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Wahlen 2015

Ein SVP-Bauer möchte Geistes- und Sozialwissenschaftlern das Studium versauen

Gymi-Prüfung, Numerus Clausus, Stipendien abschaffen—geht's Gymnasiasten und Studenten an den Kragen, wird die SVP kreativ.

Foto: digital cat | Flickr | CC BY 2.0

Die SVP hat es wieder getan. Wie blick.ch heute schreibt, geht die Rechts-Partei in mehreren Kantonen in die Offensive gegen Geistes- und Sozialwissenschaftler. Bereits im Juni forderte die Basler SVP einen Numerus Clausus für Geisteswissenschaftler—und bereits damals war die Idee aus sehr vielen Gründen sehr dumm.

Den Berner Partei-Freunden aber scheint der explosive Ausschlag auf dem Bullshit-Barometer auch gut zwei Monate später noch reichlich egal zu sein: Der Meisterlandwirt und SVP-Nationalratskandidat Ueli Augstburger fordert, die Hochschulbildung müsse sich mehr auf die Interessen der Wirtschaft konzentrieren. Gymnasiasten soll es dank Aufnahmeprüfung weniger geben. Philosophen, Germanisten und andere Geistes- und Sozialwissenschaftler sollen zuerst einen Numerus Clausus absolvieren, während dem Studium höhere Gebühren bezahlen und danach ihre Stipendien zurückzahlen.

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Hätte der liebe Herr Augstburger auch nur einmal einen Schritt durch die Türen einer so verhassten Uni gesetzt, wäre ihm wohl aufgefallen, dass diese Forderungen alles andere als intelligent sind.

Er fordert, was bereits Realität ist

In der Horror-Vorstellung von Augstburger ist die Schweiz wohl ein Melting Pot der Philosophen und Historiker. Tagein, tagaus lungern sie auf Plätzen rum, um irgendwelche gestorbenen Männer zitierend die Welt zu erklären—und absolut nichts dazu beizutragen, dass wir weiterhin mit Hunderter-Nötchen um uns schmeissen können. Mal abgesehen davon, dass das in meiner Soziologen-Welt ganz schön wäre, ist das natürlich nicht so. Die Realität sieht so aus, dass in der Schweiz immer weniger Menschen Philosophen oder Historiker werden.

Foto: Vieux Têtard | Wikimedia | Public Domain

Die Geisteswissenschaften schrumpfen nämlich, während alle anderen Studienrichtungen wachsen: Seit 2002 studieren in der Schweiz 4 Prozent weniger Menschen irgendeine Geisteswissenschaft—alle anderen Studienrichtungen wuchsen in der gleichen Zeit um mindestens 48 Prozent. Sehr beruhigend für den Herrn Meisterlandwirten dürfte nicht nur das, sondern auch die Tatsache sein, dass die technischen Wissenschaften jene mit dem stärksten Wachstum waren. Und ihn wirklich zu süssen Träumen verführen, dürfte der Fakt, dass verglichen mit Fachhochschulen und Berufsbildungen die Unis verdammt schlecht dastehen.

Studierendenzahlen, 2005-12: Uni: +23% Fachhochschulen: +55% Höhere Berufsbildung: +43% — Fabrizio Gilardi (@fgilardi)29. Juni 2015

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Das alles weiss ich übrigens nicht von einem „exakten Wissenschaftler", wie sie sich Herr Augstburger zu Tausenden wünscht—sondern weil ich auf Twitter einem dieser bösen, bösen Politik-Professoren folge.

Der Bauer hat die Bildung nicht verstanden

Das klingt im ersten Moment sehr elitär—ist es aber überhaupt nicht. Das Problem ist schliesslich nicht, dass Augstburger Bauer ist. Das Problem ist, dass Bauer Augstburger einer ist, der wahrscheinlich noch nie irgendwas mit einer Uni zu tun hatte—und dass dieser Mann den Unis erklären möchte, was richtig und was falsch ist. Das ist ziemlich arrogant. Die Uni-Professoren massen sich schliesslich auch nicht an, ihre Lehrerbrillen aufzusetzen, auf den Augstburger-Hof zu marschieren und dem Schweinemäster mit jahrzehntelanger Erfahrung zu erklären, dass er sich doch bitte einen anderen Job suchen soll, weil ihnen Schweinefleisch einfach nicht so richtig schmecken will.

Foto: Ueli Augstburger

Bei Augstburger scheint das nicht angekommen zu sein. Fröhlich kürt er „Mit Bildung am Puls der Zeit" zum Slogan seiner Wahl für die Nationalratswahlen. Dass er ein komplett schräges Verständnis von Bildung hat, ist ihm egal. Den Fakt, dass Gymnasiasten und Geistes- und Sozialwissenschaftler genauso Teil von Bildung sind wie die von ihm ausgebildeten Landwirtschaftslehrlinge—für die SVP mag das am Puls der Zeit sein, für jeden anderen Menschen entspricht das viel eher dem Slogan „Von Bildung habe ich auch mal etwas gehört".

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Ich lasse mir mein Studium nicht verbieten

Ich selbst habe mich vor Jahren dazu entschieden Soziologie im Haupt- und Politik im Nebenfach zu studieren. Ich habe für mein Studium Hilfe vom Staat in Form von Stipendien und Darlehen erhalten. Hätte ich diese nicht erhalten, hätte ich wahrscheinlich eine Lehre gemacht—sicher ist: Hätte ich nicht studiert, wäre mein Horizont wesentlich enger. Ich hätte weniger darüber gelernt, wie die Welt und unser Zusammenleben funktionieren.

Wie ich hier bereits geschrieben habe, habe ich mich nicht für ein Studium eingeschrieben, um der Wirtschaft, dem Staat oder meinen Eltern einen Gefallen zu tun. Ich studiere für mich. Weil mich etwa interessiert, wie Fremdenfeindlichkeit ihren Weg in die Köpfe der Menschen findet und die Politik solche Mechanismen nutzt.

Die Entscheidung, ob und was sie studieren, sollten auch alle anderen frei fällen können. Wenn jemand viel Geld machen möchte und darum BWL studiert: OK. Wenn jemand Pflanzen liebt und darum Gärtner wird: OK. Wenn jemand Ethnologie studiert, weil er sich für die Kulturen dieser Welt interessiert: OK. Wichtig ist nur, dass wir diese Möglichkeit haben—und uns diese nicht durch irgendwelche abstrusen Ideen kaputt machen lassen.

Der Ethnologie-Student soll sich so lange mit Speer werfenden Urwaldvölkern beschäftigen wie er möchte—nur sollte er nicht dazu gezwungen werden, das verhasste BWL zu studieren, weil er sonst sein Leben lang damit beschäftigt ist, Stipendien zurückzubezahlen. Ein erwachsener Mensch—wie auch Herr Augstburger einer ist—sollte anderen Menschen eigentlich zutrauen, solche Entscheidungen für sich treffen zu können und sie nicht durch übermässige Regeln in eine Richtung drängen.

Übrigens kann ich Herrn Augstburger beruhigen: Daran, dass ich diesen Text schreibe, sehen Sie, dass ich als Soziologe einen Job gefunden habe—so wie übrigens fast alle Studenten. Nur jeder fünfzigste Ex-Student ist fünf Jahre nach dem Abschluss noch ohne Job.

Es ist einfach für ein bisschen Szenenapplaus am Stammtisch gegen „die da oben" zu wettern—egal, ob das die EU, der Bundesrat oder eine Uni ist. Mit diesem Populismus gewinnt die SVP seit Jahren ihre Stimmen. Der Hass auf Menschen, die ausserhalb des von ihr vorgesehenen Gesellschaftskonzeptes funktionieren, scheint mir fast schon chronisch. Mit den Äusserungen von Nationalratskandidat Augstburger geht die SVP diesen Weg dementsprechend unbeirrt weiter. Für uns wichtig ist dabei, dass möglichst viele—unter anderem dank geistes- und sozialwissenschaftlichen Bullshit-Detektoren—merken: Bauer Augstburger sollte diese Veränderungsvorschläge im besten Fall seinen Masttiere unterbreiten.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland