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Teile der SVP fordern eine Bürgerwehr gegen Flüchtlingskinder

Die SVP Kriens begründet das mit: „Die haben eine ganz andere Erziehung erfahren, Schweizer Werte sind ihnen fremd."​
Titelfoto von Enno Lenze | Flickr | CC BY 2.0

Vor wenigen Tagen wandte sich die SVP im luzernischen Kriens mit einer Interpellation an den Gemeinderat. Ihr Fraktionspräsident Peter Portmann macht sich darin Sorgen um das 25'000-Seelen-Städtchen. Nicht weil dort das nächste Atomendlager geplant oder weil Hitler als Zombie wiederauferstanden ist—sondern weil ab Mitte November für zwei Jahre 70 minderjährige Flüchtlinge in einem leerstehenden Hotel eine Unterkunft finden werden.

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Anders als die meisten Bewohner der Schweiz, sieht Portmann in den Flüchtlingen, die ohne Eltern ihren Weg in die Schweiz gefunden haben, keine Menschen, denen man helfen muss. Er sieht sie als lebensbedrohliche Gefahr, wie er mit einer Feststellung in der Interpellation beweist:

Screenshot aus der SVP-Interpellation

Portmann und die SVP Kriens gehen also davon aus, dass Flüchtlingskinder automatisch zu Räubern, Einbrechern, Messerstechern, Dealern und Vergewaltigern werden. Flüchtlingskinder pflegen in seiner Realität als Hobbys vermutlich also nicht Fangen oder Verstecken spielen, sondern Menschen abstechen und vergewaltigen. Das steht nach der SVP Kriens noch nicht mal unter dem Vorzeichen der Wahrscheinlichkeit, sondern ist ein unumstösslicher Fakt.

In einem Interview mit zentralplus tritt Peter Portmann argumentativ zwar einen Schritt zurück und sagt, das alles sei natürlich nicht so gemeint. Beim Vergewaltiger- und Messerstecher-Satz handle es sich schlicht um eine Phrase, die immer wieder zur Anwendung komme.

Trotzdem weiss ich nicht, was ich schlimmer finde. Die Tatsache, dass solche schrecklichen Gedanken ihren Weg in diese Welt finden oder die Tatsache, dass wir mit unserer Ignoranz schon so weit gekommen sind, dass es eine solche vorverurteilende Scheisse zur Standardphrase geschafft hat.

Der Schritt zurück mag Portmann aber trotzdem nicht ganz gelingen. Im selben Interview gibt er nämlich mit einem Satz unverhohlen zu, dass sein Gedankengut—nicht wie sonst oftmals bei Rechten—durch Youtube-Dokus oder schlecht zusammengebastelte Memes gespeist wird, sondern dass er schlicht und einfach ein Fremdenfeind ist.

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„Und wie bereits gesagt, das sind nicht einfach harmlose Kinder. Die haben eine ganz andere Erziehung erfahren, Schweizer Werte sind ihnen fremd."

Oft vermuten wir, solche Meinungen existierten nur am Bodensatz der Gesellschaft. Peter Portmann belehrt uns aber eines Besseren. Dieser Mensch ist laut seiner Homepage nämlich nicht nur selbst Vater von drei Kindern, sondern war vor seiner lokalen SVP-Karriere als Kader bei der Schweizer Nationalbank tätig. Was auch nicht zu meiner Beruhigung beiträgt: Die SVP hat in Kriens bei den vergangenen Nationalratswahlen satte 27 Prozent der Stimmen bekommen.

Noch absurder und schrecklicher als diese Ansicht ohnehin schon wäre, ist aber die Lösung, die Portmann vorschlägt:

Screenshot aus der SVP-Interpellation

Es gibt durchaus Situationen, in denen eine Bürgerwehr sinnvoll ist. Situationen, in denen der ausführende Arm des Staates komplett versagt hat. In denen Menschen ohne diese zivile Gewalt um ihr Leben fürchten müssten. Solche Situationen existieren aber nicht in der Schweiz. Sie existieren in Ländern wie jenen, aus denen die Flüchtlingskinder geflüchtet sind. In Syrien, in Afghanistan, in Eritrea. Wir leben immer noch in einem der sichersten Staaten dieser Welt—wenn besorgte Bürger bewaffnet durch die Strassen ziehen und in jedem Kind, dessen Hautfarbe nicht der eidgenössischen Norm entspricht, eine Gefahr sehen, frage ich mich aber, wie lange das noch so sein wird.

Die Forderungen der SVP Kriens könnten wir nun als typischen SVPesken Provokationskurs abtun, als aufmerksamkeitsheischendes Gebrüll—was sicherlich richtig wäre. Trotzdem steckt dahinter mehr. Die SVP handelt nach dem Prinzip, innerhalb des eigenen, fremdenfeindlichen Wertesystems zu provozieren, um ihre Themen wie ein Mantra so lange in der Öffentlichkeit aufzusagen, bis sie in den Köpfen der Menschen zur Realität gehören. Dabei geraten wir in eine Spirale der Ignoranz, die immer weitere Kreise dreht und sich immer enger um den Hals der Schweizer Menschlichkeit legt.

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Beim SVP-Wahlkampfauftakt im Juli forderte ihr Präsident Toni Brunner noch, die lokalen Parteien sollen gegen geplante Asylzentren Widerstand leisten. Ein paar Monate später musste der Nationalrat darüber abstimmen, ob die Armee die Schweizer Grenze vor ankommenden Flüchtlingen „schützen" solle. Und heute fordern Menschen eine Bürgerwehr, um sich vor Flüchtlingskindern zu schützen.

In Deutschland griffen besorgte Bürger in diesem Jahr schon 600 Mal Flüchtlingsunterkünfte an. So weit sind wir in der Schweiz glücklicherweise noch nicht. Doch wenn trotz einem „Asylchaos", das lediglich herbeifantasiert ist, Forderungen nach einer Bürgerwehr gegen Flüchtlingskinder dank der stimmenstärksten Partei der Schweiz ihren Weg in den politischen Alltag finden, verorten wir zumindest geistig unsere Heimat nur einen knappen Millimeter daneben.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelfoto von Enno Lenze | Flickr | CC BY 2.0