Wir waren beim "patriotischen Frühling" mit Strache und Le Pen in der Pyramide Vösendorf

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Wir waren beim "patriotischen Frühling" mit Strache und Le Pen in der Pyramide Vösendorf

Eine Woche vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien haben sich Europas führende Rechtspopulisten in Wien getroffen. Das Motto: „Patrioten aller Länder, vereinigt euch!"

Alle Fotos von François Weinert

Ernst hat seine Leberkäsesemmel noch nicht angerührt. Immer wieder springt er von seiner Bierbank auf, klatscht und nickt zustimmend. Er habe sich für den heutigen Abend ein eigenes T-Shirt drucken lassen, erzählt er stolz. "Zehntausende IS-Terroristen können über unsere ungeschützte Grenze kommen" steht darauf. Neben ihm sitzt seine Frau Anna und blickt gelangweilt in das Fahnenmeer vor ihr. Ernst ist Wiener, Anna ist Tschechin. Sie wirkt, als wäre sie nur ihm zuliebe mitgekommen. Er wirkt, als wäre das der Abend, auf den er sehr lange gewartet hat.

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Vösendorf liegt im Bezirk Mödling an der Grenze zu Wien. Dort steht ein pyramidenförmiges Gebäude aus Glas und Stahl, das ein bisschen wie ein notgelandetes UFO aussieht. Im Inneren wachsen meterhohe Palmen und üppige Büsche.

Die Luft ist stickig und feucht, das Licht fällt gebrochen in den Raum. Der Saal erinnert an ein Stück Regenwald, über das man eine Glaskuppel gestülpt hat. Nur die Volksmusik, Lederhosen und Käsekrainer holen einen zurück nach Österreich.

Am Freitag haben die Freiheitlichen in Vösendorf den „patriotischen Frühling" veranstaltet. Die FPÖ vernetzt sich zusehend mit rechtspopulistischen Parteien in Europa. Kürzlich hat Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry ein Gipfeltreffen auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, abgehalten.

Auf Einladung von Strache und EU-Abgeordneten Harald Vilimsky sind jetzt Politiker aus England, Italien, Rumänien, Polen, Deutschland, Belgien und Tschechien nach Wien gekommen, um das einjährige Jubiläum von etwas zu feiern, das sich wie ein Widerspruch anhören mag: eine patriotische Internationale. Gemeint ist die im Juni 2015 gegründete Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF). Mit 39 Mitgliedern aus neun Ländern ist die ENF derzeit die kleinste Fraktion im EU-Parlament.

Den Großteil der Mandatare (20) stellt der französische Front National unter Marine Le Pen. Weitere Parteien sind die belgische Vlaams Belang, die italienische Lega Nord, die niederländische Partei für die Freiheit, die Alternative für Deutschland, die österreichische FPÖ und der polnische "Kongress der neuen Rechten". Was sie eint, sind EU-Skepsis, Patriotismus, Nationalismus und angesichts der Biografien einzelner Akteure wie Geert Wilders oder Marcus Pretzell—der Flüchtlinge an der Grenze "notfalls mit Waffengewalt abhalten möchte"—ohne Frage auch Rechtsextremismus.

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"Erlaubt nicht, dass die Einwanderer euer Blut aussaugen!"

Unter den Palmen funkelt ein Meer aus Rotweißrot. Es gibt kaum jemanden, der keine Flagge in der Hand hält. Als die Abgeordneten in den Saal marschieren, erklingt epische Musik, als würden Gladiatoren einen Ring betreten. Die Menge jubelt, als auf der Bühne vom "Europa der Vaterländer" und der "Völkerfamilie" die Rede ist. Auf Fragen, ob man einmal die Minderheit im eigenen Land sein möchte, antwortet die Menge mit Grölen.

"Ich jedenfalls", sagt Ilse in der ersten Reihe trotzig, "möchte nicht irgendwann Kopftuch tragen." Auf der Bühne steht Nordrhein-Westfalen-Landesparteichef Marcus Pretzell von der AfD und fragt, ob das Publikum wisse, wie viele Türken die Scharia einführen würden, wenn sie könnten. Ilse wartet. "50 Prozent!", donnert Pretzell los. Woher diese Zahlen kommen oder ob sie ansatzweise stimmen, ist unwichtig. Es ist der Abend, an dem man ganz offen und befreit etwas bejubeln darf, das von der "Lügenpresse" sonst tagtäglich verdreht wird.

Die wenigsten hier im Raum glauben, dass es in Österreich auch nur einen Journalisten oder eine Journalistin gibt, die keine Lügen erzählen. Die meisten sind skeptisch, wenn man sie fragt, ob man sich zu ihnen setzen darf. Die Gründe sind immer dieselben. Journalisten erfinden, dramatisieren und schnüffeln. "Hör jetzt auf, mit der zu reden, die verdreht dir jeden Satz", sagt ein Mann neben mir und blickt wieder zur Bühne, wo Strache gerade erklärt, warum Frauke Petry "seinen ganzen Respekt verdiene."

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Auch Ernst, der Mann mit dem selbstgedruckten T-Shirt, ist auf Kriegsfuß mit dem etablierten Journalismus. Seit der umstrittene Zeitungsverleger Axel Springer tot ist, liest er nur noch Militärfachmagazine. Er beugt sich über den Tisch: "Weißt du, was offene Grenzen wirklich bedeuten? Islamisten könnten jederzeit radioaktives Material nach Österreich schmuggeln und damit unsere Flüsse und Seen vergiften."

Für eine Europaveranstaltungen wird hier auffallend wenig über Europa diskutiert. Was will die ENF eigentlich ändern? Le Pen hat bei einer Pressekonferenz am Vormittag Volksabstimmungen über den Verbleib in der Union gefordert. 2017 finden in Frankreich die nächsten Präsidentschaftswahlen statt und der Französin und Tochter des rechtsextremen Gründungsvaters Jean-Marie Le Pen werden laut Umfragen gute Chancen eingerechnet. Sie verspricht dem eigenen Volk mehr direkte Demokratie und Mitentscheidungsrecht.

Auf der Bühne in Vösendorf einigen sich die Abgeordneten auf "so wenig gemeinsame europäische Politik wie möglich" und "eine Reform von innen". Unten auf den Bierbänken haben aber viele genau darauf keine Lust mehr. Sie wollen ihren eigenen Brexit. Sie wollen aus der Diktatur des zentralistischen Brüssels befreit werden. Und deswegen wird nicht diskutiert, was man auf EU-Ebene besser machen könnte, sondern gewettert, was schief läuft. Solidarisch zeigt man sich mit jenen osteuropäischen Ländern die, wie Vilimsky sagt, "vorbildlich wenig Flüchtlinge" aufgenommen hätten.

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Strache erntet tosenden Applaus, als das Thema auf die Kürzung der Mindestsicherung für Asylwerber in Oberösterreich gelenkt wird. Der polnische Abgeordnete Michal Marusik versucht sich in bestärkenden Worten: „Erlaubt nicht, dass die Einwanderer euer Blut aussaugen." Es ist bizarr, zu sehen, wie die FPÖ Abgeordneten aus Ost- und Südosteuropa auf die Schulter klopft. Haben sie eben diesen Ländern im vergangenen Herbst nicht vorgeworfen, Österreich, Deutschland und Schweden in der Flüchtlingskrise alleine zu lassen? Heute Abend ist das vergessen. Man zeigt sich solidarisch, wenn es um die nationalstaatlichen Egoismen geht.

"Ein deutscher Patriot liebt, was Deutschland einmal war."

Der deutsche AfD-Politiker Marcus Pretzell macht inzwischen klar, dass es ein Leben nach der EU geben kann. In Norwegen und der Schweiz funktioniere das hervorragend, warum also nicht in Deutschland? Im Publikum sitzt sein Kollege Alexander Gauland und hört zu. Er ist Bundesparteichef der AfD und hat sich vor der EM mit rassistischen Äußerungen über den Nationalspieler Jérôme Boeteng unbeliebt gemacht.

Pretzell ist kein Redner, der poltert und Galle spuckt wie Strache. Er steht am Pult und sieht aus wie der nette Nachbar von nebenan, der einem zum Grillen auf die Veranda einlädt. Dann sagt er Sätze wie diese: "Es hat schon mal den Versuch einer Neuordnung Europas in Wien gegeben. Ich hoffe, dass wir die Fehler unserer Vorväter nicht wiederholen."

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Das ist eine Anspielung auf den Wiener Kongress, der vor über 200 Jahren nach dem Sturz Napoleons in der Hofburg abgehalten wurde. Warum Pretzell im Jahr 2016 auf eine Zeit Bezug nimmt, in der es einen russischen Zar, einen Fürst Metternich und ein Heiliges Römisches Reich gegeben hat, bleibt offen. Historischen Anspielungen wie diese lassen ein mulmiges Gefühl zurück: "Ein deutscher Patriot liebt, was Deutschland einmal war. Aber er weint um den Zustand, in dem sich sein Land befindet." Es sind Sätze, in die jeder hinein interpretieren kann, was er möchte. Vermisst Pretzell das Deutschland, in dem Merkel noch nicht "Wir schaffen das!" gesagt hat? Oder doch das vor 70 Jahren?

Mein Blick bleibt am T-Shirt einer jungen Frau hängen. Darauf prangert etwas, das dem Eisernen Kreuz sehr ähnlich sieht. Unter Hitler wurde es als nationalsozialistische Auszeichnung vergeben. "Heute ist das Tragen in der Heavy-Metal- und Biker-Szene erlaubt und weit verbreitet," erklärt mir die Frau.

Sie heißt Simone, hat tätowierte Arme, eine Kurzhaarfrisur und Piercings. Sie würde morgen gerne auf die Regenbogenparade gehen, grinst sie, aber sie muss leider arbeiten. Simone ist Sozialarbeiterin, lesbisch und bei der FPÖ. Sie sieht darin keinen Widerspruch. Auch nicht im Parteiprogramm, in dem steht, dass nur Männer und Frauen eine richtige Familie gründen könnten. "Ich bin eine Kämpferin", sagt Simone, "aber vielleicht ist die Welt einfach noch nicht bereit für eine solche Gleichberechtigung?"

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Man trifft hier viele Menschen wie Simone, die auf den ersten Blick nicht in das Bild der FPÖ passen. Claudia, die früher Grün gewählt hat und sich für Umwelt- und Denkmalschutz einsetzt. Birgit, deren Schwiegertochter halb Rumänin, halb Türkin ist. Gert, dessen Vater glühender Kreisky Anhänger war. Heute sagt Gert: "Als ich noch bei der SPÖ war, habe ich mitbekommen, wie Sozialisten bei der Volksabstimmung über den EU-Betritt im Hinterhof Wahlkarten verbrannt haben."

Vielen haben Schicksalsschläge erlitten oder Angst, fallengelassen zu werden, wenn ihnen etwas passiert, wenn sie krank, beeinträchtigt, arbeitslos oder einfach nur alt werden. Es sind die, die wegen der Reden gekommen sind. Die heute etwas mit nach Hause nehmen wollen. Der Rest tanzt ausgelassen zu "Immer wieder Österreich" oder holt sich am Ende der Veranstaltung ein Selfie mit ihrem "Präsident der Herzen" Norbert Hofer.

Als die Veranstaltung vorbei und ein Feuerwerk explodiert ist, frage ich mich, um welches Europa es hier eigentlich geht. Der Saal leert sich. Es riecht nach Schwefel. Soviel steht fest: Es ist kein Europa der Reformen, sondern eines der Ablehnung. Man möchte zurück zum eigenständigen Nationalstaat und lose mit anderen kooperieren und Handel betreiben. Am Ende bleibt eine Frage, die als Paradoxon über dieser Veranstaltung schwebt, wie die Rauchschwaden nach dem Feuerwerk. Ist es nicht paradox von einem "Europa der Vielfalt" zu sprechen, wenn darin gleichzeitig Pluralismus und Multikulturalismus keinen Platz zu haben scheinen?

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Franziska auf Twitter: @franziska_tsch

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