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Vice Blog

Ich muss kein „linkslinker Gutmensch“ sein, um Flüchtlinge willkommen zu heißen

Für ein Asylrecht einzustehen, sollte nichts über die politische Orientierung aussagen. Es ist viel eher ein menschlicher Grundwert—auch wenn den manche in diesem Land über Bord geworfen haben.
Titelbild: US Federal Government, Wikimedia

Am Wochenende hat ein kurzer Nachrichtenbeitrag es geschafft, mich ziemlich nachhaltig zu deprimieren. In dem Beitrag waren türkische Soldaten zu sehen, die an der Grenze zu Syrien mit Wasserwerfern und Warnschüssen Tausende syrische Männer, Frauen und Kindern daran hinderten, in türkisches Territorium zu gelangen, um so Schutz vor den Kämpfern der Terrormiliz IS zu finden. Die IS-Leute waren gerade dabei, die Heimatstadt der Geflüchteten, Tal Abjad, zu erobern.

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Nachdem die Türkei seit dem Ausbruch des Syrien-Krieges etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hatte, schien es, als hätte die Solidarität nun endgültig ihre Grenze erreicht. Ich saß allein daheim vorm Fernseher, aber musste mich laut aufregen. Bei dem Gedanken, dass diese Leute deswegen vielleicht bald tot sein würden, ist mir fast übel geworden. Letztendlich begann die Türkei aber doch noch, die Flüchtlinge über die Grenze zu lassen.

In Österreich, der drittfriedlichsten Nation der Welt, viele Tausend Kilometer von dieser Grenze entfernt, scheinen sich die Menschen momentan wegen einer weitaus geringeren Zahl an Flüchtlingen in zwei sehr konträre Lager zu spalten. Auf der einen Seite steht das Lager jener, die sich dafür aussprechen, dass ein Land wie Österreich auch in der aktuellem Krise in der Pflicht steht, Leuten, die um ihr Leben bangen müssen und die hierher kommen, um Zuflucht zu finden, Aufenthalt zu gewähren. Ich würde mich selbst zu diesem Lager zählen.

Auf der anderen Seite gibt auch sehr viele Leute in diesem Land, die der Meinung sind, dass hier kein weiterer Platz für geflüchtete Menschen ist und die aktuell Angst haben, dass ein „Strom" an Asylwerbern unser Land überrollt. Zu meinem Erstaunen wird dieses Lager momentan größer und größer. Vielleicht wirkt es auch nur so, als würde dieses Lager wachsen, weil es lauter und lauter wird. Fast jedes Mal, wenn ich mich auf Facebook so umschaue, treffe ich auf solche Stimmen. Es ist fast so als wäre: „Wir haben keinen Platz für die, macht endlich die Grenzen dicht!" zu einer völlig akzeptieren, legitimen Meinung in der Mitte unserer Gesellschaft geworden.

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Und ich merke, dass ich mich von eben diesen Bürgern in den letzten Wochen immer öfter für meine Meinung belächeln lassen muss. Man bekommt zu lesen, dass man ein Linkslinker oder ein Gutmensch ist, wenn man dafür sei, dass Österreich weitere Flüchtlinge—in welcher Form auch immer—aufnimmt. Und das ist der Punkt, der mich wirklich aufregt. Denn dafür zu sein, dass Österreich seine Grenzen nicht komplett vor Leuten verschließt, in deren Heimat Krieg herrscht, sollte eigentlich kaum etwas über die politische Gesinnung aussagen. Es sollte bis zu einem gewissen Grad selbstverständlich sein.

Menschen auf der Flucht Asyl zuzugestehen ist ein Grundrecht. Es ist einer der Werte unserer westlichen Gesellschaft und eigentlich würde man davon ausgehen, dass wir uns diese Werte quer über alle (demokratisch legitimierten) politischen Lager hinweg teilen. Man muss gar nicht links-links, grün oder Sozialist sein, um laut zu sagen, dass einem Flüchtlinge nicht egal sind. Ich könnte genau so gut der konservativste oder der patriotischste Mensch der Welt sein, und zu dem Schluss kommen, dass es ziemlich unfair wäre, Leuten nicht zu helfen, die ihre Existenz aufgegeben haben, um einem Ort zu entkommen, an dem sie Angst um ihr Leben haben mussten. Man könnte aus patriotischen Motiven heraus argumentieren, dass man in einem Land leben will, auf das man stolz sein kann—weil es reicher, privilegierter und besser ist als viele andere Nationen auf diesem Planeten und sich seiner Rolle auch bewusst ist.

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MOTHERBOARD: Das passiert, wenn Bürger ihre Nationalflagge selbst gestalten

Nicht dafür zu sein, Leute im Mittelmeer ertrinken zu lassen, ist noch nicht mal etwas, für das man sich selbst auf die Schulter klopfen müsste—es ist eigentlich viel eher etwas, das in der Natur des Menschen liegen sollte. Aber nur, weil die, die diesen Grundwert in der aktuellen Debatte über Bord geworfen haben, am lautesten schreien, fangen nun die Politik und auch die Medienlandschaft an, ihre Rhetorik generell daran zu orientieren. „Man muss die Ängste der Bürger ernst nehmen", heißt es dann.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass das Vertreten von ein paar grundlegenden Werten überhaupt nichts über eine politische Gesinnung aussagt, sondern viel eher die Grundlage für alle politischen Ausrichtungen ist, die sich in einem halbwegs demokratischen Spektrum bewegen. Nicht einmal die FPÖ würde in ihr Wahlprogramm schreiben, dass sie grundsätzlich gegen ein Asylrecht ist. Aber ein großer Teil der Wähler, um deren Stimmen sie buhlt, fordert genau solche Dinge—und zwar bei jeder Gelegenheit. Ich denke, dass die Wählerstimmen dieser Leute die Art, wie in Österreich grundsätzlich über das Thema Asyl diskutiert wird, längst zu stark beeinflusst haben.

Ich bin der Meinung, dass mein glücklicherweise sehr reiches Heimatland nicht so tun sollte, als würde es kurz vorm Kollaps stehen, weil einige Zehntausend Menschen hier vor Mord und Verfolgung Schutz suchen. Und ich will mich dafür nicht in ein links-linkes Eck drängen lassen.

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Wenn ausgerechnet die Leute, die ihre Heimat aus Angst vor Verfolgung und Krieg und Tod hinter sich gelassen haben und viel Geld und Mut aufgewendet haben, um irgendwo anders ein neues Leben aus dem Nichts aufzubauen, unter Generalverdacht gestellt werden, faul, undankbar oder kriminell zu sein, finde ich das mies. Und mehr als das. Es ist Propaganda. Für mich klingt es alles andere als faul, seine komplette Existenz hinter sich zu lassen, und viel Geld zu bezahlen, um sich eingepfercht zwischen Dutzende oder Hunderte Menschen auf einen anderen Kontinent schiffen zu lassen.

Übrigens: Alle Leute, die einen kritischeren Standpunkt zur Flüchtlingsdebatte beziehen als ich, als Faschisten oder Nazis zu abzutun, halte ich für ähnlich großen Blödsinn. Es tummelt sich zwar sicher ein großer Haufen vorurteilsbehafteter Rassisten auf der Anti-Asyl-Seite des Flusses.

Aber die meisten Leute, die so große Angst davor haben, dass wir von vermeintlichen „Asylantenhorden" überlaufen werden, fürchten sich ganz einfach vor etwas, das sie hauptsächlich aus verdrehten Boulevard-Artikeln, Stammtisch-Stereotypen und populistischem Politiker-Gerede kennen. Würde man es schaffen, diesen Leute bewusst zu machen, dass Flüchtlinge eben nicht großteils kriminell und für alle finanziellen Missstände in unserem Land verantwortlich sind (wie Klaus Schwertner von der Caritas bei Im Zentrum so schön sagte: Das Geld, das uns die Hypo-Krise kostet, würde bis ins Jahr 2300 für alle Asylanträge in Österreich reichen), und sie von unserem Staat auch gar nicht so sehr verhätschelt werden, würden sie sich vielleicht gar nicht so vehement gegen ein paar banale Grundrechte von Menschen in Not stellen.

Tori auf Twitter: @TorisNest


Titelbild: US Federal Government | Wikimedia | Public Domain