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LGBTQ

Wie Medien einen Eklat um schwule Katholiken erschaffen haben, den es nie gab

'Kölner Express' und 'Focus' berichten, ein Homosexueller sei mit einer "frivolen Fahne" im Kölner Dom "erwischt" worden. Aber das ist falsch, sagt der Mann.
Die Fahne des vermeintlichen Anstoßes || Foto: Dirk Bachhausen

Auf den ersten Blick passen LGBTQ-Vereine und die katholische Kirche so gut zusammen wie der Teufel und das Weihwasser. Doch in Köln zeigt die Schützenbruderschaft "St. Sebastianus und Afra", dass es funktionieren kann. Seit fünf Jahren nimmt der Schützenverein an Krönungsmessen, Prozessionen und Gottesdiensten teil – es ist der "erste queere Schützenverein Deutschlands".

So war "St. Sebastianus und Afra" auch bei der Fronleichnahmsprozession am Donnerstag mit von der Partie. Noch am gleichen Tag, kurz nach 13 Uhr, titelt der Kölner Express: "Fronleichnam-Eklat". Ein "schwuler Schützenbruder" sei mit einer "frivolen Fahne" im Kölner Dom "erwischt" worden. Als der Schützenverein die Fahne habe schwenken wollen, hätten die Domschweizer eingegriffen. "Der Schützenbruder musste seine Fahne einrollen. Kein Wunder: Sie zeigte halbnackte Comic-Figuren auf dem Scheiterhaufen …", schreibt der Reporter.

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Unter dem Artikel gab es zudem ein Umfrage, an der bisher fast 3.000 Menschen teilgenommen haben. "Ist der Schützenverein mit der Aktion zu weit gegangen?", fragt der Express. 71 Prozent sagen: Ja.

Nur 45 Minuten nach der Veröffentlichung, hatte auch Focus Online den Artikel übernommen und verbreitete die Nachricht weiter.

Das Problem: Den Eklat gab es nie. Dirk Bachhausen, der "erste Brudermeister" des Schützenvereins war bei der Fronleichnamsprozession dabei und erklärt uns, warum die Medienberichte nicht stimmen.

VICE: Wie haben Sie die Prozession erlebt?
Dirk Bachhausen: Wir haben an der Kölner Domprozession teilgenommen, so wie es die "St. Sebastianus und Afra"-Schützenbruderschaft seit fünf Jahren tut. Da waren auch andere Vereine dabei, zum Beispiel Karnevalsgesellschaften. Gegen 11 Uhr standen wir vorne am Dom. Kurz vor dem Ende der Prozession kam dann ein Burschenschaftler, das erkannte man an seinem Couleurband. Er hat sich bei einem der Domschweizer über uns und unsere Fahne beschwert. Als wir das erfuhren, waren wir gerade dabei, in den Dom einzumarschieren. Der Domschweizer hat uns dann kurz angehalten, uns aber seinen Segen gegeben und gesagt, er kenne unseren Verein, alles sei in Ordnung, die Fahne sei genehmigt.

Dirk Bachhausen auf der Fronleichnamms-Prozession. Mit freundlicher Genehmigung

Wie konnte es dann zu dem Bericht des Kölner Express kommen?
Die Zeitung hat einen Eklat herbeigeschrieben. Damit wurde natürlich suggeriert: Die schrillen Schwulen und Lesben provozieren mit nackten Bildern, sodass die Kirche einschreiten muss. Die Schweizer, der Dom und die Kirche hatten dabei weder ein Problem mit der Fahne, noch mit unserer Teilnahme. Der Einzige, der sich provoziert fühlte, war der Burschenschaftler.

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Wie kam das Foto in dem Artikel zustande, auf der Sie die Fahne zeigen?
Der Fotograf hat sich nie als Reporter ausgegeben. Er hat nach einem Foto gefragt, wie es gefühlt Hunderte Touristen an dem Tag gemacht haben. Auf dem Foto halte ich mit einer Hand die Fahne, mit der anderen rolle ich sie aus, extra so, dass er sie fotografieren kann. Der hat mich schamlos ausgenutzt und mich in einem völlig fremden Kontext dargestellt. Zudem wurden mit dem Artikel auch meine Persönlichkeitsrechte verletzt: Ich wusste nicht, dass das Foto journalistisch genutzt wird, nicht mal mein Gesicht wurde verpixelt.

[ Anmerkung der Redaktion: Der Kölner Express hat Dirk Bachhausens Gesicht auf dem Foto des Reporters mittlerweile verpixelt, die Redaktion des Focus bislang nicht.]

Auf der Fahne sind ein Mann und eine Frau zu sehen, die halbnackt an einen Baum angebunden sind.
Das sind unsere Schutzheiligen, der heilige Sebastianus und die heilige Afra. In der katholischen Ikonographie werden sie immer mit ihren Attributen dargestellt, die ihr Martyrium zeigen: der heilige Sebastianus in Lendenschurz, an einen Baum gefesselt, von Pfeilen durchlöchert und Afra mit brennendem Feuer unter den Füßen.

Die Fahne wurde vom Künstler Ralf König gemalt, das Motiv von unserem Präses [ Anm. d. Red.: einem katholischen Priester] abgesegnet. Die Fahne ist sogar geweiht. Bei Afra ist eine halbe Brust zu sehen, aber auf dem Originalmotiv im Augsburger Dom hat sie wohlgemerkt beide Brüste entblößt. Das heißt: Auch an der Fahne war überhaupt nichts Frivoles.

Welche Folgen hatte die Medienberichterstattung für Ihren Schützenverein?
Seitdem wir uns gegründet haben, kämpfen wir gegen das Vorurteil, wir seien nur ein Spaßverein, der die Kirche verarschen will. Wir sind genau das Gegenteil. Und immerhin haben wir in fünf Jahren schon erreicht, dass der katholische Bund der historischen Schützenbruderschaften Schwule und Lesben akzeptiert. Aber nicht, weil wir satirisch sind, sondern weil wir uns als ernsthafte Schützen engagieren.

Was werden Sie jetzt tun?
Wir haben einen Medienanwalt eingeschaltet und werden eine einstweilige Verfügung gegen den Express durchsetzen, damit der Artikel bis auf Weiteres gelöscht wird. Die Zeitung hätte darüber berichten sollen, wie selbstverständlich es ist, dass mittlerweile Schwule und Lesben an einer Fronleichnamsprozession im Kölner Dom teilnehmen können. Stattdessen wird daraus eine Provokation gemacht. Beim Außenstehenden kommt jetzt wieder an: Die Schwulen und Lesben sorgen nur für Ärger in der Kirche. Damit reißt man mühsam aufgebaute Mauern wieder ein.

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