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Diese Pharmafirma will deine Selfies und Blutwerte – als Belohnung winkt Kryptogeld

Der Chef von Insilico behauptet, dass Patienten mit ihren Daten ein "solides Grundeinkommen" verdienen könnten.
Komposition: Caroline Haskins | Bilder: shutterstock | YashkovskiyMDBlueguySerhiy Smirnov |  NadzeyaShanchuk.

Stell dir vor, Menschen würden Geld dafür bekommen, dass sie ihre Blutwerte und täglichen Selfies in einer Datenbank hochladen. Regierungen, Softwareunternehmen, Pharmakonzerne und Forschungseinrichtungen könnten diese Daten dann kaufen, um Medikamente und Anti-Aging-Produkte zu entwickeln. Je wertvoller die Daten für ein Unternehmen wären, wie beispielsweise Bilder der Haut, des Gesichts oder von "verborgenen Körperteilen", desto mehr Geld würde der Teilnehmer erhalten.

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Wenn es nach dem Pharmaunternehmen Insilico Medicine, Inc. und dem Blockchain-Unternehmen The Bitfury Group geht, könnte dieses futuristische Szenario schon bald Wirklichkeit werden. Die beiden Firmen wollen Teilnehmer gerne mit der Kryptowährung "LifePound" für ihre medizinischen Daten bezahlen. Gespeichert werden sollen die wertvollen Informationen in der Blockchain, ein digitales Buchführungssystem, das Daten unverändert und theoretisch bis in alle Ewigkeit speichern kann. Zahlende Kunden, wie Pharmakonzerne, sollen am Ende Schlüssel erhalten, um gekaufte Datensätze entschlüsseln und einsehen zu können.

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"Es ist zwar schwer vorherzusagen, aber ich denke, dass Nutzer, die jede Woche Blutproben, Bilder und genetische Daten übermitteln, damit ein solides Grundeinkommen verdienen könnten", schätzt Alex Zhavoronkov, der Gründer und CEO von Insilico, gegenüber Motherboard.

Ihre Vision stellten Insilico und Bitfury auf einer Konferenz für Blockchain-Unternehmen namens TaiwanChain vor, die von Taiwans Taipei Computer Association organisiert wird. Außerdem veröffentlichten sie ihren Business-Plan vergangenen Monat in dem wissenschaftlichen Fachblatt Oncotarget. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Oncotarget in der Vergangenheit mehrfach in der Kritik stand, Artikel gegen hohe Gebühren zu veröffentlichen, ohne im Gegenzug für die nötige Qualitätssicherung zu sorgen.

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Gentests, Fotos von Körperteilen, Blut- und Urinproben – gehört das alles auf die Blockchain?

Insilico und Bitfury berichten, dass sie bereits ein Pilotprogramm namens Longenesis gestartet haben. Laut Zhavoronkov wird das Programm momentan von Insilico- und Bitfury-Mitarbeitern getestet, die ihre Blutwerte wöchentlich oder alle zwei Wochen mit der Blockchain-Software Exonum hochladen – die Mitarbeiter erhalten im Gegenzug jedoch keine Kryptoeinheiten.

Eine Abbildung aus dem Artikel in Oncotarget, die das Longenesis-System visuell darstellt | Screenshot: Oncotarget

Wenn Zhavoronkovs Plan aufgeht, soll Longenesis in zwei Jahren auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Im Business-Plan heißt es, dass das Programm "Patienten die Möglichkeit geben wird, Krypto-Token als Belohnung für ihre Gesundheitsdaten oder für gesundes Verhalten zu erhalten". Zhavoronkov sieht Longenesis als inklusives Gesundheitssystem, in dem Regierungen Bürger zur Teilnahme ermutigen, regelmäßige Nutzer ihren Lebensunterhalt sichern können und Gesundheitsdienstleister LifePound-Token als Zahlungsmittel für Behandlungen und Präventionsmaßnahmen akzeptieren.

Auf der Exonum-Blockchain soll jede Art von medizinischen Daten gespeichert werden können, dazu zählen Gentests, Blut- und Urinproben, Röntgenbilder, Social-Media-Feeds sowie Bilder von Haaren, Gesichtern und dem Körper. Nutzer können ihre Daten zusätzlich als eine Art Sicherheitskopie in der Bitcoin-Blockchain speichern. Dabei sollte man jedoch bedenken: Wenn Daten einmal in der Blockchain sind, können sie nicht mehr verändert oder entfernt werden, es gibt also kein Zurück.

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"Ich würde gerne in einer Welt leben, in der ich regelmäßig kostenlose Gesundheitstests machen darf. Dann kann ich die Ergebnisse der Wirtschaft zur Verfügung stellen und erhalte im Gegenzug verschiedene Güter und Dienstleistungen, die vor allem mit der Gesundheit zu tun haben", sagt Zhavoronkov.

Aus einer Darstellung in dem Oncotarget-Paper geht hervor, dass "hochauflösende Bilder" von "verborgenen Körperteilen", als besonders wertvolle "seltene Daten" gelten. Bebildert wird diese Kategorie mit einer Boxershorts. Unsere Frage, ob das bedeutet, dass das Unternehmen um Nacktaufnahmen und Bildern von Genitalien bittet, verneinte er.

Abbildung 2 stellt die verschiedenen Typen von Daten dar, die als "selten" oder "reichlich vorhanden" eingestuft werden | Screenshot: Oncotarget

"Der Gestalter hat an dieser Stelle ein Kleidungsstück gewählt, um zu symbolisieren, dass es Körperteile gibt, die von Kleidung bedeckt sind. Das soll aber nicht auf Genitalien anspielen", schreibt Zhavoronkov. "Außerdem mangelt es im Internet wirklich nicht an Bildern von Genitalien. Meiner Meinung nach ist dieser Datentyp sogar so reichlich vorhanden, dass uns diese Idee vor eurer Frage nicht einmal kam."

Insilico und Bitfury bringen einen entscheidenden Vorteil mit

Da die Kryptowährungen Bitcoin und Ethereum scheinbar täglich neue Rekorde brechen, wundert es nicht, dass Unternehmen gerne die Blockchain-Technologie für ihre Zwecke nutzen wollen. In den letzten Monaten haben zahlreiche Blockchain-Startups immense Summen über Ethereum generiert – können dafür bisher jedoch kaum Ergebnisse vorweisen. Bisher ist völlig unklar, ob überhaupt eines dieser Unternehmen am Ende Erfolg haben wird. Dasselbe gilt natürlich auch für das Unterfangen von Insilico und Bitfury.

Gegenüber den Startups bringen die beiden jedoch einen Vorteil mit, schließlich sind sie in ihren Branchen bereits etabliert: Insilico entwickelt schon heute KI-getriebene Software für namhafte Kunden, darunter der Pharmakonzern Johnson & Johnson, Kosmetikhersteller L'Oreal oder die Johns Hopkins University, die die Technologie nutzt, um Krankheitstrends entgegenzuwirken und Medikamente zu entwickeln. Kürzlich gab Insilico außerdem die Zusammenarbeit mit dem Pharma-Riesen GlaxoSmithKline bekannt, der mit Hilfe von KI neue Medikamente entwickeln will.

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Bitfury wiederum hat sich vom Bitcoin-Mining-Unternehmen inzwischen zum Software-Anbieter weiterentwickelt. Laut eigenen Angaben macht Bitfury inzwischen knapp 85 Millionen Euro Gewinn im Jahr.

Es handelt sich also keinesfalls um namenlose Startups mit einer verrückten Idee, sondern um etablierte Unternehmen, die über Verbindungen zu renommierten Organisationen verfügen.

Ein Programm wie Longenesis wirft zahlreiche ethische Fragen auf

Auch sollte man bedenken, dass es bereits Unternehmen gibt, die private Gesundheitsdaten ohne die Zustimmung der Patienten sammeln. Darunter beispielsweise das US-amerikanische Bioinformatik-Unternehmen IMS Health, das Daten mit Apotheken, Versicherungen und staatlichen Gesundheitsbehörden teilt. Daher könnte man meinen, dass ein Modell wie Longenesis eine Verbesserung darstellt, da den Teilnehmern hier wenigstens eine Entschädigung für die Daten gezahlt wird, die sie freiwillig übermitteln. Allerdings wirft das Programm auch ganz neue ethische Fragen auf.

Schließlich sollen über Longenesis medizinische Aufnahmen gespeichert und verkauft werden, die die meisten Menschen als sensible Daten betrachten würden. Gleichzeitig werden wahrscheinlich vor allem finanziell schwache Menschen bei einem Programm wie Longenesis mitmachen. Auch Menschen, die aktuell an medizinischen Experimenten als Probanden teilnehmen, tun das meist nicht zum Spaß, sondern um ihre Miete zu zahlen. In der Regel erhalten Teilnehmer an klinischen Studien eine höhere Entschädigung, wenn sie ein höheres medizinisches Risiko eingehen.

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"Wir beweisen, dass Daten das neue Öl sind, die neue universelle Währung."

Zhavoronkov erkennt diese ethischen Bedenken zwar an, glaubt aber, dass Insilico und Bitfury mit einer langsamen Markteinführung – mit einer Pilotphase, wissenschaftlichen Publikationen, klinischen Studien und dann erst der öffentlichen Freigabe des Programms – haltbare ethische Standards etablieren können. "In diesem Gebiet stellen sich zahlreiche Fragen", sagt er. "Wir haben beschlossen, uns nicht alleine mit dieser Thematik zu befassen, sondern die Problematik zur öffentlichen Debatte freizugeben, bevor wir oder jemand anderes ein derartiges Programm starten."

Wird Insilico im Sinne des Kunden handeln – oder zu einem undurchsichtigen Dschungel à la Uber?

Doch wenn Insilico und Bitfury diese ethischen Standards mitgestalten wollen, sollte man sich auch ihre politische Einstellung genauer anschauen. In ihrer Studie bringen die Autoren deutlich ihre Frustration über den Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA) von 1996 zum Ausdruck, der in den USA die Nutzung von Patientendaten beschränkt. Die Autoren glauben, dass sie die Regelung umgehen könnten, wenn Patienten persönlich ihre eigenen Daten einreichen würden.

"Die Behörden setzen dem Sammeln und Speichern von Verbraucherdaten enge Grenzen, und verhindern somit, dass die Vorteile von Künstlicher Intelligenz in die medizinische Praxis integriert werden", heißt es im Paper. "Ein Ökosystem, das auf der Blockchain beruht, könnte es Menschen erleichtern, die Kontrolle über ihre Daten zu erlangen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen könnten diese Daten dann leichter kaufen – und somit wäre auch weniger Eingreifen durch die Behörden notwendig."

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Abbildung 11 beschreibt die Beziehungen zwischen Longenesis, den Nuzern und behördlichen Regulatoren | Screenshot: Oncotarget

Doch Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass aus dem Wunsch nach weniger staatlicher Regulierung auch Systeme wachsen können, die nicht im Interesse des Nutzers sind. So hat sich der Fahrdienst Uber beispielsweise zu einem undurchsichtigen System entwickelt: Die Preisentwicklung ist nicht transparent, Fahrern werden wichtige Informationen vorenthalten, Unternehmensentscheidungen werden heimlichtuerische Codenamen gegeben, die Geschlechterdiskriminierung ist alarmierend und als sensible Nutzerdaten gehackt wurden, wurde die Geschichte kurzerhand vertuscht. Zwar muss sich Uber für den mutmaßlichen Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen seiner Konkurrenten und Geschlechterdiskriminierung nun vor Gericht verantworten, aber die Aufarbeitung kommt erst, nachdem das Unternehmen bereits eine Größenordnung von 40 Millionen Fahrten im Monat erreicht hat.

Das Beispiel Uber zeigt, dass man nicht automatisch darauf vertrauen kann, dass ein Unternehmen die Interessen und die Sicherheit seiner Kunden an erste Stelle setzen wird. Zhavoronkov sieht das natürlich anders – und insistiert, dass Insilico und Bitfury dieses Vertrauen verdient haben.

"Wir beweisen, dass Daten das neue Öl sind, die neue universelle Währung", sagt er. "Wir bewegen uns weg von der Neoklassischen Wirtschaftslehre, in der die Arbeit die Wirtschaft antreibt. Unser Weg führt hin zu einer Wirtschaft, die von Daten, dem Gesundheitswesen und der Gesundheit angetrieben wird."

Wenn Daten wirklich mit Öl vergleichbar sind, wie Zhavoronkov meint – ein Rohstoff, der Kriege, Gesellschaftskrisen und Naturkatastrophen verursacht hat – dann sollte man in jedem Fall genau im Auge behalten, wer die Unternehmen sind, die die Daten kontrollieren, und was sie für die Zukunft geplant haben.