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Vom Dorf in die Großstadt – So machst du dich als Zugezogener nicht zum Affen

Wir haben ein paar Tipps gesammelt, damit euch die wütenden Eingeborenen nicht mit brennenden Mistgabeln zurück ins Hinterland jagen.

Titelfoto: justine-reyes | Flickr | CC BY 2.0

Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem du deinen Schulabschluss in der Tasche hast und deine Eltern zunehmend angespannter fragen, was du eigentlich so für deine Zukunft geplant hast. Es ist Zeit auszuziehen und wer auf dem Land lebt und nicht gerade den Bauernhof oder die Backstube seiner Lebensspender übernehmen möchte, den zieht es oft genug in die Metropolregionen Deutschlands. Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Berlin: Großstädte versprechen Aufregung, Spaß und die ganz große Karriere. Trotzdem ist der Umzug vom Land in eine Millionenmetropole eine gewaltige Umstellung und oft alles andere als einfach—auch oder gerade wenn du große Teile deiner Teenagerzeit damit verbracht hast, dich über das unterirdische Nachtleben deines öden Kaffs aufzuregen.

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Deswegen haben wir ein paar Tipps für deinen neuen Lebensabschnitt gesammelt, damit die Eingeborenen nicht bereits nach wenigen Tagen mit Bierflaschen um dich herumtanzen und „Zündet den Zugezogenen an!" brüllen. Danke uns später.

Niemand interessiert sich für dein Dorf

Es ist prinzipiell kein Problem, dass du zwischen Bäumen und Kühen aufgewachsen bist, aber jetzt ist das definitiv vorbei und niemand, absolut niemand hat Interesse an langweiligen Anekdoten aus dem Hinterland (außer sie haben irgendetwas mit geheimen Drogenlaboren oder Inzest zu tun). Das ist eine wichtige Überlebensregel, da nichts mehr nervt als nörgelnde „Bauernkinder". Keine Chance, sich neue Freunde zu machen, wenn man immer wieder betont, dass ja vorher alles überschaubar und schön ruhig war. Großstädter haben eine ziemlich eindeutige Meinung von allem, was außerhalb ihres Kosmos liegt: Es ist ihnen egal.

Lokalpatriotismus wird hier mit Capslock geschrieben und niemand wird verstehen, warum du dich nicht einfach zurück in dein Dorf verziehst, wenn es dir in der neuen Heimat nicht gefällt.

Im Allgemeinen solltest du darauf hinarbeiten, so bald wie möglich selbst als Eingeborener zu gelten. Trete also die Flucht nach vorne an, erzähle jedem, der es hören möchte, dass deine neue Heimat die beste und faszinierendste Stadt der Welt ist, und wenn du es auch noch schaffst, deinen Dialekt rückstandsfrei abzulegen, wird es sich nach zwei bis drei Jahren gar nicht mehr so sehr nach Lüge anfühlen, wenn du auf Hauspartys behauptest, in Berlin-Wedding statt der Baden-Württembergischen Provinz aufgewachsen zu sein.

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Fahr mal nicht nach Hause

Foto: ClickFlashPhotos / Nicki Varkevisser | Flickr | CC BY 2.0

Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es ist ein wirklich wichtiger Punkt. Gerade wenn du nicht richtig weit weg gezogen bist, neigt man schnell dazu, mal am Wochenende zu den Eltern zu fahren. Die Wäsche bei Mutti abgeben, mit den alten Kollegen nochmal auf ein Bier in die Stammkneipe, oder einen Filmabend mit der Ex-Freundin? Auf keinen Fall!

Erstmal ist es schön inkonsequent, wegzuziehen und dann doch ständig im eigenen Dorf rumzuhängen. Wie sollst du dich an deine neue Umgebung gewöhnen, wenn du bei den geilen Events gar nicht dabei bist? Partys, in der Innenstadt zu shoppen oder mit den neuen Kommilitonen rumzuhängen, gehört zu deiner Integration dazu. Das kann man nicht ignorieren. Jedes Mal der- oder diejenige zu sein, die sagen muss „Ne sorry, da bin ich bei meinen Eltern", führt nur dazu, dass du einfach nicht mehr gefragt wirst und für immer das langweilige Landei bleibst. Zumindest direkt nach dem Umzug solltest du die ersten Monate in der Stadt bleiben, um ein Gefühl für die Großstadt zu entwickeln. Außerdem bist du ins Epizentrum der modernen Welt gezogen: Die Leute sollten DICH besuchen kommen!

Viel wichtiger ist aber eigentlich, dass du bloß nicht zu einem nicht einordbaren Hybriden aus Bauernkind und angehendem Kosmopolit wirst. Deine früheren Kollegen werden dich und deine Veränderung niemals ernstnehmen, wenn du sie ständig besuchst. Warum bist du überhaupt weg, wenn es nirgendwo schöner ist als bei Mutti? Die Großstädter werden ebenso glauben, dass du eigentlich gar kein Bock auf ihre Lieblingsstadt hast und nach ein paar Jahren Studium sowieso wieder verschwindest. Ständiges Pendeln macht dich einfach bei beiden unbeliebt, es ist also an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

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Warum es geiler ist, auf dem Land aufzuwachsen.

Mach dir ein Bild von den Dimensionen deiner Wahlheimat

Das erscheint jetzt vielleicht ein bisschen sehr offensichtlich aber: Unterschätze nicht, wie viel größer dein neuer Lebensraum wirklich ist. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Arbeit oder in der Uni irgendjemanden kennenzulernen, dessen Wohnung du fußläufig erreichen kannst, tendiert gen Null und ein Monatsticket für die öffentlichen Verkehrsmittel ist eine der wichtigsten Investitionen, die du überhaupt tätigen kannst.

Idealerweise hast du dich schon vor deinem Umzug vergewissert, dass deine neue WG oder überraschend günstige Single-Wohnung WIRKLICH verkehrsgünstig gelegen ist—und damit meinen wir: In der unmittelbaren Umgebung befindet sich zumindest eine U- oder S-Bahn-Station. Im Gegensatz zum Dorf sind Busse nämlich keine öffentlichen Verkehrsmittel, die man nutzen sollte. Statt schnell und günstig von A nach B zu kommen, kommt man nämlich ständig zu spät, weil das Verkehrsaufkommen in Städten wie Hamburg, München oder Berlin absolut geisteskrank ist.

Natürlich lassen sich kürzere Strecken auch problemlos mit dem Fahrrad zurücklegen, je nach Stadt und Bezirk können zwischen zwei Bahnstationen aber auch gut und gerne mal mehrere Kilometer liegen und gerade dann, wenn es mal wieder nicht bei einem Feierabendbier geblieben ist, solltest du lieber ganz genau wissen, welche Art von Marathonstrecke du dir aufgehalst hast. Außerdem sparst du dir mit dem Drahtesel zwar schreiende Kinder und betrunkene Asis, die dir ein bisschen zu nahe kommen, während du einfach nur noch so schnell wie möglich ins Bett willst, dafür besteht in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht die Gefahr, von einem passiv-aggressiven Autofahrer umgenietet zu werden. Für die meisten Menschen in der Großstadt haben Radwege nämlich einen eher symbolischen Wert.

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Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum viele Großstädter ihre Bezirke eher ungern verlassen. Behalte das im Hinterkopf, wenn dir einer deiner neuen Freunde versichert, dass er eigentlich fast bei dir um die Ecke wohnt und du deshalb genau so gut zu ihm kommen könntest. Vertrauen ist gut, aber eine Nahverkehrs-App besser.

Warum die Teenagerzeit auf dem Land die Hölle ist.

Lass dich von den Einkaufsmöglichkeiten nicht verführen

Na gut. Kann schon sein, dass du Eier mit Bio-Siegel kaufen musst, um wenigstens ansatzweise die Qualität und das gute Gewissen haben zu können, das du bei deiner Tante mit den glücklichen Superhühnern hattest. Es ist auch gut möglich, dass du in der Stadt einfach nicht das gleiche Fleisch kriegst, dass du bei Werner dem netten Nachbarsbauern frisch geschenkt bekamst, weil dein Vater regelmäßig seinen Wasserschaden repariert. Was dem Großstadtessen womöglich an Qualität fehlt, macht es allerdings durch Quantität und stetige Verfügbarkeit wett—und das ist gerade für dich als frisch zugezogenes Dorfkind verdammt gefährlich.

Vorbei die Zeit, in der man ab 18 Uhr nur noch an der Tankstelle einkaufen konnte. In der Großstadt bekommst du auch um 23 Uhr noch Tiefkühlpizza, Gesichtsmortadella und ganze Paletten Milchschnitte. Du liegst schon halb im Bett, dir gelüstet es aber trotzdem irgendwie noch nach etwas Weißwein? Der Spätverkauf oder Kiosk direkt um die Ecke ist immer für dich da—und wenn du schon mal dabei bist, kannst du dir beim Imbiss daneben noch Halloumi im Brot mitnehmen. So richtig ungesund kann das ja auch gar nicht sein, ist ja Salat dabei. Diese stetige Verfügbarkeit von Lebensmitteln hat schon stärkere Menschen zu übergewichtigen Alkoholikern mit abgestumpften Geschmacksnerven gemacht.

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Sei viel und oft unterwegs

Foto: justine-reyes | Flickr | CC BY 2.0

Du kennst eine Stadt nicht, wenn du ihre Kneipen nicht kennst. Das gilt insbesondere für die Metropolen dieser Welt, da sich an diesen Plätzen das Leben nunmal abspielt. Da treffen nicht nur die unterschiedlichsten Leute aufeinander, sondern es werden Bekanntschaften geknüpft, auf erfolgreich beendete Projekte angestoßen und mit dem Chef beim Feierabendbier genetzwerkt. Gerade wenn du aus einer Region kommst, in der um 22 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden und das kulturelle Highlight des Jahres aus der Krönung der Spargelprinzessin besteht, solltest du die Chance nutzen, so viel Großstadtluft wie möglich zu schnuppern. Lass dich nicht vom Arbeits- oder Studientrott dazu verleiten, deine Freizeit vor dem Fernseher oder im Bett zu verbringen (außer die neue Staffel deiner Lieblingsserie ist gerade online gegangen. Dann ist es OK), sondern denke immer daran: Du hast die soziale Ödnis verlassen, um endlich richtig zu leben. Es gibt absolut keine Entschuldigung mehr dafür, Mitten im Leben oder Berlin Tag & Nacht zu gucken.

Außerdem lernst du nur so neue Leute kennen, was bei einem Ortswechsel einer der wichtigsten Punkte überhaupt ist. Wie willst du dich woanders wohlfühlen oder überhaupt zurechtfinden, wenn du niemanden kennst, der dir dabei hilft? Wenn du mal Stress hast oder eine Beziehung in die Brüche geht, brauchst du auch in deiner neuen Heimat jemanden, den anrufen kannst. Arbeitskollegen und andere Studenten sind nicht nur Bekannte. Sie werden zu deiner zweiten Familie, der Großstadtfamilie, mit der du wahrscheinlich die nächsten Jahre bestreiten wirst, und das ultimative Mittel gegen Heimweg und Einsamkeit.

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Noisey: Mit dem Panzer durchs Dorf—Noisey meets K.I.Z.

Niemand interessiert sich für dich – und das ist OK

Apropos Einsamkeit und Heimweh: die wohl größte Umstellung für dich als ehemaliges Landei dürfte es sein, dass sich niemand für dein Leben interessiert. Die Anonymität der Großstadt, von der immer alle sprechen, ist keine Erfindung der Filmindustrie, um ihre depressiven Mittzwanziger-Dramen besser verkaufen zu können. Du wirst deine Nachbarn vermutlich niemals mit Namen kennen und die meisten werden dich wahrscheinlich fassungslos anstarren, wenn du sie fragst, ob sie während deiner Abwesenheit die Post reinbringen und deine Blumen gießen können.

Das liegt zum Beispiel daran, dass ständig neue Leute in das Haus einziehen. Wie soll man sich in einem 20-Parteien-Haus auch jedes Gesicht zu jedem Namen merken? Eigentlich kannst du dich glücklich schätzen, wenn du nie was von ihnen hörst, denn so dünn wie die Wände teilweise sind, hast du mit entspannten oder schwerhörigen Nachbarn noch die wenigsten Probleme. Gewöhn dich daran, dass du statt Begrüßungsmuffins im Bastkorb nur ein abwesend genuscheltes „Hallo" im Flur bekommst.

Mach dir keine Sorgen, wenn du dich in der ersten Zeit vielleicht etwas einsam fühlst. Kafka hat das immer zur Kreativität angetrieben und falls es dir tatsächlich zu schwer fällt, dann lade einfach die Freunde ein, die du in der Heimat zurückgelassen hast, und hab die Zeit deines Lebens. Deswegen bist du doch schließlich weggezogen!