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Hört auf, mich zu fragen, was meine Tattoos bedeuten

Warum ist ein Tattoo für manche Menschen erst dann OK, wenn es eine tiefgründige Bedeutung hat?
Foto von VICE Media

Ich habe sieben Tattoos. Manche von ihnen sind groß, manche klein. Manche haben eine Bedeutung, andere habe ich mir stechen lassen, weil ich sie einfach schön finde. Seit ich mein erstes Tattoo habe—und das ist mittlerweile gute sechs Jahre her—werde ich oft darauf angesprochen. Von Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen habe genauso wie von Menschen, die ich schon lange kenne. Und so gut wie immer muss ich mir die selben abgedroschenen Phrasen anhören: Wie soll denn das aussehen, wenn du mal eine alte Oma bist? Glaubst du, das wird dir später noch gefallen? Und die fast nervtötendste Frage von allen: Was bedeuten deine Tattoos eigentlich?

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Mein auf den ersten Blick wohl auffälligstes Tattoo ist eine große, rote Rose auf dem hinteren Oberarm. Auf der selben Seite habe ich einen kleinen Anker auf dem Unterarm. Richtig, das sind beides sehr klassische Tattoomotive und ja, ziemlich viele Menschen haben wohl Rosen- und Ankertattoos. Das war mir bewusst, als ich sie mir stechen lassen habe und es hat mich offensichtlich nicht daran gehindert. In (meist unfreiwilligen) Gesprächen über meine Tattoos wird dieses Thema jedoch immer wieder mit abfälligem Unterton angesprochen.

Das sei doch alles abgedroschener Tussi-Scheiß, den man auf jedem zweiten Tumblr findet, wird mir oft gesagt. Und dann kommt die Frage: Oder hat dein Anker etwa eine Bedeutung?! Für irgendwas muss er ja stehen, oder? Allein die Fragestellung suggeriert, dass eine Bedeutung ein in den Augen mancher beschissenes, uncooles, "Igitt, Mainstream!"-Tattoo rechtfertigen würde.

Ein paar Mal habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, einen total bedeutungsschwangeren Beweggrund für die Tattoos, die ich mir einfach so stechen habe lassen, zu erfinden. Ich könnte behaupten, dass rote Rosen die Lieblingsblumen meiner verstorbenen Großmutter waren oder den Anker ein Sinnbild für meine vermeintliche Bodenständigkeit sein lassen. Oder ich könnte erzählen, dass rote Rosen, die ja bekanntlich für Liebe und Romantik stehen, für mich den Glauben an die ewige Liebe symbolisieren oder der Anker mich an meinen Ex-Freund aus Hamburg erinnert (den es nicht gibt). Alles davon wäre gelogen. Und Erklärungen zu erfinden, wäre mehr als dumm. Beide Motive haben mir gefallen, also habe ich sie mir stechen lassen—und sie gefallen mir noch immer. Und falls sie mir irgendwann nicht mehr gefallen—so what?

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Ich frage mich, warum ich mich so verhältnismäßig oft für meine Tätowierungen rechtfertigen muss. Warum muss ich jemandem, den ich gerade erst kennengelernt habe und der glaubt, mir mitteilen zu müssen, dass mein Tattoo ziemlich abgedroschen ist, erklären, warum es mir gefällt?

Denn genau so wie mein Anker davor noch keine Bedeutung hatte und nur als Accessoire gedacht war, hat er mit der Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Ich weiß noch genau, wann und wo ich ihn mir stechen lassen habe. Ich war mit meiner besten Freundin unterwegs und wir sind einfach spontan in ein Tattoostudio gegangen. Danach waren wir bei ihr, haben einen unserer Lieblingsfilme geschaut, gegessen und geschlafen. Genau an supere Tage wie diesen erinnert mich beispielsweise dieses Tattoo.

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Menschen, die mich nach der Bedeutung meiner Tattoos fragen und total entrüstet sind, wenn ich ihnen sage, dass manche davon keine haben, sind selbst meist nicht tätowiert. Vielleicht denken sie ja, es sei eine lebensverändernde Entscheidung, sich etwas unter die Haut stechen zu lassen und dann für immer damit leben zu müssen, beim Blick darauf nicht sofort an einen verstorbenen Verwandten oder ein anderes einschneidendes Erlebnis zu denken. Ich kann euch beruhigen: Es ist nicht so. Man gewöhnt sich an die Motive und vergisst irgendwann, dass sie jemals nicht da waren. Ich liebe meine Tattoos, aber mein Leben verändert haben sie eher nicht.

Manche Menschen finden es offenbar schlimm, dass man sich aus einer Laune heraus, weil man einen Trend schön findet oder ein Motiv schlicht und einfach mag, ein Tattoo stechen lässt. Aber Überraschung: Das alles macht einen noch lange nicht zu einer weniger tiefgründigen Person als die Menschen, die Tattoos nur dann gerechtfertigt finden, wenn sie ihrer Definition von Tiefsinnigkeit entsprechen.

Vielleicht sollten diese Menschen auch einfach mal verstehen, dass es niemanden etwas angeht, warum ich mich dazu entschlossen habe, mir etwas stechen zu lassen. Und dass es Tattootrends gibt und sich Menschen diesen Trends folgend oftmals Sachen stechen lassen, die sie super finden und von denen sie denken, dass sie auf ihrer Haut schön aussehen werden—ja, auch dann noch, wenn die Haut alt und verschrumpelt ist. Und vielleicht sollten sie verstehen, dass ein Tattoo auch einfach nur Ausdruck dessen sein kann, dass man mit dem eigenen Körper tun und lassen kann, was man will. Bedeutungsvoller könnte ein Tattoo wahrscheinlich ohnehin nicht sein.

Verena auf Twitter: @verenabgnr