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Die größten Dummheiten aus Jürgen Todenhöfers Buch ,Inside IS'

Die bösen Amerikaner, Krieg als Terror der Reichen und Schokolade für Terroristen—Die Wahrheiten des Jürgen Todenhöfer.
Jürgen Todenhöfer im November bei Günther Jauch | Foto: Imago | Stefan Zeitz

Der Spiegel bringt in seiner aktuellen Ausgabe einen langen Bericht zu Jürgen Todenhöfers Reise in den Islamischen Staat (IS), der begründete Zweifel aufwirft, ob es sich beim darauf basierenden Bestseller Inside IS um ein sauber recherchiertes Werk handelt. Die Ergebnisse aus den Gesprächen mit einem Freund von Todenhöfers Sohn, Matthias Richter, der bei der Mission dabei war, überschreibt der Spiegel mit „Der Märchenonkel". Richter gibt demnach zu, dass man auf menschenverachtende Aussagen in den Gesprächen geradezu gewartet habe und dankbar war, wenn sie fielen, anstatt—wie Todenhöfer es darstellt—die Terroristen dafür hart anzugehen.

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Richter schildert die reale Zensur durch den IS, von der Todenhöfer behauptet, es habe sie so nicht gegeben. Und Richter gibt auch zu, dass die Reise durch den IS eine geplante PR-Tour war. Todenhöfer lässt auf all diese Vorwürfe seinen Sohn reagieren, mit Tiraden gegen den ehemaligen Freund, aber ohne inhaltliche Belege. Nun steht Aussage gegen Aussage. Dabei ist eigentlich egal, ob es sich bei dem Buch nun um die Wahrheit oder nur um Todenhöfers Version davon handelt. Es ist nämlich auch so schon wirr genug. Hier ein paar Kostproben der größten Fehlschlüsse, Verzerrungen und Manipulationen aus Inside IS.

An allem sind die Amerikaner und der Westen schuld

Das dürfte sich als Grobzusammenfassung der meisten Bücher des Jürgen Todenhöfer eignen. In Inside IS erreicht der Versuch, alle Realität so umzudeuten, dass am Ende wieder das steht, wovon der Autor vorher schon überzeugt war, allerdings neue Höhen. Aus seiner Sicht ist der IS alleine „ein Kind des Irakkriegs 2003"—das steht im vierten Satz seines Buches (S. 9). „Terroristen verstehen ihre Anschläge als berechtigte Antwort auf die aggressiv ausbeuterische Politik der USA, die ihre Länder als amerikanische Tankstellen betrachten. Und dabei brutalste Methoden anwenden.

Junge Muslime in Deutschland und im Irak sehen Tag für Tag, Jahr für Jahr, wie in Afghanistan, Pakistan, im Irak, Jemen, in Somalia oder Palästina muslimische Frauen, Kinder und Männer durch westliche Waffen, westliche Verbündete und westliche Soldaten schwer verletzt und getötet werden. Bis einige von ihnen irgendwann reagieren" (S. 23), das ist eines der zahlreichen Zitate, das in diese Richtung geht. Dass die von ihm selbst (!) dokumentierten Gespräche mit den Dschihadisten teilweise eine ganz andere Sprache sprechen, ignoriert Todenhöfer dabei vollständig.

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Abu Qatadah etwa, der eigentlich Christian Emde heißt und der übergewichtige deutsche Sprecher des IS ist, verachtet den Westen zwar, verdrückt aber mit Vorliebe Hamburger mit Pepsi. Er wuchs ohne Vater auf, hatte immer wieder Ärger mit den Lehrern, war trotzdem ein guter Sportler, musste den Traum vom Profisport aber nach einer Verletzung aufgeben und auch seine erste große Liebe hielt nicht. Ein Schicksal, wie es unspektakulärer kaum sein könnte.

Emde hat keine Familienmitglieder durch Bombenangriffe der Amerikaner oder Israelis verloren, er wurde nicht von pro-westlichen Gruppen gefoltert. Sein größtes Problem nach seinem Übertritt zum Islam in Deutschland war, dass sein Arbeitgeber ihm nicht ermöglicht hat, immer am Freitagsgebet teilzunehmen (S. 92). Manche würden dann den Arbeitgeber wechseln, Emde ging zum IS, um Menschen zu töten. Und er sagt klar, dass der IS versuche, die Amerikaner zu provozieren und in einen Krieg gegen den IS zu zwingen. Seine Worte „Wenn ihr nicht zu uns kommt, kommen wir zu euch" sind, was das angeht, erstaunlich ehrlich. Ehrlicher als alle Ableitungen, die Todenhöfer daraus zieht, allemal.

Militärschläge und Terror sind das gleiche

„Krieg ist der Terror der Reichen, Terror der Krieg der Armen. Qualitative Unterschiede habe ich bis heute keine gefunden" (S. 26), das ist wieder so ein Satz von Todenhöfer, dessen Abgründigkeit sich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Dass man den Irak- oder Afghanistan-Krieg kritisieren darf und muss, keine Frage. Aber wie sollte daraus eine Begründung dafür werden, den IS nicht bombardieren zu dürfen?

Auf die Idee, dass Luftschläge gegen ein menschenfeindliches Regime eher noch zu wenig als zu viel des Engagements sein könnten, kommt Todenhöfer gar nicht. In seiner Logik sind Kriegshandlungen immer falsch, weil sie auch Zivilisten treffen. Und seiner Meinung nach sind die ehemaligen Führer der westlichen Welt, von Bush jr. bis Tony Blair, „noch schlimmere Terroristen" als die Kämpfer des IS (S. 29).

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Todenhöfer behauptet immer und überall, für den Frieden zu sein. Aber was würde das bedeuten? Niemand würde dem IS mehr die Stirn bieten. Die Terroristen, die 200 Millionen Schiiten ermorden wollen—und sich damit brüsten—, dürften ohne Gegenwehr marschieren. Und zwar bis nach Europa. Man möchte sich gar nicht vorstellen, was diese Linie im Kampf gegen Hitler-Deutschland bedeutet hätte. Juden, die heute noch von Auschwitz erzählen könnten, hätte es dann sicher nicht mehr gegeben. Zur Schau gestellter Pazifismus wie der Todenhöfers schadet am Ende all denen, die bereit sind, die offene Gesellschaft mit allem, was sie haben, zu verteidigen.

Jürgen Todenhöfer ist ein kritischer Journalist, der den notwendigen Abstand einhält

IS-Terrorist wird man nicht zufällig. Wer in den IS reist, um dort gegen Andersgläubige zu kämpfen und brutale Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen, muss jeden Moment damit rechnen, von einem Luftschlag derer, denen er den Krieg erklärt hat, getroffen zu werden. Das gehört gewissermaßen zum Berufsrisiko—und dafür hat keiner der Mörder und Vergewaltiger des IS Mitleid verdient. Aber Jürgen Todenhöfer wäre nicht er selbst, wenn er das nicht ganz anders sehen würde. Das erklärt dann auch den freundschaftlichen, fast familiären Umgang mit Emde und anderen IS-Terroristen.

An einer Stelle, noch vor seiner Reise in das Machtgebiet des sogenannten IS, äußert er Sorge um die Sicherheit seines Gesprächspartners, sollten die Amerikaner ihn, Todenhöfer, anhand eines GPS-Gerätes lokalisieren können. Als während eines Telefongesprächs im Hintergrund Explosionen zu hören sind, rät Todenhöfer seinem Gegenüber „Bringen Sie sich in Sicherheit" (S. 160). In Inside IS wird immer wieder deutlich: Todenhöfer sorgt sich um die Terroristen selbst genauso wie um mögliche zivile Opfer. An einer Stelle nennt er die Taktik der Kämpfer, sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen, um Angriffen zu entgehen, sogar „auch keine schlechte Idee". Als ob es sich um ein großes Versteckspiel handeln würde.

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Aber die Fürsorge geht noch weiter. Bei der ersten Begegnung dann umarmt Todenhöfer Emde, der zumindest nicht widerspricht, als er gefragt wird, ob er Menschen getötet hat, freundlich zur Begrüßung (S. 185). Und er bringt natürlich auch Gastgeschenke mit: Lebkuchen, Schoko-Bons und Milka-Schokolade für die Terroristen (S.164). Natürlich zeigen sich auch die Beschenkten großzügig und bieten Todenhöfer später an, dass man für ihn durchaus eine Hinrichtung organisieren könne. „Was hätten Sie gerne? Einen Kurden oder Schiiten?" (S. 232)

Es will einem einfach nicht der Gedanke aus dem Kopf, wie sich einer der Terroristen einen Schoko-Bon einwirft, nachdem er sich an einer seiner minderjährigen jesidischen Sexsklavinnen vergangen hat oder wie eine ganze Gruppe widerlicher „Gotteskrieger" Todenhöfers Lebkuchen kreisen lassen, während sie genüsslich der Hinrichtung kurdischer Freiheitskämpfer beiwohnen.

Ein Jürgen Todenhöfer wird nicht zensiert

Wie kommt man eigentlich dazu, vom IS eingeladen zu werden? Auch wenn Todenhöfer in seinem Buch immer wieder behauptet, er habe sich noch nie zensieren lassen, so sind das doch nur Scheingefechte. Er akzeptiert, dass der IS festlegt, wo er mit wem sprechen darf—sogar ein Gefangener wird extra zu ihm gebracht, um zu erzählen, wie toll er vom IS behandelt wird. Wenn er mit den Menschen aus der Terrormiliz spricht, steht immer mindestens ein Aufpasser daneben. Wie viel Wahrheit wird man so hören? Und: Was ist das anderes als Zensur?

Noch dazu hat Todenhöfer die Schere selbst längst im Kopf. Seine Weltsicht ist an so vielen Stellen dokumentiert, dass der IS wusste, mit was er zu rechnen hatte: So positiv wie Todenhöfer aus seinem Hass gegen den Westen heraus über den IS berichten würde, würde es kein anderer tun, dachte man sich wohl. Todenhöfer dokumentiert dieses Vertrauen der IS-Verantwortlichen in ihn sogar selbst, wenn er etwa beschreibt, wie er aufgefordert wird, zum Islam zu konvertieren, weil er die Situation doch eigentlich richtig erkannt habe (S. 260).

Das ist umso bemerkenswerter, als der IS-Sprecher immer wieder betont, dass Schiiten und alle Muslime, die sich mit der westlichen Demokratie arrangiert hätten, aus ihrer Sicht vom Islam abgefallen wären und daher mit der Todesstrafe zu rechnen hätten. Für Todenhöfer wäre aber offensichtlich Platz in der Welt des IS. Dieser wird so zwar nicht zum Pressesprecher des IS, wohl aber zum willigen Helfer.

Die Aussagen der Terroristen werden weitgehend unkommentiert wiedergegeben. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die offizielle Propaganda, nur dass sie umso wirksamer ist, weil sie von einem Deutschen überbracht wird, der auch noch richtig Reichweite hat. Dass dieser Enthauptungen und andere Brutalitäten pflichtbewusst kritisiert, stört den IS dabei überhaupt nicht. Dessen Köpfen ging es darum, den IS nicht als chaotische Guerilla-Truppe, sondern als funktionierendes Staatsgebilde mit klaren Regeln darzustellen.

Dass man für Regelbrüche mit drastischen Strafen wie dem Abhacken von Händen oder gar einer Hinrichtung zu rechnen hat, ist nichts, was man geheim halten will, ganz im Gegenteil: Es ist ein wichtiges Marketingargument für all diejenigen, die sich einen richtigen Law-and-Order-Staat anstatt der „verweichlichten" westlichen Demokratie wünschen.

Todenhöfer lässt sich auf dieses Spiel ein, er verbreitet die Weltsicht des IS ungefiltert. Manchmal wirken die Beschreibungen Todenhöfers vom IS wie Disneyland für gescheiterte Existenzen: Ein bisschen Spiel, ein bisschen Spannung und immer leckeres Essen. Inside IS hält mit Sicherheit niemanden davon ab, sich dem IS anzuschließen. Ganz im Gegenteil: Dem IS dürfte die Rekrutierung neuer Kämpfer nach der Lektüre von Todenhöfers Buch eher leichter fallen.