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Was mit Kinderpornos passiert, nachdem sie beschlagnahmt wurden

Der Leiter der Gruppe zur Bekämpfung von Kinderpornografie der Wiener Kriminalpolizei erzählt, wie sie Straftäter aufgreifen und wer sich dann hunderte Stunden beschlagnahmte Kinderpornografie ansehen muss.

Grafik von VICE Media

Schätzungen zufolge ist circa ein Prozent der männlichen Bevölkerung pädophil. Trotzdem ist und bleibt Pädophilie ein Tabu, über das in der Öffentlichkeit nur die sprechen, die nicht selbst betroffen sind: Ärzte, Therapeuten, Journalisten. Vor einigen Monaten habe ich mich mit einem pädophilen Mann getroffen, der mir von seinem Leben erzählt hat, von seiner Angst, es könnte jemand von seinen Neigungen erfahren und wie er sich von der Tatsache ablenkt, dass er sich von Kindern angezogen fühlt. Er selbst hat nie ein Kind missbraucht und hier ist der wichtige Unterschied: Nur ein Mensch einem Kind schadet, darf verurteilt werden—alleine für die Tatsache, pädophil zu sein, darf er es nicht. Weder von der Gesellschaft, noch von einem Gericht.

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Aber was passiert, wenn jemand ein Kind missbraucht? Wie greift die Polizei diese Menschen auf, woher kommen die Anzeigen und wer entwertet hunderte Stunden beschlagnahmte Kinderpornografie? Diese Fragen hat mir der Gruppenführer der Kinderpornojäger der Wiener Kriminalpolizei beantwortet—ein gelassener und untersetzter Mann, dessen Klingelton ohrenbetäubende Polizeisirenen sind, der sich in seiner Rolle als Chefinspektor sichtlich wohlfühlt und auch einem Roman von Wolf Haas entsprungen sein könnte.

VICE: Wie ermittelt das LKA in Fällen von Sex mit Minderjährigen? Gibt es dafür eine Einheit oder mehrere?
Bozek: Es gibt im Ermittlungsdienst zwei Gruppen, die hier im Haus arbeiten. Die eine Gruppe bearbeitet hauptsächlich Kinderpornografie und damit zusammenhängende Sexualdelikte. Außerdem sind sie für alle Fälle zuständig, die unter den neuen Grooming-Paragraphen fallen. Dieser Paragraph verbietet das gezielte Ansprechen von Kindern im Internet, um sie zu einem Treffen zu bewegen und/oder um sie sexuell zu missbrauchen.

Die zweite Gruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit Serientätern und mit Tätern, die Autoritätsverhältnisse ausnutzen—sei es innerhalb von Kirche, Schulen oder Kindergärten. Sie untersuchen besonders „spektakuläre Fälle“, also Fälle von besonderer Gewaltanwendung oder starker Misshandlung des Opfers mit massiven Verletzungen. In der ersten Gruppe wird Kinderpornografie untersucht, also alle Materialien, die fotografiert oder gefilmt wurden. Hat ein „normaler“ Missbrauch eines Kindes stattgefunden, fällt dieser in den Verantwortungsbereich der zweiten Gruppe.

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Was ist „normaler” Missbrauch eines Kindes?
Ein Sexualdelikt, der nicht gefilmt oder fotografiert wird. Also wenn zum Beispiel der Onkel oder der Stiefvater das Kind missbraucht.

Wie funktioniert Ihre Arbeit? Wie kommt man darauf, dass jemand Kinderpornografie besitzt?
Es gibt verschiedene Ansatzpunkte und Möglichkeiten. Wenn ein Pädophiler, ein Sammler, oder jemand, der Material getauscht hat, aufgegriffen wird, gibt es immer Kontakte, die technisch nachweisbar sind. Von da aus kommt man auch auf andere Täter, die etwas geschickt haben oder von denen der Verdächtige pornografisches Material bekommen hat. Es gibt auch Anzeigen, meist aus dem Umfeld des Täters oder aus dem Bereich der Firmen, die den Rechner repariert oder gewartet haben und auf indiziertes Material gestoßen sind. Und natürlich kommen Anzeigen aus dem Familienkreis.

Wie häufig wird ein Täter aufgegriffen?
In Wien gibt es zwischen 80 und 160 positive Hausdurchsuchungen wegen Kinderpornographie im Jahr, je nach der Zahl der Anzeigen.

Nimmt man die Arbeit mit nach Hause?
Das sicher nicht. Auch ein Arzt kann sich nicht immer Gedanken über seine Patienten und ihr Leid machen. Gerade, wenn man mit Opfern zu tun hat, muss man lernen, abzuschalten. Eine gewisse Distanz ist für diesen Beruf essenziell. Genauso wichtig ist das soziale Umfeld der Beamten. Wenn es dem Beamten privat gut geht, dann fällt ihm auch das dienstliche  Zusammentreffen mit Leid und Missbrauch leichter. Die Konfrontation mit sexuellem Missbrauch ist für die Beamten sehr schwierig. Sie brauchen viel Zeit, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten, vor allem, wenn sie Kinder haben.

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Haben Sie selbst Kinder?
Ich habe zwei.

Was halten Sie von der Organisation Terre des Hommes in den Niederlanden, die mit einem computergenerierten Kind Pädophile angelockt hat? Sollte sich eine Organisation über die Exekutive stellen dürfen? Es ist ihren Mitgliedern schließlich gelungen, viele Menschen anzuzeigen …
Es wird sich noch zeigen, ob Terre des Hommes wirklich etwas bewirkt hat. Sicherlich war es eine interessante soziale Studie, allerdings sollten Erhebungen zur Kinderpronographie und ihren Konsumenten staatlichen Behörden überlassen werden. Außerdem können die Daten, die die Organisation gesammelt hat, für die Ermittlung von Straftaten mit größter Wahrscheinlichkeit nicht verwendet werden, weil es sich ja um ein computergeneriertes Kind handelt. Bei einem echten Kind wäre die Anbahnung eines sexuellen Kontaktes sehr wohl strafbar.

Positiv an der Erhebung ist die große mediale Aufmerksamkeit für die kriminelle Realität und Gefahr im Netz. Besonders erschreckend war, dass so viele User so schnell auf das virtuelle Kind reagiert haben. Für viele Eltern war das vielleicht ein Warnsignal, denn gerade Kinder und Jugendliche sind sehr naiv im Internet unterwegs. Sie halten häufig alles, was geschrieben ist, für die Wahrheit.

Finden Sie, dass es in Österreich genug Anlaufstellen für Pädophile gibt?
Es gibt in Wien einige Anlaufstellen. Ein Beispiel ist unter anderen die Männerberatung im zehnten Bezirk. Für Pädophile ist es schwierig, sich Hilfe zu suchen und überhaupt über ihre sexuelle Neigung zu sprechen. Meist begeben sie sich erst in Therapie, nachdem sie straffällig geworden sind. Vorbeugende Maßnahmen ergreifen nur wenige, also viele Fälle sind uns nicht bekannt, weil die Therapeuten der Verschwiegenheit verpflichtet sind. Erst wenn ihr Klient straffällig wird, kann das Gericht eine Therapie verpflichtend anordnen. Der Bedarf wäre da.

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Wird jemand, der wegen sexueller Übergriffe auf Kinder verurteilt wurde, zwangsweise therapiert?
Muss nicht sein.

Wie kommt man zu so einem Beruf?
Ich wollte immer schon Kriminalbeamter werden. Jetzt mache ich das fast zwei Jahrzehnte lang. Es ist zweifellos nicht der schönste Job, aber irgendjemand muss ihn machen. Das Hauptargument sind sicherlich die Kinder. Wenn wir sie nicht schützen, dann brauchen wir keine Polizei mehr. Es ist sicher nicht immer einfach. Schwierig sind vor allem präventive Ermittlungen im Bereich der Kinderpornografie gegen die Konsumenten, die kein Kind missbraucht haben. Diese Leute bremst man rechtzeitig durch Zugriff und Verurteilung.

Wenn ich jemandem mit diesen Amtshandlungen und der Strafe so viel Angst machen kann, dass er kein Kind missbraucht, dann ist das ein kleiner Sieg. Daher ist es gut, dass Kinderpornografie unter Strafe steht. Ein Konsument fördert den Kindermissbrauch mit seinem Wunsch nach solchen Bildern. Außerdem ist für einige das Videomaterial möglicherweise die „Einstiegsdroge”.

Was passiert, wenn man Fotos und Videos findet? Das muss ja jemand durchschauen.
Das sieht sich der jeweilige Sachbearbeiter an. Das muss er. Es geht darum, wie viel Material der Verdächtige hat. Nach der Menge und Art des kinderpornografischen Materials entscheiden der Staatsanwalt und der Richter, wie hoch die Strafe ist. Wichtig ist auch, wie oft und wie lange der Verdächtige Kinderpornografie geschaut hat, von wem er die Videos, Fotos bekommen und ob er sie jemandem weitergegeben hat. Das sind alles straferhöhende Tatbestände.

Zentral ist, ob der Angeklagte selbst ein Kind missbraucht hat und ob es dafür Indizien gibt. Wenn man zum Beispiel nach hundert Bildern die Durchsicht beendet, läuft man Gefahr, einen Missbrauch zu übersehen. Dadurch ergeben sich mehrere Probleme: Erstens hat der Besitzer des Materials eine strafbare Tat begangen, von der wir nichts wissen und er wird dafür nicht bestraft. Zweitens wissen wir nichts von dem Opfer. Dementsprechend gelten für das Opfer weder die Opferrechte, noch kann es betreut oder vor weiterem Missbrauch geschützt werden.

Daher muss man sich konfisziertes kinderpornografisches Material sehr genau ansehen, auch wenn es elendslang dauert und aufwendig ist. Den Menschen, der das Material durchsieht, kann keine Maschine ersetzen. Nur der Sachbearbeiter kann feststellen, ob der Täter im Video der ist, bei dem das Material gefunden wurde, das missbrauchte Kind aus der Umgebung des Kinderpornografie-Besitzers stammt, ob es bei ihm in der Wohnung war und so weiter.

Wie kann man missbrauchte Kinder, die nicht aus dem Umfeld des Täters kommen, identifizieren?
Wichtig ist die Einschätzung der Sachbearbeiter, die gewisse Kenntnisse darüber haben, was aus dem Netz stammt und was der Besitzer von indiziertem Material möglicherweise selbst hergestellt hat. Wenn man den Eindruck hat, dass Szenen im eigenen Land aufgenommen wurden, wird in unserem Fall in Österreich ermittelt. Hierfür wird auf Datenbanken mit geklärten Fällen und Serien zurückgegriffen. Die Untersuchung läuft dann über Interpol. Wenn es auf den Bildern konkrete Hinweise zu der Identität des Täters oder des Opfers gibt, wird dem natürlich nachgegangen.

Hanna auf Twitter: @hhumorlos