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Neuseeland

In Neuseeland landen Steaks auf dem elektrischen Stuhl

Neueste Studien zeigen, dass Fleisch zarter wird, wenn wir es unter Starkstrom setzen. Also Stecker rein und let it burn!
Photo courtesy of Dr. Bekhit

In Neuseeland ist der Export von Fleisch ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor, und das schon seit die S.S. Dunedin im Jahr 1882—mit 600 gekühlten Lamm- und Schweinekadavern an Bord—den Anker gelichtet und Kurs auf London genommen hat. Heute spülen Fleischexporte dem Finanzminister in Neuseeland jährlich rund 8 Milliarden Euro in die Kassen, doch laut einem Bericht aus dem Jahr 2009—in Auftrag gegeben vom Landwirtschafts- und Fischereiministerium—verzeichnet die Schaf- und Rindfleischindustrie einen stetigen Gewinnrückgang aufgrund von Faktoren wie dem starken Neuseeland-Dollar und den steigenden Kosten für die Fleischproduktion.

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Nun steht die Fleischindustrie jedoch an der Schwelle zu einem neuen gewinnsteigernden Vorhaben. Wissenschaftler Dr. Alaa El-Din Bekhit von der Otago University verpasst Rindfleischstücken 25.000 Volt starke Stromstöße, um der postmortalen Oxidation Einhalt zu gebieten—und macht so jedes Stück Fleisch saftiger und lukrativer.

MUNCHIES: Sind Stromschläge für Fleisch eine neue Erfindung? Dr. Bekhit: Es ist eine übliche Praxis, den Kadaver nach dem Schlachten und Ausnehmen unter Strom zu setzen. Dabei kommt jedoch nur sehr, sehr wenig Strom für eine sehr, sehr kurze Zeit zum Einsatz. Auf diese Weise soll die Glykolyse angeregt werden, damit das Fleisch nicht so hart wird, wenn es im Anschluss in den Kühlschrank kommt. Denn genau das haben die Verbraucher in Europa früher oft bemängelt. Zu diesem Zweck wurde das frühere Verfahren hier in Neuseeland in den 60er Jahren entwickelt.

Und warum wird jetzt eine höhere Spannung angewendet? Das liegt daran, dass von der niedrigen Spannung nur eine sehr geringe Anzahl an Muskeln profitiert—schließlich ticken unterschiedliche Muskelregionen biochemisch jeweils anders und benötigen deswegen auch unterschiedliche Spannungen. Indem du also nur eine Stromstärke anwendest, werden einige Muskelpartien überhaupt nicht angesprochen. Und da wären wir wieder beim alten Problem, dass nämlich manche Fleischstücke zart werden und andere eben nicht.

Wie schmeckt denn ein Steak, das unter 25.000 Volt gestanden hat? Nun, die Forschung kostet eine Menge Geld, weswegen wir noch keine Geschmacksproben durchgeführt haben. Was wir aber jetzt schon wissen—dank einer Maschine, die die erforderliche Kraft zum Durchschneiden des Fleisches misst—ist, dass das Fleisch definitiv weicher wird, weswegen wir glauben, dass wir kurz vor dem Durchbruch stehen. Wir sind jetzt schon seit 15 Jahren an der Sache dran und sind deshalb überzeugt davon, dass zwischen der Maschine und dem menschlichen Gebiss eine große Übereinstimmung besteht.

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Was uns jedoch wirklich auf den Fingern brennt, ist die Frage, ob es geschmackliche Unterschiede gibt, denn die lassen sich mit der Maschine nicht messen. Wir müssen uns dafür auf Menschen und ihr Feedback verlassen. Da wir aber keine chemischen Stoffe oder Verbindungen zugeben, gehen wir davon aus, dass das Fleisch einfach nur zarter wird—aber man weiß natürlich nie.

Was hält dich davon ab, nicht selbst mal reinzubeißen? Das könnte ich jederzeit tun. Aber ich bin natürlich voreingenommen. Normalerweise brauchst du für sensorische Tests dieser Art Probanden, die mit dem Projekt nichts zu tun haben. Die Rede ist also von Blindverkostung. Nur so bekommen wir auch die richtigen Antworten. Wir müssen uns einfach an das anerkannte wissenschaftliche Verfahren halten.

OK, also ist Blindverkostung der nächste Schritt bei euren Versuchen? Genau. Und dieses Prozedere ist sehr kostenaufwendig, da du eine große Anzahl an Testpersonen und mit Strom behandelten Fleischstücken benötigst. Und in vielen Fällen muss auch eine Aufwandsentschädigung her. Studien dieser Art kosten deswegen gewöhnlich um die 75.000 Euro.

Was? Nur um zu sehen, ob es ganz ordentlich schmeckt? Bei jedem Experiment geben wir alleine für das Fleisch fast 4.000 Euro aus. Wie du siehst, ist diese Art der Forschung also ziemlich teuer. Und wenn du dann noch die Ausgaben für Chemikalien sowie die biochemischen Untersuchungen dazuzählst, verstehst du auch, warum wir auf große Fördersummen aus Australien, Neuseeland, Europa und Amerika angewiesen sind. Diese Technologie nimmt eine Menge Zeit und Geld in Anspruch.

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Warum haben wir damit also nicht schon früher begonnen? Bei elektrischer Stimulation wird das Fleisch—wie ich eben schon erklärt habe—unter Strom gesetzt, und das ist per se erstmal recht simpel. Doch dann treten eben die sensorischen Eigenschaften des Fleisches auf den Plan: Was haben die jeweiligen Fleischstücke für Eigenschaften, vor allem hinsichtlich der richtigen Stromstärke? Um diese Fragen zu beantworten, waren 30 Jahre Forschung nötig.

Gibt es denn keine günstigeren Möglichkeiten, Rindfleisch zarter zu machen? Doch, sogar sehr viele. Doch keine von ihnen wird in Neuseeland angewendet. In vielen Ländern der Welt kommen in diesem Zusammenhang natürliche Enzyme zum Einsatz. Manche Verbraucher probieren es auch selbst in Heimversuchen. Du kannst beispielsweise den Fruchtsaft aus Kiwis zum Fleisch geben, um es zarter zu machen. Das Problem mit natürlichen Enzymen ist jedoch, dass sie den Geschmack vom Fleisch verändern, und der Verbraucher wird rebellieren, wenn das Steak nicht mehr natürlich schmeckt. Genau das ist der Vorteil von unserer Technologie: keinerlei Zugabe von Chemikalien oder Enzymen. Das Fleisch bleibt also zu 100 Prozent, wie es war.

Hat es weitere Vorteile, wenn du Fleisch unter Strom setzt? Ja. Denn der Wert, den die Landwirte für das geschlachtete Rind erzielen können, steigt. Momentan bringen nur zehn Prozent des Muskelfleischs wirklich hohe Einnahmen. Wenn du also die restlichen 90 Prozent unter Starkstrom setzt, kannst du den Gesamtwert des Tieres deutlich erhöhen. Auch für die Fleischindustrie winken große Vorteile. Die Verbraucher kommen in den Genuss von höherwertigem Fleisch, sodass mangelnde Zartheit auch bei dunklem Fleisch kein Thema mehr sein wird. Wenn du dir ein Hähnchen kaufst, machst du dir für gewöhnlich keinen Kopf darum, ob das Fleisch auch zart sein wird. Das sieht bei dunklem Fleisch aber schon ganz anders aus. Manchmal kaufst du für viel Geld ein Filet- oder Rumpsteak und wirst bitterlich enttäuscht, weil das Fleisch etwa nicht ausreichend gereift wurde—diese Qualitätsschwankungen sind ein großes Problem für viele Verbraucher.

Kann es auch Nachteile haben, Fleisch unter Strom zu setzen? Nein. Denn indem du das Fleisch unter Strom setzt, veränderst du ja nichts an seinen Inhaltsstoffen. Schließlich wird ja nichts zugeführt oder entfernt. Im Idealfall sollte also nichts Schädliches passieren—wir gehen darum nur von positiven Ergebnissen aus.

Aber klar: In der Naturwissenschaft darfst du dir nie zu sicher sein. Was wir vor 40 Jahren noch für gut befunden haben, hat sich mittlerweile vielfach als schädlich erwiesen, und umgekehrt. Wie im Fall von Ballaststoffen, die wir früher für wertlos und überflüssig hielten und sogar aus unserer Ernährung verbannen wollten—mittlerweile wissen wir hingegen, dass sie sehr wichtig für unsere Verdauung sind und bei uns allen auf der Speisekarte stehen sollten. In der Wissenschaft werden gesammelte Daten oftmals falsch interpretiert. Deswegen wissen wir nie genau, was uns in der Zukunft erwarten wird.

Danke für das Gespräch. Ich geh jetzt erst mal meinen Steakhunger stillen.

Oberes Foto mit freundlicher Genehmigung von Dr. Bekhit