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Julian Assange traut sich nicht vor die Tür

Wieso führen sich alle in den Fall involvierten Akteure wie Arschlöcher auf, die man gerne vor einen Bus schubsen würde?

„Ich stehe hier, weil ich euch nicht näher sein kann“, schallte es am Freitag aus zwei Metern Höhe von einem Balkon der Ecuadorianischen Botschaft in London. Wer da sprach, war jedoch nicht Jesus Christus, sondern Julian Assange, wobei die Unterschiede zum Heiland in Assanges Kopf wohl eher fließend sein dürften. „Ich bitte Präsident Obama, das Richtige zu tun. Die Vereinigten Staaten müssen ihre Hexenjagd gegen Wikileaks einstellen“, flehte Assange, bevor er Ecuador „eine mutige lateinamerikanische Nation, die für Gerechtigkeit einsteht,“ nannte und sich danach wahrscheinlich wieder in seine Abstellkammer zurückzog, um auf seiner Luftmatratze über Julian Assange und wie schlecht die Welt Julian Assange behandelt zu sinnieren. Sofern mich meine Erinnerung nicht trügt, war Julian Assange mal der Typ, der mehr Offenheit forderte, der Wände niederreißen wollte, Botschaftsdepeschen der Öffentlichkeit zugänglich machte und damit ein über Hunderte von Jahren gewachsenes System sicherer Kommunikation zwischen Staaten zerstörte. Nachdem er sich dadurch selbst zu einem internationalen Promi machte, bettelt er nun in der Ecuadorianischen Botschaft in London nach diplomatischer Immunität, um sich der Verantwortung seiner eigenen mutmaßlichen Missetaten zu entziehen. Betrachten wir also mal den Fall und die darin involvierten Akteure, um zu sehen, weshalb sich jeder einzelne von ihnen dazu entschlossen hat, sich wie ein Arschloch aufzuführen, das man gerne vor einen Bus schubsen würde. Niemand scheint sich noch aus dieser Affäre winden zu können, ohne wie ein gigantischer Wichser zu wirken. Sie verdienen sich wirklich alle gegenseitig.   Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass Assange nach Schweden ausgeliefert werden soll, nachdem er jede rechtliche Möglichkeit ausgeschöpft hat zu verhindern, sich den Anschuldigungen zweier Frauen zu stellen, die ihm Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorwerfen. Der Mann, der einst von sich gab, dass „Journalisten dort hingehen müssten, wo Informationen zurückgehalten werden, ob in Krisengebieten oder in vermeintlichen Demokratien, wo sich die Verschwörungen hinter undurchschaubaren Abläufen verbergen“, versteckt sich nun in der Botschaft eines Landes, das in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 104 von 179 steht und dem Reporter ohne Grenzen ganze fünf Seiten mit Aufzählungen an Verstößen gegen die Meinungsfreiheit widmet.   Assanges Bigotterie mag vielleicht auf den ersten Blick schockierend wirken, doch Scheinheiligkeit war schon immer sein Ding. Vor zwei Jahren schoss er gegen die New York Times, nachdem diese einen eher kritischen Artikel über seine Person brachte, und kurz darauf wollte er seine Partner vom Guardian verklagen, sollten diese „seine“ Depeschen ohne Zustimmung publizieren. Ecuador behauptet nun, dass man Assange Asyl gewährt hatte, da eine reale Gefahr bestehen würde, dass ihn Schweden an die Vereinigten Staaten ausliefern könnte, wo ihm möglicherweise die Todesstrafe droht. Warum eine Auslieferung aus Stockholm wahrscheinlicher sein sollte als aus London, können nicht einmal seine eigenen Anwälte erklären. Abgesehen davon ist es mehr als unwahrscheinlich, dass ein Auslieferungsverfahren eingeleitet werden würde, sollte die Todesstrafe nicht zweifelsfrei ausgeschlossen sein. Schweden, neben der Schweiz wohl eine der neutralsten Nationen der Welt, würde definitiv niemanden ausliefern, wenn ihm die Todesstrafe drohen würde. Da die US-Regierung keine verbindlichen Aussagen über den Ausgang eines möglichen Verfahrens (für das bislang noch nicht einmal eine Anklage existiert) geben kann, ohne die Unabhängigkeit ihrer Jurisdiktion zu verletzen, könnten sie höchstens versteckte Hinweise geben, jedoch keinesfalls die Bedingungen, unter denen das Verfahren stattfinden würde, vor seinem Beginn manifestieren. So oder so wäre das für Schweden bei Weitem nicht genügend Sicherheit, um einer Auslieferung zustimmen zu können.      Ecuador verfolgt unterdessen ganz eigene Interessen. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, dessen politische Überzeugungen als „linksnationalistisch“ umschrieben werden und der sich als Vorkämpfer für eine südamerikanische Nation sieht, nutzt den Trubel um Assange, um die ecuadorianische Bevölkerung mit nationalistischer Rhetorik an sich zu binden, während er damit der konservativen Opposition im eignen Land geschickt den Wind aus den Segeln nimmt. Jede Kritik an ihm wird sofort als unpatriotisch gewertet. Doch wie der Außenminister Großbritanniens, William Hague, vergangene Woche unmissverständlich klarmachte, wird die Regierung in London Assange kein freies Geleit für einen Flug ins Ausland gewähren, da dies mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren ist. Gleichzeitig wurde vergangene Woche publik, dass die Regierung wohl sogar in Betracht zog, die Botschaft Ecuadors zu stürmen, da Großbritannien diplomatisches Asyl nicht anerkennt. Ein wenig bizarr, wenn man sich an die Weigerung Londons erinnert, den früheren chilenischen Diktator Augusto Pinochet nach Spanien auszuliefern, wo ihn eine Anklage wegen Völkermord, Staatsterrorismus und Folter erwartete. Nach einem monatelangen Tauziehen wurde Pinochet 2000 auf Weisung des damaligen Innenministers Jack Straw freigelassen und er kehrte sofort nach Chile zurück, wo er bis zu seinem Tod unter Hausarrest stand. Einer Anklage für seine Verbrechen konnte er sich so entziehen. Ich will Assange nicht aufgrund seiner Aktivität als Whistleblower, sondern schlicht aufgrund seiner Bigotterie, seiner Paranoia, seinem aufgeblasenen Ego vor einem schwedischen Gericht sehen. Die beiden Frauen warten seit zwei Jahren auf einen Prozess und nur weil man sich zu einem medialen Helden stilisiert hat, bedeutet es nicht, dass man sich für Fehltritte nicht verantworten muss. Botschaften stürmen zu wollen, ist dafür jedoch so oder so der falsche Weg. Es wäre viel großartiger, wenn die englische Polizei Hubschrauber, Straßensperren und anderen coolen Scheiß einsetzen würde, um Assange zwischen der Ecuadorianischen Botschaft und dem Flughafen, den die Ecuadorianer bestechen wollen, zu stoppen. Im Grunde wünsche ich mir eine Verfolgungsjagd mit Assange in einer als Diplomatengepäck deklinierten Tasche im Kofferraum, die Prinzessin Dianas Ausflug durch Paris wie eine Fahrt in einer Tempo 30 Zone aussehen lässt.

Foto: Henry Langston