Wie ich als überzeugter Linker nach Nordkorea reiste

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Reisen

Wie ich als überzeugter Linker nach Nordkorea reiste

Ich musste vorher unterschreiben, dass ich die "Verehrung der politischen Führer" respektiere und darüber weder vor der Reise noch danach "kritische oder ironische Bemerkungen" mache.

Seit fünf Jahren arbeite ich für die deutsche Partei DIE LINKE. Zur Zeit bin ich Landesgeschäftsführer in Schleswig-Holstein. Auch ehrenamtlich habe ich Positionen von der Kommunalpolitik bis zum Parteivorstand bekleidet. Mein politisches Ziel ist der demokratische Sozialismus. Dutzende Male ist mir am Infostand vorgeworfen worden, ich wäre ein Fan von Nordkorea. Also beschloss ich, im September 2015 für zehn Tage mit acht Zufallsbekanntschaften privat nach Nordkorea zu reisen, um mir selbst ein Bild von diesem Land zu machen.

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Als Linker bin ich geneigt, den Dingen immer einen Widerspruch entgegenzusetzen. Einfache Wahrheiten gehören hinterfragt. Geschichte wird von den Siegern geschrieben, deswegen versuche ich, auch die Verlierer zu Wort kommen zu lassen. Als ich nach Nordkorea gefahren bin, war mein Anspruch, nichts zu erwarten und offen dieses Land zu entdecken. Ich wollte zurückkehren und meine Eindrücke den Klischeebildern gegenüberstellen, ja sie vielleicht sogar entlarven. Leider machte es mir Nordkorea aber nicht leicht.

In tiefschwarzer Nacht sind wir außerhalb von Pjöngjang gelandet. Die Crew des russischen Transportfliegers Antonov stand bereit und scheuchte uns übers Flugfeld in einen Bus. "No photos!" Sie führten uns in einen Terminal, der im Gegensatz zur Dunkelheit draußen strahlend hell erleuchtet war. Militärbeamte mit viel zu großen Mützen erwarteten unsere Pässe. Sie waren ausgesprochen freundlich.

Es war totenstill im Bus. Alle schauten gebannt aus den Fenstern und wurden sich bewusst, dass sie wirklich hier sind—im abgeschottetsten Land der Welt.

Ich wurde gebeten, meine mitgebrachten Bücher vorzuzeigen. Meine Wahl war auf 2001 - Odyssee im Weltraum gefallen. Der Beamte blätterte es einmal durch und war zufrieden, ich durfte Nordkorea betreten. Wer hätte erwartet, dass es Nordkorea einem so einfach macht?

Gleich in der Ankunftshalle erwartete mich mein adretter Reiseleiter. Von da an nannte ich ihn mit dem notwendigem Masochismus "mein geliebter Reiseführer". Er nahm mir als Erstes meinen Pass ab, bevor er mich willkommen hieß. Von nun an bestimmte er fast jede Minute meines Tages. Bereits in Deutschland hatte ich per Unterschrift erklärt, mich ohne Beschwerden zu fügen.

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Während die anderen Reisegruppenmitglieder aus dem Security-Check kamen, schaute ich mich um: Eine leere, fast klinisch saubere Flughafenhalle, geschlossene Buchläden, ein geschlossenes Restaurant, ein kleiner Verkaufsstand für Limonade mit einer stramm lächelnden Verkäuferin. Kaum ein Geräusch außer dem Klacken von Schuhen auf dem blank polierten Boden.

Wir wurden in einen Bus verfrachtet, verließen den mit Flutlicht erleuchteten Parkplatz—und tauchten wieder in die Finsternis. Auf den unbeleuchteten Straßen war unser Bus die einzige Lichtquelle. Im Leuchtkegel der Busscheinwerfer tauchten immer wieder Menschen auf, die mit Fahrrädern ohne Licht oder zu Fuß in den Straßen unterwegs waren. Einige wenige hatten Taschenlampen, hier und da hatten sich kleine Gruppen um ein Lagerfeuer gebildet. Ich erinnerte mich an Computerspiele wie Fallout oder Wasteland. Es war totenstill im Bus. Alle schauten gebannt aus den Fenstern und wurden sich bewusst, dass sie wirklich hier sind—im abgeschottetsten Land der Welt.

Die ersten Tage wurden zu einem Best-of der Nordkorea-Klischeebilder. Untergebracht waren wir im Hotel Yanggakdo in Pjöngjang, das auf einer Insel im Taedong-Fluss liegt und militärisch abgeriegelt ist. Mir ist unklar, ob man uns hindern wollte, die Insel zu verlassen, oder Unbefugte daran, sie zu betreten. Im Hotel gab es fließend Warmwasser, in allen Einrichtungen, die wir bei unseren Besichtigungstouren außerhalb des Hotels betraten, gab es nur einen großen Krug mit Schöpfkelle. Selten gibt es in ganz Pjöngjang Strom. In den Großstädten Wonsan und Kaesong wurde der Strom extra für uns angestellt. Es fuhren kaum Autos auf den Straßen. Gefühlt jedes dritte stand am Straßenrand mit zwei Nordkoreanern, die sich ratlos über den Motorraum beugten.

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Die Schotterpisten Kambodschas sind angenehmer zu befahren als die Kraterlandschaft der nordkoreanischen Autobahn. Nordkorea ist ein bitterarmes Land der so genannten Dritten Welt. Dieser Zustand wird nicht geleugnet. Ich hatte fadenscheinige Erklärungen oder sogar dreiste Lügen erwartet. Tatsächlich zeigte man uns das alles aber mit Stolz. Mit dem Stolz einer Nation, die sich in einem trotzigen Underdogmythos eingerichtet hat. Ein Mythos, der besagt, dass die ganze Welt sich gegen dieses Land verbündet hat. Und obwohl die USA täglich den Angriff planten und mit Sanktionen das Nötigste zur Mangelware machten: Die Nordkoreaner lassen sich nicht unterkriegen. Wenn man in diesem Land aus seiner kalten Wohnung mit dem Schrottfahrrad zur Arbeit fährt, denkt man sich: "Den Imperialisten habe ich es heute wieder gezeigt!"

Selfie auf dem Kim-il-Sung-Platz

Das politische System bietet keine Überraschungen. Laut meines geliebten Reiseführers ist es ganz simpel. Es gibt die Führer; die sind der Kopf des Staats. Darunter gibt es das Volk; das ist der Körper. Den Führern obliegen das Nachdenken und die Entscheidungen. Das Volk darf diese dann mit Inbrunst umsetzen. Zu seinem großen Glück wird das nordkoreanische Volk von der außergewöhnlichsten Familie des Menschengeschlechts geführt: der Familie Kim. Mittlerweile wird in dritter Generation geherrscht.

Zu unseren Touristenpflichten gehörte, dass wir täglich an mehreren Kultstätten huldvolle Verbeugungen vollführten und/oder Blumen niederlegten. Die Regeln wurden mir dabei nicht ganz klar. Manche Statuen grüßten wir nur kurz, bei anderen verharrten wir in der Verbeugung. Es gibt Wachsfiguren der verstorbenen Führer in riesigen leeren Hallen, vor deren Betreten wir uns die Kleidung zurechtzupfen mussten. Der geliebte Reiseführer erzählte, dass viele Staatsmänner an jenem Ort in Tränen ausgebrochen waren. Zuletzt war ich versucht, mich vor einem Tomatengewächshaus zu verbeugen, da mir stolz berichtet wurde, dass Kim Jong-il es der Universität persönlich geschenkt hätte.

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Räume, die von den Führern besucht wurden, sind mit roten Schildern markiert, auf denen das genaue Datum des Besuches für die Ewigkeit verzeichnet ist. Es gibt Räume, denen die Gnade zu Teil wurde, bereits mehrfach besichtigt worden zu sein. Wir wurden gebeten, vor Betreten die Schuhe auszuziehen.

Der Höhepunkt waren die Sarkophage im "Sonnenpalast" von Pjöngjang mit den nach stalinistischer Tradition einbalsamierten Leichnamen. Im Raum herrschte eine Stimmung, dass man befürchtete, bei einem Fehler in der hier besonders ausgefeilten Verbeugungszeremonie (zwei Särge, jeweils drei Verbeugungen, nicht mit dem Rücken zu den Toten) sofort an die Wand gestellt zu werden. Tatsächlich erinnere ich mich wegen der riesigen Anspannung kaum an diese Momente. Ich war im Tunnel der Ehrerbietung.

Vor unserem Schaufensterblick bewegte sich das Volk vornehmlich in der Masse. Mittags wurde für kommende Paraden trainiert, nachmittags ein Massentanz aufgeführt und abends wieder geübt, um an wichtigen Jahrestagen in perfekter Choreographie den Kims zu huldigen. Immer morgens um 6 Uhr weckte mich der geliebte Reiseführer. Schlaftrunken ging ich zu meinem Hotelfenster mit der Pjöngjang-Skyline und starrte ratlos auf Hunderte Menschen, die am Ufer gegenüber bereits mit der Morgengymnastik begonnen hatten.

Am achtenTag unserer Reise besuchten wir ein Kinderferienlager, um uns ins versprochene Erstaunen versetzen zu lassen. Es war kein Kind da, die seien gerade alle abgereist. Es roch nach frischer Farbe, die Einrichtung sah aus, als hätte sie nie ein Kind berührt. Vor Ort erklärt eine Führerin die Spaßwelt und wie Kim Jong-il persönlich Anweisungen gegeben hätte, um das Ganze im Sinne der Kinder zu optimieren. Diese Ausführungen übersetzte uns dann unser geliebter Reiseführer ins Deutsche. Zeitgleich war eine polnische Reisegruppe vor Ort, die ihrer polnisch sprechenden Reiseleitung lauschte. Nun befand sich in meiner Gruppe jemand, der polnisch wie deutsch sprach. Ihm wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die nächsten Minuten nochmals den Reiseleiter der polnischen Reisegruppe ins Deutsche zu übersetzen, damit unser geliebter Reiseführer abgleichen konnte, ob die koreanische Vorgabe auch korrekt wiedergegeben wurde und nicht etwa wichtige Details des Geniestreichs der Großen Führer weggelassen wurden. Er verlor dabei seine Freundlichkeit und war voll zwanghaftem Eifer, einen Fehler beim Kollegen zu entdecken.

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Eine der wirklich zahlreichen Kim-Il-sung-Statuen

Ein anderes Mal drückte unser Fahrer trotz gewaltiger Schlaglöcher aufs Gaspedal, als stünde er kurz vor dem Überschreiten der (nicht vorhandenen) Lenkzeiten. Die Straße war gesäumt mit Frauen, die mit Steinbrocken die Straße aufklopften. Der Mangel an tauglichen Arbeitsgeräten war nichts Ungewöhnliches, jedoch erschien uns dieses Aufgebot nicht wie ein regulärer Bautrupp. Auf die vorsichtige Nachfrage beim geliebten Reiseführer wurde mir entgegnet, dass es sich um "Freiwilligenarbeit" handeln würde. Es käme öfter vor, dass Betriebsgruppen sich in revolutionärer Begeisterung dazu entschlössen, solche Arbeiten zu verrichten.

Unser geliebter Reiseführer illustrierte mit seiner Lebensgeschichte ganz gut, wie diese Freiwilligkeit in Nordkorea aussieht: Als Jugendlicher sei er total vernarrt in Pferde gewesen. Bei einem Bier am Abend erzählte er mir davon, wie er einen Freund, der im Zoo arbeitete, bestochen habe, um bei den Pferden schlafen zu können. Etwas erstaunt fragte ich ihn, wann sich seine Leidenschaft für Deutschland und die deutsche Sprache davorgeschoben habe. Er antwortete, dass er Deutschland überhaupt nicht interessant fände und die deutsche Sprache ziemlich nervig. Aber es habe einen Mangel an Dolmetschern gegeben, also habe er die Pferde vergessen und stattdessen uralte, deutsche Spielfilme auswendig gelernt, um akzentfrei Deutsch sprechen zu können. Gleichwohl wurde er nie müde zu erzählen, dass es in Nordkorea die freie Berufswahl gäbe.

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Zuletzt war ich versucht, mich vor einem Tomatengewächshaus zu verbeugen, da mir stolz berichtet wurde, dass Kim Jong-il es der Universität persönlich geschenkt hätte.

Ich hatte durchaus das Gefühl, dass es im täglichen Propagandaeintopf Schattierungen und Grautöne gab. Ein Beispiel: Während Staatsgründer Kim Il-sung mit glühender Verehrung zum Gottmenschen erhoben wurde, wurden die Stimmfarben bei Kim Jong-il schon verhaltener. Nicht nur, dass in seine Regentschaft der "Lange Marsch" fiel. Eine heute zur Prüfung erklärte Hungersnot die Hunderttausende das Leben kostete. Nein, er hatte im Gegensatz zu seinem Vater keinen erfolgreichen Krieg und keine nationale Befreiung vorzuweisen. Beim heutigen Regenten Kim Jong-un wird die Begeisterung dann zur gelangweilten Aufführung. Wie verkaterte Cheerleader rissen die dazu Verdammten ihren monologisierten Text herunter und schienen glücklich, wenn sie sich wieder Kim Il-sung zuwenden konnten.

Aber auch dieser subjektive Eindruck konnte nicht relativieren, dass individuelle Gedanken und Einschätzungen in Nordkorea unerwünscht sind. Wie Kindern erklärte uns der geliebte Reiseführer zwar die Errungenschaften des koreanischen Sozialismus, darüber zu diskutieren, blieb aber unmöglich.

Kim Jong-il analysiert in einem seiner vielen Aufsätze das Scheitern der DDR wie auch der UdSSR. Seiner Auffassung nach scheiterte der Sozialismus dort, weil man versuchte, ihn alleine durch die Planwirtschaft herbeizuführen. Dies sei falsch. Vornehmlich wäre der Aufbau des Sozialismus eine Frage der Erziehung. Du denkst, du bist im Arbeiterparadies, also ist es so. Wenn du siehst, dass es Kasten gibt, die sich mit einem Zugang zu Devisen bereichern, wenn du von Korruption weißt und dich wunderst, warum es ausgerechnet in deinem Lebensmittelgeschäft nichts zu kaufen gibt—dann arbeite gefälligst an deiner Einstellung zum System! Du bist das Problem, nicht das System.

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Und alle kritischen Gedanken legst du ganz tief in ein Loch.

Das Erschreckende ist, dass es funktioniert. Ich hatte ich bereits ein Dokument unterschrieben, in dem es hieß: "Ich werde die koreanische Kultur […] und die Verehrung der politischen Führer respektieren und darüber im Verlauf der Reise (wie auch danach in der Öffentlichkeit) keinerlei kritische […] oder ironischen Bemerkungen machen". Damals lachte ich darüber, doch vor Ort wurde mir bewusst, wie ernst es Nordkorea damit ist.

Ich wagte nicht mal, an der Hotelbar mit den anderen aus meiner Reisegruppe über meine Erlebnisse des Tages zu sprechen. Man redete im besten Fall verklausuliert, aber nie kritisch. Ich hatte mir für mein Tagebuch einen Code ausgedacht, den ich aber nicht durchzog. So schrieb ich lauter positive Sachen auf und hoffte, mich später daran zu erinnern, wie ich wirklich darüber gedacht habe. Und irgendwann im Laufe eines Tages mit dem üblichen Monumentenmarathon kam er dann, dieser furchtbare Gedanke: "Vielleicht ist ja doch auch irgendwas dran an dem Ganzen. Vielleicht höre ich zum ersten Mal die Wahrheit." In Nordkorea gibt es für jeden kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und mietfreie Wohnungen. Ist das nicht großartig?

Es besteht kein Zweifel, dass es im Koreakrieg und der japanischen Kolonialherrschaft grausamste Verbrechen gegeben hat. Das Land selbst sieht sich aber nur als vergessenes Opfer. Als armes von der Welt misshandeltes Volk unter dem notwendigen Schutz eines militarisierten Systems. Mein geliebter Reiseführer gab uns ein Sprichwort auf den Weg: "Mit einer schwachen Faust kann man sich nur die Tränen wegwischen."

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Überall lächeln dich gütig die Kims von Bildern an, die Farbgebung zu kitschig für jedes Märchenbuch. Man erfährt, wie Kim Jong-il bis spät in die Nacht arbeitete und dann über seinem Schreibtisch einem Herzinfarkt erlag. Der Zug, in dem dies geschah, wird besichtigt, aber man darf nicht fragen, warum da ein Apple-Laptop auf dem Schreibtisch steht.

Als ich nach meiner Rückfahrt in Peking aus dem Bahnhof trat, erschien mir das autoritäre Reich der Mitte wie ein Ort unerhörter Freiheit. Klar, auch hier sind Webseiten gesperrt, aber in Nordkorea legen sich die Gedankenverbote wie Watte um dein Hirn, bis du Angst kriegst, dass du den Ausgang nicht mehr findest. Die enorme Stille im Land rührt nicht nur vom mangelnden Verkehr.

"Ich habe deinen Reisepass als Klopapier benutzt, morgen kommst du in den Gulag."

So begleitete mich bei meinen ersten Schritten in Peking aber nicht nur Erleichterung, sondern auch große Scham.

Ich hatte es tatsächlich getan. Ich war einer von gerade einmal 1.500 westlichen Besuchern im Jahr gewesen, die es gewagt hatten, das Reich der Kims zu betreten, und nun war ich einfach wieder draußen. Unser geliebter Reiseführer hatte uns in Pjöngjang zum Zug gebracht, ein bisschen Essen für die Reise mitgegeben, und dann fuhren wir zur chinesischen Grenze. Dort ließ sich ein nordkoreanischer Grenzer von uns auf Englisch den Unterschied zwischen Notebook und Notizblock erklären (gar nicht so einfach, versucht es mal) und dann war ich wieder raus. Einfach so.

Dem überwiegende Teil der 23 Millionen Menschen, deren Land ich bereist hatte, ist das nicht vergönnt. Die meisten Menschen, die ich aus dem Busfenster beobachtet hatte, die Kinder, die mir heimlich zugewunken hatten, als ihr Lehrer wegsah, auch mein geliebter Reiseführer und alle Hotelbediensteten—sie haben diese Möglichkeit nicht und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie zertrümmert es in ihren Köpfen aussieht.

Ich fürchte, bei der bizarren Faszination, die viele an Nordkorea fesselt, vergessen wir allzu oft, dass dort Menschen ihr ganz alltägliches Leben verbringen. Heulen, lachen, weinen, lieben, essen, kacken, schlafen. Es sind keine Roboter oder Stalinismus-Zombies.

Unser geliebter Reiseführer ließ sich niemals in die Karten schauen (warum sollte er auch für uns etwas riskieren?), aber oft trank er mit uns am Abend noch ein paar Bier und war auch einfach ein Mensch, mit dem man dumme Witze machen konnte. Einmal stellte er sein Bierglas ab und sah mir fest in die Augen: "Ich habe deinen Reisepass als Klopapier benutzt, morgen kommst du in den Gulag." Für einen Moment muss ich geguckt haben wie eins seiner geliebten Pferde, denn er fing lauthals an zu lachen. Er spielte sehr gerne mit dem Image seines Landes. Ob es ein sinistres Ironieverständnis oder Kalkül zur Vertrauensgewinnung war, vermag ich nicht zu sagen.

Während die Erwachsenen bei Begegnungen mit uns so taten, als wären wir nicht weiter wichtig oder überhaupt vorhanden, konnten die Kinder ihre Begeisterung für unsere Reisegruppe aus fetten, großen, weißen Menschen kaum bändigen. Oft standen sie wie paralysiert da, wenn wir irgendwo hielten und aus dem Bus stiegen. Wer mal wissen will, wie sich Britney Spears fühlt, dort wird es möglich. Diese unwissende Unschuld in ihren Blicken, die nichts kennen als ein homogenes Land, war sehr berührend.

Nordkorea ist ein Land, das die Welt mir Atomraketen in Atem hält und gefühlt zweimal pro Woche Südkorea mit der kompletten Vernichtung droht. Aber auch in so einem Land sah ich Menschen schüchtern Händchen halten. Ich sah ein Pärchen, das sich an seiner Zweisamkeit erfreute, als es auf einen Springbrunnen blickte, und zwei offensichtlich Verliebte. die eine kleine Bootstour auf einem romantischen See machten.

Und so viel mehr: Ich sah Menschen, die im Zirkus herzerfrischend lachten, und welche, die sich um die besten Sitzplätze stritten. Unsere Barfrau war manchmal sauer, weil wir so lange sitzen blieben, und unserer geliebter Reiseleiter fand, dass seine Freundin ihn zu oft anrufen würde. All das existiert in einem psychedelischen Wahnsinnsgemisch aus Vernichtungsangst und gnadenloser Diktatur. Die schnellen Wahrheiten, die wir oft über Nordkorea lesen, verbergen menschliche Komplexität.

Ein paar Wochen nachdem ich wieder in Deutschland war, stand ich mit einem Transparent vor einem Werbe-Truck der Bundeswehr auf einem Volksfest. Ich protestierte dagegen, dass die Bundeswehr für den tödlichen Beruf des Soldaten wirbt. Ein Haufen Leute ging an mir und meinen Mitstreitern vorüber. Die meisten sahen uns mit einer Mischung aus Unglauben und Mitleid an. Hinter uns stand ein Trupp Polizisten. Ich hörte, wie der Einsatzleiter seine Beamten einordnete: "Ich will, dass die hier demonstrieren. Lasst sie nur nicht weiter an den Truck kommen." Mich überlief ein kalter Schauer. Es ist ein unschätzbar hohes Gut, als einsamer Irrer mit einem Transparent auf der Straße stehen zu können, um seine Meinung zu sagen. Bakunin hatte Recht, als er schrieb: "Wir sind überzeugt, dass Freiheit ohne Sozialismus Privilegienwirtschaft und Ungerechtigkeit, und Sozialismus ohne Freiheit Sklaverei und Brutalität bedeutet."