​Weihnachten in Chinas Weltmarktfabriken bedeutet Knast für ArbeiteraktivistInnen

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​Weihnachten in Chinas Weltmarktfabriken bedeutet Knast für ArbeiteraktivistInnen

Während wir Geschenke ausgepackt haben, wurden in China die ArbeiterInnen und ihre UnterstützerInnen verhaftet, die ebenjene Geschenke in der chinesischen „Werkstatt der Welt" hergestellt haben.

Solidaritätsbotschaften, die in sozialen Medien in China gepostet wurden, um kurz darauf wieder von der Zensur gelöscht zu werden.

Anfang Dezember begann in den Städten Guangzhou und Foshan, im größten Industriegebiet Südchinas, die—geht man nach Anzahl der betroffenen Personen und der Härte der Vorwürfe—bisher schärfste Verhaftungswelle gegen Arbeiterorganisationen und UnterstützerInnen von Arbeitskämpfen. Am 3. Dezember wurden bei Polizeirazzien in vier Organisationen 21 Personen festgenommen und verhört, sowie Büros und Wohnungen durchsucht, Akten und Computer beschlagt. Insgesamt befanden sich bis Anfang Januar mindestens 40 Personen zumindest kurzfristig in Polizeigewahrsam. Sechs AktivistInnen sind weiterhin in Untersuchungshaft, gegen sie wird strafrechtlich ermittelt.

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Die Betroffenen haben ArbeiterInnen und insbesondere ArbeitsmigrantInnen bei Arbeitsunfällen, Lohnverhandlungen und Arbeitskämpfen unterstützt—fast alle haben selbst jahrelang in Fabriken gearbeitet. Jetzt werden sie für ihre Solidaritätsarbeit kriminalisiert. Während die chinesischen Behörden versuchen, jegliche kritische Berichterstattung zu zensieren, werden die Verhaftungen in den staatlichen Medien seit Ende Dezember von einer Schmierenkampagne gegen die weiterhin Inhaftierten begleitet. Unterdessen werden die internationalen Rufe nach einer Freilassung der Betroffenen zunehmend lauter.

Die festgenommenen Aktivistinnen und Aktivisten:

Die in sozialen Medien als „Guangdong-Sechs" bezeichneten Personen, die sich seit dem 3. Dezember in Polizeigewahrsam befinden und gegen die strafrechtlich ermittelt wird, sind: Zeng Feiyang, der Leiter des „Panyu Dagongzu Service Center" aus Guangzhou und dessen Mitarbeiterin Zhu Xiaomei, denen beiden „Aufruf zur Versammlung und Störung öffentlicher Ordnung" vorgeworfen wird; ferner He Xiaobo, Leiter des „Nanfeiyan Social Service Center" in Foshan, gegen den wegen „Veruntreuung" ermittelt wird; bisher unbekannt sind die Ermittlungsgründe gegen Peng Jiayong, dem Leiter der „Panyu Workers' Mutual Assistance Group", sowie Deng Xiaoming, der für das „Haige Labour Centers" im Bezirk Panyu der Stadt Guangzhou arbeitet; gegen Meng Han, der vormals für das Dagongzu Zentrum gearbeitet hatte, wird ebenfalls strafrechtlich ermittelt. Offiziell wurden nur die Angehörigen von Zeng, He und Zhu über die Festnahmen informiert, der Kontakt zu AnwältInnen wurde bis dato allen Inhaftierten verweigert.

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Die Ermittlungen machen Zeng Feiyang zum Hauptschuldigen

Alle seit dem 3. Dezember verhafteten und verhörten AktivistInnen verbindet, dass sie gegenwärtig oder zu einem früheren Zeitpunkt für das Dagongzu Zentrum gearbeitet haben, ebenso konzentrierten sich die Ermittlungsfragen auf dessen Leiter Zeng Feiyang. Der studierte Anwalt ging Ende der Neunziger nach Guangzhou, wo er zunächst Unternehmen gegen Schadensersatzforderungen verletzter ArbeiterInnen vertrat, sich jedoch zunehmend mitschuldig fühlte: „Die WanderarbeiterInnen verdienen sich ihren Lebensunterhalt indem sie ihre billige Arbeitskraft verkaufen. Durch Arbeitsunfälle verlieren sie ihr letztes Gut—einen gesunden und kräftigen Körper—und erhalten keine gerechte Entschädigung, wovon sollen sie in Zukunft leben?"

Die WanderarbeiterInnen verdienen sich ihren Lebensunterhalt indem sie ihre billige Arbeitskraft verkaufen. Durch Arbeitsunfälle verlieren sie ihr letztes Gut.

1998 mitbegründet Zeng das Dagongzu Zentrum und wird dessen Leiter, um WanderarbeiterInnen Rechtsberatung anzubieten. Anfang 2000 ließ sich das Dagongzu Zentrum als NGO eintragen, um anstelle der Beiträge von ArbeiterInnen ausländische Spenden annehmen zu können. Obwohl das Zentrum mit den lokalen Behörden zusammenarbeitete und die Verbesserung der Lage von ArbeiterInnen wie auch die kulturellen Angebote durchaus im Sinne der Lokalverwaltung sind, wurden die Aktivitäten der Organisation seit ihres Bestehens und insbesondere in den vergangenen zwei Jahren von Gängelungen, der Schließung von Einrichtungen sowie von Polizeiverhören der MitarbeiterInnen begleitet.

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Die Fokussierung der Ermittlungen auf Zeng dienen vermutlich der Erhärtung der Vorwürfe und der Erzeugung eines besonders sichtbaren und abschreckenden Beispiels. Denn während Dagongzu die erste ArbeiterInnen-NGO in Südchina war, so sind seither viele WanderarbeiterInnen selbst in der Unterstützung ihrer KollegInnen aktiv geworden haben etwa ein Dutzend ähnlicher Organisationen gegründet. Zhu Xiaomei, die seit 2014 ebenfalls für Dagongzu arbeitet, kam als 16-Jährige aus der Provinz Henan nach Guangdong und arbeitete bis zu ihrer Entlassung in einer Fabrik von Hitachi. Weil sie mit ihren KollegInnen für die Auszahlung der gesetzlich zugesicherten Sozialversicherung und Rente protestiert hatte, wurde ihr illegal gekündigt, worauf sie sich dem Dagongzu Zentrum anschloss.

Nachdem He Xiaobo von acht unbekannten Männern überfallen worden war, gründete er im Mai die Workers' Mutual Assistance Group.

He Xiaobo ging ebenfalls als Wanderarbeiter nach Foshan. 2006 verlor er bei einem Arbeitsunfall drei Finger und erfuhr im Krankenhaus durch einen Mitarbeiter des Dagongzu Zentrums von Entschädigungsansprüchen. Er eignete sich daraufhin Kenntnisse in Arbeitsrecht an, half bei Dagongzu mit und gründete später das von der Stadtverwaltung in Foshan mehrfach gewürdigte Nanfeiyan Zentrum.

Einen ganz ähnlichen Weg beschritt Peng Jiayong, der als Arbeiter aus der Provinz Hubei nach Guangdong ging und wegen der Teilnahme an kollektiven Lohnverhandlungen entlassen wurde. Nachdem er für Dagongzu und das Haige Zentrum gearbeitet und im April von acht unbekannten Männern überfallen worden war, gründete er im Mai die Workers' Mutual Assistance Group. Deng Xiaoming und die anderen Festgenommenen kamen ebenfalls als Fabrikarbeiter nach Guangdong bevor sie begannen, sich für Arbeiterorganisationen einzusetzen.

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Von der Rechtsberatung zur Unterstützung von Arbeitskämpfen

Die betroffenen Arbeiterorganisationen begannen damit, Rechtsberatung für WanderarbeiterInnen anzubieten, und weiteten ihre Aktivitäten auf kulturelle Angebote sowie die Unterstützung bei Arbeitsunfällen aus. In den letzten Jahren haben sich die Organisationen jedoch auch vermehrt bei Protesten, kollektiven Lohnverhandlungen und der Einforderung von Sozial- und Rentenversicherungsleistungen eingesetzt.

So hat sich das Sunflower Women's Center in Panyu zum Beispiel zunächst auf Nachbarschaftsarbeit für Arbeiterinnen konzentriert. Als man jedoch feststellte, dass viele Arbeiterinnen an kollektiven Auseinandersetzung am Arbeitsplatz teilnahmen, wurden die Aktivitäten ausgeweitet. Insbesondere das Dagongzu Zentrum hat in den vergangenen Jahren unterstützend an zwei großen, lang andauernden und letztlich weitgehend erfolgreichen Arbeitskämpfen in der Stadt Guangzhou mitgewirkt.

Erfolgreiche Streiks von Reinigungskräften …

Video der ebenfalls inhaftierten Zhu Xiaomei während des Arbeitskampfes der Reinigungskräfte in Guangzhou.

MitarbeiterInnen von Dagongzu beteiligten sich etwa im September 2014 am Arbeitskampf von Reinigungskräften im 10 Universitäten und etwa 200.000 Studierende umfassenden Universitätszentrum Guangzhous. Der Auslöser dieses Arbeitskampfes war der Wechsel der von der Stadtverwaltung beauftragen Reinigungsfirma. Für die bereits seit zehn Jahren bei diesem privaten Reinigungsanbieter beschäftigten ArbeiterInnen bedeutete dies, dass sie entweder in derselben Firma an einem deutlich weiter entfernten Ort weiterarbeiten oder die ihnen rechtlich zustehenden Sozialleistungen verlieren würden, daher traten sie ab Ende August in einen einwöchigen Streik.

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Die 200, großteils lokal ansässigen ReinigungsarbeiterInnen, für die ein Wechsel ihres Arbeitsortes nicht duldbar war, forderten eine angemessene Abfindung von ihrem Arbeitgeber, sowie eine Garantie von der Lokalregierung, dass sie zur Gänze vom neuen Auftragnehmer wiedereingestellt werden. Nachdem ihre Firma Gespräche vorerst jedoch abgelehnt hatte, wandten sich die ArbeiterInnen an das Dagongzu Zentrum. Dem folgte bis zum 13. September eine Reihe von Kollektivverhandlungen.

MitarbeiterInnen des Dagongzu Zentrums nahmen an Letzteren nicht nur selbst teil, sondern sie unterstützten die ArbeiterInnen auch bei der Wahl ihrer VerhandlungsvertreterInnen sowie in allgemeinen Fragen der strategischen Vorgehensweise. Das Ergebnis der Verhandlungen stellte einen beachtlichen Erfolg dar: Den ArbeiterInnen wurden Abfindungen im Wert von 3000 Yuan (zirka 440 Euro) pro Arbeitsjahr, sowie die Auszahlung der ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge und Wohnkostenzuschüsse zugesichert. Im Oktober des selben Jahres stimmte schließlich auch die neue Reinigungsfirma zu, alle bisher beschäftigten ArbeiterInnen zu übernehmen.

… und von Beschäftigten in der Schuhindustrie

Streik bei in der Shuhfabrik Lide. Quelle: Weibo/Datu.

Erfolgreich verlief auch der insgesamt acht Monate (August 2014 bis April 2015) andauernde Arbeitskampf der Beschäftigten in der zu einem ausländischen Unternehmen gehörenden Schuhfabrik Lide in Guangzhou. Auslöser dieses Konflikts war die anstehende Verlagerung der etwa 2500 ArbeiterInnen fassenden Fabrik in einen anderen Industriebezirk der Stadt. Eine Gruppe von anfangs etwa 20 ArbeiterInnen begann sich nach Bekanntwerden dieser Verlagerungspläne zu organisieren und Forderungen nach Abfindungen und Zahlung von ausstehenden Sozialversicherungs- und Wohnkostenbeiträgen zu formulieren.

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Wie auch im Falle des Streiks der ReinigungsarbeiterInnen wandten sich die Beschäftigten auch hier an das Dagongzu Zentrum. Bis April 2015 sollte die Auseinandersetzung elf Streiktage, Fabrikblockaden sowie zahlreiche Verhandlungsrunden mit dem Betriebsmanagement umfassen. MitarbeiterInnen des Dagongzu Zentrums assistierten bei der Wahl der ArbeitervertreterInnen, berieten die Beschäftigten bei der Ausarbeitung der Forderungen und in der Führung der Kollektivverhandlungen. In den Worten eines Unterstützers von Dagongzu: „Unsere Rolle war die von Beratern. Wir unterstützten die kollektiven Verhandlungen zwischen Arbeiter- und KapitalvertreterInnen, boten den ArbeiterInnen rechtliche Beratung an und halfen ihnen, Treffen zu organisieren. Wir nahmen keine führende Rolle ein. Zentral ist letzten Endes die aus der Solidarität der ArbeiterInnen hervorgehende Kraft."

Obwohl die genauen Hintergründe unklar bleiben, genügte dies jedoch, um das Ziel gewaltsamer Maßnahmen zu werden: so wurde Zeng Feiyang im Verlauf des Arbeitskampfes von unbekannten Schlägern verprügelt, staatliche Sicherheitskräfte sprengten ein Vorbereitungstreffen von ArbeiterInnen, und ein weiterer Mitarbeiter des Dagongzu Zentrums wurde gemeinsam mit einigen ArbeiterInnen kurzfristig in Polizeigewahrsam genommen.

In einem Ende April 2015 gemeinsam vom Lide Management und der Lokalregierung verfassten Statement wurden den ArbeiterInnen versprochen, auf alle Forderungen einzugehen.

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Umso bemerkenswerter ist, dass sich die außerordentlich gut organisierten ArbeiteraktivistInnen im Betrieb allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz durchsetzen konnten: In einem Ende April 2015 gemeinsam vom Lide Management und der Lokalregierung verfassten Statement wurden den ArbeiterInnen versprochen, auf alle Forderungen einzugehen. Die Auszahlung der Abfindungen und der ausstehenden Wohnzuschüsse und Sozialversicherungsbeiträge sollte einen Gesamtbetrag von mehr als 120 Millionen Yuan umfassen. Über hundert ArbeiterInnen fanden sich einen Monat später in den Räumlichkeiten des Dagongzu Zentrums ein, um gemeinsam mit dessen MitarbeiterInnen den erfolgreichen Abschluss der Auseinandersetzung zu feiern.

Arbeiterunruhe im Zeichen wirtschaftlicher Abkühlung

Die hier beschriebenen Arbeitskämpfe sind in ihrer Dauer, Intensität, dem Grad der Organisierung und ihrer Erfolge keineswegs verallgemeinerbar. Dennoch können die beiden Fälle einen zu beobachtenden Trend in der Entwicklung von Streiks und ArbeiterInnenprotesten in China verdeutlichen, der als Hintergrund für die gegenwärtige Repressionswelle mitbedacht werden muss: Insbesondere Arbeitskämpfe in der verarbeitenden (Export-)Industrie des südchinesischen Perflussdeltas sind in den vergangenen Jahren deutlich von der wirtschaftlichen Abkühlung des Landes geprägt.

Steigende Löhne, sinkende Profitraten und schwächelnde Absatzmärkte führten in den letzten Jahren zu einer wachsenden Zahl an Betriebsschließungen beziehungsweise an Verlagerungen von Produktionsstätten in das Landesinnere beziehungsweise nach Südostasien. Während dies von den Lokalregierungen in den Zentren der Exportproduktion mit Blick auf ein intendiertes upgrading der Industrie teilweise sogar explizit vorangetrieben wird, führt(e) es zu einer deutlichen Zunahme an Streiks und Protesten um ausstehende Lohnzahlungen und Abfindungen.

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Laut der Hong Konger NGO China Labour Bulletin stellen derartige Auseinandersetzungen den Kern der im Jahr 2015 in Südchina erneut deutlich wachsenden Arbeiterunruhen. So stieg die Zahl der Streiks und Proteste in der Provinz Guangdong derselben NGO von 23 Vorfällen im Juli auf 56 im November 2015. Hinzu kommt, dass Beschäftigte gegenwärtig deutlich häufiger ihren—rechtlich zustehenden Anspruch—auf die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Wohnzuschüssen stellen. Neben den oben beschriebenen Fällen standen derartige Forderungen etwa auch im Zentrum der bisher größten Streikwelle von WanderarbeiterInnen in den sechs, im südchinesischen Dongguan gelegenen Fabriken des weltgrößten Schuhproduzenten Yue Yuen im Frühjahr 2014 sowie während des Streiks bei einem Uniqlo-Zulieferer in Shenzhen im Juni 2015.

Neben entsprechenden Gesetzgebungsmaßnahmen muss dies auch darauf zurückgeführt werden, dass Fragen der sozialen Sicherheit und die Möglichkeit einer stabileren längerfristigen Lebensplanung insbesondere für ältere migrantische ArbeiterInnen eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen.

Repressionswelle als Kurswechsel?

Diese jüngsten Entwicklungen im Charakter von Streiks und ArbeiterInnenprotesten und die Tatsache, dass sich in den kommenden Jahren kein neuer Aufschwung der chinesischen Wirtschaftsleistung abzeichnet, stellen BeobachterInnen zufolge einen zentralen Hintergrund für das bereits in den vergangenen Jahren im Falle größerer Streiks spürbar repressivere Vorgehen der staatlichen Behörden dar. Gewaltsame Interventionen der staatlichen Sicherheitskräfte und (vorübergehende) Festnahmen von ArbeiterInnen im Rahmen der durchwegs „wilden Streiks" haben in den vergangenen Jahren ebenfalls zugenommen.

Die jüngste Verhaftungswelle gegenüber Arbeiterorganisationen muss in diesem Lichte interpretiert werden: Einerseits weiteten sich die Kämpfe sowie die darin erhobenen Forderungen in den vergangenen Jahren erneut aus. Andererseits wird den Unternehmen und Lokalregierungen aufgrund des Abzugs von Produktionstätten sowie der Verlangsamung des Wirtschaftswachstum gegenwärtig weniger Spielraum für Kompromisse in Konfliktfällen geboten. Angesichts der Zuspitzung von sozialen Spannungen greifen auch weniger „autoritäre" Regierungen zu repressiven Mitteln, wie die neuen Anti-Streikgesetzte in Großbritannien oder die Verhaftung des Präsidenten des südkoreanischen Gewerkschaftsdachverbandes zeigen.

Da die staatliche Regulation von NGOs für (migrantische) ArbeiterInnen im Großraum Guangzhou zumindest bis vor zwei bis drei Jahren einen relativ entgegenkommenden Charakter aufwies, sehen AktivistInnen in der jüngsten Entwicklung jedoch auch einen Kurswechsel der Regierung: Das Experiment, angesichts der weitgehenden Bedeutungslosigkeit von Gewerkschaften auf NGOs als Scharniere für die Integration und Befriedung von WanderarbeiterInnen zu setzen, sei nunmehr beendet. Aber ebenso wie die gegenwärtig medial weit verbreiteten Wetten auf eine harte Landung der chinesischen Wirtschaft sind auch derartige Interpretationen zu Beijings Kurs gegenüber NGOs vorerst nicht mehr als Spekulation.

Ob die Verhaftungen den Anfang einer neuen Politik markieren, wird sich erst in einigen Jahren rückblickend analysieren lassen. Mit Sicherheit zu sagen ist bisher nur, dass sich der Aktionsradius von Arbeiterorganisationen mittelfristig einengen wird. Ebenso wird das Beziehen von Spenden aus dem Ausland durch ein anstehendes Gesetz zur Regulierung von ausländischen Nichtregierungsorganisationen erschwert werden. Für Arbeiterorganisationen bedeutet dies, dass sie entweder enger mit staatlichen Organen, Lokalregierungen, Polizei sowie der staatlich kontrollierten Gewerkschaft zusammenarbeiten oder neue Wege der Organisierung und Kampfformen finden müssen. Ob all dies ArbeiterInnen mittelfristig einschüchtern wird, ist ungewiss. Sicherlich aber ist der Wegfall von Unterstützung durch die hier betroffenen Arbeiterorganisationen zunächst für viele ein Verlust.

UnterstützerInnen initiieren Solidaritätskampagne

Während die beispiellose Repressionswelle gegen Arbeiterorganisationen kaum Eingang in die internationale Medienberichterstattung gefunden hat, riefen UnterstützerInnen sowohl in als auch außerhalb Chinas unmittelbar nach Beginn der Verhaftungen zu Solidaritätsaktionen auf. Der staatlichen Zensur zum Trotz verbreiten sich anonymisierte Fotos von UnterstützerInnen mit Solidaritätsbekundungen in den sozialen Mediennetzwerken Chinas. Arbeiterorganisationen in Hongkong und SozialwissenschafterInnen rufen mittels Unterschriftenkampagnen zur Freilassung der Verhafteten auf. Und Einzelpersonen tragen etwa auf Facebook mit laufend aktualisierten und auch in englischer Sprache verfügbaren Berichten dazu bei, dass den Betroffenen auch international Aufmerksamkeit geboten werden kann, um den Druck auf die chinesische Regierung erhöhen zu können.

Während die Kampagne zwar bisher vor allem symbolischer Natur ist, tragen die Aktionen im günstigsten Fall dazu bei, dass sich die internationale Vernetzung für praktische Solidaritätsarbeit während zukünftiger Arbeitskämpfe verbessert. In der Auseinandersetzung mit global operierenden Unternehmen und in der Konfrontation mit Regierungen, die angesichts von wirtschaftlicher Stagnation mit verstärkter Repression reagieren, ist es umso bedeutender, die weltweite Arbeitsteilung in den Blick zu nehmen, und Arbeitskämpfe entlang der gesamten globalen Wertschöpfungskette zu führen und zu unterstützen. Und hier kann ein erster Schritt einfach auch darin bestehen, über die Verbindung zwischen den gerade erst ausgepackten Weihnachtsgeschenken und den Streiks der sie produzierenden ArbeiterInnen zu sprechen.