Dieser Wodka schmeckt nach polnischem Kartoffelacker

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Alkohol

Dieser Wodka schmeckt nach polnischem Kartoffelacker

Die Kunden haben an Wodka immer höhere Ansprüche. Ein polnischer Wodka-Hersteller trifft mit seinem hochwertigen, ungefilterten Wodka aus „jungfräulichen“ Kartoffeln den Nagel auf den Kopf. Klingt etwas abwegig, schmeckt aber fantastisch.

Wodka—dieser Schnaps ohne Farbe, Geruch oder Geschmack hat schon so manchen regelrecht verführt, weil man ihn einfach mit allem mischen kann. Wodka gehört zur DNA der Schnapsindustrie, doch die Zeiten ändern sich.

Laut IWSR, einer Organisation, die regelmäßig den Spirituosenmarkt analysiert, ist der weltweite Wodkakonsum in den letzten Jahren gesunken. Zwischen 2010 und 2014 gingen die Zahlen um fast 2 Prozent zurück, während der Whiskykonsum gleichzeitig um 17 Prozent anstieg.

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Die Millenials in den USA interessieren sich wieder für amerikanischen Bourbon, der europäische Markt ist mit einer zu großen Auswahl an Marken überfüllt. Gleichzeitig werden industriell hergestellte Wodkas ohne Seele immer unbeliebter, die Kunden interessieren sich mehr und mehr für aromatisierten oder Premium-Wodka—da schießen die Verkaufszahlen in die Höhe.

Die Argumente, die früher Kunden anziehen sollten, schrecken sie heute ab. „Ich glaube, die Verbraucher erkennen jetzt, dass sie in vielen Punkten die ganze Zeit mit teilweise unverschämten Marketingversprechen hinters Licht geführt wurden: Wodka durch Diamanten gefiltert, Wodka destilliert mit Himalaya-Wasser und so weiter… Alles leere Aussagen!", so William Borrell, Mitgründer und Eigentümer von Vestal, einem Craft-Wodka-Produzenten aus Polen. Zusammen mit seinem Vater destilliert er in der Kaschubei, der geschichtsträchtigen, polnischen Region Pommern, authentischen Wodka.

„Unser Name Vestal [Vesta war in der römischen Mythologie die keusche Hüterin des heiligen Feuers] deutet es bereits an: Wir wollen das Ursprüngliche des Wodkas wiederentdecken, aufrichtig und ehrlich, so wie er früher einmal war", erklärt William.

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Fotos mit freundlicher Genehmigung von Vestal.

Diese Entdeckungsreise begann vor circa 25 Jahren, als der Kommunismus in Osteuropa bröckelte, als ein „neues Polen" geboren wurde. Damals entschied sich Williams Vater, John Borrell, der zuvor als Kriegskorrespondent gearbeitet hatte, sein Rentnerdasein in der abgelegenen ländlichen Region der Kaschubei zu genießen. „Ich hatte es satt, ständig aus dem Koffer zu leben—zwischen Asien, Afrika, dem Nahen Osten oder Lateinamerika", erinnert er sich. Er hatte es auch satt, über Gewalt und Tod zu berichten und suchte Ablenkung in der Eröffnung eines kleinen Luxushotels an den Ufern des malerischen Weißen Sees.

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In ihrem neuen Landleben begannen John und William schnell, zusammen mit den Nachbarn und Bauern Schwarzgebrannten zu trinken. „Dieser Wodka", erinnert sich William, „hatte eine eigene Seele, wie ein Brandy, ein Cognac oder ein Whisky. Wir wollten herausfinden, warum er so fantastisch schmeckt."

Mitte der 90er widmete sich John Borrell dem Weinimport. Er führte Weine aus Neuseeland, wo er aufgewachsen war, auf dem polnischen Markt ein. In Polen konnte man sich damals nicht viel mehr als die Wein-Überbleibsel aus Zeiten des Kommunismus leisten: billiges, ungenießbares Zeug aus Bulgarien oder Ungarn.

Später dann baute er neben seinem Hotel Wein an und wurde selbst zum Winzer. Seine Liebe zum fermentierten Traubensaft führte ihn schließlich zu seinem neuesten alkoholischen Abenteuer.

„Am Anfang war das alles nur ein großes Experiment. Wir wussten nicht, was passiert, wenn man diese und jene Kartoffel auf diesem und jenen Feld anbaut. Nur durch Ausprobieren sind wir langsam dahintergekommen", erinnert sich William. In den letzten fünf Jahren haben sie in verschiedenen Teilen Polens die unterschiedlichsten Kartoffelsorten angebaut und die Ergebnisse ließen tief blicken: Wetter, Klima und der Boden spielten beim Geschmack des Wodkas eine entscheidende Rolle.

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Noch vor ein paar hundert Jahren hatte jeder Landsitz in Polen seine eigene Destillerie. Boden und Klima waren überall in Polen unterschiedlich, dadurch hatte jeder Wodka seinen ganz eigenen Geschmack und eine Persönlichkeit. Im 19. Jahrhundert veränderte sich das: Das Russische Kaiserreich nahm große Teile des polnischen Territoriums ein. „Wodka war ein lukratives Geschäft in Russland. Um die Einnahmen noch weiter zu steigern, erhöhte man einfach die Steuern auf Wodka oder förderte irgendwie den Konsum—oder beides", erklärt Mark Schrad in seinem Buch Vodka Politics: Alcohol, Autocracy, and the Secret History of the Russian State. Er ist der Meinung, dass das Russische Kaiserreich, später die Sowjetunion und auch heute die Russische Föderation die Alkohollust des eigenen Volkes ausnutzten, um Kriege und Staatsausgaben mitzufinanzieren. Durch dieses finanzielle und politische Kalkül füllen wir unsere Gläser heute mit Schnaps aus industrieller Großproduktion—ohne Geschmack und mehrfach destilliert.

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Die Destillation entzieht dem Wodka seinen Geschmack und seine Farbe. Dabei werden Wasser und Alkohol voneinander getrennt und die organischen Verbindungen, die alkoholischen Getränken ihren Geschmack und ihre Aromen geben, werden entfernt. Ein Schnaps kann mehrfach destilliert werden und jedes Mal wird er reiner. Nach dem Destillieren kann der Alkohol noch durch Aktivkohle gefiltert werden, um auch noch die restlichen Verunreinigungen loszuwerden. Diese Flüssigkeit—klar wie Wasser, ohne Geschmack und mit 95 bis 96 Volumenprozent—wird dann auf circa 40 Volumenprozent reduziert. Danach können weitere Aromen hinzugefügt werden, durch Mazeration oder indem Fruchtbrände oder Essenzen hinzugefügt werden. Dann geht's zur Abfüllung.

Bei Vestal ist das anders. Die Kartoffeln werden—anders als bei den Großen in der Wodka-Branche—schon sehr früh geerntet, in der Kaschubei sagt man auch „jungfräuliche Kartoffeln". Jungkartoffeln also, die „wenig Stärke, aber viel Geschmack" enthalten. Sobald geerntet, werden die Knollen gewaschen, gekocht und zusammen mit Enzymen als Maische angesetzt, sodass die Stärkemoleküle aufgebrochen werden und der Zucker zu gärenbeginnen kann. Nach 48 Stunden haben sich Stärke bzw. Zucker komplett in Alkohol umgewandelt und diese Brühe wird dann einmal in einer Destillationskolonne mit 42 Böden zu einem 94-prozentigen Gemisch destilliert. Nachdem alles anschließend auf eine für die Abfüllung geeignete Stärke reduziert wurde, ruht der Schnaps zwischen 9 und 12 Monaten in riesigen Edelstahltanks.

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„Das erscheint zunächst abwegig", sagt William. Das Vater-Sohn-Gespann hat nämlich noch eine weitere Entdeckung gemacht: Zeit ist gut für den Wodka. Im Tank können aggressive Bestandteile [wie Ethanol oder der beißende Geruch nach Nagellackentferner] einfach verdampfen. Wenn der Wodka in der Flasche reift, wird er noch milder, mit sanfteren und süßeren Aromen. „Wie auch bei Rum, Brandy oder Whisky macht die Zeit hier den Unterschied."

Noch vor fünf Jahren war Vestal eine unbekannte Wodka-Sorte mit mickrigen Produktionszahlen, an die sich nur Mutige auf Londoner Straßenmärkten herantrauten. Heute wird Vestal in vier verschiedenen Ländern verkauft. William erzählt sogar, dass es einen Schwarzmarkt für die vergriffenen 2008er und 2009er Destillate gibt, um die sich Sammler aus Singapur, China und den USA reißen. Eine Flasche wechselt für bis zu über 4000 Euro den Besitzer. Auch die großen Schnapsproduzenten haben diese Botschaft verstanden.

Wie erklärt sich William also die Popularität von Vestal? „Ich glaube, die Leute sind fasziniert von der Geschichte, die wir mit Vestal erzählen: Vestal entführt zurück zu den Ursprüngen des Wodkas."

Starke Worte aus der Kaschubei… Darauf einen Schluck.