FYI.

This story is over 5 years old.

News

Der Staatsschutz hat gegen mich ermittelt, weil ich ein Bild von Merkel gemalt habe

Eigentlich wollte Martin Schwarze nur ein Statement über Macht, Terrorismus und Kunstfreiheit machen. Ein CDU-Abgeordneter fand das aber nicht so witzig.
Foto: Martin Schwarze

Martin Schwarze studiert an der Leipziger Kunsthochschule HGB Malerei. Er versteht sich als politischer Künstler. Schon viermal hat er Angela Merkel gemalt. Das letzte Mal im Frühjahr: Sie steht neben einem mutmaßlichen Terroristen, der ihr ein deutsches Sturmgewehr G36 an den Kopf hält. Während er das Bild in der HGB ausstellt, wird es übersprüht: „Wir töten dich!" steht nun darauf—gewollt. Die Aktion gehört zum Konzept und ist eine Reaktion auf die Charlie-Hebdo-Anschläge, die auch die Frage aufgeworfen haben, wie sicher politische Künstler noch arbeiten können.

Anzeige

Mit seinem Bild wollte Martin eine Frage stellen: „Was ist Macht?" Mittlerweile hat er darauf ganz eigene Antworten bekommen. Denn nicht nur, dass der Staatsschutz gegen ihn ermittelte. Auch ein EU-Abgeordneter richtete kritische Fragen an die Hochschule.

Und die Hochschule? Die hielt es bis heute nicht für nötig, sich vor ihren Studenten zu stellen—und gab stattdessen dem Staatsschutz einfach so Namen und Mailadresse von Martin heraus. Ein exklusives Interview mit dem Studenten und seinem Anwalt rund um die Frage: Was ist Kunstfreiheit wirklich wert?

Das Bild auf der Ausstellung, bevor es besprüht wurde. Foto: Martin Schwarze

VICE: Martin, du hast für dein Bild ziemlich Ärger bekommen. Was wolltest du damit eigentlich sagen?
Martin Schwarze: Zu sehen ist Angela Merkel mit der „Raute". Neben ihr steht eine schwarze Gestalt, diese hält Merkel das deutsche Sturmgewehr G36 an die Schläfe. Im Hintergrund ist bildfüllend die Deutschlandfahne gemalt. Anlass für dieses Motiv waren die Waffenlieferungen, die aus Deutschland an die Kurden im Nordirak gingen. Meine Intention mit dem Bild war, die Frage zu stellen: Was ist Macht?

Nach dem Motto: Wer ist stärker—die „Raute" oder der Dschihad?
Ich hatte die öffentliche Debatte um die Waffenlieferungen verfolgt und sehe diese kritisch. Es lässt sich doch die Frage stellen: Wer dominiert hier wen? Übt Deutschland Macht auf diesen Konflikt in irgendeiner Weise aus, indem da jetzt Waffen hingeschickt werden? Kann sich das umdrehen? Was ist jetzt eigentlich die Stärke an der ganzen Sache: Die Waffe oder die Wirtschaftskraft dahinter? Vielleicht sogar eine politische Überzeugung? Da stellen sich einfach viele Fragen. Die wollte ich mit dem Bild aufwerfen—ohne jetzt konkrete Antworten zu geben.

Anzeige

Kunst ist crazy, oder? Dieses Video auch:

Quer über dem Bild steht: „Wir töten dich!" Warum?
Die Anschläge in Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo haben mich schon sehr aufgewühlt. Welche Bedeutung hat das für die Kunstfreiheit? Ich hatte also beschlossen, einen Angriff auf das Bild, auf den Künstler—mich in dem Fall—zu simulieren. Ich hatte einen Freund beauftragt, während des Rundgangs „Wir töten dich!" über das Bild zu sprühen.

Foto: Martin Schwarze

Wegen dieses Bildes wurde umfangreich durch den Staatsschutz ermittelt. Wie hast du davon erfahren?
Im März habe ich eine E-Mail von der Kriminalpolizei erhalten. Inhalt war, dass ein Untersuchungsverfahren wegen Sachbeschädigung an meinem Bild eingeleitet wurde und dass ich mich zu dem Vorfall äußern solle—als Zeuge und Geschädigter. Da ich die Security am Abend persönlich informiert hatte, dass es sich hier nicht um Sachbeschädigung handle, wurde ich misstrauisch.

Interessante Fans, die du da hast!
Es ging noch weiter. Kaum, dass ich die E-Mail gelesen hatte, rief mich mein betreuender Professor an. Er hatte wegen des Bildes auch eine E-Mail erhalten, allerdings von der Hochschul-Rektorin. Zusammen mit dem Verweis auf den Staatsschutz tauchten noch ganz andere Fragen auf, die ein EU-Parlamentsabgeordneter gestellt hatte, zu denen sich mein Professor äußern sollte. Damals wurde der Name des Abgeordneten nicht genannt. Heute wissen wir, dass ein Politiker der CDU Sachsen, Herrmann Winkler, sich an die Hochschulleitung wandte.

Anzeige

Was waren das für Fragen?
Zum Beispiel, wie das Bild an der Hochschule entstanden ist. Ob der Aufruf zur Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung angemessen ist. Ob das von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Und ob es Auftrag einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Hochschule ist, die Ablehnung des Staates und seiner demokratisch gewählten Vertreter zu proklamieren. Also alles ziemlich vorverurteilend—und für jemandem, der im Kulturausschuss des EU-Parlaments sitzt, auch ziemlich verwunderlich.

Habt ihr geantwortet?
Ich habe der Polizei bzw. dem Staatsschutz zurückgeschrieben, dass die Sprühaktion keine Sachbeschädigung, sondern Teil des Kunstwerks sei. Und die Rektorin hat die Fragen nicht selbst beantwortet, sondern an meinen Professor weitergeleitet, der ihr wiederum antwortete. Von ihm weiß ich, dass diese Stellungnahme von der Rektorin an den EU-Abgeordneten und den Staatsschutz weitergeleitet wurde.

Wir haben mit dem EU-Abgeordneten Hermann Winkler gesprochen. Der hat uns erzählt, dass er dein Bild „grenzwertig und auch nicht unbedingt schön" findet—eher gewaltverherrlichend, davon konnte ihn das Statement der Hochschule auch nicht abbringen. Jedenfalls hat er ein Foto deines Bildes an die Polizei weitergereicht und die hat ermittelt. Was denkst du darüber?
Ich denke, in Anbetracht der Position Winklers hat er völlig falsch reagiert. Die Themen, die das Bild bespricht, wollte ich im Zuge des Rundgangs zur Debatte stellen. Dort hätte das Statement Winklers auch gerne Platz finden können. Wie damit jetzt verfahren wurde, geht über meine Intention weit hinaus und hat mir nicht wenige Sorgen bereitet.

Anzeige

Außerdem wirft der Prozess Fragen über die Kunstfreiheit auf, die von einem Mitglied der regierenden Partei auf erschreckende Weise beantwortet wurden. Gerade nach den Anschlägen von Paris braucht es jetzt Fürsprecher für die Kunstfreiheit. Meiner Meinung nach muss Kunst diskutiert werden—aber nicht eingeschränkt. Das lernt man ja auch schon im Geschichtsunterricht.

Man könnte ja denken, die Sache wäre damit erledigt. Du hast dich in weiser Voraussicht trotzdem von einem Rechtsanwalt beraten lassen, der letzte Woche das erste Mal Einblick in die Ermittlungsakte bekam. Gab es da Neuigkeiten?
Mein Rechtsanwalt meinte, die Akte lese sich wie ein Krimi. Konkretisierungen zum Staatsschutz konnte ich nicht bekommen. Seit den Veröffentlichungen von Whistleblowern wie zum Beispiel Edward Snowden ist bekannt, wie weit die Überwachung geht. Ein Gefühl der Verfolgung kann ich daher nicht leugnen.

Martins Anwalt erklärte uns die Details der Ermittlungen:

VICE: Herr Dr. Mayer, Sie haben die Akten vor sich. Was und wie weitgehend wurde denn da ermittelt?
Dr. Mayer: Das Verfahren begann ja relativ harmlos mit einem Verfahren gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung—wobei er selber ja von Anfang an gesagt hat, dass er diese vermeintliche Sachbeschädigung selber gemacht hat. Insofern wäre eigentlich von vornherein klar gewesen, dass es gar kein Straftatbestand sein kann.

Wer hat denn da ermittelt, in dieser Sachbeschädigung?
Das ist in der Tat sonderbar. Wenn man das Schreiben der Polizei liest, steht da der Name des ermittelnden Beamten. Dieser wird geführt unter der Abteilung „Polizeilicher Staatsschutz", was sich ja schonmal schlimm anhört. In der Akte selber wabern dann Fragen durch, beispielsweise wird von Gewaltverherrlichung von Bildern gesprochen, was in sich ja ein Straftatbestand ist: § 131 Strafgesetzbuch. Die Darstellung von Gewaltverherrlichungen wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt. Dass der Student darüber nervös wird, kann man ja gut nachvollziehen.

Anzeige

Das Verfahren ist mittlerweile eingestellt worden. Da hat die juristische Vernunft zunächst gesiegt. Aber es sind natürlich zwischenzeitlich schon einige Wellen aufgeworfen worden. Und Herr Schwarze wurde auf kaltem Wege vom Zeugen und Geschädigten irgendwie zum vermeintlichen Täter.

Martin hat schon immer gerne Merkels gemalt. Hier aus dem Jahr 2013. Foto: Martin Schwarze

Sie vertreten häufiger Künstler in juristischen Angelegenheiten. Wie oft passiert es Ihnen denn, dass Ihre Mandanten mit dem Staatsschutz zu tun haben?
Ich muss ganz klar sagen: In meiner langjährigen Beratungspraxis ist mir das noch nie untergekommen. Das ist ein seltener Fall. Das Brisante daran, nämlich dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft damit beschäftigen mussten, erscheint mir hier nicht mehr verhältnismäßig. Meines Erachtens nach hätte die Hochschule dies auch intern in einem Gespräch mit dem betreuenden Professor und dem Künstler selbst regeln können. Das Verfahren wurde nun abgeschlossen. Ist die Angelegenheit für Sie damit beendet?
Wir prüfen im Moment weitere Schritte im Bereich des Dienstrechts gegen die Polizeibeamten, aber auch im Bereich des Zivilrechts gegenüber der Hochschule bzw. der Rektorin.

Martin, wusste die Hochschule von den Ermittlungen?
Martin: Definitiv. Ob das Rektorat jedoch wusste, welche Form die annehmen würden, kann ich nur spekulieren. Wie es aussieht, hat sich der Staatsschutz ja an die Hochschule gewandt, auch um mit mir in Kontakt zu treten. Ich hatte mein Bild ohne Namen ausgestellt. Nicht, um mich einer Verantwortung zu entziehen, sondern aus Gedanken zur Autorenschaft und den Personenkulten in der Kunst heraus.

Dass Angehörige der Hochschulverwaltung so freimütig Daten von Studierenden rausgeben, hat mich schockiert. Ich hätte mir doch gewünscht, als Erstes eine Mail von der Rektorin oder meines Professors zu bekommen. Stattdessen kontaktierte mich die Polizei über meine hochschulinterne Mailadresse.

Die Ermittlungen sind eingestellt, wie geht es für dich jetzt weiter?
Ich werde weiterhin politische Arbeiten machen. Aber ich werde sehr viel überlegter arbeiten, das steht fest, da ich jetzt wahrscheinlich auch bald den Schutz der Hochschule verlasse. In der Tat irritiert mich, dass man in Deutschland mit künstlerischen Arbeiten dann doch so schnell in einen bestimmten Fokus geraten kann. Ich hätte die Kunstfreiheit und ihren Stellenwert, auch im politischen Umfeld, für stärker und geachteter gesehen. Dieser Punkt wird sicherlich mit in meine weitere Arbeit einfließen.