Rettungswagen
Titelbild: Till Krech/Flickr/CC. 2.0

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Der Zivildienst war die abgefuckteste Zeit meines Lebens

Unsere Dienststelle war ein dreckiges Loch, meine Kollegen schrotteten die Dienstautos mit Regelmäßigkeit und ab und zu musste man auch mal drei Stunden im vollgekotzten Krankenwagen überstehen.

Es gibt vermutlich keinen anderen Abschnitt in meinem Leben, über den ich so viele absurde Geschichten erzählen könnte, wie über meine Zivildienstzeit. Weil ich nach der Matura keine Lust hatte, ein Jahr komplett sinnfrei zu verbringen, hielt ich es damals für eine extrem gute Idee, mich bei einer Rettungsorganisation zu melden. Irgendwie hatte ich mir den Alltag dort immer ziemlich diszipliniert und konstruktiv vorgestellt. Zufällig habe ich aber genau die Dienststelle meiner Stadt erwischt, bei der sich all jene Leute die Klinke in die Hand drückten, die ohnehin keine richtigen Sanitäter sein wollten. Irgendwie ging es bei uns deshalb zu, wie in einem real gewordenen Police Academy-Film, in dem eben verrückte Zivildiener die Hauptrollen spielen.

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Nur ein kleiner Teil meiner Zivi-Kollegen legte überhaupt die vierwöchige Ausbildung zum Rettungssanitäter ab. Die meisten Kerle dort waren einfach froh, wenn sie nicht mehr tun mussten, als Schüler von der Sonderschule nach Hause zu bringen, oder Pensionisten aus dem Altersheim abzuholen. Oder kiffen. Kiffen hatte unter ganz vielen der Zivildienern in meiner Dienststelle ziemlich hohen Stellenwert. Aber auch die unter uns, die die Sanitäter-Ausbildung machten, bekamen nur selten Rettungsfahrten zugeteilt. Eigentlich waren wir eher so etwas wie ein Taxi-Unternehmen in lustigen Uniformen.

Besonders in einer Hinsicht sind sich Zivildienst und Bundesheer sehr ähnlich: Du hast es permanent mit Leuten aus sozialen Gruppen zu tun, mit denen du im normalen Leben niemals in Kontakt kommen würdest. Stoner und Hooligans, Skateboarder und Autotunig-Fans, Nerds und Bonzenkinder—alle müssen es schaffen, irgendwie miteinander klarzukommen. Oft hat das sogar halbwegs geklappt. Aber manchmal eben auch nicht. An manchen Tagen konnte ich fast nicht glauben, wie viel Chaos herrschen kann, wenn knapp 100 halberwachsene Männer zusammen in einen Aufenthaltsraum gesteckt werden. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem der kleinste und am ungefährlichsten wirkende Zivi unter uns einem anderen Kerl, der ein ziemlicher Arsch war, im Aufenthaltsraum plötzlich einen Teller über die Kopf drosch, weil der ihm zuvor im Schlaf einen Penis ins Gesicht gemalt hatte. Der Kerl musste daraufhin ins Krankenhaus und genäht werden.

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Aber eigentlich denke ich mittlerweile sogar sehr gerne an meinen Zivildienst zurück, denn so viele lustige Dinge, wie mir in diesen paar Monaten passiert sind, habe ich so komprimiert nie wieder erlebt. Außerdem ist in meiner Dienststelle neben den Kuriositäten, die in diesem Artikel behandelt werden, eben auch sehr viel wirklich gute Arbeit geleistet worden. Es ist auch gar nicht mein Ziel, meine alte Dienststelle in Bedrängnis zu bringen—soweit ich weiß haben sich viele Zustände dort in den letzten paar Jahren zum Guten verändert. Deswegen tu ich in diesem Artikel einfach einmal so, als würde ich von irgendeiner Rettungsorganisation in irgendeiner Stadt sprechen.

Die Grindigkeit

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo in Österreich jemals eine Rettungsorganisation gab, die so heruntergekommen war wie unsere Landesdienststelle. Diese Lumpigkeit betraf so ziemlich alle Ebenen: Während selbst unsere Kollegen der selben Rettungsorganisation in anderen Bundesländern ihr T-Shirt feinsäuberlich in die Hose stecken und ordentliche Arbeitsschuhe tragen mussten, hatten wir die Hosen unterm Arsch und die selben Latschen an, wie in unserer Freizeit auch.

Während die wenigen richtigen Rettungsautos, die für Hauptberufliche und Sanitäter vorgesehen waren, gehegt und gepflegt wurden und mit High Tech ausgestattet waren, fuhr ein großer Teil der Zivildiener für die normalen Transporte teilweise mit Karren durch die Stadt, die unmittelbar davor waren, in ihre Einzelteile zu zerfallen. Manche Autos waren besonders berüchtigt, weil nicht einmal die Gangschaltungen noch funktionierten und die Kisten beim Schalten Geräusche machten, die einen sogar in einem Traktor beunruhigen würden.

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Aber wenn eines besonders heruntergekommen war, dann die Leitstelle. Abgesehen davon, dass sie von außen ungefähr aussah wie ein stillgelegtes russisches Atomkraftwerk, waren unsere Aufenthaltsräume der Inbegriff von einer Bruchbude. Die Couches, auf denen praktisch rund um die Uhr Zivildiener in einer Art Wachkoma herumlagen, sahen aus, als hätte sie jemand frisch aus dem Sperrmüll gezogen und waren mit Flecken übersät von denen ich nicht wissen wollte, woher sie stammten. In der einer der Couches wohnte eine Maus. Kein Scherz. Ich habe sie mit eigenen Augen ein- und ausgehen sehen.

Manchmal habe ich im Dienst acht Stunden geschlafen.

Grindig ist überhaupt kein Begriff für den Zustand, den die Leitstelle teilweise hatte. Geputzt wurde in dem Bereich, in dem wir Zivildiener unser Dasein fristeten, teilweise wochen- oder monatelang nicht. Ich erinnere mich an eine große Lacke aus Kakao, die neben einer Couch ausgeschüttet wurde und die ich als Anhaltspunkt nutzte, um herauszufinden, ob hier überhaupt jemals irgendjemand den Boden wischte. Fünf Wochen habe ich zugesehen, wie dieser Kakaosee in den Boden eingetrocknet ist. Überhaupt konnte es dir überall passieren, dass du dich aus Versehen auf eine alte Käsekrainer legst, oder jemand seinen Hamburger einfach quer durch den Raum schoss.

Das Kantinenessen war so ungesund und ohne Abwechslung, dass es fast lächerlich war. Nachmittags gab es zum Beispiel abwechselnd Toast oder Würstel. Damit ihr euch ein Bild machen könnt: Ich habe in den neun Monaten genau neun Kilo zugenommen (die ich glücklicherweise großteils wieder los bin).

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Da das gesamte Gebäude unserer Leitstelle völlig veraltet war und die Fenster schon seit Jahren ausgetauscht gehört hätten, war es im Winter kalt. So kalt, dass du im Haus rund um die Uhr deinen Atem gesehen hast und deine Füße manchmal so kalt waren, dass sie taub wurden. In dem Schlafraum, den wir liebevoll Crack-Höhle nannten, weil er noch heruntergekommen war als die restlichen Aufenthaltsräume, konnte man in den Wintermonaten nur schlafen, wenn man eine dieser kleinen Ikea-Decken verwendete, um seine Füße darin in einem Knäuel einzuwickeln. Der Gebäudeteil der Hauptberuflichen hingegen war schön, gemütlich und wurde sogar richtig geheizt und geputzt, was die Moral unter den Zivis einen Stock darunter nicht unbedingt gehoben hat.

Die Zivi-Bomber

Als Zivi-Bomber bezeichnet man Rettungs- oder Krankenwagen, in denen kein hauptberuflicher Sanitäter mitfährt, sondern die beiden Typen, in deren Hände du dein Schicksal als Fahrgast legst, pubertierende Bubis sind, die vom Staat dazu verpflichtet werden, diese Aufgaben zu erfüllen. Nach neun Monaten kann ich euch eines garantieren: Das Wort „Bomber" hat nie eine Sache besser beschrieben, als zwei Zivildiener, die wie die Verrückten in einem Krankentransportwagen durch eine Stadt fahren.

Aber nicht einmal alle Hauptberuflichen waren bei ihren Fahrten ganz bei Trost. Es gab einen Typen oben bei den Hauptberuflichen, der sich vor den Chefs immer ganz seriös präsentierte, aber sobald du als Zivildiener alleine mit ihm in einem Auto warst, begann er wie ein Verrückter herumzuschreien und zu rasen, als gäbe es kein Morgen mehr (aus irgendeinem Grund tat er das immer dann, wenn Eminem im Radio zu Laufen begann—fragt mich nicht warum).

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Der Funk-Verkehr, der zwischen der Leitstelle und den Autos im Einsatz geführt wurde, und den man in jedem Rettungswagen mithören konnte, war teilweise das reinste Kabarett. Einmal funkte ein Zivildiener an die Leitstelle: „Ich habe ein Problem. Mein Auto hat keinen Seitenspiegel mehr." Die Leitstelle antwortete: „Dann fahren Sie bitte zurück in die Leitstelle." Daraufhin der Zivildiener: „Na ja, geht nicht. Das Auto liegt halt auf der Seite." Manchmal hat der Funk es geschafft, dass ich Tränen lachen musste.

Unfälle waren an der Tagesordnung. Mutwilliges Beispiel: Ein Zivi, der seinen Führerschein erst seit einer Woche hatte, beschloss, dass er doch schon selbst mit dem Dienstbus fahren wollte, obwohl er eigentlich erst eine Prüfungsfahrt mit unserem Chef hätte ablegen müssen. Also hat er seinen Kollegen überredet, ihn auf den Fahrersitz zu lassen. Einige 100 Meter vor der Leitstelle verlor er die Kontrolle über den Kleinbus, kam von der Straße ab und prallte direkt in einen Stromkasten. Blöderweise was dieser Stromkasten für die Stromversorgung der Bank nebenan verantwortlich—die komplette Bank hatte daraufhin einen Stromausfall. Der Schaden lag im vierstelligen Bereich, den mein übermotivierter Kollege selbst berappen sollte, weil er seine Prüfungsfahrt noch nicht abgelegt hatte und die Versicherung deshalb nicht haften wollte. Irgendwie tat mir der Bursche ab diesem Zeitpunkt immer leid.

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Horrorfahrten

So gut wie jeder von uns Zivis hatte alle paar Wochen eine dieser Fahrten, die einem in Erinnerung blieben, weil sie so schrecklich waren. Meistens lag das schlicht an unserer Überforderung mit den Fahrgästen. Meine größte Horrorfahrt hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt: Ich musste zusammen mit einem meiner unerträglichsten Zivi-Kollegen—dem Kerl, dem auch der Teller über die Rübe gebraten wurde—einen jungen Mann aus einer Lebenshilfe in sein Heimatdorf bringen, das etwa zwei Stunden entfernt war.

So weit, so gut. Die Betreuer des Mannes sagten uns aber schon im Vorhinein, dass wir vorsichtig fahren sollten, weil unser Fahrgast einen sehr empfindlichen Magen habe, und er sich regelmäßig auf den Fahrten übergäbe. Ich schwöre, wir sind gefahren, als hätten wir ein rohes Ei auf der Rückbank angeschnallt. Aber mitten auf der Fahrt begann unserer Fahrgast hinten im Bus trotzdem alles vollzukotzen—und zwar in Mengen, die ich bis heute nur schwer begreifen kann. Da wir in unseren normalen Transportwagen nichts Brauchbares zum Saubermachen hatten, versuchten wir, die restliche Fahrt lang unsere Köpfe aus den Fenstern zu stecken, denn der Gestank war unerträglich. Letztendlich mussten wir noch drei Stunden in diesem Auto aushalten, bevor ich in der Leitstelle die ehrenwerte Aufgabe erhielt, die Rückbank penibelst zu säubern. Das war der einzige Tag, an dem ich ernsthaft darüber nachdachte, meinen Dienst einfach zu quittieren. Aber zumindest ist bei mir nie Kacke durchs Auto geflogen—einigen meiner Kollegen ist das anscheinend passiert.

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Exzessives Nichtsun

Als ich mit den anderen Kerlen, die ihren ersten Dienst hatten, zum ersten Mal den Aufenthaltsraum betrat, in dem die restlichen Zivildiener ihre Zeit verbrachten, war ich wirklich verblüfft, wie desinteressiert und lethargisch Menschen eigentlich sein können. Da kommen 20 Typen herein, mit denen man die nächsten Monate verbringen muss, und diese Leute lagen einfach auf ihren abgefuckten Couches herum, ohne überhaupt Notiz von uns zu nehmen. Kein einziger von ihnen hat ein „Hallo" herausgebracht, sie haben ihren Kopf nicht einmal in unsere Richtung gedreht—nicht aus Unhöflichkeit, sondern viel eher aus endloser Faulheit.

Aber es hat nur ein Monat gedauert, dann war ich genau gleich wie diese Typen. Faul sein war in den Aufenthaltsräumen der Zivis fast so etwas wie eine Religion. Du hast dir früh morgens einen Platz auf einer Couch oder in einem der Betten gesucht, in denen ein Drittel der Leisten im Lattenrost fehlten, und wenn du nicht durch die Lautsprecher zu einer Fahrt aufgefordert worden bist, dann bist du dort liegen geblieben, und zwar auf Gedeih und Verderb.

Da alle paar Monate ein ganzer Schub an Zivis gleichzeitig seinen Dienst beendete, gab es Zeiten, in denen es extrem stressig war, man extrem dichte Dienstpläne hatte und stundenlang von einer Fahrt zur nächsten durch die Stadt hetzte. Dann gab es aber eben auch Phasen, in denen viel zu viele Zivildiener im Dienst waren. Und wenn du Glück hattest, gab es Tage, an denen du nicht mehr als ein- oder zwei Fahrten hattest. Um das Ganze zu veranschaulichen: Manchmal habe ich im Dienst acht Stunden geschlafen. Überhaupt habe ich nie wieder so viel geschlafen wie in meiner Zeit als Sanitäter. Das lag vor allem daran, dass es kein Freizeitprogramm gab—abgesehen von Sitcoms schauen (es lief jeden Tag von früh bis spät ProSieben, was gleichbedeutend mit einer Endlosschleife von Scrubs und How I Met Your Mother war), im Raucherhof herumsitzen und dabei auf den Boden spucken, oder Tischfußball spielen.

Rausch

Ein weiteres Problem, das sich aus der Kombination aus permanentem beruflichem Autofahren und einem Haufen 18, 19 und 20-jähriger Kerle ergab, war begrenzte Fahrtüchtigkeit. Wie man ja weiß, gehen Teenager gerne fort, und wenn sie das tun, dann hauen sie traditionell ziemlich auf die Kacke.

Wie man sich vermutlich denken kann, war die Gefahr der restfetten Zivibomber besonders am Wochenende exorbitant hoch. Zwei Kollegen von mir wurden einmal Samstagfrüh zu einer Drei-Stunden-Fahrt eingeteilt. Beide waren ohnehin schon für Randale bekannt und definitiv noch nicht ganz nüchtern—mir war es es schon ein Rätsel, wie ein vernünftiger Mensch überhaupt auf die Idee kommen konnte, die zwei zusammen in ein Auto zu setzen.

Jedenfalls erzählten sie mir bei ihrer Rückkehr ganz stolz, dass sie auf einer langen geraden Bundesstraße, als sie völlig alleine waren und keinen Fahrgast mehr dabei hatten, auf die grandiose Idee gekommen sind, bei etwa 30 km/h beide aus den Fenstern des Autos zu klettern, über das Dach des Autos einen fliegenden Fahrerwechsel zu machen, und dass es viel besser geklappt hat, als sie erwartet hätten. Ich war danach ziemlich glücklich, dass die beiden überhaupt noch lebten. Überhaupt war ich einfach nur heilfroh, dass wir es letztendlich alle gesund und munter diese neun Monate hinter uns gebracht hatten. Titelbild: Till Krech/Flickr/CC. 2.0