Molekularküche sollte nicht nur gut aussehen, sondern vor allem gut schmecken
Photo courtesy of Marcel Vigneron

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Molekularküche

Molekularküche sollte nicht nur gut aussehen, sondern vor allem gut schmecken

„Ich habe irgendwann erkannt, dass es weniger darum geht, mit seinem Können anzugeben, sondern eben viel mehr um die einzelnen Zutaten und die Menschen, für die ich das Essen zubereite.“ Obwohl er eigentlich berühmt für seine modernen Techniken ist...

Technik ist alles beim Kochen.

Egal ob man etwas sautiert, mit flüssigem Stickstoff Eis macht, Zutaten in die Form von Sphären bringt oder Mayonnaise zubereitet—bei allem gibt es eine bestimmte Technik, egal ob alt oder neu.

Wenn man noch ein junger Koch ist und das Handwerk gerade erlernt, will man natürlich vor allem die coolen Dinge lernen und voll in diese total neue, abgefahrene Kochwelt eintauchen und all die modernen Techniken ausprobieren. Das ist genau die Zeit, in der man als Koch—oder als Künstler überhaupt—seine Identität sucht. Man muss es jedem beweisen. Aber mit dem Alter wird man auch reifer und fühlt sich wohler in seiner eigenen Haut. Und dabei stellt man auch fest, dass es weniger um einen selbst, sondern viel mehr um das Essen geht.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von Yasmin Alishav

Ich habe irgendwann erkannt, dass es weniger darum geht, mit seinem Können anzugeben, sondern eben viel mehr um die einzelnen Zutaten und die Menschen, für die ich das Essen zubereite—die Familie, die Gäste, wer auch immer. Interessanterweise bin ich dank Top Chef—Staffel Zwei, das war vor über zehn Jahren—und meiner Fernsehshow Marcel's Quantum Kitchen [Marcels Quantenküche] für meinen modernen Stil berühmt geworden, aber das war die ganze Zeit ein zweischneidiges Schwert. Ich habe mich immer schwer damit getan, weil ich eigentlich nur gutes Essen machen wollte. Klar, es ist natürlich cool, wenn man etwas erst trockengefriert und dann anbrät—aber auch nur, weil das im Fernsehen gut funktioniert. Die Leute vom Sender haben mich immer gefragt, ob ich was kochen könnte, das im Dunkeln leuchtet oder explodiert.

Einerseits war es wirklich gut, für seine modernen Techniken bekannt zu sein, denn das hat mich von den anderen einfach unterschieden. Ich konnte so zu einer Persönlichkeit werden, an die sich die Leute erinnern würden, nicht so wie viele andere. Da beide Shows auch international liefen, haben sich viele Leute von mir inspiriert gefühlt. Ich habe Hunderte Briefe bekommen, in denen mir Leute sagten, dass sie niemals gedacht hätten, dass man Essen so servieren könnte. Oder dass sie wegen mir eine Kochlehre angefangen haben. Das tut einfach gut. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal so viel Einfluss haben würde. Damals wusste ja auch noch niemand etwas über diese modernen Kochtechniken.

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Als Koch hat man die Möglichkeit, die Menschen über das Essen mit Energie zu versorgen. Oder man kann eben dafür sorgen, dass sie sich aufgebläht und beschissen fühlen, als läge ihnen ein Stein im Magen.

Wenn man allerdings mit industriell hergestellten chemischen Stoffen arbeitet, die ein bisschen wie genetisch veränderte Produkte sind und allein genommen ziemlich scheußlich schmecken, dann ist es wohl an der Zeit, die Dinge zu hinterfragen. Methocel, eine Methylcellulose zum Gelieren von Zutaten, schmeckt einfach widerlich. Oder Calciumchlorid, mit dem man Sphären herstellen kann, schmeckt genauso scheußlich. Da fragt man sich doch: Woher kommen diese Chemikalien? Sicher sind sie alle von den Lebensmittelbehörden zugelassen, aber das sollte ja nicht mein persönlicher Maßstab sein. Die Lebensmittelbehörde in den USA hat immerhin kürzlich das erste genetisch veränderte Tier zugelassen.

Photo courtesy of Marcel Vigneron

Foto mit freundlicher Genehmigung von Marcel Vigneron

Als ich darüber nachgedacht habe, wollte ich meinen Kochstil verändern. Ich wollte nicht nur köstliches, sondern auch etwas gesünderes Essen kochen. Gerade auch weil wir uns als Köche im Alltag nicht so super ernähren: Als Koch probiert man immer hier und da etwas, isst aber nie eine richtige Mahlzeit. Viele arbeiten auf leerem Magen und müssen dann 15 verschiedene Saucen probieren—Sahnesaucen, Vinaigrettes und so weiter. Den ganzen Tag also nur Fett und Salz. OK, manchmal stopfen wir uns noch ein paar Fleischreste rein bevor das Zeug dann in die Mülltonne kommt. Außerdem stehen wir ständig unter Koffein. Wenn wir dann abends nach Hause kommen, essen wir schnell eine Tiefkühlpizza, weil wir einfach zu erschöpft sind, um noch irgendwas zu kochen.

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Mit 35 habe ich langsam festgestellt, dass meine Energiereserven schwächeln und ich die ersten gesundheitlichen Probleme bekomme. Da hat es mir gereicht: Ich bin quasi ein paar Schritte zurückgegangen und habe angefangen, einen gesünderen Ansatz beim Kochen zu entwickeln. Als Koch hat man die Möglichkeit, die Menschen über das Essen mit Energie zu versorgen. Oder man kann eben dafür sorgen, dass sie sich aufgebläht und beschissen fühlen, als läge ihnen ein Stein im Magen.

Ich bediene mich immer noch gern moderner Techniken und auch der Wissenschaft, aber es geht nicht mehr um dieses Wow-Erlebnis. Gastronomie kennt keine Zeit: Wenn etwas Sinn ergibt und daraus etwas Leckeres und Gesundes entsteht, dann sollte man es einfach probieren. Bevor man sich aber an ein Gel wagt, sollte man wenigstens wissen, wie man eine richtige Béchamel macht.

Man darf die Grundtechniken beim Kochen niemals unterschätzen.

Aufgezeichnet von Javier Cabral

Marcel Vigneron ist stolzer Besitzer und Koch des nicht-modernen Restaurants Wolf in Los Angeles, Kalifornien. Fast hätte er Staffel Zwei von Top Chef gewonnen. Unter José Andrés hat er im modernen The Bazaar in L.A. gearbeitet. Mehr über Marcel Vigneron findet ihr hier.