Vom Strand aus ist ein Schiffswrack zu sehen, das im seichten Wasser auf Grund gelaufen ist
Foto: imago | Westend61

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Wie das luxuriöseste Kreuzfahrtschiff der USA als Wrack vor Fuerteventura endete

Es ist das ultimative, aber auch gefährliche Ziel für Abenteuerurlauber.

Am 15. Januar 1994 kam es zur Katastrophe. Eine Crew ukrainischer Matrosen war gerade dabei, ein antikes Kreuzfahrtschiff durch den Atlantik abzuschleppen, als ein schwerer Sturm aufzog. Zwei Wochen vorher hatte der Schlepper in Griechenland abgelegt und war mit der S.S. America am Heck durch das ruhige Mittelmeer gezogen. Beim Passieren der Kanaren fanden sich die beiden Schiffe aber plötzlich inmitten von acht Meter hohen Wellen und peitschendem Regen wieder.

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In dieser Nacht war die S.S. America menschenleer, kein Licht brannte an Bord. Damals, als das Kreuzfahrtschiff 1940 in New York zum ersten Mal in See stach, gehörte die S.S. America zu den größten und luxuriösesten Cruise-Dampfern der USA: 220 Meter lang, zehn Decks hoch und mit mehreren Restaurants, Pools, einem Friseursalon und einem riesigen Ballsaal, die gesamte Inneneinrichtung im schicken Art-déco-Stil. Deswegen galt das Kreuzfahrtschiff 1994 als eine Art Museumsstück.

Die Lounge in der ersten Klasse der S.S. America

Die Wände in der Lounge der ersten Klasse zeigen teilweise Dschungeldickicht | Foto: bereitgestellt vom Mariners' Museum

Mitte der 90er Jahre träumten Investoren von einem schwimmenden Hotel vor Thailand und schlugen deswegen zu, als sie herausfanden, dass mit der S.S. America ein Luxus-Kreuzfahrtschiff aus den 40er Jahren mit noch intakter Inneneinrichtung zum Verkauf stand. Quasi jeden anderen Cruise Liner aus dieser Ära hatte man bereits ausgeschlachtet und umdekoriert. Die S.S. America wäre etwas Besonderes gewesen – hätte sie es bis nach Südostasien geschafft.

Eine verzierte Bar an Bord der S.S. America

Eine der vielen Bars auf der S.S. America war mit Sternzeichen verziert | Foto: bereitgestellt vom Mariners' Museum

Jetzt aber musste der Schlepper das Kreuzfahrtschiff durch den mehr als rauen Atlantik ziehen, die Abschleppseile hielten der Belastung kaum stand. An Bord der S.S. America war niemand am Steuer, die Schiffsschrauben hatte man schon entfernt und auf das Deck genietet. Die Schlepper-Crew konnte sich also nur weiter durch die Wellen pflügen und auf das Beste hoffen.

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Gegen Mitternacht kam es zum Worst Case: Die Abschleppseile rissen und die S.S. America trieb führerlos auf dem offenen Meer. Die ukrainischen Matrosen verlangten für die Lieferung des Kreuzfahrtschiffes knapp eine Million Dollar und plötzlich waren sie kurz davor, eine echte Antiquität als Wrack enden zu lassen. Also entschieden sie sich zu einer verzweifelten Rettungsaktion: Am 17. Januar 1994 flog ein Team per Helikopter auf die S.S. America und brachte die Abschleppseile wieder an – aber noch am gleichen Tag verabschiedeten diese sich endgültig. Das Team wurde evakuiert und das Kreuzfahrtschiff trieb weiter in Richtung Kanaren ab. Die neuen Besitzer konnten nur beten, dass sich der Sturm legte.

Der Speisesaal der ersten Klasse

Der Speisesaal der ersten Klasse | Foto: bereitgestellt vom Mariners' Museum

Doch er legte sich nicht. Erst drei Tage später lief die S.S. America vor der Insel Fuerteventura längsseits auf Grund. Nachdem die Wellen einige Stunden lang gegen die Seite des Schiffes geschlagen hatten, zerbrach es in zwei Teile und die Besitzer erklärten es zum Totalverlust. Das Heck versank zwei Jahre später im Meer, während der Bug noch über ein Jahrzehnt lang aufrecht stehen blieb und erforscht werden konnte. Und genau das haben abenteuerlustige Touristen wie Mike Langmayer auch getan.

Ein Windsurfer vor dem Wrack der S.S. America

Alle folgenden Fotos: bereitgestellt von Mike Langmayer

"Durch ein Windsurfer-Magazin erfuhr ich von der S.S. America", erzählt Mike, der heute als Immobilienmakler arbeitet, 2001 aber noch als begeisterter Windsurfer durch die Welt reiste. "Das Schiff war komplett ab vom Schuss und ohne Off-Road-Fahrzeug nur sehr schwer zu erreichen. Wir blieben einige Male im Sand stecken, aber irgendwann kamen wir endlich an. Ich konnte kaum glauben, wie nah am Strand das Wrack lag."

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Die Leiter, die vor der letzten Fahrt an der S.S. America festgeschweißt wurde

Mike und seine Freunde brauchten gut 30 Minuten, um bis zum Schiff zu schwimmen und die Leiter zu finden, die man vor dem letzten Trip an die Seite der S.S. America geschweißt hatte. "Als wir näher kamen, hörten wir die gruseligen Geräusche, die die Wellen machten, als sie an die Seite des Schiffs schlugen", sagt Mike. "Außerdem hatten wir echt Schiss, die Leiter hochzuklettern, weil wir ja nicht wussten, ob sie noch halten würde. Es fehlten auch einige Sprossen."

Zwei junge Männer auf dem Deck der aufgelaufenen S.S. America

Mike erinnert sich, wie er mit seinen Freunden auf dem Unterdeck herumlief, als es auf einmal knackte und ein Teil des Bodens wegbrach. "Wir dachten wirklich, dass wir durchkrachen würden", sagt er. "Das jagte uns echt Angst ein und wir beschlossen, zu unserer eigenen Sicherheit nicht mehr weiterzugehen."

Im Inneren des Wracks

Die Wellen hatten die Bullaugen auf der dem Meer zugewandten Seite eingeschlagen und so konnte das Salzwasser in die S.S. America eindringen. "Von der Innendekoration war abgesehen von ein paar festgenieteten Tischbeinen, den Überbleibseln einer Bar und Teilen der Deckenbeleuchtung nichts mehr vorhanden", sagt er. "Die Haupthalle des Schiffs war dennoch sehr beeindruckend."

Das zerfallene Außendeck der S.S. America

Inzwischen befinden sich die meisten Einzelteile der S.S. America in den Schuppen und Garagen Fuerteventuras. Für eine Insel mit 100.000 Bewohnern war ein gestrandetes Kreuzfahrtschiff natürlich eine Riesensensation und Hunderte Menschen machten sich direkt in Ruderbooten auf, um alles aus dem Schiff mitzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war – egal ob nun wiederverwertbare Kupferkabel, Möbelstücke oder Gemälde. Im Laufe der Jahre ist vieles davon bei Auktionen aufgetaucht – oft in schlechtem Zustand.

Wenn man heute am fuerteventuranischen Strand steht, vor dem die S.S. America damals auf Grund lief, wird man leider enttäuscht: Die letzten Überreste des Kreuzfahrtschiffs kippten 2006 ins Meer. Alles, was jetzt noch aus dem Wasser hervorragt, sind kleine Stahlteile – und das auch nur bei Ebbe.

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