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Bei meiner Abtreibung hat der Arzt geraucht und ich war nicht richtig betäubt

Cristina ist 18 als sie in Rumänien eine Abtreibung vornehmen lässt. Als sie den Medizinern sagt, dass sie alles spürt, antworten die: "Das solltest du auch."
Dana  Alecu
aufgeschrieben von Dana Alecu
Bucharest, RO
Eine Frau hockt vor einem Fenster mit weißen Vorhängen auf dem Boden, den Kopf auf die angewinkelten Knie gelegt, Cristina hatte eine Abtreibung in Rumänien und musste sich gegen die Vorwürfe von
Foto: ADOBE STOCK / MRMOHOCK

Seit Beginn der Pandemie gelten Abtreibungen in Rumänien in den meisten Krankenhäusern als "nicht essentielle" Eingriffe. Die Nichtregierungsorganisation Centrual Filia, die sich für Gleichstellung einsetzt, hat 112 Kliniken kontaktiert und nur 31 öffentliche und fünf private Kliniken haben überhaupt Abtreibungen angeboten.

Das Problem ist in Rumänien allgegenwärtig: Bereits vor der Pandemie haben 51 von 375 öffentlichen Kliniken Abtreibungen in den ersten 14 Wochen abgelehnt. Abtreibungen müssen in Rumänien aber innerhalb der ersten 14 Wochen erfolgen. Weitere 36 haben sie aus religiösen Gründen nicht an wichtigen Feiertagen vorgenommen.

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Cristina ist in einer armen Gegend in Bucharest aufgewachsen. Weil sie nie wirklich aufgeklärt wurde, ist sie 2015 ungewollt schwanger geworden. Sie hat sich entschieden, ihre traumatischen Erfahrungen zu teilen, und hofft, dass sie damit aufdecken kann, wie schlecht rumänische Frauen behandelt werden, wenn sie selbst über ihren Körper bestimmen wollen.


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Ich war 18 und stand kurz vor meinem Abschluss. Aber weil ich jetzt "zu alt" war, haben meine Eltern aufgehört, mich finanziell zu unterstützen. Deswegen habe ich mir einen Job als Friseurin gesucht.

Damals war ich ein Jahr mit meinem Freund zusammen. Wir haben beim Sex entweder nach dem Kalender verhütet oder er hat ihn einfach kurz vorher rausgezogen – wir konnten uns Verhütungsmittel nicht immer leisten.

In einer Nacht ist es dann passiert und ich hatte nicht genug Geld, um mir die Pille danach zu kaufen. Also habe ich direkt danach einfach nur geduscht und gehofft, dass das ausreicht. Ein paar Tage später haben meine Eierstöcke weh getan und meine Brüste. Normalerweise bekomme ich dann meine Periode. War aber nicht so.

Irgendwas stimmte nicht. Ich dachte, vielleicht sind meine Eierstöcke entzündet, also wollte ich zum Frauenarzt gehen. Mein Chef im Friseurladen sagte nein. Ich durfte nicht früher los zu dem Termin und außerdem hat er mir für einen ganzen Monat nur etwa 83 Euro gezahlt. Ich hatte keine Ahnung, wie viel meine Arbeit wert war und habe das akzeptiert. Immerhin habe ich direkt am nächsten Tag gekündigt.

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Meine Mutter hat ihn am nächsten Tag angerufen und zusammengeschissen. Den Termin beim Frauenarzt habe ich wegen der ganzen Sache verpasst und ich wusste immer noch nicht, was mit meinem Körper los war. Also habe ich mir einen Schwangerschaftstest gekauft. Und das Ergebnis war genau das, wovor ich am meisten Angst hatte. Mein Freund wurde blass. Ich dachte, er wird ohnmächtig. Ich hatte genau so große Angst, aber ich habe sie nicht gezeigt.

Wir waren einfach viel zu jung und ich komme selbst aus einer Familie junger Mütter. Meine Mutter war 19 als sie mich bekam. Sie selbst hatte auch schon eine Abtreibung und verstand meine Situation.

"Geh zu meiner Ärztin und sag ihr, das ich nichts von der Schwangerschaft weiß", hat sie gesagt. "Vielleicht fällt ihr etwas ein. Und lass auch einen Ultraschall machen, vielleicht ist es ja doch etwas anderes."

Beim Ultraschall brach dann meine Welt zusammen. Ich war in der fünften Woche schwanger und der Fötus hatte einen Herzschlag. Ich bin überzeugte Feministin und jede Frau muss das Recht haben, über eine Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Aber als mich die Ärztin gefragt hat, ob ich das Kind bekommen möchte, war ich so überfordert, dass ich am liebsten geschrien hätte.

Heute verstehe ich die Frage, aber damals war ich ein 18-jähriges Kind ohne die leiseste Ahnung von Abtreibungen.

2015 haben in Rumänien etwa 10.000 minderjährige Frauen Kinder zur Welt gebracht. Damals lernte man nur etwas über Aufklärung, wenn die Schulen

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das ausdrücklich erlaubten. Ich jedenfalls habe darüber nichts erfahren, weder in der Schule noch zuhause.

Ich rief meine Mutter an und sie hat mir empfohlen in die Uniklinik in Bucharest zu fahren. Dort habe ich erfahren, dass eine Abtreibung etwa 310 Euro kosten würde. Auf meinen Kommentar, dass ich mir das auf keinen Fall leisten kann, bekam ich nur ein Schulterzucken.

In den nächsten zwei Tagen habe ich nach einem Krankenhaus gesucht, das ich mir leisten konnte und dabei nur geheult. Ich hatte keine Ahnung von nichts und niemand hatte mir erklärt, wie sowas abläuft. Ich kannte nur die traumatische Geschichte meiner Großmutter: Man würde mich aufschneiden und es rausholen.

Ich landete beim Polizu Maternity Hospital, dort sollte die Abtreibung 103 Euro kosten. Ich hatte aber nur 52 Euro von meinem Friseurgehalt übrig. Mein Freund lieh sich den Rest von einem Freund und ich buchte einen Termin für den nächsten Tag.

Ich war die erste in der Schlange vor der Praxis. Ich habe gezahlt und bin in ein Zimmer gegangen, mit vier Betten drin wie direkt aus den 70er-Jahren. Ich sollte mir ein Nachthemd und frische Unterwäsche anziehen und eine Binde reinlegen. Auf meine Frage, was als nächstes passiert, hat mich die Krankenschwester von oben bis unten gemustert. Und dann meinte sie: "Wenn du ficken kannst, solltest du das selbst wissen."

Eine andere Patientin hatte schon drei Kinder und war in ihren Vierzigern. Sie wollte in diesem Alter nicht noch ein weiteres Kind und war deswegen hier. Ich traf ein anderes Mädchen, deren Fötus in ihr gestorben war, weil sie sich röntgen ließ und nicht wusste, dass sie schwanger war.

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Ich wurde aufgerufen. Die kalte Schwester sagte mir, ich müsste nochmal 41 Euro bezahlen. Ich habe ihr gesagt, dass ich das Geld nicht habe und deshalb bekam ich nur die Hälfte der notwendigen Anästhesie. Dem Arzt hing eine Zigarette aus dem Mundwinkel. Die Betäubung hat noch nicht mal richtig gewirkt als er anfing. Ihm war das egal.

Ich habe alles gespürt. Ich hatte das Gefühl, ich werde in der Mitte durchgeschnitten und habe vor Schmerzen geheult. Der Arzt rauchte weiter, die Schwester hielt währenddessen meine Hand und hat immer und immer wiederholt, dass ich noch etwas durchhalten müsste. Ich habe ihnen gesagt, dass ich alles spüre. Sie haben gesagt: "Das solltest du auch." Als müsste ich für meine Fehler bezahlen. Das Ganze hat sich angefühlt wie Stunden, obwohl es nur ein paar Minuten waren.

Die Betäubung hat hinterher angefangen zu wirken. Ich sollte mich auf ein Bett setzen und dort einfach warten, bis die Medikamente nachlassen.

Dann kam mein Freund zu mir.

Zehn Minuten später kam der Arzt und verschrieb mir Antibiotika und Vaginalzäpfchen, um Infektionen zu verhindern. Ich sollte mich anziehen und gehen. Als ich aus dem Krankenhaus ging habe ich geheult und war mir sicher, dass meine Eierstöcke in mir drin einmal komplett verdreht wurden.

Ich habe überlegt, den Arzt zu verklagen, aber da wäre wohl Aussage gegen Aussage gestanden. Als "Sündige", die mit 18 eine Abtreibung machen lässt, hätte mir keiner geglaubt. Ich hatte damals keine Alternative zu der Abtreibung. Wenn ich das Baby behalten hätte, hätte ich ein frustrierendes Leben geführt und mein Freund genauso. Dazu sollte niemand gezwungen werden. Mit 23 hatte ich es immer noch nicht überwunden. Ich habe lange gedacht, ich habe jemanden umgebracht.

Jedes Jahr am 2. Oktober bin ich ein Wrack. Das ist der Tag der Abtreibung. Ich hatte Probleme mit meinem Selbstwertgefühl, wurde depressiv und ängstlich. Ich stelle mir vor, wie mein Kind aussähe, wenn ich Frauen mit kleinen Kindern sehe.

Der einzige Mensch, der mich damals aufbauen konnte – und es immer noch tut – ist mein Freund. Wir sind noch immer zusammen, vor kurzem hatten wir unser Sechsjähriges. Die Abtreibung hat unsere Beziehung verändert, wir sind daran gewachsen und sie hat uns sogar noch näher zusammen geschweißt. Einen Monat nach der Abtreibung hatten wir das erste Mal wieder Sex, aber wir hatten große Angst davor, dass ich nochmal schwanger werden könnte. Deshalb habe ich angefangen, die Pille zu nehmen.

Wenn ich 25 werde, setze ich sie wieder ab – und wenn ich schwanger werden würde, würde ich das Kind gerne behalten. Es wäre anders diesmal. Wir wären glücklich.

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