Ein Schild auf dem steht "Kellerloch zu vermieten"
Der Wohnungsmarkt steck in der Krise: Können Wohnungstauschplattformen da eine Lösung bieten? | IMAGO / Steinach
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Wohnungstausch-Angebote auf Immoscout: Funktioniert das?

Wer online nach Mietwohnungen in Großstädten sucht, stößt oft auf Tauschangebote. Aber wie erfolgversprechend sind sie?

Alex mag keinen Lärm. Entgegen aller Vorurteile gegenüber Berlinern scheint er das Grundrauschen der Stadt noch wahrzunehmen. Alex K. ist Student an der TU Berlin, 28 Jahre alt und sagt: "Manchmal wünscht man sich halt auch um 18 Uhr so ein bisschen Ruhe." Diese Ruhe findet er in seiner Neuköllner Wohnung nur selten. 

Trotzdem glaubt er, mit der Wohnung ziemlich viel Glück gehabt zu haben. "Ich war bisher in meinem Leben nur einmal bei einer Wohnungsbesichtigung, im Jahr 2017. Gemeinsam mit 100 Anderen." Zwei Wochen später habe er mit Hilfe von Kontakten seiner Mutter die Einzimmerwohnung in Neukölln gefunden und blieb dort fünf Jahre lang. Was vor der Pandemie ein aufregender Bezirk mit vielen Ausgehmöglichkeiten war, schrumpfte während Corona auf 30 Quadratmeter zusammen. Mit einem Nachbarn, der gerne bei offenen Innenhof-Fenstern Bass spielte. Ab da seien für ihn zwei Dinge klar geworden. Erstens: Er musste da raus. Zweitens: Auf dem Berliner Wohnungsmarkt hat er – Student und Freiberufler – keine Chance.

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Ohne große Hoffnung meldete er sich deshalb auf einer Wohnungstauschplattform, tauschwohnung.com, an. Das Ganze "funktioniert wie Onlinedating", sagt Alex: Man trägt die Daten seiner Wohnung ein, lädt ein paar Bilder hoch und schreibt auf, wonach man sucht, also wogegen man sie tauschen würde. Sobald ein Match gefunden ist, kann man die andere Person kontaktieren. Doch bis es zum tatsächlichen Tausch kommt, kann es lange dauern. Zwischen dem ersten Kontakt und dem tatsächlichen Umzug nach Berlin-Moabit lagen für Alex fast vier Monate. Das ist keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Laut John Weinert, Geschäftsführer der Plattform tauschwohnung.com, bleiben Anzeigen im Schnitt etwa vier Monate online, und es können 30 bis 40 Matches pro Nutzer entstehen, bevor es tatsächlich zu einem Umzug kommt. Dass es so lange dauert sei durchaus gewollt, sagt Weinert: Man verstehe sich als Gegengewicht zum gehetzten Wohnungsmarkt, bei dem Inserate teilweise schon nach wenigen Minuten offline gehen. 

Wer in letzter Zeit versucht hat, auf Plattformen wie ImmoScout24 oder Immowelt nach Wohnungen in Berlin, Hamburg oder München zu suchen, könnte dieses "Gegengewicht" eher als neue Hürde kennengelernt haben: Ein großer Teil der bezahlbaren Wohnungen ist nur im Tausch gegen eine andere Wohnung zu haben. 

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Dass dieses Modell gerade einen Aufschwung erlebt, ist erstmal nicht verwunderlich: Einem Bericht vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) zufolge leben in Großstädten ungefähr ähnlich viele Menschen in zu großen wie in zu kleinen Wohnungen. Oft geht es um ältere Menschen mit alten, günstigen Mietverträgen, die in ihren zu großen Wohnungen festhängen, weil viele kleinere und barrierefreie Wohnungen teurer sind. Dieses Phänomen nennt man den Lock-in-Effekt. Indes können sich wachsende Familien die Miete für größere Wohnungen, die sie dringend bräuchten, nicht leisten. Aber entlasten Tauschplattformen den angespannten Wohnungsmarkt tatsächlich?  

Wohnungstausch: Große Nachfrage, aber selten erfolgreich

Eine beispielhafte Untersuchung der landeseigenen Wohnungstauschbörse Berlins, inberlinwohnen.de, zeichnet ein klares Bild: 2021 wollten gerade mal 9,6 Prozent in eine kleinere Wohnung ziehen, dagegen 45,3 Prozent in eine größere. Auf der Plattform hatten aber gerade mal 8 Prozent der Wohnungen drei oder mehr Zimmer. Diesen Unterschied in Angebot und Nachfrage sehen die Autorinnen und Autoren als einen der Gründe, weshalb gerade mal 0,2 Prozent der begonnenen Verhandlungen im tatsächlichen Wohnungstausch endeten. Während die Zahl der Angebote und Nutzer steigt, lässt der Erfolg des Konzepts noch zu wünschen übrig.

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Die Erfahrung der kommerziellen Anbieter ist nur marginal besser: Auf ImmoScout24 werden knapp drei Prozent der Wohnungen zum Tausch angeboten, wobei der Großteil auf die Metropolen Berlin, Hamburg und Köln entfällt. Deshalb kann es in diesen Städten in den unteren Preiskategorien so wirken, als gäbe es nur noch Tauschangebote. Diese werden von den Tauschplattformen selbst bei Wohnungsportalen hochgeladen, die durch das so erweiterte Angebot ebenfalls davon profitieren. Allerdings passt auch hier das Angebot nicht zur Nachfrage. Laut tauschwohnung.com suchen etwa zwei Drittel der Nutzer nach einer größeren Wohnung, dagegen gerade mal 30 Prozent nach einer kleineren. 

Auch Frank Eckardt wohnt in einer zu großen Wohnung. Er ist Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar und Vater von erwachsenen Kindern. Die fünf Zimmer in Kassel seien ihm mittlerweile zu groß geworden. Aber alle kleineren Wohnungen würden bei Neueinzug gleichviel oder sogar mehr kosten als seine jetzige. "Das ist natürlich absurd."

Dass sein eigener Vermieter seit über 15 Jahren die Miete nicht erhöht hat, überrascht ihn nicht. "Die Mietpreissteigerung sieht man vor allem bei Neuvermietungen, nicht bei alten Mietverträgen." Gerade in privaten Mietverhältnissen spiele der soziale Frieden eine große Rolle, sagt Eckardt. Das könnte viele private Vermieter motivieren, die Miete nicht radikal zu erhöhen und auch eher einem Wohnungstausch zuzustimmen. Ein Thema, das in vielen Studien nicht genug beachtet werde.

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Dagegen finde man Prozesse der Mietsteigerung und Staffelmiete häufiger in "unpersönlichen Besitzkonstruktionen", sagt Eckardt, zum Beispiel bei großen Immobilienkonzernen, von denen Mieter selten etwas hören und sehen. 

Es liegt nahe, dass große Wohnungsunternehmen weniger Skrupel haben, die Mieten zu erhöhen, luxuriös zu sanieren und Mieter nur nach ökonomischen Aspekten auszusuchen: Es macht schließlich einen gewaltigen Unterschied, ob man zum Jürgen ins EG gehen kann, um sich über die Miete zu beschweren oder ob man eine formale E-Mail an anonyme Sachbearbeiter schreiben muss. Und das wirkt sich auch negativ auf die Möglichkeit von Wohnungstausch aus, denn solche Konzerne benutzen lieber Makler für die Mietersuche. Wohnungstausch ist in so großen Organisationen komplizierter.  

Trotz dieser Schwierigkeiten hatte Alex ein weiteres Mal Glück, diesmal bei der Suche auf der Wohnungstauschplattform: Bereits die erste Wohnung und Person, mit der er gematcht habe, sei ein Volltreffer gewesen. Zwei Zimmer in Berlin-Moabit, gerade mal 150 Euro mehr. Das Problem war nur: Eigentlich habe die junge Frau, seine Tauschpartnerin, in eine WG ziehen wollen, Wohnungstausch war ihr Plan B. Dennoch habe sie Alex nach Moabit eingeladen, sie haben sich über die Wohnung und die Lage ausgetauscht. Und wieder Glück gehabt: Sie bekam den WG-Platz nicht und war bereit zum Tausch.

In der zweiten Phase des Wohnungstauschs mussten nun beide ihre Hausverwaltungen kontaktieren, um Erlaubnis bitten und die nötigen Dokumente sammeln. Beide Hausverwaltungen seien zunächst skeptisch gewesen, das war zumindest Alex' Eindruck. Nach eineinhalb Monaten haben sie jedoch zugestimmt, unter der Voraussetzung, dass Alex' Vater als Bürge im Mietvertrag steht. Rein rechtlich können Hausverwaltungen den Wohnungstausch ablehnen. Über die Hälfte (55 Prozent) der von ImmoScout24 befragten Vermieter sieht Wohnungstausch negativ. Zu sehr fürchten sie, in ihrer Freiheit beschränkt zu werden, die Nachmieter selbst auszusuchen. Dabei haben 54 Prozent der Befragten noch nie von dem Tauschmodell gehört.  

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Im Februar 2022, drei Monate nach dem ersten Kontakt zwischen Alex und seiner Tauschpartnerin, standen die Vertragsunterzeichnung und die Umzüge kurz bevor. Plötzlich meldete sich jedoch die Neuköllner Hausverwaltung bei ihrer zukünftigen Mieterin: Sie müsse damit einverstanden sein, dass "ab Mitte 2022 Bauarbeiten stattfinden werden, weil die Fassade erneuert wird." Auch wenn Alex fürchtete, dass seine Tauschpartnerin nun doch noch abspringen könnte, unterzeichnete sie den Vertrag. Der Umzug fand am nächsten Tag statt. Er fuhr seinen eigenen und ihren Umzug, da sie keinen Führerschein hatte. 

Wohnungstausch: Eine Lösung für die Krise am Mietmarkt?

Obwohl über 700.000 Wohnungen in Deutschland fehlen, alleine 100.000 davon in Berlin, gibt es laut dem Stadtforscher Eckardt überraschend wenige wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wie der Wohnungstausch Städte verändern könnte. "Das ist auch schwierig zu durchforschen, weil private Unternehmen nicht zu Transparenz verpflichtet sind." Klar ist: Miete und Quadratmeterzahl machen einen Raum noch zu keiner Wohnung. "Man wohnt in einem Umfeld, einem Netzwerk, einem weitgehenden Raum." Er sagt, das soziale Umfeld sei besonders bei älteren Menschen ausschlaggebend, wenn sie über das Für und Wider von Wohnungstausch entscheiden. Hinzu kämen Fragen von Barrierefreiheit, Umzugsstress und Kommunikation, die den Prozess mühsamer machen können. 

Für viele ältere Menschen sei außerdem nicht nur der Wohnraum wichtig, sondern auch, wie sie im Alltag zurechtkommen und wer ihnen hilft, sagt Eckardt. Es gebe schon Modelle dafür, die aber wenig bekannt seien. Etwa Hilfe gegen Wohnen. Das laufe auf semi-professioneller Ebene ab und werde oft von Menschen aus Osteuropa genutzt. Diese Art der Beschäftigung, eigentlich umfassende Pflegearbeit, laufe oftmals illegal ab, auch weil sich viele Ältere diesen Umfang an Hilfe nicht leisten können. Vor allem seit Beginn des Krieges in der Ukraine seien solche Konstellationen häufiger. Eckardt betont, dass das Wohnungsproblem nicht ohne solche soziale Innovation gelöst werden könne: "Und die findet schon statt, nur wir kriminalisieren sie, wir stigmatisieren sie, wir blenden sie aus."

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Im Nachhinein ärgert sich Alex über einige Details des Wohnungstauschs. Seine Vormieterin habe mit der Hausverwaltung ausgemacht, dass die Miete nicht erhöht werden sollte. Später sei sie aber um 50 Euro gestiegen. Auch habe ihm die Hausverwaltung mündlich mitgeteilt, dass in der leeren Wohnung unter ihm ein Gewerbe einziehe. "Da war ich naiv und dachte, da zieht ein Geschäft ein." Entstanden ist aber eine Ferienwohnung – inklusive Partytouristen. Das Problem an solchen mündlichen Zusagen ist, dass man sie später nicht immer belegen kann. Egal, ob man seine neue Mietwohnung auf Tauschplattformen findet oder anderswo.

Alex sagt, er wolle trotzdem bleiben, auch weil er schon viel Geld in die Wohnung gesteckt habe. Einem erneuten Tausch würde seine Hausverwaltung wohl nicht zustimmen, sagt er, auch wenn er findet, dass Hausverwaltungen vom Wohnungstausch-Prinzip ebenfalls profitieren: "Die sparen sich dadurch viel Arbeit, müssen keine neuen Mieter suchen oder Geld in die Wohnung investieren. Die können diesen Geldhahn einfach weiter offen lassen."

Frank Eckardt stimmt dem grundsätzlich zu: "Das hat teilweise große Vorteile und wird von Wohnungsunternehmen unterschiedlich gestaltet. Manche helfen, manche unterstützen beim Umzug, manche nutzen die Situation wohl auch ein bisschen aus, sodass dann doch die Mieten erhöht werden." Solche Modelle gibt es vielerorts in Deutschland, unter anderem in Berlin und Potsdam. Dennoch sehe er die Lösung des angespannten Wohnungsmarktes eher in alternativen Wohnformen. Vor allem das gemeinschaftliche Wohnen erlebe in den letzten 20 Jahren großen Zuwachs. 

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Wohnungstausch werde wohl eher ein Nischenphänomen bleiben, sagt Eckardt, denn er richte sich nur an eine kleine Zielgruppe: Vor allem Menschen aus der Mittelschicht, die irgendwann in ihrem Leben eine größere Wohnung kaufen oder mieten konnten und nun zu viel Platz haben. Ärmere Menschen könnten eh nicht in noch kleinere Wohnungen ziehen, da sie meist schon beengt leben. Und der Weg in eine größere, aber auch teurere Wohnung bleibt ihnen ohnehin versperrt. Was ärmeren Menschen tatsächlich helfen würde, wäre die Möglichkeit, Wohnungen mitsamt Mietverträgen zu tauschen. So könnten wachsende Familien in die alten, günstigeren Mietverträge von großen Wohnungen einziehen.

Die Linkspartei sowie der Mieterbund und tauschwohnung.com setzen sich für ein gesetzlich verankertes Recht auf Wohnungstausch ein, unter anderem in einer Bundestagsdebatte vom Mai 2023. Damit wollen sie dem Lock-in-Effekt etwas entgegensetzen und es Vermietern schwerer machen, einen Wohnungstausch abzulehnen. Abgesehen von der AfD, die die Schuld für den Mangel an bezahlbaren Wohnungen – natürlich – bei "den Ausländern" sieht, waren auch CDU und FDP entschieden dagegen. Zu sehr verstoße es gegen das Recht, sich seine Vertragspartner auszusuchen; die Parteien fürchten, dass damit den Vermietern die Mieter aufgezwungen werden könnten. Die Linke und die Grünen entgegnen dem immer wieder, dass es sich bei dem Vorschlag um ein Recht handle, nicht um eine Pflicht. Die SPD betont, dass mehr gebaut werden müsse, statt das Recht zu ändern. 

Dennoch: Ein Ausbau des Wohnungstausch-Modells allein würde gegen den Wohnraummangel nicht helfen. Frank Eckardt plädiert stattdessen für realistischere Ansätze. Statt 400.000 neue Wohnungen zu bauen oder Deutsche Wohnen zu enteignen, solle man lokaler denken: Städten Anreiz-Budgets zur Verfügung stellen, den Ausbau lokaler Tausch-Agenturen fördern und private Hausbesitzer gegenüber großen Wohnkonzernen unterstützen. 

Das sieht das siebenköpfige Team von tauschwohnung.com genauso. Deshalb unterhält die Plattform auch Kooperationen mit Städten wie Düsseldorf, Freiburg und Potsdam. Diese möchten, ähnlich wie Berlin, den Wohnungstausch lokaler ausbauen und auch die Menschen mit dem Angebot erreichen, die nicht sehr digital versiert sind – zum Beispiel ältere Menschen. Für diese Gruppe ist nicht nur der fehlende Zugang zum Angebot ein Problem, sondern auch die Planung und der Umzug. Dazu arbeitet die Plattform auch mit karitativen Organisationen zusammen, die nicht nur viele marginalisierte Gruppen erreichen, sondern ihnen auch konkrete Hilfe beim Umzug und Ähnlichem anbieten. 

Für Alex war der Wohnungstausch so erfolgreich, dass er trotz der Schwierigkeiten hinter dem Konzept steht: "Ich sehe den Wohnungstausch als letzte faire Möglichkeit, noch eine Wohnung in Berlin zu bekommen, ohne superreich zu sein." Aber wie fair ist ein Modell, das nur Menschen offensteht, die bereits eine Wohnung haben? Immerhin fairer als der normale Wohnungsmarkt, der tatsächlich reiche Menschen bevorteilt. 

Ein Jahr nach dem Umzug war Alex nochmal in seiner alten Gegend in Neukölln und hat bei dem Haus vorbeigeschaut. Der Name seiner Tauschpartnerin stand nicht mehr auf dem Klingelschild.

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