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diskriminierung

Richter verbietet Frau, zu ihrem Scheidungsprozess mit Kopftuch zu erscheinen

Das Gericht rechtfertigt die Entscheidung durch die "richterliche Unabhängigkeit".
Symbolfoto: imago | IP3press

Ob Muslimas ein Kopftuch tragen sollten oder nicht, darüber streitet sich die westliche Welt gerne. Die Frauen sollen freie Entscheidungen treffen, sagen die Befürworter. Die Religion habe in der Öffentlichkeit nicht zu suchen und der Hidschab sei ein Zwang, sagen die Gegner. Dass die Hidschab-Kritiker dabei selbst in den freien Willen der Trägerinnen eingreifen, während manche von ihnen Ketten mit Kruzifixen tragen oder ihre Kinder in Schulen mit Kreuzen an den Wänden schicken wollen, ist die Ironie hinter der nicht enden wollenden Debatte.

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Auch ein Familienrichter aus dem brandenburgischen Luckenwalde sah sich kürzlich dazu berufen, einer syrischen Frau Vorgaben zu ihrer Kleidung zu machen. In der Ladung zu ihrem eigenen Scheidungsprozess am 27. Juli verbot er der Frau, mit Kopftuch vor Gericht zu erscheinen. "Religiös motivierte Bekundungen" wie das Kopftuch seien während der Verhandlung nicht erlaubt, schreibt der Richter dort. Komme sie trotzdem mit Kopftuch, drohen ihr Ordnungsmaßnahmen. Der Frau stehe es aber frei, sich vor diesem Hintergrund beim Prozess durch ihre Anwältin vertreten zu lassen. Zuvor hatte der Richter angeordnet, beide Parteien müssen vor Gericht erscheinen.


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Najat Abokal, die Anwältin der Frau, will gegen die Entscheidung des Richters vorgehen, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Sie hält die Anordnung für verfassungswidrig. Tatsächlich hatte das Bundesverfassungsgericht in einem ähnlichen Fall bereits 2006 beschlossen, dass Religionsfreiheit besteht, solange die Verhandlung nicht gestört werde und alle Personen erkennbar bleiben. Damals hatte ein Jugendrichter am Amtsgericht Tiergarten eine Zuschauerin des Saales verwiesen, weil sie einen Hidschab trug.

"Er hat für Ordnung zu sorgen im Gerichtssaal"

Das Amtsgericht Luckenwalde wollte den Fall auf Nachfrage von VICE nicht kommentieren. Die Sprecherin berief sich auf die richterliche Unabhängigkeit in Entscheidungssachen. Auch die Direktorin des Gerichts, Roswitha Neumaier, wollte sich zu der Entscheidung ihres Kollegen nicht äußern. Dem Tagesspiegel gegenüber erklärte sie: "Er hat für Ordnung zu sorgen im Gerichtssaal, wo religiöse Zeichen nichts zu suchen haben."

"Das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs" sei keine Störung der gerichtlichen Ordnung, schreiben der Staatsrechtler Klaus F. Gärditz und Maria Geismann in Legal Tribune. Einen einheitlichen Beschluss für das Tragen von religiösen Symbolen vor Gericht gibt es bislang nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang Juli entschieden, dass eine Frankfurter Richterin ihr Kopftuch ablegen muss, wenn sie als Richterin vor Gericht tritt. Andere Fragen hat das Verfassungsgericht noch nicht geklärt, schreiben der Staatsrechtler Klaus F. Gärditz und Maria Geismann. Aber: "Dass es einer (anwaltlich vertretenen) Partei als Privatperson untersagt sein sollte, in einem Verfahren in eigener Sache vor Gericht Kopftuch zu tragen, war bislang nicht ernsthaft diskussionswürdig."

Weiterhin werfen sie dem Gericht vor, die vom Verbot betroffene Frau zu diskriminieren. Der Richter stelle sie vor die Wahl, ihr Kopftuch gegen ihren Willen abzulegen, oder ihrem Scheidungsprozess fernzubleiben – was ihr die Möglichkeit nehme, ihre Situation vor Gericht vorzutragen.

Dazu kommt es vorerst ohnehin nicht. Wie die Sprecherin des Amtsgerichts mitteilte, wurde der Prozesstermin vertagt.

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