Trau dich endlich, deinen Rotwein gekühlt zu trinken

Jeder Sommer ist es gleich. Wenn die Hitze immer drückender wird, greifen alle nur noch zu Rosé und Pinot grigio. Das Ganze ist ja nicht ganz unbegründet—es ist verdammt heiß und man möchte etwas trinken, das erfrischt und abkühlt. Ich verstehe das schon. Was ich aber nicht verstehe, ist, wieso die Leute Rotwein von Juni bis Oktober konsequent die kalte Schulter zeigen.

Irgendwann hast du dir selbst eingebläut, dass nur Weißwein kalt serviert wird und Rotwein bei Zimmertemperatur. Grundsätzlich ist das kleine schlechte Regel, aber das heißt nicht, dass sie nie flexibel ist. Wenn man Weißwein bei Zimmertemperatur trinkt, kann man beispielsweise gut seine Qualität überprüfen und die dezenten Aromen und Geschmäcker werden hervorgehoben. Und, entgegen der landläufigen Meinung, ist Rotwein nicht nur etwas, das man in seinem Oversize-Pullover trinkt, wenn man alleine Netflix schaut. Es ist nämlich absolut akzeptabel, eine Flasche Rotwein in einen Eimer mit Eis oder in den Kühlschrank zu geben.

Es ist nicht nur akzeptabel sondern auch lecker.

Wenn Rotwein leicht gekühlt ist, ziehen sich seine Aromastoffe und sein Geschmack zusammen. Dadurch entsteht eine aufgeladene Säure und eine frische Spritzigkeit, die man im gleichen Wein bei Zimmertemperatur nicht haben würde. Diese Spritzigkeit macht die Wirkung eines typischen „Rotweinrausches" komplett zunichte. Das ist ja für jeden ein bisschen anders, aber ich glaube, ihr wisst schon, wovon ich rede. Ein paar der tieferen Aromen werden verloren gehen, aber scheiß drauf. Genau die sind es, die man bei den heißen Temperaturen ohnehin nicht mag. Keiner versucht, eine Zigarrenschachtel voller Lakritz um drei Uhr nachmittags bei 35°C zu trinken. Lass also Merlot, Malbec, Cabernet sauvignon, Nero d'Avola, Syrah und jeden anderen Wein, der dir das Gefühl gibt, dass dein Mund lange Kaschmirunterwäsche trägt, im Schrank. Alle Weine, die leicht und fruchtig sind, hättest du hingegen schon vor einer halben Stunde auf Eis legen sollen.

Es gibt so viele erfrischende Rotweine, die sich wunderbar dazu eignen, gekühlt auf der Veranda getrunken zu werden. Beaujolais' Gamay ist wie dafür gemacht. Da er nicht im Eichenfass gereift und recht früh gefüllt wird, ist diese leichte, grüne Sorte der perfekte Kandidat, um ihn bei einem Picknick aus der Kühltasche zu zaubern. Der seidige Pinot noir ist mehr wie ein spaßiger Flirt als eine Unterhaltung über Sideways. Bei Lambrusco wirst du dich fragen, wieso du überhaupt jemals Prosecco getrunken hast. Biodynamische, biologische und natürliche Weine lassen sich auch gut gekühlt trinken, weil sie jung und rein sind.

Während ich das hier schreibe, trinke ich gekühlten Jambalaia Rouge der La Clarine Farm und Amplify Carignane und ich war in meinem ganzen Leben noch nie glücklicher, obwohl die Luftfeuchtigkeit draußen höher ist denn je. Beide genannten Weine kommen aus Kalifornien—die ganzen neuen kalifornischen Weine eignen sich generell super, um sie gekühlt zu trinken, genau wie die meisten ökologischen Weine aus Frankreich, Italien und Spanien. Sie bekommen oft ähnliche Eigenschaften wie ungefilterter Cranberry-Saft: hell, fast schon bitter, und vor allem süffig.

Rosés und Weißweine könnten Morgen von der Erdkugel fallen und ich würde zwar eine Träne vergießen, aber es wäre für mich kein Grund für Selbstmord. Die Vielseitigkeit, die Energie und die Komplexität von Rotwein hat mich immer schon erfüllt. Seine Dynamik ist wie der Ozean. Es ist wundervoll, im lauwarmen Meer schwimmen zu gehen, aber es ist auch toll, ins erfrischend kalte Wasser zu springen. Dann wiederum kannst du Rotwein auch wie eine warme Schüssel Suppe im Dezember genießen, weil dir keiner sagen wird, dass du es anders machen solltest. Rotwein ist einfach der Shit, das ganze Jahr über.