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Ein offener Brief an den Bundesratskandidaten Thomas Aeschi

Thomas Aeschi will Bundesrat werden und weiterhin Witze über K.O.-Tropfen-Opfer machen. Schwierig.
Screenshot aus „Welcome to SVP"

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass Sie, Herr Aeschi, tatsächlich als Bundesrat vorgeschlagen würden. Und dass Sie bisher medial so gut weggekommen sind. Dies nachdem Sie im „Welcome to SVP"-Video pubertäre Unreife und fehlendes Feingefühl bewiesen haben. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bis die grosse Wahl ansteht. Die Wahl, die Sie zum Bundesrat machen könnte. Auch nicht für möglich gehalten hätte ich, dass die Medien Ihnen Ihren Fauxpas einfach verzeihen, und Sie weiterhin als ernstzunehmenden Politiker darstellen.

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Doch viele Menschen können über Ihre Stillosigkeit nicht einfach hinwegsehen, Herr Aeschi. Denn Sie haben die Schweizer und Schweizerinnen nie um Entschuldigung gebeten. Nein, Sie verrieten stattdessen wenige Tage vor der Bundesratswahl dem SonntagsBlick, dass Sie wieder Witze über K.O-Tropfen-Opfer machen würden.

Screenshot von Blick.ch

Natürlich sind Sie im Video nicht der einzige Witzbold in Ihrer Partei. Selbstironisch liest Herr Köppel die WOZ, was tatsächlich ein bisschen komisch ist, da der Herr ja Chef Ihres Parteiblattes ist. Zumindest kann der Zuschauer erahnen, was daran lustig sein soll und ich erahne eine Beziehung zwischen ihm und der Zeitung.

Nun frage ich mich, wie Sie Ihre Beziehung zu den K.O.-Tropfen begründen? Der SVP-Chef des Kantons Zug, der einen Schluck vom Zuger Kirsch herunterkippt. Neben Ihnen steht ein plakativ beschriftetes Fläschchen K.O.-Tropfen. Sofort brechen Sie mit wenig schauspielerischem Talent zusammen.

Screenshot aus dem Welcome to SVP-Video

Ihre Partei drehte dieses Video , bevor die Untersuchungen im Fall der „Zuger Sexaffäre" abgeschlossen und die Fristen für allfällige weitere Beweisanträge verstrichen waren (der erste Teaser, in welchem Sie schon zu sehen waren, erschien am 2.9.).

Sie und Ihre Parteikollegen konnten zu diesem Zeitpunkt nicht sicher wissen, wie die hängige Strafuntersuchung ausgehen würde. Was hätten Sie getan, wenn sich die Staatsanwaltschaft zur Anklage entschlossen und die Untersuchungen nicht eingestellt hätte, wenn weitere Beweisanträge gestellt worden wären? Hätten Sie weiterhin über Ihren Witz lachen können?

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Irgendwann scheinen Sie bemerkt zu haben, dass Sie über die „Zuger Sexaffäre" stolpern könnten. Sie relativierten Ihren Auftritt im SVP-Wahlkampfvideo gegenüber Zentralplus: „Das ist bestimmt kein Seitenhieb auf Spiess-Hegglin, und auch nicht auf Markus Hürlimann. Im Video geht es nur darum, dass wir uns selber auf die Schippe nehmen."

Herr Aeschi, wie genau nehmen Sie sich selbst auf die Schippe, indem Sie K.O.-Tropfen shotten? Bezieht sich Ihre „Selbstironie" auf vergangenen März? Damals schenkten Sie Markus Hürlimann, gegen den noch ermittelt wurde, einen „Spiess", als Sie ihn als Parteipräsidenten verabschiedeten. Eine Flasche Wein mit K.O.-Tropfen-Etikette wäre wahrscheinlich auch Humor nach Ihrem Geschmack gewesen.

Ich habe dazu einige Fragen: Sind die K.O.-Tropfen-Witze vielleicht gar nicht Ihr Problem? Mögen Sie vielleicht einfach Frau Spiess-Hegglin nicht? Wenn dem so ist, würde ich Ihnen raten, diese persönlichen Zankereien nicht in der Öffentlichkeit auszutragen.

Denn mit Ihrem „Humor" verletzen Sie jene 20 Prozent der Schweizerinnen, die laut frauenberatung.ch mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. Frauen, die missbraucht und/oder vergewaltigt wurden. Sie als Bundesrat an der Spitze unseres Landes zu wissen, muss für diese Frauen einem grotesken Witz gleichkommen.

Screenshot von Twitter

Wenn Sie also lediglich ein Problem mit Frau Spiess-Hegglin haben, sollten Sie sich vergegenwärtigen, diesen persönlichen Seitenhieb auf politischer Ebene getätigt zu haben. Als Chef Ihrer Partei in Zug. Verhalten wie das Ihre kenne ich persönlich ausschliesslich von dem bösen Buben in der Primarschule, der erst aufhört, wenn die Mutter einen Reklamations-Anruf bekommt. Ich würde diesbezüglich gerne einmal mit Ihrer „Mutter" Christoph Blocher telefonieren.

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Natürlich wurden Sie aber von Ihrer Partei erzogen und Sie scheinen die meisten Ihrer Parteikollegen stolz zu machen. Mit Ihrem sexistischen Verhalten des vergangenen Jahres reihen Sie sich brav in der Liste der Akteure des männlichen Chauvinismus Ihrer Partei ein.

Mörgeli beispielsweise durchlebte einen seiner Glanzmomente, indem er Frau Spiess-Hegglin als „ausgekochtes Luder" bezeichnete, als die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen gerade erst begonnen hatte. Im Jahr 2003 versuchten 38 von 44 SVP-Nationalräten zu verhindern, dass die Vergewaltigung in der Ehe als Offizialdelikt zu gelten kommt. Dankbarerweise erfolglos.

Fragwürdigen Humor bewies auch SVP-Bundesrat Ueli Maurer, als er 2014 für neue Kampfflugzeuge warb: „Wie viele Gebraucht-Gegenstände, die älter als 30 Jahre sind, haben sie noch Zuhause?" Antwort: „Bei uns sind das nicht mehr viele, ausser natürlich die Frau, die den Haushalt schmeisst."

Ein Witz, natürlich. Einer, über den Ihre Partei lachen kann, nicht aber die Schweizer Bürgerinnen, die noch immer fast 20 Prozent weniger verdienen, als ihre Bürokollegen.

Sie, Herr Aeschi, halten sich aber dennoch für einen geeigneten Bundesrat. Die NZZ hat Sie gefragt, wo Sie Ihre Charakterstärke sehen. Ihre Antwort war: „Ich kann Situationen genau reflektieren, Bestehendes kritisch hinterfragen und kreative Lösungsvorschläge einbringen. Ich hole jeweils möglichst viele Fakten und Meinungen—auch gegenteilige—ein, wäge Vor- und Nachteile gut ab und fasse dann einen Entscheid."

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Nun, ich frage Sie, ob Sie Ihren K.O.-Tropfen-Fauxpas wirklich reflektiert haben? Haben sie die daraus folgenden Botschaften kritisch hinterfragt? Ich bin mir sicher, dass die Parlamentarier und vor allem Parlamentarierinnen, die Sie zum Bundesrat wählen sollen, an kreativen Lösungsvorschlägen sehr interessiert sind.

Kreativ sollten die Strategien Ihres Krisenmanagements nämlich sein. Denn die bräuchten Sie als Bundesrat, wenn Sie Ihr Bestes dafür tun, dass das Versagen in Gender- und Gleichstellungs-Themen auch auf höchster politischer Ebene weitergeht. Auf dass Ihnen der Zuger Schnaps nicht sauer aufstösst und zum K.O.-Faktor wird! Ein Prosit!

Nadja auf Twitter: @NadjaBrenn

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Screenshot von Youtube