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Die unberichtete Geschichte davon, wie die Polizei in Passau mit Refugees umgeht

An der deutschösterreichischen Grenze werden geflohene Menschen von der Polizei an der Weiterreise gehindert und über die Bundesländer verteilt. Bisher ohne Aufschrei.

Foto via VICE Media

„Liebe Fahrgäste. In Österreich darf auf Bahnhöhen nicht geraucht werden. Wir bitten Sie daher, auf den Bahnsteigen nicht zu rauchen." Diese Durchsage kann man unter anderem auf dem Wiener Hauptbahnhof hören. Sie wird, ausschließlich auf Deutsch, alle gefühlte fünf Minuten wiederholt. Anscheinend richtet sie sich an die Flüchtlinge, die in der Bahnhofshalle und auf den Bahnsteigen auf ihre Weiterreise nach Deutschland warten.

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So auch am Abend des 12. Oktobers. Der Bahnsteig ist gut gefüllt. Man wartet auf den Nachtzug nach Hamburg. Auch viele Flüchtlinge wollen damit reisen. Eine Gruppe Polizisten irrt zwischen den Menschen umher. Manchmal treten sie an rauchende Flüchtlinge heran. Der Anführer, ein bärtiger, etwas beleibter Polizist, fuchtelt energisch mit dem Zeigefinger vor ihren Gesichtern umher. Und zwar so lange, bis sie die Zeichensprache deuten und die Zigarette ausmachen. Ordnung muss sein im Staate Österreich.

Im Nachtzug sind Flüchtlinge klar in der Überzahl. Das können manche Österreicher und Deutsche nicht verkraften. Panisch verriegelt eine Gruppe Reisender ihre Liegeabteiltür, als eine Gruppe Refugees am Gang vorbeigeht. Dabei suchen diese nur das richtige Abteil für ihre Reservierung. Festung Europa im Kleinformat.

Aus der Sicherheit ihres Abteils heraus wird diese Reisegruppe, nur von einer kleinen Schlafperiode unterbrochen, den gesamten Schlafwagen bis zur Ankunft in Hamburg mit ihrer Sicht der Dinge beglücken. Lautstarke Gespräche drehen sich um „Flüchtlingsmassen, die wir nicht bewältigen können" und „Deutschland," das „schon so viele aufgenommen" habe. Diese Herrschaften hätten hier die Chance ihres Lebens gehabt, etwas über ihre Mitreisenden aus Syrien, Pakistan und Afghanistan zu erfahren. Die Chance haben sie leider nicht genutzt.

Mein Abteil teile ich mit einem Syrer, einem Pakistaner und zwei Afghanen. Alle haben für teures Geld Tickets nach Hamburg gekauft. Der Syrer, ein freundlicher, großgewachsener Mann um die 30, spricht ein wenig Englisch. Französisch spreche er fließend, dass habe er in der Schule gelernt. Leider ist mein Französisch grottenschlecht, also reden wir Englisch.

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Er ist gelernter Tierarzt, sagt er, und auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien. Angst hat er vor allem vor Daesh, in Europa bekannt als die Terrormiliz IS. In Europa hofft er auf ein besseres Leben. Er hat schon eine lange Strecke hinter sich—über das Meer, durch den Balkan, nach Österreich. Hinter wenigen Sätzen verbirgt sich eine Odyssee, die ihn leicht das Leben hätte kosten können.

Seinen Humor hat er aber behalten. Mit einen stillen Lächeln hört er seinem Begleiter zu. Dann sagt er auf Englisch und mit breiten Grinsen: „Dieser Kerl spricht nichts außer seiner eigenen Sprache. Die ganze Reise labert er mich schon zu. Immer nur reden, reden, reden."

Der Schaffner kommt und nimmt die Fahrkarten entgegen. Was wir zum Frühstück trinken wollen. Tee? Kaffee? Die Geflohenen bestellen Tee, ich Kaffee. Keiner der Flüchtlinge in unseren Abteil wird am kommenden Morgen anwesend sein, um ihr im Fahrpreis inbegriffenes Frühstück entgegenzunehmen.

„In welchem Land lebt man besser, Schweden oder Deutschland?", fragt mich der Syrer. In einem dieser beiden Länder will er sich niederlassen. Wo genau? Er weiß es noch nicht. „Ich muss sehen, wo es mich hin verschlägt", sagt er achselzuckend. Großbritannien hat er auch überlegt, „aber es ist unmöglich, über den Kanal zu kommen." Aber eines schlägt immer wieder durch: Die Sehnsucht, in Frieden in seinem Beruf arbeiten zu können. Almosen möchte er keine empfangen.

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„Daesh ist nicht Islam" sagt er uns. „Das sind Terroristen." Es ist ihm wichtig, das klarzustellen. „Ich habe nichts mit denen zu tun. Keiner von uns hier." Dann Themenwechsel: „Magst du was essen? Sandwiches? Es gibt welche im Speisesaal. Ich werde welche holen." Ich lehne dankend ab. Er und sein Freund—der, der „immer nur redet"—machen sich auf den Weg. Als sie zurückkommen, bringt der Syrer Nussschokolade mit. Er bricht sie in Stücke und bietet sie an. Die gastfreundliche Geste eines Menschen in der Fremde.

23:00 Uhr, Ankunft in Wels, letzte Station vor der deutschen Grenzstadt Passau. Hier werden wir eine Stunde stehen. Am Bahnsteig humanitäre Helfer in gelben Westen und österreichische Polizei. Warum wir hier so lange halten? Die Zugbegleiter sagen, sie wissen es nicht. Hilfskräfte verteilen Äpfel und Bananen. Online-Recherche: Anscheinend hat die Bundesrepublik Deutschland den Grenzübergang Passau bis 00:00 Uhr gesperrt. Tatsächlich geht es nach einer Stunde weiter.

Schlafenszeit. Es wird ruhig im Zug und in unserem Abteil. Draußen herrscht tiefe, ländliche Dunkelheit. Manchmal sieht man den Sternenhimmel, so intensiv, wie man es in der Stadt nie täte. Schließlich ein Fluss, die Stahlpfeiler einer Brücke kündigen die Einfahrt nach Passau und damit Deutschland an.

Hat die Polizei einen erst mal aufgegriffen, ist es mit der Reisefreiheit vorbei. Bei Zuwiderhandlung droht Abschiebung.

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Ruhig gondelt der Zug in den Bahnhof. Der Bahnsteig ist in gleißendes Licht getaucht. Von den dort wartenden Bundespolizisten sehe ich zuerst nur die Stiefel. Der Zug kommt zum Stehen. Vor unserem Fenster steht der Einsatzleiter der Polizei. Ohne ein Wort zu sagen deutet er seinen Kollegen mit den Daumen nach links und nach rechts.

Für einen kurzen Moment bleibt es still. Dann hört man, wie die Waggontüren geöffnet werden—dann lautes Wummern an Abteiltüren, dann noch lauteres Befehlsgeschrei. Auch an unserer Tür wummert es, niemand regt sich. „Ausweiskontrolle!" brüllt draußen ein Mann. Der Polizist will die Tür öffnen, er scheitert. Vor dem Schlafengehen haben wir sie auf Rat des Zugpersonals abgeschlossen.

Weiteres Wummern, ein Krachen, dann steht der Polizist im Abteil. Hinter ihm zwei weitere Beamten. „Sprechen Sie Deutsch?" fragt er. Auf deutsch. „Speak english? Passports? Papers?" Für mehr reichen seine Fremdsprachenkenntnisse nicht. Die nun folgenden Amtshandlungen finden ausschließlich auf Deutsch statt.

Alle im Abteil haben Ausweise. Doch das reicht nicht. „Kein Visum?" fragt der Polizist den Syrer. „Dann raus, raus, RAUS!" Der Syrer versteht nicht. Dass er ein Ticket nach Hamburg hat, will er dem Polizisten erklären. Den Polizisten interessiert das nicht. Wer ohne Visum nach Deutschland einreist, muss sich in Passau registrieren. Fertig. „Aber Sie können nach der Registrierung nach Hamburg weiterreisen", sagt er den Menschen im Abteil.

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Das stimmt nicht. Registrierte Flüchtlinge werden in Deutschland auf die verschiedenen Bundesländer verteilt. In einem Flyer der zuständigen Behörde heißt es: „Sie können nicht frei wählen, in welchem Bundesland Sie untergebracht werden […]. Diese Zuteilung ist verbindlich." Hat die Polizei einen erst mal aufgegriffen, ist es mit der Reisefreiheit vorbei. Bei Zuwiderhandlung droht Abschiebung.

Meinem syrischen Reisebegleiter wird langsam klar, dass es mit Hamburg nichts wird—und mit Schweden wohl auch nicht. Noch einmal versucht er wütend, auf seiner Weiterreise zu bestehen, zeigt wieder seinen Pass und seine Fahrkarte. Dann sinken seine Schultern, ein tief trauriger Ausdruck auf seinem Gesicht. Er nimmt seine wenigen Sachen und geht nach draußen.

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Währenddessen lärmt die Polizei weiter durch den Zug. Immer mehr Flüchtlinge, fast der ganze Zug, stellen sich auf dem Bahnsteig in Viererreihen auf. Die Zugbegleiter schauen zu, schweigend und rauchend an den Zug gelehnt. Am Nachbargleis sprühen Funken. Arbeiter sind mit Reparaturen beschäftigt. Da bleibt keine Zeit für die Vorgänge nebenan.

Plötzlich wieder Geschrei. „Raus, RAUS, RAUS!" brüllt ein Polizist. Ein Flüchtling hatte versucht, wieder in den Zug zu gelangen. Der Beamte packt ihn schließlich am Kragen und schleift ihn aus dem Zug. Eine andere geflohene Frau ist wieder bei ihrem Abteil. Hastig sucht sie ihre Sachen zusammen. Erst jetzt ist ihr klargeworden, dass der Trip für sie hier endet. Gesagt hat ihr das von den Uniformierten keiner.

Wir haben zu diesen Vorgängen auch bei der Bundespolizei in Deutschland nachgefragt. Dort bittet man um Entschuldigung, dass sie aufgrund der derzeitigen Arbeitsbelastung in Passau zum konkreten Fall nichts sagen könne. In einem Statement stellt Matthias Knott, Sprecher der Polizeidirektion München, aber folgendes fest:

„Die Bundespolizei versucht ihre Maßnahmen den Adressaten immer verständlich zu machen. Dies ist abhängig von den individuellen Sprachkompetenzen auf beiden Seiten. Die Bundespolizeidirektion München hat bisher keine Kenntnis davon, dass Eigentum von Migranten im Zug verloren gegangen wäre. Migranten, die nicht über die erforderlichen Einreisedokumente verfügen, werden von der Bundespolizei kontrolliert, registriert und anschließend koordiniert in Wartebereiche gebracht. Von dort erfolgt die bundesweite Weiterverteilung durch die Koordinierungsstelle."

Im Zug herrscht nach dem Einsatz schließlich Leere. Es sind kaum noch Reisende übrig, als der Zug wieder abfährt. In so manchem Abteil bleiben Jacken, Rucksäcke und manchmal Schuhe zurück. Dinge, die die Flüchtlinge in Passau sicher gut brauchen könnten. Zurück bleiben auch viele Äpfel und Bananen, die von Helfern in Wels im Zug deponiert worden waren. Das Zugpersonal wird sie wenig später wegräumen. Anscheinend hat man dabei Routine. Willkommen in Deutschland.