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Kinderarmut

Um Essen für ihren Sohn zu kaufen: Mutter überfällt Stammkiosk

Die Geschichte aus Berlin zeigt, wie verzweifelt Armut machen kann.
Foto: imago | Seeliger

Bei dieser Geschichte gibt es keine Gewinner: Eine 48-Jährige aus Berlin-Wedding hat am Montag vor Gericht zugegeben, den Kiosk in ihrem eigenen Haus überfallen zu haben – weil sie nicht genug Geld hatte, um ihrem Sohn Essen zu kochen.

Was die Morgenpost am Montag aus dem Gerichtssaal berichtet hat, ist die Art von Verbrechen, die es nie in eine TV-Serie oder einen Krimi schafft: aus der Verzweiflung geboren, im Affekt beschlossen, schlecht geplant und schlecht ausgeführt. Aber sie zeigt, wie ausweglos das Leben erscheinen kann, wenn Menschen nicht genug Geld haben, um für ihre eigenen Kinder zu sorgen.

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Cumaziye B. lebt im Wedding, ist geschieden und hat zwei Kinder: Die 29-jährige Tochter hat längst eine eigene Familie, aber ihr 9-jähriger Sohn lebt abwechselnd alle zwei Wochen beim Vater und bei ihr.

Am 29. Juni sollte der Sohn wieder zu ihr kommen, erklärte die Mutter vor Gericht. Sie habe früh morgens im Bett gelegen und "fieberhaft nachgedacht", wie sie an Geld für Essen kommen könne. Dann sei ihr die Idee gekommen, den Kiosk zu überfallen, in dem sie schon seit Jahren selbst einkauft.


Andere Berliner haben zuviel Geld. Die machen dann sowas:


Cumaziye wickelte sich ein Tuch um den Kopf, griff sich ein Küchenmesser und ging los. Im Laden stand um diese Zeit – 5:15 Uhr in der Frühe – die 20-jährige Amina K. (den Namen hat die Morgenpost geändert). Zuerst habe sie ihre Nachbarin nicht erkannt, erzählte die Verkäuferin vor Gericht: "Sie war ja vermummt. Ich wusste noch nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist", sagte sie vor Gericht. Die beiden Frauen gerieten dann aber in ein Handgemenge, bei dem Cumaziye der Verkäuferin ein Büschel Haare ausriss und sie an der Hand verletzte. Dabei verrutschte ihr auch das Tuch, sodass die Angestellte sie erkannte. Trotzdem habe sie Angst gehabt vor der Frau mit dem Messer. "Ich habe ihr gesagt, ich habe eine kleine Tochter, und dass sie sich das Geld nehmen könne", zitiert sie die Morgenpost.

Kurz darauf floh Cumaziye mit 190 Euro aus der Kasse. Amina rief ihren Bruder an, den Besitzer des Kiosks, und erzählte ihm, dass sie gerade von der Nachbarin überfallen worden sei. Kerim K. (Name ebenfalls geändert) kam sofort, sah die Nachbarin noch aus dem Fenster schauen und ging zu ihr hoch. Im Hausflur entdeckte er einen 10-Euro-Schein, den die Täterin offenbar verloren hatte. Als er sie zur Rede stellen wollte, drohte Cumaziye ihm durch die Wohnungstür, die Polizei zu rufen. Die Polizei kam auch bald – allerdings um Cumaziye in Untersuchungshaft zu nehmen.

Die 48-Jährige wurde wegen schweren Raubes und Körperverletzung angeklagt. Die Höchststrafe dafür, teilt die Pressestelle des Gerichts mit, kann bis zu fünfzehn Jahre betragen, in einem minder schweren Fall bis zu zehn Jahre. Am Montag legte sie vor Gericht ein Geständnis ab, die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt. Am folgenden Tag veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine neue Studie, laut der jedes fünfte Kind in Deutschland dauerhaft in Armut lebt. Die Studie fand außerdem heraus, dass Kinder, die mit zu wenig Geld aufwachsen, öfter sitzenbleiben, schlechtere Noten bekommen und öfter gesundheitliche Probleme haben. Was die Studie nicht untersucht hat: Wie es sich für Eltern anfühlt, wenn sie ihren Kindern kein normales Leben bieten können.

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