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Die Bundesregierung sieht keinen Rechtsextremismus bei Reconquista Germanica – wir schon

Motherboard liegen Chat-Protokolle vor, die am Rechtsextremismus der Trolle wenig Zweifel lassen. Sie beschreiben Hitler als friedliebend und reden davon, sich mit Schwertern zu verteidigen.
Bild: imago | Chromorange

Sie fantasieren davon, Geflüchtete zu töten und sich mit Armbrüsten zu bewaffnen: Eine kleine Gruppe aus rechten Trollen verbreitet unter dem Namen "Reconquista Germanica" rassistische Hetze im Netz. Politisch relevant ist die Gruppe, die zum Bundestagswahlkampf 2017 in Erscheinung getreten ist, wohl eher nicht. Trotzdem hat sie schon zahlreiche alarmistische Medienberichte ausgelöst. Entertainer Jan Böhmermann hat jüngst zu einer Gegenbewegung aufgerufen. Nun hat sich auch die Bundesregierung zu "Reconquista Germanica" geäußert.

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Wie aus der Antwort auf eine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hervorgeht, wird die Gruppe nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie werde zwar "von Personen des rechtsextremistischen Spektrums genutzt", schreibt die Bundesregierung. Aber es mangele an "tatsächlichen Erkenntnissen über rechtsextremistische Bestrebungen".

Motherboard liegen Screenshots und Chatverläufe seit September 2017 vor, die solche "rechtsextremistischen Bestrebungen" aber durchaus nahelegen. Es ist zwar schwer, alle Äußerungen der Gruppe auszuwerten, da ihr Kanal auf der Gaming-Plattform Discord mehrfach gelöscht wurde. In mehreren Hundert Seiten Chat-Protokollen finden sich aber sehr leicht zahlreiche Beispiele für Verherrlichung des Nationalsozialismus, Hass auf Geflüchtete und Einwanderinnen, Antisemitismus und Ablehnung des demokratischen Systems. Die Trolle sprechen auch davon, sich bewaffnen zu wollen.

Die Motherboard vorliegenden Protokolle stammen aus der sogenannten Haupthalle des Servers, zu der auch weniger etablierte Mitglieder Zugang hatten. Es sind keine Extrembeispiele, sondern Ausschnitte aus Gesprächen, wie sie häufig bei "Reconquista Germanica" geführt werden. Die Spitznamen der Nutzer haben wir abgekürzt, etwaige Tippfehler nicht korrigiert.

Nutzer bekunden offen Sympathie für Hitler

Aus ihrer Haltung zur NS-Zeit und zu Adolf Hitler machen einige Channel-Teilnehmer kein Geheimnis. Der Nutzer K. antwortet einer Nutzerin: "Ich mag die Zahl 8 am liebsten so sehr das ich sie gleich doppelt schreibe." Die Achtundachtzig ist ein von Neonazis gern verwendetes Kürzel für den verbotenen Hitlergruß. In einer anderen Unterhaltung tauschen Nutzer sich noch deutlicher aus:

"I.: Hitler hatte 7 Friedensangebote unterbreitet. Die Kriegstrreiber hatten abgelehnt. Hitler war alles andere als für Krieg."

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Der Chat-Teilnehmer wird daraufhin daran erinnert, dass dieses Thema heikel ist. Darauf entgegnet ein anderer:

"S.: Jo, öffentlich sollte man nicht über Hitler reden. Das macht unsere Chancen nur geringer. Wenn wir iwann an der Macht sind, können wir aufklären. Jetzt bringt das nichts und schreckt nur ab."

Auch Holocaust-Relativierungen kommen offenbar in der Gruppe vor

Derselbe Nutzer, der Hilter als friedlich beschrieben hat, äußert offenbar auch Zweifel am Holocaust:

"I.: Was die offizielle Geschichtsschreibung über die beiden Weltkriege und dem 'Holocaust' (die Schmiede der Nazikeule!) betrifft, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Na wartet, das klären wir noch, was wirklich geschah. Alles schon in Arbeit"

Andere Nutzer verweisen darauf, dass Leugnung oder Relativierung des Holocaust strafrechtliche Konsequenzen haben können. Sie äußern aber keine inhaltlichen Einwände, sondern raten lediglich dazu, das Gespräch privat fortzusetzen.

"N.: Naja 'Holocaustleugung' geht gar nicht hier, unter 4 Augen kann man natürlich sagen was man will, das ist vom Gesetz gedeckt"

Erfahrungsaustausch zur Bewaffnung

Ein weiteres Lieblingsthema unter Reconquista-Mitgliedern sind Waffen. Dahinter steht unter anderem die vor allem unter Rechtsextremen verbreitete Verschwörungstheorie, Deutschland steuere auf einen Bürgerkrieg zu und man müsse sich auf die Selbstverteidigung vorbereiten.


Ebenfalls auf Motherboard: Waffen aus dem Onlineshop

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"S.: Also hol dir einen Jagdschein der ist unkompliziert zu kriegen und dann kannste dir ne Karabiner 98k besorgen ^^ […] Oder du besorgst der ein scharfes Schwert das kriegste Legal […] nen schönen Zweihänder, glaub mir die Dinger sind effektiv gerade wenn die meisten keine Handfeuerwaffen haben.

H.: Bürgerwehren: hier gibts gute organisationsmöglichkeiten

A.: 2-händer ist auf dauer viel zu schwer. Armbrust und bogen kann man auch legal erweben"

Gewaltfantasien gegen Geflüchtete

Die Mitglieder des Discord-Servers hetzen regelmäßig gegen Geflüchtete und äußern teilweise offen Gewaltfantasien. In einem Gespräch verknüpfen Nutzer beispielsweise ihre rassistischen Gewaltfantasien mit dem Holocaust:

"L.: @everyone Eine halbe Stunde Busfahrt mit 30 Flüchtlingen die nach Kot riechen hinter mir, wo ist der Preis? […]

E.: @L. an deiner Stelle wäre ich einfach ausgestiegen[…]

J.: @L. wie hast du das überlebt? XD XD

8.: Gasmaske ^^ […]

e.: Ich hätte sie vergast"

Einen Widerspruch bekommt der Nutzer "e." für eine solche Aussage im Lauf dieses Gesprächs nicht.

Die Admins kennen offenbar das Problem mit dem Rechsextremismus

Längst sind diese und ähnliche Äußerungen unter Reconquista-Mitgliedern zum Thema geworden. Mehrmals wurde der Discord-Kanal von Reconquista gelöscht, woraufhin neue erstellt wurden. Regelmäßig posten Admins Aufrufe an die Nutzer, keine strafbaren Parolen zu verbreiten, da sie offenbar befürchten, erneut von der Plattform entfernt zu werden. In der folgenden Nachricht bezeichnet ein Reconquista-Mitglied die Nachrichten der anderen Nutzer sogar selbst als strafrechtlich relevant. Er hat den Rang eines "Paladin" – das ist der zweithöchste Platz in der Hierarchie der Troll-Gruppe:

"V.: Aufgrund der Menge strafrechtlich relevanter Aussagen haben wir den Verlauf gelöscht. Jeder, der dies in Zukunft tut, wird ins Strafbataillon versetzt."

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Offenbar nutzen Reconquista-Mitglieder auch Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und posten Beiträge, die unter den Paragraphen der Volksverhetzung fallen. Das geht zumindest aus dieser Warnung eines Nutzers an die Community hervor:

"A.: §§ 86a und 130 StGB ALLES WAS HIER DRUNTER FÄLLT BITTE AUS DEM CHAT FERHALTEN"

Diese Ermahnung ist bei einigen auf Unmut gestoßen: "N.: Wie kann es verfassungswidrige Kennzeichen geben, wenn gar keine Verfassung existiert?", schreibt etwa ein Nutzer – eine Auffassung, die etwa auch sogenannte Reichsbürger teilen.

Hinweise auf Kontakte zur Identitären Bewegung

Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage geht hervor, die Identitäre Bewegung habe Reconquista Germanica im September 2017 online beworben. Es lägen aber keine weiteren Erkenntnisse darüber vor, dass Mitglieder der Identitären Bewegung in Deutschland in der Gruppe eingebunden seien. Dabei gibt es durchaus Hinweise dafür: Der Twitter-Account @AltRightLeak, der bereits mehrere Screenshots und Voice-Chat-Mitschnitte aus dem Kanal geleakt hatte, veröffentlichte im Februar ein Organigramm der Troll-Gruppe. Darin ist die Identitäre Bewegung neben der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative als ein Arm von Reconquista verzeichnet. Ob das eine Tatsache widerspiegelt oder eher einen Wunsch vonseiten der Troll-Gruppe, ist offen.

Die Fragestellerin der Kleinen Anfrage, Ulla Jelpke, bezeichnet die Einschätzung der Bundesregierung zu Reconquista und der Identitären Bewegung gegenüber Motherboard als "sehr mau angesichts der Tatsache, dass der Verfassungsschutz inzwischen die Identitäre Bewegung beobachtet".

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Hier wird bei "Reconquista Germanica" für das neurechte "Arcadi Magazin" geworben | Bild: Screenshot | Discord

Motherboard liegen noch mehr Hinweise auf Verbindungen der Community zu der Identitären Bewegung vor. Das ranghohe Reconquista-Mitglied Lui Tagel verbreitete in der Gruppe ein Video, in dem für das neurechte Jugendmagazin "Arcadi" geworben wurde. Tagel sprach darin von einer "Kooperation". Später trat jemand mit demselben Spitznamen, Tagel, selbst als Autor in dem Magazin in Erscheinung. Das Magazin berichtet häufig über die Identitäre Bewegung. Dessen Chefredakteur Yannick Noé, Sprecher der Leverkusener AfD, besitzt zudem Kontakte zu den Identitären – er gab beispielsweise dem österreichischen Identitären Martin Sellner ein halbstündiges Interview. Auch ein Nutzer namens "Yannik (Arcadi Magazin)" war selbst im Reconquista-Kanal unterwegs, wie uns vorliegende Screenshots belegen.

Das Profil des Nutzers

Ein Nutzer namens "Yannick (Arcadi Magazin)" war auf dem Reconquista-Kanal angemeldet | Bild: Screenshot | Discord

Jelpke bewertet die Haltung der Bundesregierung als gefährlich. "Erst hat die Bundesregierung jahrelang rechtsextremistische Aktivitäten in der Realwelt verharmlost, nun ignoriert sie die Gefahren durch Cybernazis", sagt sie. Sie fürchtet: "Der rassistische Dreck, den solche Netzwerke streuen, kann zu ganz reellen Angriffen auf Migranten und Anschlägen auf Flüchtlingsheime führen."

Erfolgreich ist die Troll-Gruppe nicht

So wichtig, wie sich Reconquista Germanica gerne darstellt, ist die Troll-Gruppe allerdings nicht. Nach zahlreichen Medienberichten sind die typischen Aktionen der Gruppe bekannt. Die Trolle twittern etwa mit Fake-Identitäten, verteilen YouTube-Kommentare oder melden Nutzer. Von einer Rückeroberung (spanisch: Reconquista) kann demnach keine Rede sein – weder im Netz noch im Reallife. Was offenbar wie ein Entrüstungssturm aus der Mitte der Bevölkerung aussehen soll, wird inzwischen häufig als die schnöde Klickarbeit einer kleinen Troll-Gruppe entlarvt.

Mehrere Journalisten verfolgen die Aktionen der Trolle auf dem Discord-Server inzwischen in Echtzeit. Bei dem ARD-Film "Aufbruch ins Ungewisse" war zum Beispiel vor Ausstrahlung bekannt geworden, dass die Discord-Trolle planen, den zugehörigen Hashtag zu übernehmen. Das Erste wies darauf in einem Tweet hin.

Viele Bemühungen der Gruppe stoßen auf verblüffend wenig Resonanz. Zur Liste bisheriger Aktionen zählen etwa eine Twitter-Hashtag-Kampagne während des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz sowie Versuche, Journalisten einzuschüchtern. Die Reichweite der Aktionen ist oft gering, auch nachhaltig sind sie nicht – wenn auch deutlich rechtsextrem. Ähnlich wie die Identitäre Bewegung ist die Gruppe Reconquista Germanica vor allem gut darin, sich größer darzustellen, als sie ist.

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