämen."

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„Cum Shots" und Pinsel für's Bodypainting als Dessert, na klar.

„Guerrilla-Restaurants sind für die Gastronomie, was Raubkopien von DVDs für die Filmindustrie sind", sagt Maco Lucioni, ein Sommelier und Essens- und Weinjournalist, der mit 15 Jahren Erfahrung ein Veteran in der Restaurantszene ist. „Sie sollten nicht einmal als Restaurants anerkannt werden. Ich bezweifle, dass in einem zivilisierten Land puertas cerradas so frei existieren könnten wie hierzulande."

Bisher ist die Angst vor Razzien der Regierung relativ gering.

„Dass wir uns den Gesetzen widersetzen, bereitet uns keine Sorgen", sagt Tripe mit einem Kichern.

Martin*, der seit fünf Jahren ein Guerrilla-Restaurant betreibt, sagt, Botschafter und andere prominente Argentinier würden regelmäßig in seinem Restaurant essen. „Sogar die rechte Hand des Bürgermeisters, der eigentlich diese Gesetze durchsetzen sollte, war schon bei uns", erzählte er mir. Dann fügte er hinzu, dass er Polizeibeamten jeden Monat AR $500 (ungefähr 45 Euro) bezahlt, damit sie schweigen.

Poor man's cracked out absinthe to end the night

Hausgemachter Absinth

„Es ist verrückt. Aber das ist eben Argentinien", sagt Juan Pablo. Nichtsdestotrotz, würde er niemals ein Guerrilla-Restaurant an Inspektoren verraten. „Wir sind keine Ratten", fügte er hinzu.

Es war schon lange nach Mitternacht an einem Abend letzten Monat in einem gemütlichen Zuhause eines argentinisch-amerikanischen Paars in Palermo und ich war immer noch gut dabei. Vor sechs Stunden kamen acht Leute als Fremde in deren Wohnung an, aber nach angeregten, betrunkenen Unterhaltungen und tonnenweise Essen fühlte es sich wie eine Dinnerparty mit Freunden an. Gerade als wir dachten, der Abend gehe dem Ende zu, packte unsere liebe Gastgeberin einen Löffel, braunen Zucker, ein Feuerzeug und eine Flasche Alkohol aus. „Ich nenne das den Absinth der armen Leute", erklärte sie mir, während sie mir mein Shotglas mit dem regional gebrannten, 45-prozentigen Schnaps einschenkte. Ich nahm die Herausforderung dankend an, erhitzte den Löffel, als würde ich mir gleich ein bisschen Crack reinziehen und kippte den Shot runter. Alle jubelten. Vielleicht waren es die Cum Shots, die Leute oder die Tatsache, dass uns die Köche etwas anzünden ließen, aber nach dieser Erfahrung ist es echt schwierig, wieder legale Restaurants zu besuchen.

*Anmerkung des Autors: Die Namen wurden verändert, damit die Personen nicht hinter verschlossene Türen gezogen und verprügelt werden oder einen Bitch Slap abbekommen.