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Sport

Ein Spielerberater erklärt, wie du in der Schweiz zum Fussballprofi wirst

"Jeder, der noch meint, es gehe primär um körperliche Grösse oder Stärke, der hat es nicht kapiert."
Die Schweizer U-21-Mannschaft bei der EM 2011 | Foto von henrikalexandersen | Wikimedia | CC BY 2.0 

Christian Zenger ist CEO der "Adamant Sports Management" aus Pfäffikon SZ. Bei dieser kümmert er sich mit je einem Angestellten in Zürich und Amsterdam um die Beratung von Fussballspielern. Christian gehört somit zu den Leuten, die Fussballspielern Preisschilder umhängen und versuchen, die bestmöglichen Verträge bei den bestmöglichen Vereinen auszuhandeln.

Auf der Beliebtheitsskala reihen sich Spielerberater wohl in etwa in den Bereich von Versicherungsvertretern und Journalisten ein, obwohl sie nur selten öffentlich in Erscheinung treten und einen entscheidenden Anteil an vielen grossen Fussballerkarrieren haben. Ich habe mich mit Christian getroffen, um über die Herausforderungen eines Spielermanagers und den Weg von Schweizer Jungtalenten in den Profifussball zu sprechen.

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VICE: Hey Christian. Ein Spielerberater wird öffentlich oft erst wahrgenommen, wenn es bei Transfers um Vertragsverhandlungen geht. Ist das dein Job?
Christian Zenger: Unsere Aufgabe ist, Fussballtalente zu finden, zu fördern und zu betreuen, oft eine ganze Karriere lang. So eine dauert, wenn man nicht gerade Buffon heisst, um die 15 Jahre. Los geht es ungefähr mit 18 Jahren, wenn man den ersten Profivertrag kriegt. Bei manchen auch erst mit 21, danach hat man aber den Einstieg in aller Regel verpasst.

Spielerberater bleiben einem Spieler also eine ganze Karriere lang erhalten?
Das kann man so nicht sagen, dieses Geschäft ist ein grosser Flohzirkus. Es ist nicht einfach, die Beziehung mit einem Spieler über einen ganzen Lebensabschnitt aufrecht zu erhalten. Du musst dir vorstellen, man lernt die Jungs mit 15 Jahren kennen, wenn sie noch Schulbuben sind und einfach drauf los kicken. Dann werden aus ihnen innert weniger Jahre junge Profis und vielleicht sogar junge Millionäre. Nach der Karriere werden die Profis dann alte Millionäre.

Und wie unterscheidest du den Pausenplatz-Kicker, der sein Dorfteam im Alleingang zum Sieg schiesst, von einem echten Supertalent?
Das ist keine exakte Wissenschaft, verschiedenste Leute stellen Beurteilungen auf, die dann entweder zutreffen oder eben nicht. Ein gutes Beispiel ist die Schweizer U­17­-Mannschaft, die 2009 Weltmeister wurde. Vielleicht fünf davon sind heute richtig gute Profis. Wenn man gutes Scouting betreiben will, wird das ganze richtig zeitintensiv, da muss man die Spieler über einen Zeitraum mehrmals beobachten.

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Könnt ihr zu dritt die ganze Schweiz abgrasen?
Wir schätzen, dass die Schweiz pro Jahrgang zehn potentielle Profis hervorbringt, fünf davon sind absolute Toptalente. Davon können vielleicht drei zu Nationalspielern werden. Du kannst dich also relativ schnell auf die Überflieger konzentrieren. Die nationalen Jugendmannschaften und die Superleague­-Vereine machen hier schon einen sehr guten Job. Das System ist gut entwickelt, fast schon zu gut. Ich hätte es lieber, wenn manche Spieler sich auch über andere Wege entwickeln würden als nur über die Akademien.

Scoutest du also auch noch klassisch auf dem Spielfeld?
Ja, klar. Du gehst ans Spiel und schaust erstmal, ob ein Spieler heraussticht. Neben der Leistung, die ein Spieler auf den Platz bringt, müssen wir auch das Potential für die Zukunft beurteilen. Wo steht der Spieler in fünf Jahren? Wo in zehn? Warum ist er jetzt so gut? Liegt das nur an seiner schnelleren körperlichen Entwicklung, die später verpuffen wird?

Stimmt also die Annahme, dass die erste Jahreshälfte eines Jahrgangs überproportional häufiger Profis werden, weil sie in ihrem Jahrgang einige Monate körperliche Entwicklung Vorsprung haben?
Absolut. Unterdessen wissen das aber alle. Gerade der Schweizer Verband arbeitet da gut mit dem sogenannten biologischen Alter, bei dem Spieler zwischen den Jahrgängen entsprechend ihrer körperlichen Entwicklung auch hin­ und herpendeln können. Trotzdem waren bei einem U­-18­-Spiel der deutschen Mannschaft letzthin nur zwei Spieler aus der zweiten Jahreshälfte dabei. Das ist aber nur das eine. Es gibt auch Spieler, die zwar Tricks machen, aber man merkt schnell, dass sie zu eindimensional sind und sich vermutlich nicht weiterentwickeln werden. Andere gute Spieler verhalten sich so arrogant, dass es trotz Talent wahrscheinlich nichts wird.

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Physis und Technik kann man beobachten, mit gewissem Aufwand auch die Spielintelligenz. Was zeichnet aber einen mental starken Spieler aus? Mit 16 Jahren befindet sich ein Jugendspieler ja noch mitten in der Pubertät.
Geht es nach mir, gibt es in der Schweiz momentan zu wenig schräge Spieler, denen werden alle Ecken und Kanten abgeschliffen. Im Schweizer Fussball reiten wir noch die Welle der Immigration der 90er­-Jahre aus, von Spielern, die noch nicht "verschweizert" wurden und gern mal frecher auftreten. Die kommenden Secondo-Generationen aus dem Balkan sind schon echte Schweizer im fussballerischen Sinne.

Sind Migranten also einfach die besseren Fussballer?
Der Vorgang ist eigentlich ganz einfach. Sie wandern unter schwierigen Umständen in die Schweiz als Flüchtlinge ein und leben unter prekären Verhältnissen in kleinen Wohnungen. Der kleine Bub geht also, wann immer er kann, raus und trifft seine Kollegen. Meist sind sie dann zu zehnt oder mehr und spielen Fussball, bis die Sonne untergeht.
Diese Jungs spornen sich gegenseitig immer weiter an, das ist genau der Hintergrund eines Shaqiri und eines Drogba. Heute haben wir diese Ströme an fussballbegeisterten Migranten, die in ganzen Gruppen herkommen, nicht mehr. Vor allem aber fehlen die Plätze, an denen die Jungs kicken können, ohne gleich gestört zu werden. Zudem werden sie früh, vielleicht zu früh, in die Akademien gesteckt.

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Was ihnen auch die Unbeschwertheit raubt.
Genau. Dazu gibt es ein Buch von Matthew Syed, einem englischen Tischtennis-Weltmeister. Darin erzählt er von einem Lehrer, der ein paar alte Tischtennis­-Tische samt Ausrüstung in die Schule gestellt hat und die Schlüssel zu dem Raum unter den Schüler verteilte. Zehn Jahre später hatte England zwei Weltmeister, Europameister und Olympiasieger. Alle stammten aus derselben Strasse. Das ist eigentlich das ganze Geheimnis: Gebt den Kindern die Gelegenheiten und der Rest kommt schon irgendwann. Die Gelegenheiten, sich frei zu entfalten werden in der Schweiz aber immer weniger.

Tendieren Schweizer Eltern eher dazu, ihren Kindern einen konventionellen Beruf nahezulegen, anstatt alles auf die Karte Profifussball zu setzen?
Jeder, der keine Fussballkarriere auf sicher hat, und das hat praktisch niemand, muss nebenher eine Ausbildung machen. Das ist der Regelfall heute. Diese Doppelbelastung ist unglaublich gross, besonders wenn man eine Lehre macht. Du musst dir vorstellen, bis zum Alter von 17 ist alles toll, man ist der Beste in der Mannschaft und geniesst unter Kollegen ein hohes Ansehen.
Dann wird man 19, man ist immer noch dabei, trainiert wie ein Wilder und Ausgang mit Freunden liegt kaum mehr drin. Die Freunde haben ihre ersten Autos, haben Freiraum und plötzlich wird man der Langeweiler, der immer noch Fussball spielt. Das ist der Zeitpunkt, an dem ein junger Fussballer sich nochmal reinbeissen und auch mental beweisen muss. Bei Juniorennationalspielern gehen zusätzlich noch fast alle Ferien für die Trainingscamps drauf.

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Inwiefern bist du als Spielerberater in diesen Weg miteingebunden?
Einerseits mit Feedback, dass wir einfach für die Spieler da sind. Irgendwo gibt es immer etwas, das nicht rund läuft, sei es die sportliche Entwicklung, Probleme in der Ausbildung und der Schule oder wenn mal zu Hause etwas nicht klappt.

Ihr seid also quasi eine dritte Anlaufstelle neben dem Trainer und der Familie?
Genau, ein grosser Teil der Arbeit ist einfach auch Reden und Zeit investieren. Andererseits haben wir Spieler auch schon zu Ärzten gebracht, Spezialtrainings und Mentalcoachings organisiert oder auch schon mal einen Anwalt vermittelt. So versuchen wir, gemeinsam die Karriere auch ein Stück weit zu planen.

Mit dem 16-jährigen Nishan Burkart betreust du eines der grössten Schweizer Talente seiner Generation. Nishan wird diesen Sommer vom FC Zürich zur U-18-Mannschaft von Manchester United wechseln. Ist das eine Karriere, wie sie für ein grosses Talent typisch ist?
Eine gute Frage, schlussendlich ist jeder Weg individuell. Nishan ist definitiv ein Überflieger, obwohl auch er Spiele hatte, bei denen nicht alles gut lief. Jedoch hatte er noch fast nie ein Spiel, in dem er schlecht war, das ist schon sehr untypisch. Bei ihm war mit 13 schon klar, dass er etwas drauf hat. Das Spezielle an Nishan ist, dass er so viel Geschwindigkeit mitbringt, dass er technisch hervorragend sein muss, um diesen Speed überhaupt an den Ball zu bringen. Immer, wenn wir dachten, jetzt steht er mit der Entwicklung etwas an, legte er nochmal einen drauf.

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Wird er der nächste Embolo?
Dafür sind sie zu unterschiedliche Spielertypen. Der Punkt ist, der Hype fängt erst mit einem Einsatz bei der ersten Mannschaft an. Das ist bei Nishan noch weit weg. Wir gehen davon aus, dass Nishan bei ManU ein Jahr brauchen wird, um sich körperlich und taktisch zu integrieren. In der Saison 2017/18 rechnen wir mit einem möglichen Debüt in der ersten Mannschaft und wenn das passiert, geht es ab, dann entsteht wirklich ein Hype. Diese Entwicklung kann aber natürlich auch durch Verletzungen gebremst werden.

Eine Karriere wie vom Reissbrett also.
Das sind einfach Milestones, die wir setzen. Das grosse Ziel eines jeden Fussballers ist, so schnell wie möglich für die erste Mannschaft aufzulaufen. Das Eintrittsalter in den Spitzenfussball ist heutzutage durch die gestiegenen Anforderungen aber eher wieder gestiegen. Spieler wie Rashford, für mich einer der beeindruckendsten Jugendspieler der letzten Monate, sind die Ausnahme.

Macht man sich das Leben nicht schwerer, wenn man schon so früh zu einem Topclub wechselt und sich viel mehr Konkurrenz aussetzt?
Es ist kein einfacher Weg. Ihm kommt aber sicher zugute, dass er halber Engländer ist und von seiner Mutter begleitet wird, anstatt wie üblich bei einer Gastfamilie unterzukommen. Darauf haben wir bestanden. Die Ansprüche sind bei ManU natürlich höher, du machst einen Anlauf an die Weltspitze.
Die Unterstützung und das Umfeld sind jedoch viel besser. Die Trainingsplätze haben alle die neuste 4G­-Rasentechnologie und entsprechen denen im Stadion, das ist ein unglaubliches Privileg. ManU hat eine eigene sportmedizinische Abteilung mit eigenen MRI­-Geräten, die mit jener von guten Spitälern mithalten kann.
Du musst dir das einfach ganz genau überlegen. Die Arbeit fängt mit dem Transfer erst an. Manche denken sich: "Toll, jetzt bin ich bei einem Top­-Club, jetzt läuft das schon." So einfach ist das nicht. Daran sind schon viele gescheitert.

Ein solch talentierter Nachwuchs macht viel Hoffnung für die kommende Generation der Nationalmannschaft. Was wird sich ändern?
Die Schweiz profitiert von einem sehr stabilen und gut organisierten Verband. In Zukunft wird der Geschwindigkeitsaspekt noch mehr an Bedeutung gewinnen. Viel wichtiger als das Lauftempo wird aber die schnelle Entscheidungsfindung am Ball sein. Schaust du dir das letzte Spiel von Liverpool gegen Dortmund an, kann dort jeder Spieler jederzeit eine Aktion abbrechen und eine neue einleiten. Einen Tag später beim Stadt­-Derby klappte das nicht, die Aktionen der Spieler waren viel zu berechenbar. Ein Horror um zuzuschauen. Barcelonas Tiki­-Taka hat den Fussball nachhaltig verändert. Jeder, der noch meint, es gehe primär um körperliche Grösse oder Stärke, der hat es nicht kapiert.

Und welcher Trainer bringt den modernen Fussball zurzeit am besten auf den Platz?
Eine gute Frage. Bei Guardiola werden wir es nächstes Jahr erfahren. Im Moment müsste man sagen, das ist Klopp, so wie er seinen Vibe in die Mannschaft gebracht hat. Da er aber über die emotionale Schiene arbeitet, reizt sich das irgendwann auch mal aus wie es in Dortmund der Fall war. Fussball ist ein Business, eine Show­Industrie.
Viele Leute in diesem Geschäft wurden zwei oder drei Mal über den Tisch gezogen und sind dadurch zynisch geworden. Gerade auch bei uns Beratern, die nicht so angesehen sind, kannst du sehr schnell zynisch werden. Um in diesem Beruf zu bestehen, musst du den Fussball wirklich gern haben und auch deine Naivität bewahren. Du musst einfach daran glauben können, dass sowas wie Team­Spirit auch wirklich existiert.

Kamil auf Twitter: @kamilbiedermann VICE Schweiz auf Facebook und Twitter