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Popkultur

Wir haben mehr als 200 Stunden mit 'Star Trek' verbracht

Über 10 Staffeln, fast 260 Folgen und ein neues Virtual-Reality-Spiel: Ein Sternenflotten-Marathon durch prätentiöse Utopien, viel Rassismus und ein bisschen Polyamorie.
Foto von VICE Media

Wäre ich in einer klischeehaften Highschool aus dem Vorabendprogramm, würde ich mich jetzt als ultimativer Nerd outen und Typen in Sportjacken müssten mich umgehend verprügeln, um die Ordnung der Welt aufrecht zu erhalten. Ich habe mir nämlich knapp 260 Folgen Star Trek angesehen und im VR-Videospiel Bridge Crew ein Raumschiff der Galaxy Klasse kommandiert.

Das Sci-fi-Franchise Star Trek und alle seine Ableger haben einiges erfunden – selbst wenn man von den offensichtlichsten technologischen Errungenschaften wie Videochat, Handys und Stimmerkennung absieht. Bereits 9 Jahre vor Obi Wan und Alderaan spürte Spock die Zerstörung eines weit entfernten vulkanischen Raumschiffs und den kollektiven Schock der Sterbenden. 3 Jahre vor Tom Cruises "You complete me" in Jerry Maguire hat Worf jemandem bereits "Without you I am not complete" gestanden.

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Kein Angst, ich werde nicht die mühsame Diskussion wieder aufwärmen, welche "Star-irgendwas"-Saga besser sei (OK, nur ein bisschen: Wars = bessere Fantasy, Trek = bessere Sci-fi) und ich will auch nicht einen Klingonen romantischer nennen als Señor Scientology. Ich möchte euch einfach nur daran teilhaben lassen, was ich bei meinem 200-stündigen Marathon an paar Fun-Facts und Gedanken gesammelt habe.

Also, auf in die Welt der schlechten Spezialeffekte, zeitgeschichtlichen Analogien und semi-smarten Pseudowissenschaften! Make it … eh schon wissen.

Ein Weltraum voller rassistischer Bullys

Captain Kirk, ein absurd melodramatischer Kommandant der Sternenflotte, und seine Crew erschienen erstmals 1966 im Fernsehen und blieben dort, bis sie 1969 abgesetzt wurden. Star Trek wird gerne als die progressivste Serie ihrer Zeit gefeiert, da erstmals schwarze und asiatische Hauptdarsteller auf den US-Bildschirmen zu sehen waren und es hier den ersten interethnischen Kuss der TV-Geschichte gab.

Und oberflächlich verschreibt sich die Enterprise auch tatsächlich von Anfang an der Toleranz und Forschung. Aber bei genauerer Betrachtung sind die ethnische Vielfalt, der soziale Pluralismus und die "unendlichen Weiten" von Star Trek doch recht plump. Jedes Volk der Galaxie ist durch ein dickes fettes Stereotyp gekennzeichnet: Auf diesem Planeten haben alle Fühler. Dort sind alle kriegerisch. Diese Bewohner verstehen das Konzept von Schmerz nicht. Eine andere Spezies kennt keine Gefühle und hat sich komplett der Vernunft verschrieben. Es gibt sogar ein Volk, das buchstäblich schwarzweiß angemalt ist. (Der Punkt macht sich von selbst.)

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Die einzigen, die sowas wie eine ganzheitliche Ausstattung und komplexe Verhaltensmuster haben, sind – erraten! – wir Menschen. Natürlich könnten die schlechten Ausstattungsmöglichkeiten der Serie Schuld sein, dass man sich nur eine Eigenschaft pro Planet leisten konnte. Andererseits kostet es nur mehr Hirnschmalz und vielleicht bessere Drehbücher, um die Dialoge und Figuren ein bisschen facettenreicher zu machen, nicht zwangsweise mehr Make-up.

Egal, woran es liegt – so ein Welt(all)bild ist letztlich mega-rassistisch. Jeder Ferengi ist ein geldgeiler Händler – und erlaubt den Frauen nicht, Kleider zu tragen. Alle Klingonen sind (zumindest in der Originalserie) eindimensionale Bösis ohne gezackte Stirnplatten – und vielleicht nicht ganz zufällig in Richtung "Mittlerer Osten" geschminkt.

Selbst Mister Spock, der rückblickend neben dem Wampen-Captain wahrscheinlich die wichtigste Kultfigur des Universums ist, wurde für seine Emotionslosigkeit und Herkunft laufend verarscht; für den Schiffsarzt ist er nur ein "spitzohriger, grünblütiger Teufel". Selbst der Captain behandelt seinen außerirdischen ersten Offizier von oben herab und belächelt seine komplexe Gefühlswelt. Spock ist ein Freak. Was hier Pointen und Comic-Relief sein sollen, ist in Wahrheit doch nichts anderes als ziemlich oberschwelliges Bullying. (Gut, dass die Serie zumindest nie die tatsächliche Herkunft des Spock-Darstellers Leonard Nimoy ins Spiel gebracht hat; dieser war Sohn von jüdisch-ukrainischen Immigranten und hat das berühmte vulkanische Handzeichen übrigens selbst erfunden – in Anlehnung an einen hebräischen Segens-Gestus.)

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Natürlich hat das originale Star Trek aber auch gute Seiten, zum Beispiel im Hinblick auf seine Philosophie: Wer ist Gott, was ist Allmacht? Was wären diplomatische Herausforderungen einer intergalaktischer Föderation? Wo kommen die Tribbles her (nein, das ist keine Geschlechtskrankheit)? Und wie funktioniert eine Gesellschaft ohne Überlebenszwänge und mit dem Sci-fi-Äquivalent zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Wie immer bei guter Science-Fiction wurde auch in Star Trek aktuelle Zeitgeschichte in Metaphern ausgedrückt und in die Zukunft projiziert. Sogar die frühe Hippie-Bewegung bekam eine eigene Folge und Spezies. Der Kalte Krieg machte Star Trek zur Utopie des Zusammenhalts. Das ist alles würdig und recht – seid einfach ein bisschen netter zu Spock, Leute.

Das elitäre nächste Jahrhundert

Am 28. September 1987 startete Star Trek: The Next Generation und ist, auch meiner Meinung nach, eine der besten Serien ihres Genres. Ein komplett aufgeräumter, fast spießig-intellektueller Captain, Aliens verschiedenster Art und Ausprägung und vor allem saugute Autoren. Die Folgen boten Gottkomplexe, zeigten die Träume von Künstlichen Intelligenzen und hatten in den späteren Staffeln sogar lynchesque bis cronenberg-artige Elemente.

Die Borg sind eine Mensch-Maschinen-Rasse aus kybernetischen Zombies, die organische Lebensformen in sich aufsaugen und zu einem von ihnen machen. Diese blassen Jungs mit Schläuchen und kleinen Motoren am ganzen Körper könnten für die damals aufflammende Angst vor AIDS stehen – oder eine Analogie zum gerade besiegten Kommunismus bedeuten. Wie in der Originalserie wird auch die neue Bösewicht-Spezies zum Sinnbild einer allgemeineren Bedrohung.

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Bei meinem Marathon fiel mir auf, wie systemhörig und verliebt in ihre Ränge die Crew des nächsten Jahrhunderts eigentlich ist. Mehr Folgen als mir lieb sind handeln von Bürokratie und Befehlsketten: Darf ein sich selbst als lebend erachtender Android von seinen Besitzern, der Sternenflotte, zerlegt werden? Wann dürfen Direktiven für ein Rettungsmanöver missachtet werden? Einmal muss Picard eine diplomatische Begrüßung in einer komplexen fremden Sprache auswendig lernen, da es sonst Krieg gäbe. Oberflächlich sieht man freundlich-futuristische Gutmenschen in bunten Overalls, aber hinter den Kulissen verbirgt sich eine strikte Militärhierarchie. Auch das gibt Einblicke in das Universum hinter den Abenteuern.

Oberflächlich sieht man freundlich-futuristische Gutmenschen in bunten Overalls, aber hinter den Kulissen verbirgt sich eine strikte Militärhierarchie.

Neben dem Transporterraum, dessen Beleuchtungs-Platten am Set noch aus der Originalserie aus den 60ern stammen, ist das Holo-Deck wohl die fantastischste Idee des Star Trek-Universums. Eine plastische, computergenerierte Simulation, in der man ALLES, was das kranke Hirn begehrt, erschaffen kann. Angesichts der endlosen Möglichkeiten für total immersive Pornos und Westworld-artige Amokläufe fragt man sich aber auch, warum diese Technologie auf der Enterprise NCC-1701-D derart harmlos, prätentiös verantwortungsvoll und selbstgerecht verwendet wird.

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Statt konsequentenlosem Horror und GTA-mäßigem Exzess werden auf dieser "Zauberbühne" nur Theaterstücke und Literatur-LARPing veranstaltet. Der Maschinenraum-Techniker Regi, der den Offizieren immer zu verschlafen und unkonzentriert ist, lässt anscheinend als einziger seiner sexuellen Fantasie freien Lauf und kreiert Imitate seiner sexy Vorgesetzten. Hand aufs Herz: Der Boden eines tatsächlichen Holo-Decks wäre doch mehr als klebrig.

Abgesehen vom Holodeck wird Sexualität in The Next Generation aber sehr cool gehandhabt. Deanna Troi amüsiert sich in einer Folge rund um Eifersucht und arrangierter Ehe über Sternen-Stecher Riker und darüber, dass er die zig verschiedenen Arten platonischer, körperlicher und freundschaftlicher Liebe nicht versteht. Im Prinzip erteilt sie ihm eine Lektion in Polyamorie, die nicht nur Riker (oder Jonathan Frakes), sondern auch dem Publikum der späten 80er-Jahre einiges Neue beigebracht haben dürfte.

Der aufgeschlossene Riker geht einmal sogar eine Beziehung mit einer Person einer androgynen Rasse ein, die ausgestoßen wird, weil sie sich einem Geschlecht mehr zugehörig fühlt als dem anderen. Die Folge heißt übrigens "The Outcast" und ist ziemlich gut gealtert – nur falls ihr ein bisschen selektiver schauen wollt als ich. Auch "The Inner Light" ist genial, in der Captain Picard innerhalb von wenigen Minuten ein ganzes Leben auf einem fremden Planeten verbringt; und auch das Finale von TNG basiert auf einer extrem schönen Idee, die in drei verschiedenen, aufeinander Einfluss nehmenden Zeitebenen spielt.

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Bürokratie, strikte Hierarchien und Eliten-Denken sind wohl der Preis, den man für eine prätentiöse Utopie, losgelöst von Sorgen um Hunger, Geld und Monogamie bezahlen muss. Auch wenn The Next Generation nichts für perverse Faulenzer und antiautoritäre Slacker ist, würde ich trotzdem gerne mal mit Beverly, Geordi, Data, Worf und Deanna pokern.

Feige Klingonen und ein Mädchen, das Michael heißt

Um ehrlich zu sein, bin ich bei Voyager, Deep Space 9 und wie sie alle heißen, recht früh ausgestiegen. Einerseits damals, als sie im Fernsehen liefen (es gab einfach zu gute Alternativen), andererseits jetzt beim Wiederschauen (weil 200 Stunden eigentlich auch irgendwie genug Star Trek sind).

Aber gerade jetzt, zum runden Geburtstag der besten Trekkie-Serie, ist auf Netflix mit Star Trek: Discovery die neueste Inkarnation des Roddenberry-Traums angelaufen – und muss hier zumindest andiskutiert werden. Ehrlich gesagt glaube ich, dass Discovery bei mir bald dasselbe Schicksal ereilen wird wie die oben genannten "Ferner liefen"-Trek-Serien. Man merkt, dass der neuen Serie einige Action-geladene Kinoadaptionen und vor allem ein Abrams-Film vorausgegangen sind.

Das Ganze fühlt sich mehr nach Wars als nach Trek an; leider fehlen zum Beispiel die statischen pseudowissenschaftlichen Gespräche auf der Brücke, die ich so gerne habe. Und die Effekte sind viel zu gut für eine Star Trek-Serie!

Die Spezies der Klingonen sind zu einem homogenen, kaltblütigen Kollektiv an Brandwunden-Opfern regressiert. Während Worf in TNG die Ehre eines Kriegervolks repräsentierte, schrecken diese "neuen" Klingonen nicht davor zurück, mit einem unsichtbaren Raumschiff in ein gegnerisches zu rasen und sich als Weltall-Terroristen zu geben. Die Klingonen, die ich von meinen Marathons kenne, wären niemals so feig gewesen.

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Die Hintergründe dafür und die schwarze Protagonistin, die mit dem Vornamen Michael kurz Transgender-Theorien aufkommen ließ (tatsächlich ist die Namenswahl nur ein Spleen vom Serienmacher Bryan Fuller), halten mein Interesse an Discovery aber vorerst noch wach. Vielleicht wäre eine wilde Kamerafahrt weniger und ein nerdiger Drehbuchautor mehr eine Idee? Nur so ein Vorschlag.

In Virtual Reality den Captain spielen – und mit den eigenen Brüsten

VR-Screengrab vom Autor 'Star Trek: Bridge Crew' (c) Ubisoft

Noch mehr Zukunft als eine Netflix-Original-Serie aus dem Star Trek-Universum ist eigentlich nur eins: Das Virtual-Reality-Game Star Trek: Bridge Crew. Endlich mit VR-Brille und Motion-Controllern die Brücke eines Raumschiffs der Sternenflotte befehligen!

Wenn man will, dockt das Ganze auch noch nahtlos an die Geschlechterverwirrung von Discovery an: Ich habe mir jedenfalls gleich eine schwarze Vulkanierin mit lila Haaren und strengem Blick gebastelt. Leider ist mir schon der eine oder andere Photonen-Torpedo entgangen, weil meine virtuell-realen Hände von meinen genauso virtuell-realen Brüste abgelenkt waren.

Bridge Crew selbst ist leider schwerfällig und unausgereift, aber das Konzept eines Online-Multiplayers dieser Art ist gut: Einer steuert das Schiff, die eine die Waffensysteme und ich halte den Warp-Kern intakt. Ganz dem Kollektivgedanken verschrieben ist das Zusammenarbeit, die Spaß macht. Man kann einander anschreien, sich zuwinken und "Fingerguns" schicken, wenn zum Beispiel ein romulanischer Bird-of-Prey explodiert. Vielleicht wird das Spiel ja mal Teil von Arbeitsplatzseminaren und "Teamwork"-Übungen. Ich bin jetzt jedenfalls bereit für meine eigenen Abenteuer in den unendlichen Weiten. Und ich hoffe, dass sie nicht bei AMS-VR-Kursen enden.

Josef auf Twitter: @theZeffo