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Studie

Man muss also noch immer ein Mann sein, um in der Kurve zu bestehen

Eine Studie befragte Ultras sowie Fanprojekte und fand heraus, dass in fast jeder deutschen Fanszene archaische Männlichkeitsideale strukturell verankert sind. Es gibt nur wenige Ausnahmen.
Foto: Imago/Uwe Kraft

Ultras peitschen mit ihren Gesängen Team und Kurve an, sorgen für eindrucksvolle Choreographien und sind ein wichtiges Gegengewicht zur stetigen Kommerzialisierung des Profifußballs. Sie setzen sich für politische Themen wie Antidiskriminierung ein, sammeln Spenden für Obdachlose—und feiern sich auch dafür. Sie sind essentiell für das Überleben einer Fußballkultur, die nicht aus apathischen SKY-Konferenznachmittagen besteht. Aber innerhalb dieser 24/7-Subkultur geht es auch um Hierarchien, Aufnahmerituale und immer wieder um interne Machtkämpfe. All das sind Symptome einer ausgeprägten Männerkultur.

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Ins Stadion gehen immer mehr Frauen, doch in den sportlichen Abteilungen der Vereine oder im harten Kern der Kurve sucht man sie teils vergeblich. Die Gründe und Folgen wollte die Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (KoFaS) herausfinden und erstellte im Rahmen des Projekts „Kicks für Alle!" die Studie „Geschlechterverhältnisse in Fanszenen". Für diese befragten sie neben Ultras auch Fanprojekte und nahmen außerdem Fanmedien und Ultra-Facebookgruppen unter die Lupe.

„Der eine Vorsänger hält Homosexualität für eine Krankheit", erklärt einer. Ein anderer erzählt über Rekrutierungswerbung in der Fanszene: „Bei uns kannst du dich auch asozial benehmen, bei uns kannst du Gewalt ausleben, Pyro zünden." Beide Aussagen stammen von befragten Fans aus der am heutigen Donnerstag veröffentlichten Studie. „Es ging uns nicht nur um plakative Dinge wie Gesänge oder Banner", erklärt Fanforscher Robert Claus, der zwei Jahre mit seinem Team an der Studie arbeitete, im Gespräch mit VICE Sports. „Sondern besonders um strukturelle Probleme in der Fanszene, wie die Rekrutierung neuer Mitglieder und die Hierarchien innerhalb der Gruppen".

„Früher war alles einfacher, die Klientel hat sich hauptsächlich am Wochenende getroffen und sich samstags aufs Maul gehauen", erklärt einer der Interviewten in der Studie. „Damals haben die das halt am Wochenende ausgelebt, nicht wie die Ultras heute 24 Stunden." Um in einer Fangruppe Karriere zu machen, reicht es eben nicht aus, nur mal am Wochenende dabei zu sein. Auch das Malen der Choreos oder soziale Aktivitäten sind gefordert. Neben der starken Präsenzkultur müssen sich die jüngeren Fans innerhalb einer Gruppe beweisen, um dazuzugehören. „Sie müssen nachweisen, dass sie Männlichkeitsidealen der Fanszene entsprechen", erklärt Robert Claus. „Das passiert über Gewalt, das Härteideal—was etwa auch im Drogen- oder Alkoholkonsum zum Vorschein kommt—und indem man immer wieder seine Heterosexualität unter Beweis stellt, etwa durch Abwertung von Homosexuellen und Frauen."

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Ein Cottbus-Fans hat sich bei einem liebevoll gemalten Doppelhalter ganz viel Mühe gemacht (Foto: Imago/DeFodi)

Die Fankurven haben laut Fanforscher Claus oft ein Strukturproblem mit hegemonialer Männlichkeit, also einer männlichen Vorherrschaft. Innerhalb der Gruppe muss man sich als Mann beweisen. Manche Dinge kommen auch im normalen Alltag vor, manche nur speziell in der Ultrakultur. Über Schalraub oder Pyro-Schmuggel versuchen sich besonders die jungen Mitglieder zu profilieren. Manche Gruppen nehmen explizit keine Frauen auf, andere schicken die eigenen Mitglieder zum Kampfsporttraining. „Man trifft sich aus Versehen im Zug beim Umsteigen und versucht dort, seine Kräfte zu messen", erklärt einer der Interviewten in der Studie. Ein anderer erklärt, wie gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Gruppen zu einer Aufrüst-Dynamik führen: „Es gab da ganz klare Aussagen: ‚Ich muss mich aufrüsten, mich aufpumpen, ich muss ein Gegenstück zu anderen Ultragruppen bilden.'" Dies findet besonders in Zeiten statt, wo auch Hools in die Stadien drängen und gewaltsuchende Gruppen wie etwa „Riot 0231" in Dortmund den alteingesessenen Ultragruppierungen Druck machen und andere Fans einschüchtern.

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„Wir können in der Studie nachweisen, dass es einen sehr engen Zusammenhang von traditionellen Männlichkeitsvorstellungen mit Gewalt und Diskriminierung gibt", so Claus. Denn oftmals kann sich aus dem traditionellen Männlichkeitsbild in der Kurve mehr als nur männliches Gehabe entwickeln, wie ein Interviewter in der Studie erklärt: „Denen war es dann auch egal, wenn zu dieser Szene rechtsradikale Hooligans gehören, weil die boxen sich ja für den Verein und für die Stadt, also sind das natürlich auch wichtige Leute für die." Wer die Macht in der Kurve hat, wird oft durch Gewalt und physische Überlegenheit entschieden. Ein Fan fasst diese Hierarchiekämpfe zusammen: „Ausgefochten werden die in erster Linie mit Gewalt. Die zentrale Gruppe ist auch die stärkste Gruppe, was sich sowohl in der Mitgliederanzahl als auch im Knowhow ausdrückt, was Pumpengehen und Kampfsport angeht."

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Doch es gibt natürlich auch Gruppen und Szenen, die sich weitestgehend von Gewalt abgrenzen, wie ein Interviewter in der Studie erklärt: „Weil wir nicht dieses Männlichkeitsbild nach außen präsentieren, bei uns muss man sich nicht boxen und cool aussehen oder in Jogginghose rumrennen. Es steht allen frei, was sie anziehen." Dafür werden sie jedoch nicht sonderlich akzeptiert, wie eine Aussage eines anderen Interviewten verrät: „XXX (Anm. d. Red.: anonymisierte Gruppe) ist ja eine Gruppe, die sich vollkommen gegen Gewalt ausspricht und die haben hier immer so einen kleinen Lächerlichkeitsfaktor."

Homophobie und Sexismus spielen bis heute auch eine Rolle, weil sie dem Männlichkeitsideal und seinen Werten nicht entsprechen. Ein Fan erinnert sich in der Studie: „Es gab mal eine Situation, in der sich zwei Jungs ganz angeregt unterhielten und zu dem einen dann hinterher gesagt wurde: ‚Ohje, bist du jetzt schwul? Wie peinlich wär das, wenn das rauskäme, wir wären die erste Szene mit Homos."

Im Vergleich zu den 1990er-Jahren sind Gewalt und auch Rassismus zwar zurückgegangen, doch ein weiteres strukturelles Problem ist, dass trotz aktiver Arbeit gegen Antidiskriminierung oft Vielfalt fehlt. „Auch in vielen Kurven, die sich gegen Rassismus positionieren, sind Migranten unterrepräsentiert", erklärt Fanforscher Claus. Für Homophobie und Sexismus gilt dies auch—doch es gibt auch Ausnahmen. „Es gibt Kurven, wo man sich aktiv gegen Homophobie gewehrt hat oder es auch starke Präsenz von Frauengruppen gibt", so Claus. „Etwa in Jena, Heidenheim oder auch beim FC St. Pauli und Werder Bremen."

Die Studie, die am Donnerstagabend im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wird, soll laut Claus anregen, sich differenziert mit Männlichkeit und Weiblichkeit sowie Geschlecht und Sexualität auseinandersetzen. „Es soll keine Kampagne gegen Sexismus sein, sondern zur Schulung der Fachkräfte in den Fanprojekten dienen."

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Die Veröffentlichung der Studie findet am heutigen Donnerstag (08.12.2016) in der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hiroshimastraße 17 in Berlin) ab 18 Uhr statt. Der Eintritt ist kostenlos.