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Campus, Sex und Ravioli

Was ist mit den Seminaren auf der Uni passiert?

Als ich vor vier Jahren mit dem Studium begonnen habe, war ich voller Euphorie. Das hat sich ziemlich schnell geändert.

Die Studienzeit soll angeblich die beste Zeit des Lebens sein. Ja, die Studienzeit ist nicht nur in den alten Mythen von unseren Eltern, die wir uns schon viel zu oft anhören mussten, sondern auch in der Gegenwart ziemlich super. Man hat ein Mindestmaß an Verpflichtungen, kann die meiste Zeit machen, was man will und beschäftigt sich im Idealfall mit Themen, die einen im Idealfall wirklich interessieren. Als ich vor vier Jahren mit dem Studium begonnen habe, war ich voller Euphorie und fand jedes Seminar so spannend und toll, dass sich meine rosige Zukunft als DDr. schon vor meinem geistigen Auge abgespielt hat.

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Aber weil wir alle wissen, dass uns das Leben nicht immer wohlgesonnen ist, und dass Vortragende auf der Uni ungefähr so berechenbar sind, wie eine Horde betrunkener Mädchen, hat sich seit meinem ersten Seminar offenbar etwas geändert. Seit ein paar Semestern besuche ich nur noch solche, in denen mir mit absurd spielerischen Methoden Inhalte beigebracht werden sollen, die zwar an sich interessant sind, aber irgendwo auf dem Weg zwischen der viel zu stark animierten PowerPoint-Präsentation, dem eher peinlichen als anschaulichen Rollenspiel und meinem aufnahmewilligen Hirn auf der Strecke bleiben.

Die Wahrheit ist: Nur, weil du studierst, heißt das nicht, dass die Dinge, die man dir auf der Uni verkauft, auch wirklich alle irgendeinen höheren Anspruch haben. In den meisten Seminaren wird der Deckmantel der Autodidaktik so bis aufs Äußerste missbraucht und wir Studierende müssen uns alles selbst beibringen, was ja an sich nichts Schlechtes ist—nur muss man die Inhalte auf so absurde und unerträglich spielerische Weise ausarbeiten, dass die Grenze zur Gruppentherapie-Sitzung irgendwann verschwimmt.

Seminare bestehen nur noch aus Referaten

Referate waren früher mein größter Horror. Auch wenn ich wusste, dass Referate meistens nur einen minimalen Bruchteil der Note ausmachen und mir sowieso keiner zuhört, war ich extrem nervös und musste mir meinen Text im Vorhinein genauestens einprägen (was meistens dann doch nichts geholfen hat), um vor den Augen meiner Zuhörer nicht zu sterben oder mindestens drei Schweißausbrüche zu durchleben. Diese Tatsache hat sich in ein paar Semestern so geändert, dass ich jetzt zum Glück in der Lage bin, ein Referat, das ich zuvor noch nie gesehen habe, so vorzutragen, als hätte ich den Inhalt höchstpersönlich in der wichtigsten Forschungsarbeit meines Lebens herausgefunden. Das liegt wahrscheinlich zu einem großen Teil daran, dass so ziemlich jedes Seminar nur noch daraus besteht, dass jeder einzelne permanent Referate zu einer Vielzahl von hochwissenschaftlichen Studien oder Theorien halten muss, während der (offensichtlich nicht) „Vortragende" in der ersten Reihe sitzt und anderweitige Vorbereitungen erledigt oder gelangweilt in seinen Unterlagen blättert.

Diese Vortragenden, die denken, dass man sich Inhalte besser merkt, wenn sie einem von gleichaltrigen, offensichtlich desinteressierten und ahnungslosen Menschen vorgelesen (!) werden, wären in einem anderen Job besser aufgehoben—oder zumindest sollten sie ihre Karriere ein bisschen beschleunigen, sodass sie möglichst bald in die Liga derjenigen Uni-Professoren aufsteigen können, die in ihrem Leben ein wichtiges Buch geschrieben haben und seitdem nichts mehr machen, außer ebendieses Buch für 40 Euro als Pflichtliteratur zu verkaufen. Sicher sind die Vortragenden auf der Uni intelligente, studierte Wissenschaftler und verstehen mehr von ihrem Fachgebiet, als wir jemals könnten, aber was manche von ihnen mit Sicherheit auch sind, ist fauler als der Kommilitone, der mit 32 noch im Bachelorstudium sitzt und seinen regen Alkoholkonsum mit Flyerverteilen finanziert. Gegen ein paar kurz gehaltene, prägnante Referate in einem Seminar gibt es rein gar nichts einzuwenden, insofern sie nicht das gesamte Semester ausfüllen und man irgendwann nicht einmal mehr genau weiß, wie die Stimme des Menschen klingt, der irgendwo im Vorlesungsverzeichnis als LV-Leiter angeführt ist. Wenn wir Studenten uns auch nur einen Bruchteil der Informationen merken sollen, passiert das sicher nicht durch das Aufbereiten der Inhalte—und mit Aufbereiten meine ich Copy & Paste—durch maximal demotivierte Kommilitonen, die nicht einmal selbst wissen, was sie da gerade vorlesen.

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Foto: betta design via photopin cc

Gruppenarbeiten lassen dich an der Menschheit zweifeln

Gruppenarbeiten sind die Wundertüte des Uni-Betriebes—wenn man Glück hat, erwischt man zumindest einen fähigen Kollegen, mit dem man sich die Arbeit vernünftig aufteilen kann, und bei dem man weiß oder zumindest guten Gewissens hoffen kann, dass die Aufgaben in einem akzeptablen Maß erledigt werden. Diese Menschen haben die Macht, dem Prinzip der Gruppenarbeit Sinn zu geben, sind aber ungefähr so selten wie Einhörner und Männer, die einem von selbst SMS schreiben. Meistens hat man im Rahmen von Gruppenarbeiten eher mit den Menschen zu tun, die wirken, als wären sie gerade eben erst auf die Welt gekommen und als hätten sie ihre bisherigen Semester nur mithilfe von fremden Mitschriften hinter sich gebracht und ihre Existenz als Gruppenarbeits-Arschloch auf diese Weise perfektioniert. Natürlich, Gruppendynamik kann etwas furchtbar Schreckliches sein—das weiß ich spätestens, seitdem ich mich im Kindergarten täglich mit meiner Nachbarin geprügelt habe. Und es gibt nun mal einfach Menschen, die sich mit möglichst geringem Aufwand durch ihr Leben schlängeln wollen. Aber diese Menschen gibt es schon seit Anbeginn der Menschheit, also sollten auch die Vortragenden auf der Uni wissen, dass viel mehr von ihnen existieren, als uns lieb ist.

Gruppenarbeiten sind ein kleiner, völlig absurder Mikrokosmos, der einem zeigt, wie beschissen das Leben wirklich sein kann. Mindestens einer aus der Gruppe wird niemals auftauchen und sich nur melden, um euch zu sagen, welche Fehler ihr in eurem Teil gemacht habt, einer wird sich sofort dazu berufen fühlen, der Boss zu sein, obwohl er der fachlich Unfähigste von euch allen ist und mindestens einer eurer Kommilitonen wird schon vier Tage vor der Deadline Stress-Postings in eure Facebook-Gruppe absondern, für die du schon längst die Benachrichtigungen deaktiviert hast. Macht euch nichts draus, denn schließlich soll die Uni ja nicht nur ein Spaziergang voller Flatrate-Alkoholexzessen sein, sondern euch neben dem Lehrplan auch etwas fürs Leben beibringen. Zumindest könnt ihr euch das das nächste Mal einreden, wenn ihr die doppelte Arbeit machen müsst, weil euer Kollege, von dem ihr euch nicht vorstellen könnt, wie er mit seiner Bachelor-Arbeit auch nur annähernd sein lang ersehntes Sammelzeugnis bekommen konnte, nicht imstande ist, das ohnehin schon kürzeste Kapitel eures Projektes zu schreiben.

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Rollenspiele sind das Letzte

Verglichen mit Rollenspielen lösen Gruppenarbeiten und gefühlte hundert Referate noch ein akademisches Hochgefühl in mir aus. Eine Studienkollegin hat mir einmal erzählt, dass sie in einem Seminar ein Mitarbeitergespräch simulieren musste, in dem sie einen Angestellten darauf hinweisen sollte, dass er nach Schweiß riecht. Ja, Schweißgeruch ist schlimm, aber um das zu wissen, muss man nicht Kommunikationswissenschaften studieren. In einem anderen Seminar müssen wir regelmäßig Streits nachspielen, während die „Beobachtungs-Gruppe" unser völlig absurdes Verhalten analysiert. Mittlerweile glaube ich, dass Vortragende eigentlich genau wissen, dass sie uns völlig lächerlich machen und wie Kleinkinder im Heimunterricht behandeln. Ich habe bisher in keiner Konfliktsituation—sei es privat oder am Arbeitsplatz—gedacht, „Ich könnte diesen Streit doch durch die Gordon'sche Methode der Familienkonferenz lösen. Danke Uni, ohne dich hätte ich das nie geschafft!" Ihr seht schon, worauf die Sache hinausläuft. Einerseits will die Uni Theorie vermitteln, was sie dann aber doch irgendwie den Studenten überlässt—und andererseits will sie das nicht auf sich sitzen lassen und uns Praxis bieten, was aber dann zu genau sowas führt.

Foto: Calsidyrose via photopin cc

Ich bin mir auch nicht ganz sicher, was sich sich Lehrveranstaltungsleiter von Rollenspielen versprechen. Kurzweiligkeit? Abwechslung? Spaß? Ernsthafte Wissensvermittlung? Das Bedürfnis, junge Erwachsene in einem akademischen „Hunger Games" zu verfüttern? Das Anwenden von Theorien auf unseren Alltag lernen wir dadurch jedenfalls nicht. Das Einzige, das sie damit erreichen, ist, dass sich die meisten Beteiligten entweder ein bisschen schämen oder die ganze Angelegenheit noch weniger ernst nehmen als sowieso schon. Spätestens dann, wenn sich nicht einmal noch die selbstberufenen Immer-Freiwilligen für ein Rollenspiel melden, sollte der Vortragende das auch einsehen.

Bitte liebe Vortragende, hört einfach auf damit, so zu tun, als würdet ihr uns auf freundschaftliche und schonende Art und Weise trockene Inhalte vermitteln wollen, während ihr uns in Wahrheit noch weiter von der Praxis wegbringt, als wir es auf der Universität ohnehin schon sind. Wenn wir uns weiterhin gegenseitig aus schwach umformulierten Wikipedia-Artikeln vorlesen, gegen unseren Willen völlig absurde Situationen, die im echten Leben so niemals passieren würden, nachspielen und uns von Gruppenarbeiten in den Wahnsinn treiben lassen, werden wir bestimmt nicht die akademische Elite der Zukunft. Das kann nur dann auch nur in Ansätzen passieren, wenn wir nicht mehr ständig in einem Kreis sitzen, um über unsere Gefühle zu sprechen.


Titelbild: Pink Sherbet Photography via photopin cc