Sex

Für diese kommunistischen Sexarbeiterinnen ist finanzielle Domination politische Praxis

"Ich glaube, dass sich Marx und Engels amüsieren würden, wenn sie sehen, dass ein paar Proletarierinnen bourgeoisen Losern Geld abknöpfen." – Mistress XXX
Eine Frau mit blondierten langen Haaren posiert in einem roten kurzen Kleid vor einem Busch, Mistress Gravity ist Gelddomina und Kommunistin.
Mistress Gravity | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von den Interviewten bereitgestellt

Kann man andere finanziell dominieren und sich gleichzeitig als Kommunistin bezeichnen? Einige Sexarbeiterinnen sehen darin keinen Widerspruch. Im Zentrum des Findom-Fetischs steht eine asymmetrische Geldbeziehung – im Grunde nichts anderes als das, was wir im Kapitalismus an jedem Arbeitsplatz haben. 

Der große Unterschied ist, dass die BDSM-Variante auf ausdrücklichem Einvernehmen basiert: 

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Zahlschweine oder Geldsklaven finden es geil, degradiert zu werden, indem man ihnen Geld abnimmt. Die Sexarbeitenden profitieren. Stellen kommunistische Findommes also das System auf den Kopf? Sind sie moderne Robin Hoods? Oder geht es auch ihnen einfach nur darum, in dieser Gesellschaft zu überleben? Wir haben mit fünf radikalen Findommes gesprochen.


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Mistress Gravity

VICE: Behandelst du als Kommunistin deine Zahlschweine anders?
Mistress Gravity:
Ich achte schon auf den gesellschaftlichen Status und das Klassenprivileg der Subs, die mich kontaktieren. Ich ruiniere lieber reiche als arme Leute. Wenn mir ein Sub gehört, will ich, dass er ein besserer Mensch wird und sein Leben nach ethischen Grundsätzen ausrichtet, wie zum Beispiel Anti-Speziesist wird und Zwecke unterstützt, an die ich glaube. Ich erwarte von meinen Subs, dass sie gegen alle Genozide sind, feministische Theorie und andere Bücher lesen, die ich mag. Und vor allem will ich, dass sich besser aussuchen, wofür sie sich einsetzen. 

Wie passen Kommunismus und deine Rolle als Findomme für dich zusammen?
Beim Sozialismus geht es darum, Wohlstand im Interesse aller zu produzieren und ihn so zu verteilen, dass alle Zugang zu Ressourcen, Krankenversorgung und einem Dach überm Kopf haben. Kurz gesagt: Es geht darum, allen ein anständiges Leben zu ermöglichen. In einem kapitalistischen System, in dem Männer in Machtpositionen alles kontrollieren und das Monopol auf die ganzen Ressourcen haben, ist das unmöglich. Ich denke, Findom kann eine Form des politischen Widerstands gegen diese Ausbeutung sein. Eine Gelegenheit, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern neu zu denken und dabei soziale Gerechtigkeit im Blick zu haben. 

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Mit welchen falschen Vorstellungen über BDSM und Kommunismus möchtest du gerne aufräumen?
Dass BDSM nicht politisch sein sollte. Unsere feministische Geschichte hat eine universelle Wahrheit erkannt: Das Private ist politisch. Wenn wir den täglichen Missbrauch und die Ausbeutung kontextualisieren, die wir durch den Staat und seine Vertreter erfahren, dann ist, Männer finanziell ausbluten lassen, kein größerer Betrug, als wie sie selbst zu ihrem Reichtum gekommen sind. Wir nutzen bewusst ihre Schwachstellen aus, denn selbst sie wissen, dass sie uns eine Entschädigung schuldig sind, vor allem den Schwarzen Dommes. – @gravvitygoddess

Eine Frau posiert mit ausgestreckter Zunge und Mittelfinger in die Kamera und trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "pay me to spit on you"

Queen Rini 

VICE: Beeinflusst deine kommunistische Einstellung, wie du Zahlschweine erniedrigst?
Queen Rini:
Ja, sehr. Alle meine Subs lernen viel über Marxismus und im weiteren Sinne auch marxistischen Feminismus. Ich gebe ihnen Zugang zu meinen Bildungsressourcen, damit sie Theorie lesen und studieren können. Sie können auch mit dem Poe Bot rumspielen, den ich programmiert habe, um Fragen zum Kommunismus zu beantworten. Meine absoluten Lieblingssklaven sind die rechten Trottel, die behaupten, sie wollen politisch dominiert werden, und am Ende ideologisch ganz unironisch zerfetzt werden.

Beeinflusst deine kommunistische Einstellung auch, wie du das Geld ausgibst, das du als Findomme verdienst?
Ich gebe mein Geld wie die meisten anderen Leute aus: für Rechnungen, Essen und Hobbys. Darüber hinaus zweige ich einen guten Teil ab, um Gleichgesinnten zu helfen, und spende an verschiedene Organisationen. Ich tue mein Bestes, kein Geld an Unternehmen zu geben, die im kapitalistischen Kontext übermäßig zerstörerisch sind. Letztendlich haben wir aber alle keine Wahl, als beim Kapitalismus mitzumachen. Weil es das System ist, in dem wir hier leben. Das geht auch an die "Warum besitzt du ein iPhone, wenn du den Kapitalismus so hasst?"-Nerds. 

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Ist Financial Domination in deinen Augen eine Form des antikapitalistischen Aktivismus?
Ich glaube, die bessere Frage wäre: "Kann es eine Form von Aktivismus sein?" Und ich denke, ja, es hat auf jeden Fall das Potenzial dazu. Wenn du eine Plattform als Herrin hast, um die Radikalisierung deiner Subs zu fördern, dann förderst du die antikapitalistische Bildung und letztendlich die Zustimmung für das Narrativ der Befreiung. – @queen_rini61412

Eine rothaarige Frau mit rotem Lippenstift und Nasenring blickt in die Kamera, sie trägt ein weit ausgeschnittenes Oberteil

Lily Rosa

VICE: Warum hast du dich dazu entschieden, Findomme zu werden?
Lily Rosa:
Für mich ist es das ultimative Fuck You an die kapitalistischen Strukturen, in denen wir leben. Gleichzeitig ist es tief im Feminismus verwurzelt. Wie viele andere Frauen habe ich ungewollte Aufmerksamkeit von Männern in einem widerlichen Ausmaß erlebt. Ich war im Hotel- und Gastgewerbe tätig und habe am eigenen Leib erfahren, wie viel schwerer eine berufliche Karriere für mich als Frau ist. Letztes Jahr hatte ich dann schließlich die Nase voll. Ich arbeitete für ein großes britisches Unternehmen und erkannte, dass es einfach nur überall furchtbar ist. Für diese Leute bist du nur eine Zahl. Du bist für sie nicht mehr als eine Möglichkeit, sich die Taschen vollzustopfen. Warum sollte ich also nicht selbst das System ausnutzen, wie diese Millionenkonzerne es tun? Nur eben mit dem, was Gott mir geschenkt hat. 

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Wie beeinflussen deine Ansichten zur Wohlstandsverteilung deine Rolle als Gelddomina?
Mein Ziel ist es, ein einfaches Leben außerhalb des Systems zu führen (soweit das mit einer Social-Media-Präsenz möglich ist). Das ganze übrige Geld will ich zur Unterstützung anderer junger und marginalisierter Personen ausgeben, die dasselbe tun.

Welcher Kommunist oder welche Kommunistin wäre wahrscheinlich ein Zahlschwein gewesen?
Marx ist auf jeden Fall ein devotes Zahlschwein. Aber ich glaube, das steckt in jedem Cis-Mann, der sich selbst als Feminist oder Kommunist bezeichnet. – @GoddessLilyRosa

Schwarz weiß Foto von einem Bein mit schweren Plateaustiefeln mit Lederschnallen

Mistress XXX

VICE: Lieben deine Zahlschweine es, sich einer Kommunistin zu unterwerfen?
Mistress XXX:
Rechte, republikanische und konservative Zahldeppen (ich bin Veganerin und möchte Schweine nicht abwerten, indem ich sie mit diesen Typen vergleiche) gehen voll drauf ab, von einer Linken degradiert zu werden. Sie schämen sich bereits für ihre beschissenen politischen Absichten und diese Scham, kombiniert mit der Scham, sich einer kommunistischen Millennial zu unterwerfen und ihr Geld zu schicken, trifft ihren Kink einfach perfekt. Sie schicken Geld an dieselbe Person, die sie sonst als Snowflake beschimpfen. 

Welche historische kommunistische Persönlichkeit hätte einen oder eine gute Findomme abgegeben?
Ich würde sagen, Engels. Marx wäre eine leichte Wahl, weil er stark von Engels finanziell unterstützt wurde. Aber Engels hat die Beschützerrolle angenommen, die bei Doms sehr weit verbreitet ist. 

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Was sagst du zu Menschen, die denken, dass Financial Domination einfach kapitalistische Werte reproduziert?
Jede Branche in den Vereinigten Staaten reproduziert kapitalistische Werte. Man kann es vielleicht nicht mehr hören, aber es gibt keinen ethischen Konsum im Kapitalismus. Sexarbeit war schon immer ein Weg für die Unterdrückten, an Geld zu kommen, was ihnen in der Mainstreamgesellschaft ansonsten schwerfällt. Auch wir brauchen etwas zu essen auf dem Tisch. Ich glaube allerdings, dass sich Marx und Engels amüsieren würden, wenn sie sehen, dass ein paar Proletarierinnen bourgeoisen Losern Geld abknöpfen. Angenommen natürlich, dass sie kein Problem damit hätten, dass viele von uns schwul, trans oder Schwarz sind oder zu einer anderen marginalisierten Gruppe gehören. @MistressXuk

Nahaufnahme einer Augenpartie mit langen Wimpern und einer pinken Ponyfrisur

Goddess V

VICE: Wie beeinflusst deine kommunistische Einstellung deine Arbeit?
Goddess V:
Ich glaube ehrlich gesagt, dass ich als Kommunistin die Zahlschweine oder Subs generell menschlicher betrachte. Ich weiß, dass sie auch zur Arbeiterklasse gehören und dass das hier nur ein Rollenspiel ist. 

Wäre es im Kommunismus anders, Findomme zu sein?
Durch den Kapitalismus befinde ich mich in einer Situation, in der ich auf Sexarbeit angewiesen bin, um über die Runden zu kommen. Im Kommunismus wäre Financial Domination wirklich einfach nur ein Rollenspiel, das man zum Spaß macht – so wie es eigentlich gedacht ist. Sex und Geld wären getrennt.

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