Mit Flüchtlingen kochen—zu Hause schmeckt es anders

FYI.

This story is over 5 years old.

Berlin

Mit Flüchtlingen kochen—zu Hause schmeckt es anders

Ich besuchte das Marie-Schlei-Haus, ein Flüchtlingsheim in Berlin, um mit den dort lebenden Familien zu kochen. Die Gerichte erinnerten zwar an ihr Zuhause, ganz gleich schmeckten sie aber nicht.

Ich hatte mir das irgendwie rosiger vorgestellt. Menschen, die vor Kurzem aus ihrem Heimatland fliehen mussten, kochen Gerichte mit mir, die nach dem Ort schmecken, den sie am meisten vermissen - Zuhause. Ich würde sie dabei portraitieren und ihre Geschichten hören, während sie etwas absolut authentisches zubereiten, von dem ich noch nie etwas gehört, geschweige denn probiert hätte.

SONY DSC

Die Realität sah etwas anders aus. Nachdem ich Wochen damit zubrachte eine Unterkunft für Flüchtlinge zu finden, die auch bereit dazu ist, mit mir zu arbeiten - viele Heime versuchen den Kontakt mit der Öffentlichkeit zu meiden, um ihre Bewohner vor Angriffen und unnötigem politischem Druck zu schützen - konnte ich dann doch einen Partner finden: das Marie-Schlei-Haus, eine 200 Betten Unterkunft im Norden Berlins.

Anzeige
SONY DSC

Mit der Heimleitung an meiner Seite lief ich Flure und Stockwerke rauf und runter, um Frauen wie Männer danach zu fragen, ob sie Lust hätten, mit mir ein Gericht aus ihrem Heimatland zu kochen. Ungläubiges Lächeln allerseits, aber dennoch: zwei Stunden später hielt ich einen Zettel mit Terminen von Asien bis Osteuropa in meiner Hand. Fantastisch, dachte ich mir, ich komm dann gleich mal wieder, mit Kamera und Tupperware.

SONY DSC

Es ging los mit Alieva, einer tschetschenischen Mutter, die anbot Teig-Rosen mit mir zu backen.

„Hast du die vorher schon mal gemacht?" fragte ich, „Zuhause?"

„Nein, das ist das erste Mal."

Nachdem sie das Rezept schnell noch einmal auf ihrem Smartphone googelt, sortiert und vermengt sie die Zutaten zügig auf einem kleinen Tisch. Es war der einzige Tisch im Zimmer ihrer Familie.

SONY DSC

"Warum hast du dir das Rosengebäck für heute ausgesucht?", fragte ich.

„Ich hab es im Internet gefunden", antwortete sie, während sie den Teig zum Kühlen im Gefrierfach verstaut. „Es ist russisch und ziemlich einfach zu machen."

Ich zog mir die Schuhe wieder an, um mich mit ihr auf den Weg in die Großküche im Erdgeschoss zu machen. Wir wollten die Backbleche füllen und in einen der vielen Ofen schieben. Als ich mich umdrehte, hatte Alieva hinter meinem Rücken schon alles wieder auf- und weggeräumt. Ihre Kinder saßen am Tisch und malten als wäre nichts gewesen.

SONY DSC

Das nächste Gericht auf meinem Zettel war Tabuleh. Latifa, die in Syrien als Übersetzerin gearbeitet hat und jetzt vor allem Flüchtling und Mutter von drei Kindern ist, öffnete mir die Tür. Da auch sie keinen wirklichen Platz für eine Küche hatte, bereitete sie das Gericht auf dem Fußboden auf der Rückseite einer Twister-Matte zu.

Anzeige
SONY DSC

Sie war bereits damit beschäftigt einen Berg von mindestens 12 Bund Petersilie kleinzuschneiden, als ich ihr Zimmer betrat. Den Salat macht sie nicht nur für sich selbst, erklärte sie mir, sondern sie teilt Essen und Ausgaben für gewöhnlich mit ihren Nachbarn. Am Tag zuvor sind sie zusammen zum nächstgelegenen Discounter gelaufen, um dort so gut es mit einem limitierten Budget eben geht, einzukaufen.

Tut mir leid, aber die Minze fehlt", entschuldigte sie sich.

Kein Problem", antwortete ich, in der Hoffnung, dass sie nicht denkt, ich wäre hier um über ihre Kochkünste zu urteilen.

SONY DSC

Mit jeder Menge Geduld schnitt sie nicht nur die Petersilie sondern alle anderen Zutaten in kleine Stücke, um sie dann mit Olivenöl und Zitrone zu würzen und abzuschmecken.

SONY DSC

Tabuleh ist ein sehr typisches Gericht in meiner Region", erzählte sie mir.

Es hat unendlich viele Variationen und nicht nur jedes Land sondern auch jede Familie hat ihre eigene Art, es zuzubereiten. Was du hinzugibst ist deine persönliche Note." Anstatt etwas hinzuzugeben, mussten wir heute etwas essenzielles weglassen. Das sagt ja auch irgendwie etwas, dachte ich mir.

SONY DSC

Während meiner Woche im Flüchtlingsheim habe ich noch viele weitere Familien und Gerichte kennengelernt. Neben afghanischem Brot, aserbaidschanischen Veggie-Hackbällchen und sämtlichen Pita-Variationen nach dem Hausrezept einer Roma-Familie, hatte ich sogar die Gelegenheit mit den Männern des Heims einen Nachmittag lang draußen zu grillen.

SONY DSC

Vom Grillmeister bis zum Tellerwäscher hat sich jeder die größte Mühe gegeben, das Fleisch für alle, die hungrig und mutig genug waren, zuzubereiten. Ich hatte den Eindruck, sie haben die scharfen Spieße sogar an Leute verteilt, die sich einfach von der Straße mit dazugestellt haben.

SONY DSC

Die Gerichte waren wegen ihrer Zutaten und deren Qualität zwar nicht so authentisch, wie ich mir das vielleicht erhofft oder die Familien sich das gewünscht hätten - tatsächlich hat vieles sogar ziemlich ähnlich geschmeckt, war leicht überkocht oder angebrannt - aber darum ging es ja niemandem. Als Flüchtling hat man schon genug Dinge, über die man sich Gedanken machen muss. Ein kleines Stück von Zuhause mit anderen zu teilen, war eigentlich schon alles worum es ging.