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​Die schlimmsten Totschlagargumente in der Flüchtlingsdebatte

Wir müssen anfangen, die flachen Argumente der Flüchtlingsgegner auseinanderzunehmen.
Screenshot via eaudestrache.at

Seit Monaten diskutiert ganz Österreich über Flüchtlinge, deren Unterbringungen und ob es überhaupt sein soll, dass jemand in unser Land kommt und hier die Chance bekommt, ein neues, vielleicht sogar besseres Leben zu beginnen.

Diese Diskussionen über das Flüchtlingsthema verlaufen meist auf dieselbe Art und Weise: Derjenige, der findet, Österreich sollte oder müsste als eines der reichsten Länder Europas so vielen geflüchteten Menschen wie möglich helfen, wird als klassischer „Gutmensch" gebrandmarkt und bekommt eine kleine Auswahl an Meinungsargumenten zu hören, die wahrscheinlich der Inbegriff von „gefühltem Wissen" sind. Wir haben uns diese Argumente näher angesehen.

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„Hilf den Flüchtlingen doch selbst, wenn sie dir so wichtig sind."

Das wahrscheinlich abgedroschenste aller Argumente in dieser Diskussion ist leider auch gleichzeitig das mit dem meisten (also: zumindest einem Funken) Wahrheitsgehalt. Jeder hat Berge an Kleidung, die man mit Sicherheit nie mehr anzieht und ein paar übrige Euro für ein Hygienepaket, das die Flüchtlinge in den Zeltstädten so dringend brauchen. Natürlich kann man noch weiter gehen und—sofern es die eigene Lebenssituation zulässt—Flüchtlinge bei sich zuhause aufnehmen.

In jedem Bundesland ist die Unterbringung von Asylwerbern anders geregelt. In der Regel steht jedem, der Flüchtlinge in seinem Haus unterbringen möchte, ein absurder und schier undurchblickbarer Berg an Bürokratie bevor. Grundsätzlich ist es jedoch möglich, auf private Initiative hin geflüchtete Menschen aufzunehmen—auch wenn nicht jeder Bürgermeister diese Tatsache begrüßt.

Als Quartiergeber erhält man einen gewissen Tagsatz für die Versorgung der aufgenommenen Personen—das heißt, die eigenen Kosten werden so niedrig wie möglich gehalten. Die Diakonie sucht ständig und aktiv nach Freiwilligen, die Flüchtlinge unterbringen wollen und können, genauso wie die Initiative „Flüchtlinge Willkommen" Flüchtlinge und WGs zusammenbringt.

Das ist der Punkt: Klar kann jeder mehr machen. Klar kann man sich gegenseitig ins Gewissen reden. Und klar sollte jeder von uns verantwortungsvoll und nächstenliebend sein. Aber man sollte sich auch fragen, wessen Aufgabe es eigentlich ist, Flüchtlinge aufzunehmen? Eigentlich ganz klar die des Staates. Wir zahlen Steuern, damit solche Dinge wie eine angemessene Unterbringung von Flüchtlingen möglich sind—genauso, wie wir Steuern zahlen, damit Bildung und andere Sozialleistungen existieren und funktionieren können. Wenn mein Nachbar plötzlich Krebs hat, muss auch nicht ich seine Chemotherapie zahlen, nur weil der Staat entschieden hat, dass ihm gerade nicht danach ist und er dieses Jahr schon genug Menschen geheilt hat.

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„Die Schmarotzer nehmen uns die Arbeitsplätze weg und kosten zu viel Geld."

Geht es nach den Asylgegnern, müssen Flüchtlinge erst einmal beweisen, dass sie es „verdient" haben, unsere Alpenrepublik ihre neue Heimat zu nennen. Das Problem daran ist nur, dass ein Flüchtling offiziellen Asylstatus braucht, um überhaupt vollständigen Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen—und das kann Monate oder Jahre dauern. Zwar dürfen Asylwerber während des Verfahrens eine saisonale Tätigkeit ausführen und Flüchtlinge unter 25 eine Ausbildung in Mangelberufen machen—trotzdem hängen die meisten von ihnen bis zur Beendigung ihres Verfahrens in der Luft, da sie kaum beziehungsweise nur vorübergehend Fuß fassen können und so keinen Ausblick auf eine gesicherte Zukunft haben.

Einerseits fordern Asylgegner also, dass die Flüchtlinge gefälligst arbeiten sollen, um uns nicht auf der Tasche zu liegen, andererseits folgt jedoch in jeder Diskussion auch der Vorwurf, dass uns die Flüchtlinge unsere Arbeitsplätze wegnehmen.

Das ist der Punkt: Wenn ein Flüchtling das lange Prozedere durchlaufen, Asylstatus bekommen hat und gnädigerweise in Österreich arbeiten darf, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sucht er sich in der Regel einen Job. Denn, auch wenn manche Populisten das nicht glauben wollen: Flüchtlinge, die aufgrund der beschissenen Situation in ihrem Land ihre letzten Geldreserven mobilisieren und eine lebenesgefährliche Reise wagen, sind per Definition das Gegenteil von faul. Sie suchen sich also in den meisten Fällen einen. Einen, der frei ist. Wenn sie dafür qualifiziert sind, werden sie den Job bekommen. Wenn ihr es nicht seid, bekommt ihr den Job nicht. Aber das hat nichts mit den Flüchtlingen zu tun, sondern mit Ausbildung. Für weitere Ausführungen zum Thema siehe: dieses inzwischen Meme-gewordene Statement von Louis CK.

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„Die haben viel zu hohe Ansprüche und werfen ihr Essen weg."

Wenn man der Kronen Zeitung und unzensuriert.at Glauben schenkt, sollen Asylwerber in einem Linzer Zeltlager mit Lunchpaketen geworfen haben, weil ihnen das vorgesetzte Essen nicht gepasst hat. Was wirklich passiert ist, war, dass einer der Asylwerber mit Selbstmord drohte und sich bei der Polizei beschwerte, dass es im Zeltlager zu wenig Essen gäbe. Essen wegzuwerfen ist in unserer Gesellschaft oft verpönt—unterliegt aber auch einer gewissen Doppelmoral. Wenn ich jemanden sehe, der einen angebissenen Kebap wegschmeißt, wundere ich mich, was das soll. Selbst bin ich aber als Erste beim BILLA, wenn es eine „Kauf 2, zahl 1"-Aktion gibt, obwohl ich vorher schon weiß, dass ich in meinem Einpersonenhaushalt keine zwei Kilo Erdbeeren brauche. Niemals, nie, unter keinen Umständen.

Wenn sich dann auch noch Flüchtlinge, die wir in unser Land gelassen haben, anmaßen, die zwei Scheiben Brot, die ihnen vorgesetzt werden, zu verschmähen und sich darüber hinaus auch noch zu beschweren, denken wir, das Maß sei voll und predigen irgendetwas von verpflichtender Dankbarkeit und Demut.

Das ist der Punkt: Wir müssen uns aber klar machen, dass geflüchtete Menschen meistens Dinge erlebt haben, die jeden von uns zum Durchdrehen bringen würden. Diese Menschen mussten zusehen, wie ihre Existenz vom Krieg zerstört wurde und sind unter prekärsten Umständen über das Mittelmeer nach Europa gebracht worden—teilweise ohne ihre Familie. Viele haben den Tod von Freunden und Verwandten gesehen, alles verloren und wurden verfolgt und gefoltert.

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Traumata und Angststörung sind unter Kriegsopfern keine Seltenheit und Menschen, die solche Dinge erleben mussten, haben klarerweise Einiges aufzuarbeiten—was man ihnen definitiv nicht vorwerfen sollte. Wenn sie eine Scheibe Brot auf den Boden pfeffern, ist das die vielleicht einzige, verzweifelte Möglichkeit, wie sie sich Gehör verschaffen können. Genau das kann Ausdruck dieser Verzweiflung sein, die einen Teil ihres Lebens geprägt hat und sie dorthin gebracht hat, wo sie jetzt sind: Weg von Normalität, hin zu einem Leben in Ungewissheit.

„So arm können sie nicht sein, wenn sie sich ein iPhone leisten können."

Manche Menschen verstehen nicht, warum Flüchtlinge, die gerade einen beschwerlichen Weg hinter sich gebracht haben und ihr Land für ein neues Leben verlassen haben, Dinge wie iPhones besitzen können. Nur weil ein Mensch flüchten muss, heißt das aber noch lange nicht, dass er das aufgrund von Armut oder einer schlechten wirtschaftlichen Situation macht.

Das ist der Punkt: An diesem Punkt erkennt man außerdem ziemlich gut, wie begrenzt das Denken von Asylgegnern sein kann. Sie sind gegen Flüchtlinge, die „zum Schmarotzen" kommen und uns unseren schwer verdienten Wohlstand wegnehmen wollen. Wenn ein Flüchtling dann aber ein Smartphone, also de facto ein Luxusgut, besitzt, sollte das doch genau dieses Argument wie von selbst aushebeln—denn wer Luxusgüter besitzt, hat in der Regel auch irgendwann einmal das Geld besessen, das nötig ist, um sie zu kaufen (oder besitzt es sogar immer noch).

Die Menschen, die gerade aus Syrien und Afghanistan nach Europa kommen, nehmen diesen Weg auf sich, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht, und weil sie um ihr Leben fürchten—und nicht, weil sie sich das neueste iPhone 6 nicht leisten konnten. Nicht alle Flüchtlinge sind prinzipiell arm, sie haben nur alles verloren und versuchen, sich in Österreich mit unserer Hilfe ein neues Leben aufzubauen. Denn obwohl es in den Krisenländern zwar die Technologie des 21. Jahrhunderts gibt, heißt das nicht, dass man in diesen Ländern derzeit (über)leben kann.

Fazit

Die Flüchtlingsdebatte ist eine Herausforderung für alle Beteiligten—also für jeden von uns. Und obwohl wir das Thema so leicht ausblenden können, während wir in unseren schönen Wohnungen sitzen, betrifft es uns. Oder genau deswegen.

Verena auf Twitter: @verenabgnr