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Nur weil du ein Arsch bist, gehört dir meiner nicht

Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt. Im Gegenteil: Die unzureichende Gesetzeslage, die Tabuisierung und Verharmlosung lassen Betroffene oft ihr Leben lang mit den Folgen kämpfen.

Foto von Flickr; Roga muffin; CC BY-ND 2.0

Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt und schon gar nicht „geil", wie dieser Artikel suggeriert. Im Gegenteil: Die unzureichende Gesetzeslage, die Tabuisierung und Verharmlosung lassen Betroffene oft ihr Leben lang mit den Folgen kämpfen.

Ich war 12 Jahre alt, als mich das erste Mal ein Typ angegriffen hat. Meinen Hintern, meine Brüste, vor allem aber meine Psyche. Es blieb nicht das einzige Mal. Zahlreiche Übergriffe folgten—beim Sport, in der Schule, am Bahnhof, auf der Straße, im Bus. Ich habe nie darüber gesprochen, obwohl ich in einer feministischen Organisation aktiv bin und Workshops zu diesem Thema halte. Ich kann alle Zahlen, Daten und Fakten auswendig herunterbeten. Wollt ihr einige davon hören?

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Fast 75 Prozent aller Frauen in Österreich wurden bereits sexuell belästigt, 30 Prozent geben an, Überlebende von sexueller Gewalt zu sein. Man muss sich vor Augen führen, dass die Dunkelziffer wahrscheinlich noch höher liegt.

98,9 Prozent der Frauen erlebten sexuelle Gewalt ausschließlich oder fast ausschließlich von Männern. 80 Prozent der Frauen kannten die Täter. Bei sexueller Belästigung sind die Zahlen ähnlich. Nur knapp 9 Prozent aller Frauen, die vergewaltigt wurden, erstatten Anzeige, und nur knapp über zehn Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen enden mit einer Verurteilung, ebenso wie bei den Paragraphen geschlechtliche Nötigung und sexueller Missbrauch. Bei sexueller Belästigung sind es überhaupt nur etwa fünf Prozent.

Genug Zahlen für den Anfang?

Dann erzähle ich euch jetzt, wie es sich anfühlt. Wie es sich für mich angefühlt hat, denn ich kann natürlich nicht für alle Betroffenen sprechen.

Seine Hand streicht über meinen Hintern. Ich kneife ihn zusammen, spanne die Muskeln in meinem Körper an. Ich verschränke meine Beine und schaue weg. Mein Atem wird flacher, mir wird heiß, mein Herz rast, er geht weg. Er geht weg. Er geht weg. Er ist weg. Ich schweige, denn wer würde mir glauben? Wer würde mir zuhören und was würde als nächstes passieren? Mir ist das alles so peinlich. Ich bin zwölf Jahre alt und fühle mich schmutzig. Ich weiß, dass ich reden müsste, aber ich kann die bestürzten Gesichter meiner Eltern schon in meiner Vorstellung nicht ertragen.

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Ich bin 14. Im Kochunterricht geht meine Schürze auf. Ich bitte einen Klassenkollegen, sie zusammenzubinden. Er tut es und greift mir dabei auf den Po. Die anderen Typen lachen, als sie es sehen. Sie geben mir 20 Cent, jeder, „für die Unterhaltung". Ich fühle mich nicht unterhalten, ich fühle mich zwangsprostituiert. Die Lehrerin schickt uns zurück auf unsere Plätze. Ich werfe das Geld beim Nachhausegehen in den Kanal.

Ich bin 16. Ich stehe im Bus, er ist rappelvoll, und diesmal ist es ein wildfremder Typ, der seine Hand zwischen meine Beine steckt. Ich kann nicht ausweichen. Ich könnte schreien, aber ich schreie nicht, ich bin in Italien, ich kann kein Italienisch.

Ich bin 17, 18, 15, egal wie alt, und mir passieren solche Dinge immer wieder und wieder und wieder.

Ich bin 12, 13, 14, 15, 18 und liege im Bett und starre an die Decke. Diese Ereignisse rattern in meinem Kopf auf und ab, auf und ab, auf, ab, auf … Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nichts gesagt habe, weil ich mich nicht gewehrt habe, ich, ich weiß ja, wie das geht, ich kenne mich aus und kann mich verteidigen, kann ich? Kann ich nicht. Ich habe Angst. Ich weiß—weil ich Workshops halte, weil ich das alles weiß—wie unwahrscheinlich es ist, dass irgendetwas, das ich tue, rechtliche Folgen für die Täter haben könnte. Pograpschen ist in Österreich nicht einmal illegal, und bei anderen Paragraphen müsste ich beweisen oder glaubhaft machen, dass mir das widerfahren ist. Wie oft das gelingt—ihr habt die Statistiken oben gelesen. Dieser Druck lastet auf allen Frauen, die sexuell belästigt worden sind, und nur zur Erinnerung: Das sind 75 Prozent. Viele schweigen. Wie ich.

Egal ob verbal, über das Internet oder physisch: Für sexuelle Belästigung braucht es eine Nulltoleranzgrenze. Justizminister Brandstetter hat eine Novelle des Gesetzes angekündigt, was wichtig und richtig ist. Es braucht aber noch mehr: Eine gesellschaftliche Enttabuisierung, Aufklärung darüber schon in den Kindergärten und Volksschulen, Beratungsstellen, Selbstverteidigungskurse für Mädchen und Frauen und eine Justiz, die Betroffene ernst nimmt.

Die Schuld darf nicht länger mehr oder weniger bewusst den Betroffenen zugeschoben werden. Es ist egal, was ich anhabe, wie ich aussehe, wie ich mich bewege: Wer meinen Körper angreifen will, hat gefälligst um Erlaubnis zu fragen und ein Nein zu akzeptieren. Wer mir nachpfeifen oder -rufen will, hat die Fresse zu halten, denn nein, es ist kein „Kompliment", sondern führt dazu, dass ich mich fühle wie ein Objekt. Wer Sex mit mir will, hat meine Regeln zu akzeptieren. Und wer das nicht tut, hat sich strafbar zu machen und verurteilt zu werden im Österreich des 21. Jahrhunderts. Denn sexuelle Belästigung ist vieles, aber ganz bestimmt nicht „irgendwie geil".

Falls ihr auch Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht habt oder euch Fragen dazu im Kopf herumschwirren, findet ihr Hilfe bei der Frauenberatung.