Die Applausfabrik, in der Likes und Follower für alle großen Plattformen produziert werden
Bild: Russlan
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Die Applausfabrik: So funktioniert die Industrie hinter gekauften Likes und Followern

Internet-Fame ist käuflich. Aber wer steckt dahinter? Recherchen von VICE decken auf, wie Like-Händler weltweit soziale Medien manipulieren und ihre Spuren verwischen.

Über ein Jahr lang hatte Vreni Frost für mehr Fame bezahlt. 100 Euro im Monat. Heimlich. Sie hatte Geld für eine Firma ausgegeben, die ihre Reichweite auf Instagram mit Followerinnen, Likes und Kommentaren pushte. Ihre Themen: Mode und Reisen. Aber Influencerinnen dieser Art gibt es viele. Irgendwie musste sie sich ja von der Masse abheben. Es gilt als offenes Geheimnis: Wer als Social-Media-Persönlichkeit überleben will, hilft ein bisschen nach. So lassen sich Werbedeals in bares Geld verwandeln.

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Doch dann fand Frost in ihrer Follower-Liste angebliche Veganer, die reihenweise Bilder von brutzelnden Steaks likten. Unter Fotos standen blutleere Kommentare wie "Awesome sexy I like a lot". Und es folgten ihr massenweise Accounts, die sich nicht mal die Mühe machen, ein Profilbild einzustellen. Vreni Frost hatte das alles irgendwann satt.

Was sie bekam, schadete ihr also letztlich mehr, als es half: Zwar wurden ihr haufenweise mysteriöse Fans geliefert, aber die interessierten sich nicht für ihre Inhalte. Austausch? Null. Schließlich entschloss sich die Bloggerin zu einem großen Schritt, mit dem sie in Deutschland zur Pionierin wurde: mit alldem aufzuhören und in Interviews öffentlich zu machen, wie verbreitet der Schmu in ihrer Branche ist.

"Ich bin schockiert, wie viele noch einen Bot benutzen", postet sie inzwischen. "Ich entfolge jedem, bei dem ich das sehe. Maaan, Leute. Das bringt doch nichts."

Das sehen aber nicht alle so. Längst gibt es ein globales Netzwerk aus Menschen, die soziale Medien im großen Stil manipulieren und damit Geld verdienen.

Wie die Applausfabrik aufgebaut ist

Die Menschen in diesem Netzwerk produzieren, was soziale Medien eigentlich mit Leben erfüllen soll: Likes, Followerinnen und Kommentare, die Währung der Influencerinnen und Influencer. Hinter dem Handel steckt die automatisierte und massenhafte Beeinflussung der größten Plattformen der Welt. Es ist ein unübersichtliches und in Teilen anonymes Geschäft. Wir haben deshalb einen eigenen Begriff erfunden, mit dessen Hilfe wir das Netzwerk erstmals vollständig erklären können: die Applausfabrik.

Likes, Follower, Kommentare und Views sind nichts anderes als millionenfach verteilter digitaler Applaus. Mit gekauften Likes und Followern täuschen berühmte und weniger berühmte Menschen, kleine und große Firmen vor, beliebter zu sein, als sie es sind. Einige Influencer und Influencerinnen versuchen, sich mit manipulierter Reichweite Werbedeals zu ergaunern. Politik und Medien wiederum lassen sich mit künstlich aufgebauschten Zahlen in die Irre führen.

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Auch bei VICE: Totalüberwachung für 150 Euro


Wer gelikt und gefolgt wird, wird geliebt. Und wer Likes und Follower herstellt, verdient Geld. So einfach ist es am Ende. Instagram blendet Likes zwar seit Kurzem testweise aus, am Mechanismus ändert das aber wenig: Die Likes existieren weiterhin, etwa in den internen Statistiken, die Influencerinnen ihren potenziellen Werbepartnern vorlegen. Also wie funktioniert der Markt genau und wie finden sich die Akteure?

Das findet auch der Medienforscher Patrick Vonderau von der Uni Halle-Wittenberg spannend. Die Manipulation sozialer Medien technisch nachzuvollziehen, das ist das Fachgebiet der Kriminologin Masarah Paquet-Clouston, die über Cybercrime in Montréal forscht. Im Zuge unserer Recherche bei VICE haben wir zusammengefunden und festgestellt, dass wir das gleiche Gebiet von verschiedenen Seiten beackern – und dass es bislang noch keine halbwegs verständliche Darstellung dieses Geschäfts gibt.

Also haben wir eine erstellt. Und so ist sie aufgebaut:

Produziert werden die Likes und Followerinnen im Keller der Applausfabrik von anonymen Tricksern, die immer neue Wege finden, die Regeln der Plattformen auszuhebeln. Social-Media-Konzerne wie Facebook versuchen, das zu stoppen, aber das ist nicht so einfach. Nach eigenen Angaben entfernen Facebook und Instagram täglich Millionen Accounts.

Im Erdgeschoss bieten meist anonyme Zwischenhändler – sogenannte Panelbetreiber – die Ware in großen Paketen im Netz an und handeln den falschen Applaus auch untereinander. Sie sind auch die Quelle, bei der sich manche Social-Media-Agenturen bedienen, die im 1. Stock auf Kundenfang gehen. Außerdem bieten sie "Qualitätsfollower" aus sogenannten Austauschnetzwerken an, die deutlich teurer sind.

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Influencer und andere Like-Käuferinnen verorten wir im 2. Stockwerk, wo sich Menschen auf der Suche nach Werbedeals Reichweite erkaufen.

Darüber stehen im 3. Stock nur noch große Modehäuser, Sportartikelfirmen und andere Marken, an denen wiederum Menschen wie Vreni Frost Geld verdienen, indem sie deren Produkte bewerben.

Das Untergeschoss: Der dunkle Keller der Account-Trickser

Fangen wir unten an, im Keller, dem Maschinenraum der Applausfabrik. Hier entsteht der falsche Applaus. Woher kommen also all die Likes und Follower, die man im Internet in großen und kleinen Paketen kaufen kann? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten – denn in diesem Keller ist es dunkel. Wer die Likes produziert, Accounts erstellt und massenhaft mit Software steuert und bespielt, verschleiert vorsichtshalber seine Identität.

Wir fragen zunächst dort nach, wo es am logischsten scheint: bei einer Website, auf der man Likes und Followerinnen kaufen kann. Doch der Betreiber sagt, er habe keine Ahnung, woher seine Ware eigentlich kommt: "Ich würde so gerne wissen, wer die Quelle ist." Er kaufe seine Follower bei anderen Zwischenhändlern, die offenbar selbst nicht mehr wüssten als er. Tatsächlich ist für viele Menschen in der Applausfabrik der Ursprung ihrer eigenen Produkte ein Rätsel. Wer ist der Hauptversorger? Auch in Hacking-Foren kursiert diese Frage.

Nach mehreren Monaten Recherche gehen wir davon aus, dass es keine Hauptversorgung gibt. Stattdessen gibt es Menschen, die sich auf jeden noch so kleinen Fertigungsschritt spezialisiert haben – Produktion, Entwicklung, Verkauf, Kundenberatung, und sie alle arbeiten im Verborgenen.

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Und trotzdem sind wir auf einen großen Motor für Social-Media-Schwindel gestoßen. Denn wer täglich Hunderttausende Likes und Follower produziert, muss extrem viele Instagram-Accounts auf einmal erstellen und steuern. Aber Instagram schöpft bereits Verdacht, wenn von einer einzigen IP-Adresse plötzlich mehrere Accounts auf die Plattform möchten.

Deutlich unauffälliger ist es, den Traffic durch gehackte Geräte auf der ganzen Welt zu tunneln, die einem gar nicht gehören. Man nennt eine solche Umleitung Proxy. Genau das haben IT-Sicherheitsforschende aus Kanada beobachtet.

Kühlschränke und Fernseher helfen heimlich bei der Produktion von Fake-Accounts

Masarah Paquet-Clouston gehört zu dem kanadischen Forscherinnenteam. Sie hat ein riesiges, weltweites Netzwerk aus infizierten Routern, "smarten" Kühlschränken, Fernsehern und anderen vernetzten Geräten entdeckt, das sie Linux/Moose taufte. Solche Botnets sind ein beliebtes Werkzeug von Cyberkriminellen. Wie viele Geräte darin versklavt sind, weiß niemand.

Das Verrückte daran: Die Besitzer bekommen meist gar nicht mit, dass der eigene Router im Wohnzimmer einem Botnet einverleibt wurde und heimlich Fake-Accounts auf Instagram erstellt. Das funktioniert so: Die Router sind oft schlecht abgesichert – zum Beispiel gibt es Geräte, die serienweise mit dem selben Standardpasswort ausgeliefert werden. Man kann solche ungeschützten Geräte mit speziellen Suchmaschinen wie Shodan.io im Internet finden, das Passwort erraten – und über offene Ports heimlich eine Malware einschleusen, um sie zu versklaven.

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Wer auch immer das Botnet Linux/Moose zentral steuert, hat jetzt Tausende Router auf der ganzen Welt an der Angel. Über diese Router und ihre lokalen Adressen wird der Datenverkehr geleitet, zum Beispiel beim Erstellen von Fake-Accounts – und plötzlich sieht es für Instagram so aus, als würden 5.000 taufrische Accounts nicht mehr im Block von einem einzigen Keller-Rechner aus registriert werden, sondern mal aus Chile, mal aus China oder Flensburg kommen.

VICE wird auch in Zukunft über die Manipulation sozialer Medien berichten. Wenn du Informationen dazu hast, kannst du Theresa und Sebastian per E-Mail erreichen oder verschlüsselt via Signal schreiben +49 152 1012 4551.

Aber was macht so ein Botnet, wofür wurde es geschaffen? Um Linux/Moose zu erkunden, stellen Paquet-Clouston und ihr Kollege im Jahr 2016 dem Botnet eine Falle. Sie schleusen eigene schlecht abgesicherte Router in das Netz ein und schneiden über Monate den Datenverkehr mit. Die beiden stellen fest: Das Botnet produziert Tag und Nacht Likes und Follower auf Instagram. Außerdem registriert es ständig neue Accounts – wie am Fließband. So ist Paquet-Clouston Zeugin der Like- und Follwer-Produktion geworden. Sie hat nicht nur in den Motor gespäht, sondern auch dem Fließband der Applausfabrik beim Rattern zugeschaut.

Bleibt eine Frage: Wer kontrolliert das Botnet? Wer steckt dahinter? Die Forschenden können es nicht beantworten. Eins ist aber klar: Ein Botnet allein kann den weltweiten Handel nicht stemmen. Im Keller der Applausfabrik muss es noch mehr Maschinen und Maschinisten geben.

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Auf YouTube berichtet der Kanal 'Simplicissimus' exklusiv über unsere Recherche


Zu Besuch bei Valar Solutions: Der Baumarkt für den dunklen Bastelkeller

Wer einen Instagram-Account hat, postet Fotos und teilt Herzchen mit mehr oder weniger guten Freunden. Vom Technikdschungel, der sich dahinter verbirgt, haben die meisten Nutzerinnen und Nutzer keine Ahnung. Wie ein Autofahrer, der zwar weiß, dass sein Wagen nur Diesel verträgt, aber beim kleinsten Husten des Motors in die Werkstatt muss.

Akteure wie jemand, die oder der sich im Netz "Valar" nennt, profitieren genau davon. Valar muss sich nicht einmal besonders gut verstecken, weil es kaum Menschen gibt, die ernsthaft nach ihm suchen. Und wenn man ihn doch findet, dann kommt man nicht weit: Natürlich haben Valars Online-Auftritte kein Impressum, sein Pseudonym stammt aus Herr der Ringe. Selbst, ob es sich um eine oder mehrere Personen handelt, wird nicht ganz klar.

Was Valar auf seiner Website "Valar Solutions" anbietet, sind die Werkzeuge, mit denen sich soziale Medien manipulieren lassen. Auch Proxys sind darunter, also jene Technologie, die auch dem Botnet Linux/Moose dabei hilft, die eigenen Spuren zu verwischen.

Hunderte Fake-Accounts auf Lager, ein Dollar das Stück

Wer sich auf Valars Website verirrt und etwas bestellen will, wird auf einen dubiosen Discord-Server verwiesen. Er heißt "Valar Solutions" und ist eine Mischung aus einem Marktplatz für hochspezialisierte Social-Media-Tools und einem Forum für Nerds, die die glatten Oberflächen von Instagram und anderen Plattformen mit allen Mitteln knacken wollen, um damit Geld zu machen. Dort hat sich um Valar eine bunte Truppe an anonymen, vernetzten Account-Tricksern aus dem Keller geschart.

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Die Begriffe, die sich die Leute in Valars Discord-Channel an den Kopf werfen, klingen erstmal unverständlich: "Aunty Aged Auto Refill, 5-10/operation with 5-10min break. 30/hour 160-200/day 5800/month", schreibt einer. "Sounds awesome!", findet ein anderer.

Tatsächlich muss man sich den Discord-Server wie einen unterirdischen Baumarkt vorstellen, in dem sich Trickser ihre Werkzeuge zum Social-Media-Betrug im Keller zusammenstellen können. Proxys sind dabei nur eines von vielen. Fragt man Valar per E-Mail, woher die Proxys kommen, wiegelt er ab: "Meine Proxys kommen von Anbietern, ich weiß nichts über Botnets", heißt es in der Antwort.

Ob es Valar selbst war? Ob Valar überhaupt eine Person ist – oder eine Gruppe? Der Keller ist zu dunkel, um das herauszufinden.

Angebote aus dem Keller der Applausfabrk

Angebote für Instagram-Accounts. Die Preise zeigen: Je älter ein Account, desto teurer | Screenshot

Aber bei Valar Solutions liegen noch andere praktische Dinge im Regal:

  • Fertigpakete für Fake-Accounts für Instagram, ein Dollar das Stück, registriert und verifiziert und mit einem weiblichen Profilbild. Je länger ein Account schon existiert, desto teurer ist er. "Warmed up" oder "Aunty Aged"-Accounts haben eine geringere Chance, von Instagram als Fakes entdeckt zu werden.
  • Automatisierungs-Tools, die Instagram-Namen für neue Accounts liefern, Tausende auf einmal mit einem bestimmten Link versehen und Hunderte Fotos hochladen.
  • Angebote für Wegwerf-Handynummern, Wegwerf-E-Mail-Accounts – alles, was noch nützlich ist, um massenhaft erstellte Fake-Accounts mit Leben zu füllen, ohne aufzufliegen.

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Dass die Werkzeuge auf einem Discord-Channel diskutiert werden, hat einen einfachen Grund: Social-Media-Manipulation kann lukrativ sein, doch schon nach kurzer Zeit funktionieren die Tricks nicht mehr, weil Instagrams Technik-Team dagegen arbeitet – und die Trickser müssen umrüsten. Der Austausch unter den Keller-Tricksern über die perfekten Einstellungen und Code-Schnipsel ist deshalb ein wichtiger Arbeitsschritt in diesem Stockwerk.

Aus dem Keller in den ersten Stock: Wie aus komplizierten Tools ein Like-Paket wird

Screenshot aus einem Discord-Server

2,50 US-Dollar für 1.000 Likes: Einblick in den Discord-Server für Fake-Accounts | Screenshot

Am 31. August, einem Nachmittag im Sommer, bricht auf dem Discord-Server Jubel aus. "!! Good news everyone", schreibt Valar. "Wir haben unseren eigenen, direkten Service für Instagram-Likes gelauncht". Für umgerechnet 2,25 Euro bietet Valar jetzt 1.000 "höllisch schnelle" Instagram-Likes an. Wie er das schaffen konnte? Valar hat sich mit all den Tools einen Schwarm an echt wirkenden Instagram-Accounts zusammengebaut, deren geballte Kraft er nun auf andere Profile loslassen kann. Sein Schwarm ist ausgestattet mit echt wirkenden Profilfotos, Nutzernamen, Kurzbios. Außerdem: Proxys, um den Traffic der Accounts zu tunneln. Alles gelenkt von einer Software, mit der sich der Schwarm aus Hunderten Accounts steuern lässt, ohne von Instagram erwischt zu werden.

Diesen Schwarm lässt Valar nun für sich arbeiten. Er produziert so viele Followerinnen, Likes und Kommentare, wie Valar will. Sein aktuelles Produkt – 1.000 Fake-Likes – kann er nun gegen Geld als Paket in das erste Stockwerk der Applausfabrik weiterverkaufen.

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Vieles spricht dafür, dass auch die Community um Valar höchstens für einen kleinen Bruchteil im weltweiten Like-Handels verantwortlich sein kann. Auf dem Discord-Server diskutieren die Nutzerinnen und Nutzer nämlich auch zig andere Methoden, um mit Instagram-Tricks Geld zu verdienen. Wenn Valar in diesem Stockwerk der Applausfabrik aber nur ein Teamleiter ist – wer sind dann die Chefs? Wie viele Account-Trickser tummeln sich hier noch?

Das Erdgeschoss: Auf dem Marktplatz der Zwischenhändler

In große Pakete geschnürt gelangen die von Valar und Kollegen produzierten Waren – Likes, Kommentare und Followerinnen – aus dem Keller ins Erdgeschoss der Applausfabrik. Hierhin dringt schon mehr Licht: Es ist ein belebter Großhandel mit Hunderten Zwischenhändlern, die die Pakete weiterverkaufen. Die Preise hier sind günstig: 1.000 Instagram-Follower gibt's ab 1,50 Euro. Die Hauptkunden sind aber noch keine Influencer, sondern kleinere Kaufleute, die mit den Waren ihre Websites bestücken. Den Account-Tricksern gefällt das: Wenn ihre Ware durch viele Hände geht, können sie leichter im Verborgenen bleiben.

Einer der Zwischenhändler nennt sich Amrit. Wir treffen ihn in einer Chat-Gruppe der Messenger-App Telegram. Amrit wirbt hier für Likes und Follower auf Instagram. Über viele Wochen hinweg beantwortet er eifrig unsere Fragen im privaten Chat. Er sei 14 Jahre alt, schreibt er auf Englisch, geboren in Indien, dann mit den Eltern nach Dubai gezogen. Mehrfach bitten wir ihn um ein Videogespräch, um seine Geschichte zu verifizieren. Mehrfach findet Amrit Ausreden: Er habe zu viel für die Schule zu tun; seine Eltern sollten nicht hören, dass er telefoniere. Seinen richtigen Namen möchte er nicht verraten.

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Das Erdgeschoss der Applausfabrik ist wie ein Markt, auf dem alle Verkäufer Kapuzen tragen. Viele Zwischenhändlerinnen benehmen sich wie Amrit: Sie sind freundlich und gesprächig, solange es nicht um Klarnamen, Fotos oder Kontaktdaten geht. Schließlich arbeiten sie in einer rechtlichen Grauzone.

"In der Schule hält man mich für ein weird kid", schreibt Amrit. Andere würden ihre Freizeit mit Videospielen verbringen, er aber wolle Geld verdienen. "Ich weiß nicht, warum wir Geschichtsunterricht haben. Wir sollten etwas über die Zukunft lernen", schreibt Amrit. "Sie sollten Kindern lieber beibringen, wie man mit Geld umgeht. Je früher man das lernt, desto schneller kommt die Gesellschaft voran."

Der Markt der Zwischenhändler ist offen im Netz zu finden, aber nur, wenn man den passenden Suchbegriff kennt: SMM Panel. Das Kürzel "SMM" steht für Social Media Marketing, "Panels" sind die Verkaufsstände der Zwischenhändler, also Online-Shops für Likes und Follower. Gezahlt wird per Kreditkarte, PayPal oder Kryptowährung. Was Amrit selbst über Geld erzählt, ist abenteuerlich. Er nennt mehrere Summen, die er mit seinen Geschäften verdienen will. Zunächst spricht er von 200 Dollar am Tag, Wochen später sollen es nur noch 400 Dollar im Monat sein. Für vier Dollar könne er uns 1.000 Instagram-Follower besorgen, schreibt Amrit, einkaufen wolle er sie für 50 Cent.

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Collage mit zig Follower-Shops

Eine simple Google-Suche spült Hunderte Online-Shops für Likes und Follower hervor | Screenshots

In der Öffentlichkeit sind Panels kaum bekannt – trotzdem liefert die Google-Suche für die Anfrage "SMM Panel" mehr als 300.000 Ergebnisse. Viele dieser Panels haben kein Impressum.

Man muss aber nicht bis nach Dubai fliegen, um Zwischenhändler zu finden. Es gibt sie auch in Deutschland. Einen Teenager, der Johannes genannt werde möchte, zum Beispiel. Monatelang hat er seinen Online-Shop aus dem Kinderzimmer heraus gepflegt. Nach der Schule kümmerte er sich fleißig um seine Bestellungen, begeistert davon, aus dem Nichts eigenes Geld zu verdienen.

Wie viel wissen Johannes und Amrit über die anderen Stockwerke der Applausfabrik? Offenbar wenig. "Ich bin nur ein Zwischenhändler", diesen Satz haben wir bei der Recherche immer wieder gehört. Johannes und Amrit haben nach eigenen Angaben keine Ahnung, was genau im Keller passiert. Und genau das ist offenbar gewollt.

Patrick Vonderau, Medienforscher an der Universität Halle-Wittenberg, hat sich die Zwischenhändler-Szene genau angeschaut, zusammen mit seinem Kollegen Johan Lindquist von der Uni Stockholm. Ihre Entdeckung: Ein Anbieter namens PerfectPanel.com bietet für 50 Dollar im Monat Zugang zu einer Shop-Software. Mit dieser Software verticken viele Zwischenhändler ihre Ware. Das Angebot ist beliebt: Offenbar nutzen mehr als tausend Follower-Shops die Software von PerfectPanel – zumindest teilen Mitte November mindestens 1.554 Websites dieselbe IP-Adresse.

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Der Handel hat sich weltweit ausgebreitet. Es gibt Follower-Shops in mindestens 12 Sprachen, unter anderem Englisch, Türkisch, Koreanisch, Russisch und Arabisch. In einigen Shops lässt sich zudem auswählen, aus welchen Ländern die Likes und Follower kommen sollen. Ein Shop bietet zum Beispiel Instagram-Follower aus Iran und Russland; ein anderer bietet YouTube-Abonnenten aus den USA.

Wir haben ausgewertet, wie das Netzwerk der Follower-Shops in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Dafür haben wir uns angeschaut, an welchem Datum die zahlreichen Domains registriert wurden, die heute eine IP-Adresse mit PerfectPanel teilen. Das Ergebnis: Die Anzahl der Shops ist explodiert, der Handel ist ein Riesengeschäft.

Domains im Perfect-Panel-Universum nach Gründungsjahren

Mitte November teilen 1.554 Domains eine IP-Adresse mit PerfectPanel, bei mehr als 80 Prozent davon konnten wir feststellen, wann sie registriert wurden | Screenshot: Google Spreadsheet

Im Jahr 2017 ging es so richtig los, damals wurden insgesamt 128 Domains registriert, die heute mit PerfectPanel in Verbindung stehen. Seitdem geht es rasant bergauf, zwischen Januar und Mitte November 2019 sind es schon mehr als viermal so viele neue Domains. Hinzu kommt: PerfectPanel ist nicht der einzige Anbieter dieser Art. Ein Konkurrent namens Indusrabbit hat zum Beispiel ähnliche Angebote, bezahlt wird in Indischen Rupien. Im Erdgeschoss der Applausfabrik wird es immer enger, und das Angebot ist so bunt wie auf einem Rummel.

Ein typischer Shop aus dem Perfect-Panel-Universum hat vollgepackte Regale: Bunte Emojis versprechen Fame auf allen großen Online-Plattformen. 1.000 Instagram-Follower sind schon für 1,43 Dollar zu haben, für Fans mit 30-Tage-Garantie muss man ein paar Dollar mehr hinlegen. Hinzu kommen 1.000 Instagram-Likes und 1.000 zufällig generierte Instagram-Kommentare, jeweils für rund einen Dollar. Und natürlich YouTube-Views, Twitter-Likes, Facebook-Fans, Spotify-Plays, TikTok-Views und vieles mehr.

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Produktpalette im Follower-Shop

Das Verrückte: Mit ein paar Klicks kann jeder selbst einen eigenen Follower-Shop eröffnen. Nur – woher bekommt man die Ware? Ganz einfach: Von einem anderen Zwischenhändler. Johannes könnte seine Follower zum Beispiel bei Amrit beziehen, und Amrit wiederum von einem anderen Händler. Die Shop-Software von PerfectPanel ist darauf spezialisiert: Bestellungen unter Zwischenhändlern werden automatisch abgewickelt, und zwar per Programmierschnittstelle. Das Ergebnis ist ein gigantisches Geflecht aus Händlern. Jeder kauft bei jedem – und keiner weiß genau, welcher Händler die Ware direkt aus dem Keller bezieht und welcher sie nur weiterverkauft.

Auch der Like-Shop von Valar, dem Account-Trickser aus dem Keller der Applausfabrik, teilt eine IP-Adresse mit PerfectPanel. Kundinnen und Kunden seines Like-Shops können also nicht wissen, ob Valar die Likes selbst produziert oder selbst nur ein Zwischenhändler ist. Außer natürlich, sie haben, so wie wir, die Gespräche auf Valars Discord-Server verfolgt. Steckt dahinter Kalkül, um die Lieferanten unsichtbar zu machen? Wir haben PerfectPanel.com gefragt – eine Antwort erhalten haben wir bisher nicht.

Handeln die Händler in der Applausfabrik kriminell?

Es mag absurd klingen, aber in Deutschland gibt es kein Gesetz, das das Produzieren, Verkaufen und Kaufen von Likes und Followern verbietet. Das meiste, was die Zwischenhändler in der Applausfabrik treiben, ist also legal. Rechtsanwalt Tim Hoesmann, spezialisiert auf Medien-, Urheber- und Wirtschaftsrecht, sagt: "Auf den ersten Blick ist insoweit kein Verbot erkennbar."

In einigen Fällen kann es juristisch trotzdem brenzlig werden – etwa wenn eine Firma Follower kauft, um beliebter zu wirken als die Konkurrenz, wie Hoesmann erklärt. Über einen solchen Fall hat im Jahr 2015 das Landgericht Stuttgart entschieden.

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Die USA sind da etwas weiter. Facebook hat 2019 einen Follower-Verkäufer aus Neuseeland verklagt und beruft sich dabei auf den "Computer Fraud and Abuse Act". Der Anklageschrift zufolge betrage der Schaden für Facebook rund 9,4 Millionen Dollar. Wenn Facebook vor Gericht Erfolg hat, könnten viele ähnliche Klagen folgen.

Rechtlich schwierig ist der Handel aber an anderen Stellen: Sind die Proxys der Account-Trickser gehackte Geräte? Versteuern die Betreiber der Panels, also der anonymen Like-Shops, ihre Einnahmen? Haben die Account-Trickser überhaupt Nutzungsrechte für die Bilder ihrer Fake-Accounts? Viele mögliche Gründe, warum Amrit, Valar und die anderen sich lieber bedeckt halten. Anders als die Handel treibenden Menschen im ersten Stockwerk der Applausfabrik: Sie zeigen ihr Gesicht.

Das 1. Stockwerk: Aufgeräumte Kioske für gewöhnliche Kundschaft

Im ersten Stockwerk der Applausfabrik soll nichts an die anrüchigen Etagen darunter erinnern: Helles Licht strahlt durch die Regale, Händler präsentieren sich als kundenorientiert und seriös. Statt dubioser Spitznamen wie "Valar" gibt es stets ein Impressum mit Postadresse. Doch hier glänzt nicht nur der Auftritt, sondern auch der Preis: 1.000 Follower kosten plötzlich um 16 Euro – eine Steigerung auf das Zehnfache.

Wenn das Erdgeschoss ein wilder Basar für Großhändler war, dann haben sich hier im ersten Stockwerk aufgeräumte Kioske für gewöhnliche Kunden angesiedelt. Hier shoppen Influencer und alle, die es werden wollen. Die Kioske sind leicht zu finden, man muss nur "Follower kaufen" googeln. Die Verkäufer zeigen sich auf ihren Websites gerne mit Foto und freundlich lächelnden Service-Teams. Sie stellen sich als Medienagenturen mit Qualitätsfollowern da, ihre Angebote lauten zum Beispiel: 2.500 internationale Follower für rund 40 Euro.

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Wir haben mit einem Mann gesprochen, der einen solchen Kiosk betreibt. Nennen wir ihn Manfred. Er heißt eigentlich anders, doch nach unserem Interview wollte er seinen Namen und den seiner Firma doch nicht mehr in unserem Artikel lesen. Dabei war er im Gespräch stolz auf seine Firma – das Geschäft scheint so gut zu laufen, dass er mehrere Mitarbeiter beschäftigen kann. "Ich bin gerne bereit, anonym zitiert zu werden", schreibt er.

Was "echt" ist und was nicht, lässt sich in der Applausfabrik oft nicht eindeutig beantworten. Wir wollen von deshalb von Manfred wissen: Ab wann genau ist ein Follower "fake"? Wenn er von einem Bot erstellt und gesteuert wurde? Oder ist es auch schon "fake", wenn eine reale Person für eine Gegenleistung einem Account folgt – ohne sich dafür zu interessieren?

"Für mich persönlich ist ein echter Fan jemand, der aus Affinität einen Inhalt likt und nicht aufgrund einer Gegenleistung", sagt Manfred. Doch woher nimmt er seine Fans?

"Tauschnetzwerke", sagt er.

Das sind Apps und Websites, mit denen private Nutzer oder die Social-Media-Manager von Firmen-Accounts per Klick digitalen Applaus in Form von Likes und Followern an andere angemeldete Mitglieder verteilen. Der Vorteil: Als Gegenleistung vergeben Tauschnetzwerke virtuelle Coins, die sich wiederum gegen Likes und Follower fürs eigene Profil eintauschen lassen. Eine Hand wäscht die andere.

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"In Deutschland ist es deutlich schwieriger, Likes von Profilen zu bekommen, hinter denen sich auch echte Personen verbergen"

Bei einigen Tauschnetzwerken müssen Nutzer selbst tippen und wischen, bei anderen erledigt das eine Software automatisch im Hintergrund. In diesem Fall erlauben Nutzer der Tauschapp, ihren Account selbstständig zu steuern. Der Account wird dadurch teilweise zum Bot. Wirklich echte Fans verkauft Manfred also nicht.

Manfred zufolge kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tauschnetzwerke aus der ganzen Welt und verstehen oft nicht, wofür sie den digitalen Daumen heben. "Häufig sind Social Media-Nutzer aus Brasilien vertreten in solchen Tauschapps", sagt er. "Da ist es leicht, Likes und Follower zu generieren."

Doch: Was bringen einem aufstrebenden Instagram-Star aus Deutschland Followerinnen aus Brasilien, die seine Inhalte nicht einmal verstehen – und wie peinlich ist es, wenn der eigene Account wahllos fremdsprachige Inhalte likt?

"In Deutschland ist es deutlich schwieriger, Likes von Profilen zu bekommen, hinter denen sich auch echte Personen verbergen", schreibt Manfred. Für einen Preis von 50 Euro könne er noch problemlos bis zu 1.000 vernünftige Follower besorgen, danach werde es kritisch.

1.000 Follower: Um eine Influencer-Karriere vorzutäuschen, reicht das nicht. Firmen, die ähnlich arbeiten wie die von Manfred, bieten hingegen mehrere Zehntausend Follower an. Und das zu deutlich niedrigeren Preisen.

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Wie machen die das? Manfred meint, bei solchen Mengen handele es sich um unseriöse Anbieter. "1.000 Follower für 5 Dollar? Dafür bekommt man höchstwahrscheinlich nur Follower, die nach kurzer Zeit wieder wegfallen, via Bots generiert", meint Manfred. Innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden könne Instagram dem Fake auf die Schliche kommen und die Follower löschen. Er spricht hier eindeutig von den untersten Stockwerken der Applausfabrik.

Manfreds Firma greife also nie auf unseriöse Quellen für Follower zurück – die Konkurrenz dagegen schon? Der Unternehmer bejaht das. Überprüfen lässt sich das nicht.

Was gekaufte Follower wirklich bringen, wissen am besten ihre Käufer: Sie bilden das 2. Stockwerk der Applausfabrik.

Das 2. Stockwerk: Die scheinbar unbeschwerte Welt der Influencer

Für Nele Hillebrand waren die gekauften Follower nutzlos. Die Bloggerin berichtet auf Faminino.de über selbstgemachte Fingerfarbe und hormonfreies Verhüten. "Im November 2016 bin ich Mama geworden und seitdem steht mein Leben Kopf", schreibt sie auf ihrem Blog. Heute hat sie rund 10.000 Follower auf Instagram. Früher war das anders.

Als ihr Baby gerade ein paar Monate alt war, hatte sie nur um die 1.000 Follower. "Viele Leserinnen und Leser haben mir gesagt, dass sie meinen Blog nicht ernst nehmen", sagt Nele. Der Grund: zu wenige Instagram-Fans. Dabei rede doch jeder in der Blogger- und Instagram-Szene davon, dass man Follower und Followerinnen auch kaufen kann. "Es war eine Ego-Frage", sagt Nele. Also googelte sie "Follower kaufen", fand einen Shop und bestellte 100 Follower für zehn Euro. "In dem Moment hatte ich riesige Angst. Ich dachte, oh Gott, gleich kommt Instagram und sperrt mein Konto."

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Mehr als zwei Drittel der gekauften Follower seien ihr wieder entfolgt. Sie seien aus anderen Ländern gekommen, hätten sich nicht für ihre Inhalte interessiert. Nele brachten sie keinen Fame – sie brachten ihr gar nichts. Für andere Influencer zahlen sich gekaufte Follower aber aus. Denn es kommt darauf an, wie man sie einsetzt, wie uns mehrere Personen aus dem Influencer-Marketing berichten.

Timo beobachtet seit zwei Jahren, wie die größten Influencer-Accounts Deutschlands wachsen. Er möchte seinen richtigen Namen nicht in diesem Artikel lesen. Instagram sehe es nicht gerne, wenn Analysten wie er massenhaft Daten von der Plattform schürfen. Timo fürchtet, Instagram könne seine Arbeit behindern, wenn er an die Öffentlichkeit geht.

Menschen würden heute vorsichtiger schummeln als noch vor ein paar Jahren, sagt Timo. Längst würden sie nicht mehr 5.000 Follower auf einmal kaufen. Viel zu auffällig. Wer sich nicht erwischen lassen will, kaufe tröpfchenweise Follower, zum Beispiel 50 pro Stunde. Hinzu kommen Kommentare, Likes, Impressions. Dauer-Doping in kleinen Dosen. Aber es gibt Ausnahmen.

"Häufig sehe ich, dass Firmen und Influencer mit einem neuen Account in den ersten Tagen 10.000 oder 20.000 Follower kaufen", sagt Timo. Außerdem falle ihm oft auf, dass Influencer gezielt Likes für einen gesponserten Post kaufen. Gesponsert bedeutet, dass Influencer zum Beispiel für eine Gegenleistung ein Duschgel in die Kamera halten. "Dann kannst du dem Kunden zeigen: 'Hey, ich hab 30.000 Likes, es kam super an.'" Die Influencerinnen und Influencer erhoffen sich davon weitere, bessere Werbedeals. Sie investieren also in gekaufte Likes und Follower, um aus ihnen so noch mehr Geld zu ziehen.

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Aber es gibt Schummel-Detektoren für Manipulation auf Instagram. Einer davon ist das Tool HypeAuditor aus Russland. Damit können Firmen gegen Gebühr die Accounts von Influencern checken, zum Beispiel auf verdächtige Sprünge in der Followerzahl. Die Analysten schätzen, dass es bei jedem vierten Instagram-Account in Deutschland auffälliges Wachstum gebe. So steht es in einer 2019 veröffentlichen Datenauswertung. "Viele Leute wollen berühmt werden, aber es kann halt nicht jeder ein Influencer sein", sagt HypeAuditor-Chef Alex Frolov. "Irgendwann probieren Nutzer also zwielichtige Angebote aus."

Janine Lamp de Magalhães arbeitet in einer Hamburger PR-Agentur und benutzt solche Schummel-Detektoren beruflich. De Magalhães hilft Firmen dabei, den passenden Influencer für ihre Werbekampagnen zu finden. "Es kam schon vor, dass ich einem Kunden dringend von der Kooperation mit einem Influencer abgeraten habe", sagt sie. Der Influencer habe innerhalb eines Tages Tausende Follower hinzugewonnen.

Im Jahr 2018 wertet die New York Times Akten aus dem Prozess gegen eine Firma namens Devumi aus. Die US-Firma hat unter anderem Follower und Likes für Twitter angeboten. Offenbar wurden bei einigen der Accounts aber Bilder und Namen von realen Personen verwendet. Der Vorwurf lautete deshalb Identitätsdiebstahl, wie mehrere Medien den zuständigen Staatsanwalt zitieren. Aus den Akten geht hervor, wer auf der Kundenliste steht: der New York Times zufolge TV-Promis, Profisportlerinnen, Comedians, Models. Auch ein Berater des ecuadorianischen Präsidenten Lenín Moreno soll demnach dort für Moreno eingekauft haben.

Falscher Fame für Präsidenten: Wir sind in der Applausfabrik ganz oben angekommen, dort, wo das ganz große Geld wartet.

Das 3. Stockwerk: Die großen Marken – und das große Geld

Aldi, Dr. Oetker, Nivea, Otto. Allein in Deutschland geben Firmen Millionen für Influencer-Kampagnen aus. Im Jahr 2018 hat der Bundesverband für digitale Wirtschaft 100 Firmen befragt: Sie investieren bis zu 250.000 Euro jährlich in Influencer. Und natürlich will sich jeder Influencer möglichst viel davon sichern.

"Viele fragen aktiv an, ob sie mit uns zusammenarbeiten dürfen", sagt Nina Furch vom Otto-Konzern. Rund 20 solcher Anfragen gebe es monatlich, Otto überprüfe die Influencer mit Analyse-Tools. "Wir schließen 30 bis 40 Prozent der Anfragen aufgrund der Qualität der Follower aus", sagt Furch. Auch Aldi Süd nutzt nach eigenen Angaben so ein Tool; Nivea lässt die Auswahl von einer Agentur erledigen; Dr. Oetker teilt mit: "Wenn uns im Vorfeld einer Kooperation etwas komisch vorkommt, sprechen wir dies an und sehen im Zweifel von einer Zusammenarbeit ab."

Ob die Firmen auf tricksende Influencer reinfallen? Das geben sie nicht gerne offen zu, jedenfalls wenn man ihnen eine Presseanfrage stellt. Gesprächiger sind sie beim gemütlichen Buffet am Westhafen Berlin, wenn über dem Hafenbecken die Sonne untergeht: Hier traf sich die Branche im Sommer 2019 auf einer Konferenz für Influencer-Marketing, der Inreach. Wer die Konferenz besuchte, durfte lernen, dass Influencer keine bezahlten Werbefiguren sind, die uns Produkte aufschwatzen, sondern authentische "Markenbotschafter", die ihre Community "überzeugen". Beim Buffet am Hafenbecken erzählte uns schließlich ein Marketing Manager eines großen, deutschen Auto-Konzerns nach dem zweiten Sekt: "Wir sind bei einer Kampagne schon mal ganz schön auf die Fresse geflogen."

Seine Firma hatte einem Influencer ein Auto geliehen, berichtet er. Der Influencer sollte es auf Instagram präsentieren. Kaum war das Auto da, habe der Influencer Tausende Follower verloren und die Firma eine Menge Geld verschwendet. Der Mitarbeiter möchte anonym bleiben – warum eigentlich? Er grinst: "War meine Kampagne."

Warum Instagram die Applausfabrik nicht lahmlegen kann

Alex Frolov vom Anti-Schummel-Tool HypeAuditor vermutet, dass Instagram lange Zeit nichts dagegen hatte, wenn Bots und Fake-Accounts die Nutzerzahlen nach oben treiben. Immerhin locken großen Zahlen auch Investoren an. Facebook und Instagram, die eine gemeinsame Pressestelle haben, verneinen das auf Anfrage von VICE: Betrügerische Aktivitäten seien für alle schlecht, man habe ein großes Interesse, das zu verhindern. Was tun die Plattformen also dagegen?

"Wir haben ein Team, das rund um die Uhr arbeitet", erklärt eine Sprecherin per E-Mail. Täglich würden Millionen Accounts auf Facebook und Instagram entfernt. Wie viele Mitarbeiterinnen daran sitzen, möchte die Sprecherin aber nicht verraten.

Sie zählt außerdem eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen auf, die Instagram und Facebook gegen Manipulation anwenden: Maschinelles Lernen, ein automatisches Anti-Spam-System, Hinweise aus der Community. Aber immer noch werden massenhaft Likes und Follower in Hunderten Online-Shops angeboten. Der Account-Trickser Valar schreibt uns in einer E-Mail: "Es wird täglich schwerer. Es kommt darauf an, nicht aufzugeben. Wer bleibt, bekommt mehr Profit." Ein anderer Zwischenhändler sagt uns, er werde demnächst auf TikTok setzen. Das Angebot in der Applausfabrik kann sich also ändern – aber die Fließbänder werden nicht stillstehen.

Mitarbeit: Anna Biselli, Patrick Vonderau, Masarah Paquet-Clouston

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