Meine Angst ist als Somniphobie oder Schlafangst bekannt. Es handelt sich um eine seltene Angststörung, bei der man sich vor dem Einschlafen fürchtet.
Illustration: Lorenzo Matteucci
Menschen

Ich habe lähmende Angst vor dem Einschlafen

Meine Somniphobie verursacht bei mir einen Adrenalinstoß genau in dem Moment, in dem ich das Bewusstsein verliere.

"Schlaf ist der Bruder des Todes" – dieser Spruch hat seine Wurzeln in der griechischen Mythologie und taucht in Homers Epos Ilias auf. Das erste Mal habe ich ihn in einem Schulbuch gelesen, seitdem geht er mir nicht aus dem Kopf. Ich denke oft an ihn, wenn ich im Bett liege, meine Gedanken sich im Kreis drehen und ich von der lähmenden Angst überkommen werde, das Bewusstsein zu verlieren und in das Reich der Träume abzugleiten.

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Meine Angst ist als Somniphobie oder Schlafangst bekannt. Es handelt sich um eine seltene Angststörung, bei der man sich vor dem Einschlafen fürchtet. Schlafangst kann als Nebeneffekt anderer Schlafstörungen wie Nachtschreck oder Schlaflähmung oder als Folge von unverarbeitetem Trauma und Posttraumatischer Belastungsstörung auftreten.

"Mehr als 90 Prozent der Menschen, die wegen posttraumatischer Belastungsstörungen in Behandlung sind, haben auch klinische Schlafstörungen", sagt die promovierte Psychologin Federica Pallavicini, die an der Universität Mailand-Bicocca dazu forscht, wie Gaming und VR der mentalen Gesundheit dienen können. "Die häufigsten Symptome sind traumabedingte Albträume, Schwierigkeiten beim Einschlafen und Orientierungslosigkeit beim Aufwachen."

Diese Symptome habe ich nicht, und ich leide auch nicht an Schlaflosigkeit. Mein Hauptproblem: Wenn ich versuche zu schlafen, bekomme ich genau in dem Moment, in dem ich das Bewusstsein verliere, einen Adrenalinstoß. Ich habe dann das Gefühl, dass ich in einen Abgrund gerissen werde, der alles, was ich bin und jemals war, aufzulösen droht. Ich habe den Drang, mich an den Funken Bewusstsein zu klammern, der in meinem erschöpften Körper übrig bleibt. "Oft dringt ein "Nein!" aus meiner Kehle, wie ein Würgereflex oder ein panischer Atemzug, und ich strecke meine Arme aus, um die Dunkelheit abzuwehren, die auf mich einfällt.

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Der Ursprung meiner Schlafstörung ist mit ziemlicher Sicherheit ein Trauma. Sie fing an, als ich ungefähr acht Jahre alt war und meine Mutter nach langer Krankheit nachts im Krankenhaus starb. Mein Vater sagte es mir am nächsten Morgen, und ich dachte, sie hätte sich in Luft aufgelöst, als ich schlief. Seitdem kommt meine Somniphobie in regelmäßigen Abständen zurück, in angsterfüllten oder depressiven Phasen. Manchmal dauern diese Phasen Monate oder sogar Jahre. 

Die Angst vor der Angst

"Manche Menschen gleiten sanft und schnell durch die verschiedenen Einschlafphasen und erinnern sich danach an nichts", sagt Michele Colombo, der im Fachbereich Biomedizinische Wissenschaften an der Universität Mailand die Gehirnströme in veränderten Bewusstseinszuständen untersuchte. "Andere springen zwischen den Phasen hin und her und bringen dabei unterbewusste und veränderte Wahrnehmungen mit."

Während dieser Übergangsphase zwischen Wachsein und Schlaf treten Störungen wie Schlaflähmungen oder, in meinem Fall, ein Gefühl des Fallens ein. Der Körper interpretiert physiologische Symptome des Einschlafens wie das Entspannen der Muskeln durch die Linse des Träumens falsch. "Der Verstand ist im Halbschlaf in Gedankenströmen versunken und vom Körper abgekoppelt. Er reagiert auf diese Signale des Alarms und des Haltungsverlustes und interpretiert sie als Fall ins Nichts", erklärt Colombo.

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Es ist genau dieses Gefühl des Sturzes, das mir Furcht einflößt und mich in verzweifelter Angst vor dem Sterben festnagelt. Nach Jahren der Therapie und Behandlung mit verschiedenen Medikamenten lässt mich der Gedanke nicht los, dass mich dieser Horror den Rest meines Lebens begleiten wird. Er wird mich auf meinem Sterbebett überkommen, kurz bevor ich zum letzten Mal die Augen schließe. Und die Vorstellung, dass mein letzter Gedanke wahrscheinlich von Furcht durchdrungen sein wird, macht mir noch mehr Angst als der Tod selbst.

In der westlichen Gesellschaft "gibt es seit dem 20. Jahrhundert einen echten Bruch in der Beziehung zwischen den Menschen und dem Tod", sagt die promovierte Philosophin Chiara Teneggi, die in einem Genesungszentrum für Krebserkrankte arbeitet und versucht, Yogalehren in die Therapie zu integrieren. Der westliche Umgang mit Tod und Krankheit "kann in zwei Sätzen zusammengefasst werden", erklärt sie. "Über den Tod spricht man nicht, und über Krankheit nur dann, wenn – und falls – sie kommt."

Meditation bietet dagegen einen anderen Ansatz, mit Phobien umzugehen. Dabei lernen wir, unsere Gedanken als Hintergrundrauschen wahrzunehmen und vor allem, "keine Angst vor der Angst zu haben", wie Teneggi es ausdrückt. Das habe ich auch schon öfter in der Therapie gehört. Durch sie lernt das Gehirn, sich nicht mit der antizipatorischen Angst zu beschäftigen, die Panik auslöst. Das ist das Einzige, das wirklich bei der Heilung hilft.

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Virtuelle Realität als Rettung?

In der Psychotherapie scheinen die kognitive Verhaltenstherapie und seit Kurzem die Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bei Angstzuständen und traumabedingten Phobien die besten klinischen Ergebnisse zu erzielen. Eine weitere gängige Technik ist die Expositionstherapie, bei der die Person kontrolliert mit der Quelle ihres Traumas konfrontiert wird, um Ängste langsam abzubauen. Virtual-Reality-Expositionstherapie ist eine neue Variante dieser Methode und wurde bereits bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen bei US-Veteranen eingesetzt.

"Virtuelle Realität ist ein nützliches Instrument, um einer zu behandelnden Person Entspannungstechniken wie kontrollierte Atmung und Biofeedback beizubringen", sagt Pallavicini. "Durch die Technologie kann die Person in einer sicheren und kontrollierten Umgebung nach und nach in die traumatisierende Situation versetzt werden. Dadurch kann sie ihr Trauma kognitiv verarbeiten und neue Strategien entwickeln, damit umzugehen."

Einige dieser VR-Instrumente wurden speziell für Schlafstörungen entwickelt, unter anderem InterDream, wobei man in eine multimediale Kunstinstallation eintaucht, die beim Einschlafen hilft. "Es gibt auch immer mehr Apps, die man von zu Hause aus nutzen kann, zum Beispiel mindZense Sleep oder Guided Meditation VR", sagt Pallavicini.

Ich frage mich manchmal, ob so eine Therapie mir auch helfen könnte. Aber trotz dieser großartigen technologischen Entwicklungen kann ich mir einfach keine Technik vorstellen, die mir helfen könnte, mich bewusst der Bewusstlosigkeit zu stellen. Das erscheint mir alles als Widerspruch.

Bei Bewusstsein und nicht bei Bewusstsein zu sein, ist für mich klar getrennt. Aus demselben Grund kann ich nicht meditieren, egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Ich kann mir nicht vorstellen, in meinem Körper gleichzeitig anwesend und abwesend zu sein. Aber vielleicht liegt der Schlüssel, um meine lähmende Phobie zu überwinden, genau in diesen Momenten, in denen ich nicht weiß, wer ich bin und was ich tue.

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